988 „…entstand die für
die Orthodoxie typische Symphonia von Staat und Kirche.“ (Ökumenisches
Heiligenlexikon
Diese Sinfonia klang jedoch nur in den Kirchengesängen ihrer goldenen Versammlungsräume aufbauend.
Der Rest erwies sich als Bürde für das einfache russische Volk. Die Geistlichkeit innerhalb und außerhalb der Klöster wollte und musste sehr verehrt und gut versorgt werden, ihre Kathedralen errichtet und unterhalten. Was die „Symphonia von Staat und Kirche“ den Menschen gebracht hatte, war gemäß Zeugnissen kompetenter Autoren, noch weniger als kümmerlich. Die aus dem Byzantinismus stammende Religion Kyrills bemühte sich jahrhundertelang wenig oder gar nicht um die Hebung des Bildungsniveaus ihrer Mitglieder, und nur unzureichend soweit es ihre Priester betraf. Das Schicksal der bodenlosen Landarbeiter interessierte die Geistlichkeit der ROK selten oder nie. Persönlichkeiten wie der russische Schriftsteller Leo N. Tolstoi (1828-1910)
Altersbild 1908
prangerten diesen Missstand an. Tolstoi hielt darüber hinaus die in der russisch-orthodoxen Kirche üblichen Feierlichkeiten, für verfehlt.
Den Geist Christi der inneren Erleuchtung, der Ermutigung um Erkenntniszuwachs, und des Mitleids konnten die Lichter der zahlreichen Kerzen, in goldfarbenen Kirchenräumen nicht ersetzen.
Der Apostel Paulus aber lehrte
kanonisch: „Wer den Geist Christi nicht hat gehört nicht zu ihm.“ Römer 8: 9
Vor allem bemängelte Tolstoi
die seit Jahrhunderten fehlende Anstrengung von Kirche und Staat, Menschen aus
ihrem Elend heraus zu holen. Russlands Geistliche hatten das von Jesus gesetzte
Ziel, Mitmenschen glücklicher zu machen, aus den Augen verloren. Sie stritten
darum, ob man sich mit zwei oder drei Fingern bekreuzigen soll. Sie zankten, ob
die Gottesdienstbesucher sich dreihundertmal bis zur Erde niederbeugen oder ob sie
diese Geste nur dreihundertmal andeuten müssen.
Der aufmerksame
Russlandreisende Charles F. Ph. Masson, ein Mann mit Augenmaß, konnte nur den
Kopf schütteln. Um 1780 schildert er welche Früchte Wladimirs Religion noch
acht Jahrhunderte nach der angeblichen „Christianisierung“ der Kiewer Rus,
trug: "Der Russe hat an nichts Interesse, weil er nichts besitzt... er
lebt ohne Vaterland, ohne Gesetze, ohne Religion... er hat gar keinen Grund,
die Scholle, auf die er gefesselt ist, zu verlassen (er kann es sich nicht
vorstellen…) Er hasst alle Arbeit, weil er niemals für sich gearbeitet hat; er
hat daher auch keinen Begriff von Eigentum. Seine Felder, seine Habseligkeiten,
sein Weib, seine Kinder, er selbst gehören einem Herrn, (- einem „christlichen“
Herrn, G. Sk.-) der in Willkür darüber schalten kann, und es auch wirklich tut...“
"Geheime
Nachrichten über Russland unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800
Tolstoi klagte noch zu Beginn
des 20. Jahrhunderts: „Wenn ich eine Schule- betrete und diese Menge
zerlumpter, schmutziger, ausgemergelter Kinder mit ihren leuchtenden Augen […]
sehe, befällt mich Unruhe und Entsetzen, ähnlich wie ich es mehrmals beim
Anblick Ertrinkender empfand. Großer Gott – wie kann ich sie nur herausziehen?
Wen zuerst, wen später? […] Ich will Bildung für das Volk einzig und allein, um
die dort ertrinkenden Literaten und Künstler zu retten. Und es wimmelt von
ihnen an jeder Schule.“ In seinem Brief an der Heiligen Synod, den Leo Tolstoi
als Antwort seiner Exkommunikation schrieb, urteilt er scharf und zutreffend: „Die
Lehre der Kirche ist eine theoretisch widersprüchliche und schädliche Lüge,
fast alles ist eine Sammlung von grobem Aberglauben und Magien.“ „Welt“ – „Wer Tolstoi
liest, taucht in eine zweite Familie ein“
Veröffentl
Augen- und
Ohrenzeuge Charles F. Ph. Masson fuhr in seinem Bericht fort:
„Außer einem
geweihten Amulett, das jeder Russe von der Taufe an, wo er es bekommt, am
Halse trägt und nie ablegt, hat er gewöhnlich noch ein Bild von Kupfer in
der Tasche, das den Heiligen Nikolaus oder einen anderen Heiligen, der sein
Patron ist, vorstellt. Er nimmt es mit auf Reisen. Nichts ist sonderbarer, als
wenn man einem Bauern oder Soldaten zusieht, wie er seinen kleinen Gott
aus der Tasche zieht, darauf spuckt, ihn mit der Hand reibt, und sich plötzlich
vor ihm auf die Erde wirft, hundertmal das Zeichen des Kreuzes macht, die
tiefsten Seufzer ausstößt und seine 40 "Gospodi pomiloi" (Gott sei
mir gnädig) hersagt. Ist das Gebet zu Ende so tut er den Gott wieder in die
Büchse und steckt sie in die Tasche...
Ich habe eine russische
Fürstin gekannt, deren Hausgott ein großes silbernes Kruzifix war,
das beständig in einem besonderen Wagen hinter ihr herfuhr, und am Abend in
ihrem Schlafzimmer aufgestellt wurde. War ihr der Tag über ein Glück
widerfahren, und war sie mit ihren Liebhabern zufrieden, so ließ sie eine Menge
Wachkerzen um dasselbe herum anzünden, und sagte dann in einem vertraulichen
Ton zu ihm: Nun siehst du? weil du dich heute gut aufgeführt hast, so sollst du
auch gut behandelt werden. Die ganze Nacht hindurch sollst du brennende
Wachslichter haben, ich will dich lieben, zu dir beten, du sollst mein lieber
kleiner Herr Gott sein. War ihr hingegen irgendetwas Unangenehmes zugestoßen,
so durften die Kerzen nicht angezündet werden. Sie verbot ihren Bediensteten
dem armen Kruzifix irgendeine Art von Verehrung zu erweisen und überhäufte es
mit Vorwürfen, Scheltworten und Grobheiten." "Geheime Nachrichten über
Russland unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800
Tolstoi trat entschieden
für eine Trennung von Staat und Religion ein. Jesus sah es wohl voraus wozu es
kommen würde: „Niemand kann zwei Herren dienen…“ Matth. 6: 24
Eben diese
Trennung wollte Lenin, wollte schon Karl Marx, wenn auch aus völlig anderen
Gründen.
Soweit so gut.
Aber hatten sie
einkalkuliert, dass dies unter dem roten Banner der „neuen“ Werteordnung sehr
wahrscheinlich dazu führen würde, die unbestritten erforderliche Trennung mit
den ungerechten Methoden des Diktator-Großfürsten Wladimir durchzusetzen?
Kann Recht durch
Unrecht in die Welt gesetzt werden?
Kaiser
Konstantin (285-337) war es, der diese unselige Verbindung von Staat und Kirche
mit dem von ihm einberufenen Konzil zu Nicäa im Jahr 325, erpresste. Diese
Untat trug zur Entseelung des Christentums erheblich bei.
Er wollte, zum Entsetzen der
kritischen Bischöfe, unbedingt seinen eigenen, neuen Ideen den Weg bahnen: Der Historiker Heinz
Kraft resümiert:
„… die Kirche befolgte in Nicäa die Wünsche Konstantins, obwohl sie
sie nicht billigte... Eben so wenig, wie Konstantin Christus erwähnt, ist die Kirche auf
Christus bezogen... Konstantin hatte eine neue Idee von der Kirche, die er verwirklichen
wollte: ... nach dem i h m vorschwebenden Bild formt er… sein Reich, s e i n e Kirche…. Die Diener Gottes, die Kleriker
unterstützen den Kaiser,
den Knecht Gottes,
dabei, das gottgewollte Friedensreich herbeizuführen. Das Konzil ist ein
repräsentativer Staatsakt, aber der S t a a t, der sich ihm darstellt, ist die von Konstantin
geführte Kirche, das Reich der Zukunft ...“
Heinz Kraft,
Habilitationsschrift „Konstantins religiöse Entwicklung“ Heidelberg - Uni Greifswald, 1956
Der Widerstand seitens einer Gruppe gebildeter Bischöfe im Umkreis des Konzilteilnehmers
Arius (260-337) wurde gebrochen. Arius selbst beugte sich
nicht. Für ihn stand außer der theologischen Wahrheit fest, dass jeder
Freiheitsliebende sich, selbst gutgemeinten Brutalitäten eines Tyrannen,
entgegenstellen muss. Der Zweck heiligt keineswegs die Mittel.
Unmittelbar nach der sogenannten „Oktoberevolution“ von
1917, hatte sich, durch die extrem Linken klar begründet, die Idee einer neuen,
„besseren“ Weltordnung ausgebreitet. Doch der Pferdefuß des Marxismus-Leninismus
war, ist, und bleibt mit seiner Aufforderung: „Proletarier aller Länder
vereinigt euch“ eine schwere Bedrohung für alle. Das letztlich von
fehlbaren Einzelpersonen ausgeübte „Diktat des Proletariats“ wollte als Hammer
das Alte zertrümmern, und die Sichel musste alles niedermähen was den obersten
roten Machthabern missfiel.
Wie der Geschichtsverlauf zeigt,
wurde Im Namen des Proletariats, infolge der Machtergreifung durch die Lenin-
und Stalinanhänger, tatsächlich jede Art Opposition zerschlagen. Sogar für Proletarier, wenn sie
mutig und gerecht denkend waren, sollte sich diese Parole des Karl Marx als
tödlich erweisen. Wer weiß es nicht, dass Stalin, wenn er übel gelaunt war
seitenlange Todeslisten von Leuten erstellte deren Gesicht ihn ärgerte. Svetlana
Alliluyeva, die Tochter des Diktators sagte, ihr Vater habe bald alle
Menschlichkeit verloren. Erich Weinert, ein gebildeter deutscher Prolet ahnte
nicht, als er sein Gedicht schrieb: „Im Kreml ist noch Licht“ warum es, da
drüben, gegenüber seiner Wohnung, noch lange hell war.
Nur drei Jahre nach der Errichtung der Sowjetmacht
ereignete sich das nicht gerade erste Kapitalverbrechen der leitenden
Bolschewisten. Von ihren Schlachtschiffen “Sewastopol” und “Petropawlowsk” aus
hatten die fast ausnahmslos aus der Arbeiterklasse stammenden Matrosen
protestiert, dass die Arbeiter in den Kronstädter Staatsunternehmen der
Sowjetunion „wie die Zuchthäusler zur Zarenzeit” behandelt wurden. Auf
Lenins Befehl hin ließ Kriegskommissar Trotzki die Aufständischen
zusammenschießen. Da hatten Mitmenschen eben das getan, was der linke Dichter
Bertolt Brecht sich wünschte: Die Empörung gegen das Unrecht. Doch eben
seine Partei, (der er allerdings nie beitrat) die nach 1945, mit Kremlhilfe, in
Deutschland auferstand, zerschmetterte bald nach seinem Ausspruch, in Berlin,
1953, gnadenlos den Aufstand des leidenschaftlichen Mitleids. Da war er der
später so berüchtigte „Panzerkommunismus“ der jede Kritik, die sich gegen ihn
richtete, zermalmte.
Heute, nach zehn Monaten des grausamen Versuches einer Zermalmung
der Ukraine gibt es tatsächlich in Ost und West noch Menschen die die Empörung
gegen das Unrecht, das unter ihren Augen geschieht, verurteilen. Sie finden
kein Unrecht am Kampf Russlands gegen die andersdenkenden Ukrainer.
Es geht
in der heutigen Ukraine jedoch um die Verteidigung des weltweit zunehmend in
Bedrängnis geratenen Individualrechtes. Dessen Kern diffamiert Patriarch Kyrill
als „westlichen Liberalismus“ und nennt ihn Herrn Putin zuliebe „Teufelszeug“.
Dank der
wissenschaftlichen Arbeiten die von großkirchlichen Theologen und Historikern
geleistet wurden, wissen wir, wie die vorkonstantinische Kirche aussah und was
sie bezüglich Freiheit und Eigenverantwortung lehrte und vertrat, nämlich
das Gegenteil der Ideen Kyrills. Alle verantwortungsbewussten frühen
kirchlichen Vollmachtsträger handelten selbstbestimmt im Geiste Christi, der
die Rechte andere niemals missachtete: „die Christen, schreibt Tertullian, (im Jahr
200) kennen keine Ruhmsucht und Ehrsucht, kein Bedürfnis nach
einer Parteistiftung, nichts sei ihnen fremder als die (Macht-) Politik. Der
eine möge Gott verehren, der andere den Jupiter; der eine zum Himmel, der andere
zum Altar der Fides beten. Seht vielmehr zu, ob nicht auch das auf den Vorwurf
der Gottlosigkeit hinausläuft, wenn man jemand die Freiheit der
Religion nimmt und ihm die freie Wahl seiner Gottheit verbietet“. Georg Denzler, „Mutige
Querdenker, der Wahrheit verpflichtet“