“Der Krieg in der Ukraine und der christliche
Glaube“
Kyrill, derzeitiger Patriarch der
Russisch-orthodoxen Kirche und enger Freund V. Putins brachte es, mit einem
Versuch einer Rechtfertigung des Überfalls auf ukrainische Menschen und ihre
friedlichen Ortschaften, auf den Punkt: „…der westliche Liberalismus ist
Teufelszeug…“ David Nauer. Korrespondent von Radio
SRF in Russland.
Kyrill's Überzeugung nach stünden die
moralisch höherstehenden Russen in der Pflicht den verdorbenen Ukrainern eine
Lektion zu erteilen. Solche Überheblichkeit ist für den vorgeblich frommen Mann
normal und für Präsident Putin eine wohltuende Bekräftigung, der Berechtigung
seines Befehls zu den Waffen zu greifen, um das Bruderland, wie er - in seinem Übermut meint, - zu „entnazifizieren“. Patriarch Kyrill
betonte wiederholt, wie treu er in der Tradition seiner einzigartigen Kirche
steht.
Weiß der Patriarch, wovon er redet?
Weder die Himmelsrichtung noch politische
Strömungen ändern etwas, Liberalismus meint immer das Jedermannsrecht auf
Entscheidungsfreiheit. Es ist das Recht, anderer Meinung oder anderen Glaubens
zu sein, und das ungefährdet zum Ausdruck bringen zu dürfen. Es beinhaltet das
Recht böse zu sein, - allerdings ist immer, früher oder später, gemäß dem
Naturrecht und nicht infolge irgendeiner Art von Willkür - der Preis für die
Bosheit zu entrichten. Dieser Preis kann
sehr hoch sein.
Gemäß Definition ist das Naturrecht unabhängig
von der gesetzlich fixierten Rechtsauffassung eines bestimmten Staates. Es ist
in der Vernunft des Menschen begründet. Christus und die Vernunft sagen: Sein
Evangelium (seine Frohbotschaft) und Gewalt schließen einander aus: „Selig,
die keine Gewalt anwenden.“ Matth 5,1-12
Die Wucht dieses Satzes wird im Umkehrschluss
deutlich. In diesem Sinne lehrt die Kirche Jesu Christi der Heiligen der
Letzten Tage (Mormonen), darüber hinaus, dass jede Person die im Besitz von
Legitimationen ist, diese vor Gott verliert, wenn sie „auch nur mit
dem geringsten Maß von Unrecht irgendwelche Gewalt, Herrschaft oder Nötigung auf
Menschenseelen ausübt…“ kanonisch Lehre und Bündnisse 121: 37
Des Patriarchen Kyrills Kirche entstand in
ihrer Breite, mittels kaum vorstellbarer Gewaltanwendung. Für ihn, und
wahrscheinlich ebenso für die große Mehrheit seiner Priester, ist der Diktator
Großfürst Wladimir (956-1015), als Gründer der Russisch-Orthodoxen Kirche, ein
Heiliger. Dieser Unhold, der nicht wenige Frauen ins Verderben stieß, ließ „988
die heidnischen Götzen in den Dnjepr werfen und befahl allen Stadtbewohnern
sich in dem Fluss taufen zu lassen. Wer sich weigerte, wurde mit dem T O D
bestraft... Die Druschina (das Kriegsgefolge des Fürsten) führte in allen Ecken
des Reiches mit Gewalt Zwangstaufen durch.“ Fritz
Pleitgen und Michael Schischkin 2019, in „Frieden oder Krieg...“
So „… entstand, 988, die für die Orthodoxie
typische Symphonia von Staat und Kirche.“ Ökumenisches
Heiligenlexikon
Diese Sinfonia klang jedoch nur in den
Kirchengesängen ihrer goldenen Versammlungsräume gut. Vieles erwies sich, für
das einfache Volk, als Dissonanzen. Die Geistlichkeit innerhalb und außerhalb
der Klöster wollte und musste sehr verehrt und gut versorgt werden, ihre
Kathedralen errichtet und unterhalten. Was die „Symphonia von Staat und Kirche“
den Menschen sonst noch gebracht hat, war gemäß Zeugnissen kompetenter Autoren,
noch weniger als kümmerlich. Die aus dem Byzantinismus stammende Religion
Kyrills bemühte sich jahrhundertelang wenig oder gar nicht um die Hebung des
Bildungsniveaus ihrer Mitglieder, und nur unzureichend, soweit es ihre Priester
betraf. Das aber wäre ihre Christenpflicht gewesen. Jesus mahnte seine
Nachfolger: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt
ihr mir getan. Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich
war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und
obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir
keine Kleidung gegeben …. ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten
nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Matth.
25: 42-45
Das Schicksal der bodenlosen Landarbeiter
interessierte die Geistlichkeit der ROK selten. Persönlichkeiten wie
der russische Schriftsteller Leo N. Tolstoi prangerten diese Missstände an. Deutlich
bemängelte Tolstoi die seit Jahrhunderten fehlende Anstrengung von Kirche und
Staat, Menschen aus ihrem Elend herauszuholen. Russlands Geistliche hatten das
von Jesus gesetzte Ziel, Mitmenschen glücklicher zu machen, aus den Augen
verloren oder nie erkannt. Sie stritten darum, ob man sich mit zwei oder drei
Fingern bekreuzigen soll. Sie zankten, ob die Gottesdienstbesucher sich
dreihundertmal bis zur Erde niederbeugen oder ob sie diese Geste nur
dreihundertmal andeuten müssen.
Der aufmerksame Russlandreisende Charles F.
Ph. Masson, ein Mann mit Augenmaß, konnte ebenfalls nur den Kopf schütteln. Um
1780 schildert er welche Früchte Wladimirs Religion noch acht Jahrhunderte nach
der angeblichen „Christianisierung“ der Kiewer Rus, trug: "Der Russe
hat an nichts Interesse, weil er nichts besitzt... er lebt ohne Vaterland, ohne
Gesetze, ohne Religion... er hat gar keinen Grund, die Scholle, auf die er
gefesselt ist, zu verlassen (er kann es sich nicht vorstellen…) Er hasst alle
Arbeit, weil er niemals für sich gearbeitet hat; er hat daher auch keinen
Begriff von Eigentum. Seine Felder, seine Habseligkeiten, sein Weib, seine
Kinder, er selbst gehören einem Herrn, (- einem
„christlichen“ Herrn, G. Sk.-) der in Willkür darüber schalten
kann, und es auch wirklich tut...“ "Geheime
Nachrichten über Russland unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800
Masson findet allerdings höchstes Lob für Geistliche dieser Kirche, wie den Moskauer Erzbischof Platon, Direktor der Akademie, der ein Mann voller Verstand und Beredsamkeit sei, der alles versuchte, was in seiner Macht stand um sein Volk zu erheben... allerdings fast vergeblich, weil vor allem die Popen auf dem Land mangels Bildung nicht ausführen konnten, was er wünschte...
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts klagte Tolstoi: „Wenn ich eine Schule betrete und diese Menge zerlumpter, schmutziger, ausgemergelter Kinder mit ihren leuchtenden Augen […] sehe, befällt mich Unruhe und Entsetzen, ähnlich wie ich es mehrmals beim Anblick Ertrinkender empfand. Großer Gott – wie kann ich sie nur herausziehen? Wen zuerst, wen später? […] Ich will Bildung für das Volk einzig und allein, um die dort ertrinkenden Literaten und Künstler zu retten. Und es wimmelt von ihnen an jeder Schule.“ Denis Scheck „Welt“ – „Wer Tolstoi liest, taucht in eine zweite Familie ein“
Augen- und Ohrenzeuge Charles F. Ph. Masson
fuhr in seinem Bericht fort: „Außer einem geweihten Amulett, das jeder Russe
von der Taufe an, wo er es bekommt, am Halse trägt und nie ablegt, hat er
gewöhnlich noch ein Bild von Kupfer in der Tasche, das den Heiligen
Nikolaus oder einen anderen Heiligen, der sein Patron ist, vorstellt. Er nimmt
es mit auf Reisen. Nichts ist sonderbarer, als wenn man einem Bauern oder
Soldaten zusieht, wie er seinen kleinen Gott aus der Tasche zieht, darauf
spuckt, ihn mit der Hand reibt, und sich plötzlich vor ihm auf die Erde wirft,
hundertmal das Zeichen des Kreuzes macht, die tiefsten Seufzer ausstößt und
seine 40 "Gospodi pomiloi" (Gott sei mir gnädig) hersagt. Ist das
Gebet zu Ende so tut er den Gott wieder in die Büchse und steckt sie in die
Tasche…" Geheime Nachrichten über Russland
unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800
Tolstoi trat entschieden für eine Trennung von
Staat und Religion ein. Jesus sah es wohl voraus wozu es kommen würde: „Niemand
kann zwei Herren dienen…“ Matth. 6: 24
Eben diese Trennung wollte Lenin, wollte schon
Karl Marx, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Soweit so gut. Aber hatten sie
einkalkuliert, dass dies unter dem roten Banner der „neuen“ Werteordnung sehr
wahrscheinlich dazu führen würde, die unbestritten erforderliche Trennung mit
den ungerechten Methoden des Diktator-Großfürsten Wladimir durchzusetzen?
Niemals kann Recht durch Unrecht in die Welt
gesetzt werden?
In
seinem Brief an der Heiligen Synod, den Leo Tolstoi als Antwort seiner
Exkommunikation schrieb, urteilt er scharf: „Die Lehre der Kirche ist eine
theoretisch widersprüchliche und schädliche Lüge, fast alles ist eine Sammlung
von grobem Aberglauben und Magien.“ Denis Scheck „Welt“
– „Wer Tolstoi liest, taucht in eine zweite Familie ein“
Tolstoi hielt die in der russisch-orthodoxen
Kirche üblichen Feierlichkeiten für verfehlt. Den Geist Christi, der inneren
Erleuchtung, der Ermutigung um Erkenntniszuwachs, und des Mitleids konnten die
Lichter der zahlreichen Kerzen, in goldfarbenen Kirchenräumen nicht ersetzen. Der
Apostel Paulus aber lehrte kanonisch: „Wer den Geist Christi nicht hat, gehört
nicht zu ihm.“ Römer 8: 9
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