Montag, 18. Juni 2012

Ich schrieb zurück:


Lieber Axel,

was mir am “Kommunistischen Manifest” sogleich missfiel (in einer Zeit meiner Fastabwendung von der Kirche zwischen August und Dezember 1951) waren seine wahnwitzigen Prophezeiungen.

So z.B. diese:
Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden... so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter!“
Ich wusste sofort, das ist eine schwer zu fassende und deshalb kaum angreifbare Aussage und dennoch eine Behauptung, die nichts weiter als blanke Spekulation ist, die nicht mit dem Wesen des Menschen, wie er nun einmal beschaffen ist, übereingeht.

Entweder ist damit gemeint, jegliche Gewalt verlöre ihr Dasein, falls die Klassenunterschiede verschwinden, oder es meint, was wahrscheinlicher ist, die öffentliche Gewalt verlöre einen Aspekt um einen anderen dazuzugewinnen.

Mit dem ersten könnte man leben, nur wäre das eine Utopie.

Der andere Fall läßt aller Willkür die Türen offen. Denn jenseits des Kampfes gegen ungerechte Aneignung des Mehrwertes, bliebe der Kampf um die Ideenfreiheit.

Entsetzt hat mich deshalb die Bestätigung im K. Manifest zu lesen:
unsere Kritiker sagen: es gäbe ewige Wahrheiten, wie Freiheit, Gerechtigkeit usw. die allen gesellschaftlichen Zuständen gemeinsam sind... aber... die Ausbeutung des einen Teils der Gesellschaft durch den anderen, ist eine allen Jahrhunderten gemeinsame Tatsache. Kein Wunder also, dass das gesellschaftliche Bewusstsein aller Jahrhunderte, allen Mannigfaltigkeiten und Verschiedenheit zum Trotz, in gewissen Formen sich bewegt, in Bewusstseinsformen, die nur mit dem gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes sich vollständig auflösen wird... ein radikaler Bruch mit den überlieferten Ideen...“


Du weisst, Axel, dass meine Religion mir verbietet, irgendeinem Menschen vorzuschreiben, was er glauben will, aber solche Toleranz verbietet mir nicht, zu sagen, wie tief ich die Ablehnung solcher Thesen empfinde, auch von der Logik her. Was soll das heißen, mit dem „gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes würden sich sämtliche (bisher anerkannten und bewährten) moralischen Werte vollständig auflösen?

Was anderes sind die bekannten sittlichen Werte als Bewusstseinsformen?

Ich ahne zwar, dass Karl Marx sagen will, dass soziale Ungerechtigkeit zu Krieg (Klassenkampf) führten muss, aber das weiß doch ohnehin jeder. Druck erzeugt Gegendruck.

Das Neue ist, dass Marx den Klassenkampf, als legitimes Mittel forcieren will um das Elend zu beseitigen.

Er nimmt an, kann aber nicht beweisen: wenn das Proletariat buchstäblich in völligen Machtbesitz gelangt, wird eine neue (bessere) Moral kommen, die des Proletariats (und das rechtfertige die Verschärfung des Klassenkampfes).

Die Tatsache, dass das Proletariat nie einer Meinung selbst in wichtigsten Belangen sein kann, ausgenommen in der Frage, ob sie als Proletarier sich das Leben erleichtern wollen, läßt Marx außer acht. Er verspricht, sie hätten „eine neue Welt zu gewinnen“. Eine Welt mit einer neuen Moral? Eine Moral der sittlichen „Freiheit“, was immer das sein mag, kann allenfalls eine gedacht grenzenlose sein, die sich ergäbe und das wäre kaum etwas anderes als die alte Unmoral.

Seit jeher, ich weiss nicht weshalb, war mir klar, dass Marx wirklich Freiheit für die Ausgebeuteten wünscht, dass sein Verlangen echt ist, aber zugleich liegt andererseits auf der Hand, dass er in „befreite“ Menschen, ein durch nichts! gerechtfertigtes Vertrauen setzt.

Sehr schnell wird jeder Befreite sein im biologischen Erbgut manifestiertes Wolfsnaturell zeigen, zwar die Sammetpfötchen, solange er seiner neuen Macht nicht sicher sein kann, doch wenn es ihm nötig erscheint, wird er gegen die Mitbefreiten ausschlagen.

Zuviele Idealisten die mir, nach 1945, zu erkennen gaben, dass sie schon vor der Hitlerzeit auf Marx Kurs eingeschwenkt waren, ließen mich in ihre Köpfe blicken. Es war unmöglich zu übersehen, - was ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte - gleich unter einem bißchen „Vulgärphilosophie“ als Cover oder Feigenblatt, lag haufenweise purer Egoismus und absolute Rücksichtslosigkeit, die einige dann bis zu ihrem Tod auslebten.

In mir ist für Illusionen kein Raum mehr.

Auch Mitt Romneys Wolfsnatur schlägt gelegentlich durch, wie meine eigene. Das kann weder ich noch irgendjemand leugnen.
Als mich die Ehefrau meines besten Freundes, in durchaus passend erscheinender Situation zu einem Abenteuer einlud, wollte ich sie nehmen, sogleich und ungestüm, wie ein gewissenloser Casanova das Objekt seiner Begierde packt, als wäre das sein gutes Recht.

Dass ich mir jedoch, sofort als das Gelüst aufsprang, und mir tyrannisch gebot zuzugreifen, Zügel anlegte und mich selbt in der Hand behielt steht auf einem anderen Blatt geschrieben, auf einem schönerem.

Wir haben zu erkennen wer wir sind.

Es gibt keinen anderen als diesen harten Weg, der Selbstdisziplinierung aus Einsicht und Liebe.

Expropriierte oder von wirtschaftlich-politischen Zwängen Befreite, wir werden niemals sein was wir sein möchten und schon gar nicht was wir sein sollten. Es sei denn wir entscheiden kraft unserer Vernunft plus Willenskraft (König Benjamin nennt das etwas anders, aber ich verabscheue es jemanden zu provozieren) und kraft eines geheimnisvollen, anscheinend ewigen Positivpotentials niemals gegen den Ratschlag des eigenen Gewissens zu handeln.

Wäre ich Knecht oder Sklave eines reichen ungerechten, erpresserischen Herrn und würde keine andere Hoffnung sehen, dann glaubte ich immer noch mit Schiller und Moroni und Joseph Smith, contra Karl Marx:

Nein eine Grenze hat Tyrannenmacht:
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last - greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ew'gen Rechte,
“Die droben hangen, unveräusserlich

Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst -
der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht -
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben
Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen
Gegen Gewalt - Wir stehn vor unser Land,
Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!“


Pro oder contra Marx, es steht sowieso die Frage unserer persönlichen Haltung zum Problem der Gewaltanwendung in allen konkreten, wenn auch kleinen Fällen unseres Alltagslebens an, weniger die Theorie.

Ich hasste die DDR weil sie mich gängelte oder zu gängeln versuchte, aber ich betrog sie nicht.

Dazu war reichlich Gelegenheit.

So gut wie möglich, war ich ehrlich zu ihr, weil alles andere meine Grundsätze verletzt hätte.

Mit oder ohne Marx steht die Frage nach der Unantastbarkeit der Würde des Menschen – auch der des verbrecherischen Herrn jenes Sklaven der ebenfalls nie sein Individualrecht auf Entscheidungs- und Handlungsfreiheit verloren geben kann und darf.

Mir scheint ich würde augenblicklich mein Leben, das sich ja sowieso bald erschöpft hat, gegen jedes Diktat hingeben, auch gegen das Diktat des Proletariats, oder das des Koran oder das einer Partei die Kräfte freisetzt oder freisetzen wird, von der ihre Spitzenleute noch keine Ahnung haben, allerdings auch gegen Lügner, die der Macht wegen ihre Gesinnung wie ein Hemd wechseln.

Dein Feund Gerd

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