Dienstag, 25. Juni 2013

Wie der Tau vom Himmel träufelt...

Seine Frau kam mir auf dem Krankenhausflur verweint entgegen: "Kurt, wünscht nicht mehr zu leben!"
Die Schwestern als sie sahen, dass ich mit Kurt nahe verbunden war, sagten mir: "auch die Ärzte verstehen nicht, dass der Mann nicht zur Ruhe kommt."
Ich wusste was ihn aufwühlte. Er hatte zuviel falsch gemacht in seinem Leben, was er nicht wirklich gewollt hatte und nun war es aus. Er war nun ein hilfloser Krüppel... 
Und obendrein,  nie wieder würde er mit uns auf den Tollensesee hinausfahren.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/11/Tollensesee-Panorama-Behmshoehe.jpg
Wikipedia: der Tollensesee, südwestlich vor Neubrandenburg

Seine Stupsnase und die braunen Augen des fast Sechzigjährigen richteten sich zu mir, als ich eintrat. Das sonst so zerknitterte Gesicht wirkte jünger als lange zuvor. 
Er lag nach der Beinamputation äußerlich ruhig auf dem Bett, aber hatte sich aufgegeben.
Ich setzte mich und nahm seine Hand und hielt sie schweigend fest.
In der ersten Nacht schon, vor fünfundzwanzig Jahren, als wir gemeinsam zum Fang hinausfuhren, während eines plötzlichen Gewitters, als ihn der Verdacht  packte, ich hätte ihn reizen wollen und ihn mit Wasser bespritzt, verlor er die Selbstkontrolle.
Als ich neben ihm saß, sah ich aus der Erinnerung das erhobene Ruder mit dem er sich wehren und zuschlagen wollte. Er tat es auch, während ich mich geistesgegenwärtig hinter dem Netzballen duckte. Betrunken war er gewesen und seit langem unglücklich. Das Fängerglück hatte ihn ebenfalls verlassen, er wollte es nicht länger alleine betreiben, weshalb er in unsere (Fang-) Brigade kam. 
Er war unglücklich mit seiner Frau, weil sie daran glaubte, dass der Fluch ihrer Mutter sie, seintewegen, immer verfolgen wird. Zweimal zuvor hatte er eine andere mit je einem Kind im Stich gelassen. Eine der beiden fand ihn allerdings und er musste den Preis bezahlen.
Die meisten Leute missachteten ihn, nicht nur weil er seiner jetzigen Frau im Zorn die rechte Elle gebrochen hatte.

"Wir haben viel Platz an Deck auf unserem neuen Kutter, du kannst wann immer du willst mit deinem Rollstuhl kommen, ist ja nicht so weit von dir zu uns. 


Heimkehr vom "Fang" mit dem neuen Kutter (der 5 000 kg Fische aufnehmen konnte)
Sobald es warm wird, bist du dabei, wenn wir rausfahren."
Er schaute mich lange an.
Dann atmete er tief durch.
Am nächsten Morgen rief mich seine Frau an: "Kurt hat endlich fest durchgeschlafen, das Fieber ist runter."

Jahre später wünschte seine Famlilie, dass ich die Beerdigungsrede für ihn halte.
Da dachte ich zurück an jenen Morgen, als ich ihn nach der schweren Operation im Krankenhaus besucht hatte.
Nicht meine Worte hatten ihn beruhigt, sondern meine Zuneigung zu ihm, die er zwischen den Zeilen  heraus gefühlt hatte.
An seinem Grab nahm ich nochmals das Wort: "Lieber Vater im Himmel, tröste die beiden Mädchen und Bärbel, seine Frau. Ich kann bezeugen, dass er, wann immer er einsah, er hätte falsch reagiert, sich schämte. Er war mir ein guter Kamerad gewesen..."

Es ist wahr. Er wollte gut sein und ich konnte sein Bemühen darum sehen. Er war zuletzt auf dem Weg sich völlig zu beherrschen. Ist es nicht das, um was es geht, das ehrliche Bemühen des anderen anzuerkennen?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen