Freitag, 21. Oktober 2016

Geschichtskritische Betrachtungen aus dem Blickwinkel eines Mormonen - 1.3 Erlaubte Polygamie (3) G. Skibbe


1.3 Erlaubte Polygamie

Vereinfacht gesagt. In der Polygamie geht es vorrangig um Kinder, Vielweiberei bedeutet das Sex im Vordergrund steht. Vielweiberei (Vielmännerei) ohne Trauschein ist häufig. Es gab jüdische Polygamie, zumindest im aschkenasischen Judentum, bis ins Jahr 1000 n. Chr. Wurde eine jüdische Familie zum Christentum bekehrt, erwartete niemand, dass er eine seiner Frauen verstieß. Paulus, ohnehin kein großer Befürworter der Ehe überhaupt, forderte nur, dass ein Bischof – einer der einer Gemeinde vorstand – in monogamer Beziehung steht:
„Es soll aber ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann…“ (27) 1. Tim. 3: 2
Der katholische Lehrbeauftragte am Institut für Philosophie der Universität Dr. Ludwig Neidhardt verweist auf    
1. Kor 7,29 („die Zeit ist knapp bemessen, künf­tig sollen diejenigen, die Frauen haben, so sein wie diejenigen, die keine haben“) der Ausdruck „Frau­en haben“ (statt „eine Frau haben“) andeuten, dass damals Polygamie noch im Rahmen des Denk­ba­ren lag.“ (28)„Ehescheidung in der Schrift und in der katholischen Theologie“
In Sachen Politik und Theologie meint nahezu jeder an deren Themen Interessierte, er sei gescheiter als die meisten anderen. Die Normalforderung der Vernunft, niemand möge die Prinzipien der Logik, der Wahrhaftigkeit und des Humanen verletzen wird dabei zu oft ignoriert. Im Klartext oder umschrieben heißt es immer noch  Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hätten sich zu schämen, weil es in der Frühzeit der Geschichte ihrer Kirche polygame Ehen gab. Selbst höherrangige Journalisten prangern das Verständnis der damaligen Mormonen an und die angebliche „Schande“ ruhe immer noch auf den Schultern heutiger Mitglieder dieser Gemeinschaft.

Als der Mormone Mit Romney 2012 ins Rennen gegen Barack Obama konnte man auch in seriösen deutschen Presseartikeln lesen: „Gegen Romney spricht, dass sein Urgroßvater Vielweiberei praktizierte“  www. Welt.de schrieb damals:

 

„US - Wahlkampf „Vielweiberei könnte Romney gefährlich werden.“

Niemand außer aktiven Mormonen empfindet solche Schlagzeile als diskriminierend. Unter den zahlreichen Anklägern sind solche die es in stillen Kämmerchen ihrer Hirnwindungen für selbstverständlich halten oder hielten „gute Gelegenheiten“ für eine Affäre zu nutzen und die zugleich auf mormonische Polygamie herabzusehen. Dass bei Wahrnehmung „guter Gelegenheiten“ zu oft Versprechen gebrochen werden scheint nur eine Nebenrolle zu spielen, obwohl jeder das geradezu geflügelte Wort wenigstens sinngemäß kennt: Ein gebrochenes Versprechen ist ein gesprochenes Verbrechen.
Es mag Ausnahmen geben, aber wenn eine polygame Beziehung geknüpft wird, sind es vorerst die Beteiligten die da mitzureden haben.  Sie sind mündig, auch wenn das gelegentlich übersehen wird.
„JA, aber…“  erwidern nicht wenige selbsternannte Richter, insbesondere evangelische Pfarrer: „Polygamie und Christentum schließen einander aus.“
Ist das so?  Man kann nur hoffen, dass es üble Nachrede sei: katholische und evangelische Pfarrer würden lediglich in eine andere Pfarre versetzt, nachdem sie das biblische Keuschheitsgebot gebrochen haben, dass sie auch nach Kindsmissbrauch der nicht öffentlich wurde, dem zuständigen Vorgesetzten jedoch bekannt ist, allenfalls versetzt werden, statt ihres Amtes enthoben. Sollte es auch nur annähernd wahr sein, wäre es angebracht zu bedenken, dass Jesus mahnte: Meidet die Heuchelei.
Eine evangelische Stimme sagt:
Historisch gesehen - so behaupteten die Ethnologen des 19. Jahrhunderts - hätte es die Polygamie bis ins frühe Mittelalter hinein auch in Europa gegeben. Erst in der weiteren Kulturentwicklung monopolisierte sich die Einehe als Ideal und dann seit der Romantik auch als soziale Wirklichkeit heraus. Auch mit der "ehelichen Treue" ist es, zumindest historisch gesehen, nicht allzu weit her. Außereheliche Beziehungen galten bis weit in die Neuzeit hinein auch in der öffentlichen Meinung durchaus als normal und sie waren zumindest bis zum 17. Jahrhundert im Adel ein allgemeines Ideal; Mätressen waren teilweise hoch angesehen und einflussreich.“ (29)  „Eine kurze Kulturgeschichte der Ehe.“ Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik 2016  

Historisch gesehen - so behaupteten die Ethnologen des 19. Jahrhunderts - hätte es die Polygamie bis ins frühe Mittelalter hinein auch in Europa gegeben. …
Sowenig wie Liebe und Sexualität gehörten für Luther weder Treue noch Monogamie zur Ehe. Was die Treue betrifft so finden wir bei Luther z. B. den Hinweis, dass wenn die ehelichen Pflichten durch “ein halsstarrig Weib” verweigert werden, der Seitensprung legitim sei. Gleiches gilt für die Frauen, die zu ihrem Mann sagen können: “Lieber Mann, du hast mich um meinen jungen Leib betrogen, vergönne mir, daß ich mit deinem Bruder oder besten Freund eine heimliche Ehe habe.”(Zit. nach Beuys, a.a.O., S. 227) Und hinsichtlich der Forderung nach absoluter Monogamie konstatierte Luther, dass es besser sei, eine Bigamie oder Polygamie einzugehen als sich scheiden zu lassen; hier beruft sich Luther auf das Alte Testament (Vgl. W. Molinski, Theologie der Ehe in der Geschichte, S. 150f)  (30) G. Lämmermann „Hochzeitsnacht und Traualtar - Die Ehe im Wandel ihrer Geschichte“ Uni Augsburg

Billy Graham wird eine Stellungnahme zugeschrieben die erstaunlich wäre:
"Das Christentum kann sich der Frage nach der Polygamie nicht entziehen. Wenn das heutige Christentum dies dennoch tut, so ist dies zu seinem eigenen Nachteil und Schaden. Der Islam hat die Mehrehe als Lösung sozialer Missstände erlaubt und der menschlichen Natur Raum zur Entfaltung zu gestanden, allerdings nur streng innerhalb der gesetzlich bestimmten Rahmenbedingungen. Christliche Länder sind mächtig stolz auf ihre Monogamie, aber praktisch sind sie Polygamisten. Niemand ist sich der Rolle bewusst, welche diese Abirrung in den westlichen Gesellschaften spielt. In dieser Beziehung ist der Islam eine grundehrliche Religion, und erlaubt einem Muslim eine zweite Frau zu heiraten, wenn er muss, doch verbietet strikt alle geheimen amourösen Liebesbeziehungen, um die moralische Verlässlichkeit innerhalb der Gemeinschaft zu gewährleisten."   (31) Abdul Rahman Doi, Woman in Shari'ah, London: Ta-Ha Publishers, 1994
Arthur Schopenhauer sagt:
„In Völkern, wo die Mehr-Ehe legal ist, wird es praktisch allen Frauen ermöglicht, zu einem Mann, Kindern und einem richtigen Familienleben zu kommen, was ihren seelischen Bedürfnissen entgegenkommt und ihre fraulichen Instinkte befriedigt. Unglücklicherweise haben die Kirchengesetze die Mehr-Ehe in Europa nicht gestattet und viele Frauen einem einsamen Altjungfernleben überlassen. Manche starben unbefriedigt; manche wurden von ihren heiligen Wünschen oder durch die Not, ihren Unterhalt zu verdienen, in die Unmoral getrieben; manche gingen mit schweren Skrupeln und gebrochenen Herzen zugrunde. Auch kann ich nicht verstehen, nachdem ich viel Nachdenken darauf verwendet habe, warum ein Mann, dessen Frau chronisch und unheilbar erkrankt ist, sich als unfruchtbar erweist oder kein lebendes Kind zur Welt bringen kann, nicht eine zweite Frau neben der ersten nehmen sollte. Die Antwort darauf liegt bei der Kirche. Leider hat sie keine. Gute Gesetze sind solche, die ein glückliches Leben gewährleisten, wenn man sie befolgt; nicht solche, die die Menschen unglücklich machen oder ihnen an Händen und Füßen Fesseln unnötiger Sklaverei anlegen oder die Menschen anstacheln, sie zu missachten und sich so in das entgegengesetzte Extrem der Verwahrlosung, Prostitution oder anderer Laster zu Stützen.“ (32) „Einige Worte über die Frauen

Solche Betrachtungsweise gibt Joseph Smith Recht. Bereits wo der Begriff „Mormone“ auftaucht, da ist das Gespenst „Vielweiberei“ nicht weit, dass jedoch ausgerechnet das Buch Mormon, Vielweiberei ein für alle Mal kategorisch verbietet, ist allgemein unbekannt.
Jakob, einer der Söhne Lehis und Bruder Nephis erklärt, warum er inspiriert wurde zu sagen: „David und Salomo hatten wahrhaftig viele Frauen und Nebenfrauen, und das war ein Greuel vor mir spricht der Herr. Darum, so spricht der Herr, habe ich dieses Volk aus dem Land Jerusalem weggeführt, durch die Macht meines Armes, dass ich mir aus der Frucht der Lenden Josephs einen rechtschaffenen Zweig erwecke. Darum werde ich, der Herr Gott, nicht zulassen, dass dieses Volk es denen in alter Zeit gleichtut... kein Mann unter euch, soll mehr als nur eine Frau haben, und Nebenfrauen soll er keine haben, denn ich der Herr erfreue mich an der Keuschheit der Frauen. Hurerei ist ein Gräuel vor mir...“ (33) Buch Mormon, Jakob 2: 24-28

Die naheliegende Frage lautet: und warum hielten sich die Mitglieder, insbesondere die leitenden Männer und Frauen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage nicht an dieses Gebot? Wahrscheinlich lebten um 1858 mehr als 15 % der erwachsenen Mitglieder polygam, allen voran Brigham Young mit 26 Frauen.

Die überaus einleuchtende Erklärung für diese Paradoxie, ist dem folgenden, dem 30. Vers aus Jakob geschuldet: 
„Denn wenn ich, der Herr der Heerscharen, mir Nachkommen erwecken will, so werde ich es meinem Volk gebieten, sonst aber soll es auf diese Worte hören.“


Hören wir noch einmal hin: „Wenn der Herr der Heerscharen, sich Nachkommen erwecken will, so wird er es seinem Volk gebieten“ - und eben das geschah, sagen wir „Mormonen“. Doch von dieser Ausnahme abgesehen, lautet die Regel innerhalb der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzte Tage ungebrochen: „ein Mann eine Frau“.

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