Dienstag, 23. April 2019

Betrachtungen aus dem Blickwinkel eines Kirchenkritikers by Gerd Skibbe






Der vielleicht größte Deutsche bekannte:

"Ich halte die Evangelien alle vier für durchaus echt, denn es ist in ihnen ein Abglanz einer Hoheit wirksam, die von der Person Christi ausging, und die von so göttlicher Art ist, wie nur je das Göttliche erschienen ist. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, ihm anbetende Ehrfurcht zu erweisen, so sage ich: Durchaus. Ich beuge mich vor ihm als der göttlichen Offenbarung als des höchsten Prinzips der Sittlichkeit und zwar die mächtigste, die uns Erdenkindern wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind, und alle Pflanzen und Tiere mit uns. Fragt man mich aber, ob ich geneigt sei, mich vor einem Daumenknochen des Apostels Petri oder Pauli zu bücken, so sage ich: Verschont mich und bleibt mir mit euren Absurditäten vom Leibe!"   
Johann, Wolfgang von Goethe  

Das trinitarische (athanasianische) Bekenntnis beginnt mit den Worten: „Wer gerettet werden will muss vor allem den katholischen Glauben halten. Denn wer seinen Glauben nicht treu und ganz bewahrt, wird ohne Zweifel für immer verloren sein. Dies ist der katholische Glaube; wir beten einen Gott in der Trinität an, und die Trinität in Einheit... 
Ein Gegenbekenntnis gibt zu bedenken: "Ich bin einer von den vielen, die sich als Christen bekennen... Ich glaube, Gott ist der Herr allen Geschehens. Aber mit der heiligen Trinität habe ich ganz große Schwierigkeiten. Und ich bin der Frage gewärtig: Bin ich vielleicht deshalb kein Christ? Oder bin ich vielleicht nur ein ganz schlechter Christ? (...) Ich nenne mich gleichwohl einen Christen. Denn ich bin überzeugt von der Moral, die das Christentum im Laufe von Jahrhunderten entfaltet hat." 
 Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, „Christ in der Gegenwart“ Nr. 33 / 1998, 277-278.

„Menschen sind, dass sie Freude haben können“ 
 Buch Mormon 2. Nephi 2: 25 

„Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen!“

Friedrich Schiller „Ode an die Freude“


 
Vorwort    

Die modernen Resultate der Geschichtsforschung ermöglichen uns einen deutlicheren Blick auf den Prozess der Entstehung der Reichskirche. Sie lassen den Schluss zu, dass mit dem Begriff ‚Christentum’ die Zeit und die Geschichte der Frühkirche vor etwa dem 3. Jahrhundert beschrieben werden könnte. Was sich mit und nach Kaiser Konstantins Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten zutrug, änderte alles. Wenigstens im Nachhinein verlangt das eine Korrektur auch des Titels. Mit der Etablierung der Reichskirche zwischen 325 und 380, gerieten die Reste der Urkirche unter massiven Druck der „Orthodoxen“.  Das Gesetz „Cunctos populos“ von 27. Februar 380 formulierte exakt das Gegenteil des Toleranzediktes Kaiser Galerius von 311, sowie das Reskript der Kaiser Konstantin und Licinius von 313. Cunctos populos, - zumindest mit Billigung des Ambrosius von Mailand geschrieben und veröffentlicht, - richtete sich nicht nur gegen die paganen Religionen, sondern ausdrücklich gegen alle damals, auch zahlenmäßig, nicht unbedeutenden origenistisch-arianisch glaubenden Gruppen der Kirche, sowie gegen Manichäer, Mandäer usw.  Gewissenentscheidungen, die sich nicht mit den Sonderansichten des Ambrosius und dann mit den Kuriositäten des Augustinus von Hippo deckten, wurden für illegal erklärt. Aufsehenerregend ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Ana Maria C.M. Jorge “The Lusitanian Episcopate in the 4th Century. - Priscilian of Ávila and the Tensions Between Bishops”  Drei nachfolgend zitierte authentische Sätze umreißen die Ausgangssituation. Sie spornten mich an diese Broschüre zu schreiben, nämlich zu kommentieren was bedeutende Historiker herausfanden, sowie das Ganze möglichst miteinander zu einem verständlicheren Ganzen zu verbinden.   „In Nicäa (325) … befolgte die Kirche die Wünsche Konstantins, obwohl sie sie nicht billigte... Eben so wenig, wie Konstantin Christus erwähnt, ist die Kirche auf Christus bezogen...“ (1) Heinz Kraft, Habilitationsschrift „Konstantins religiöse Entwicklung“ Heidelberg - Uni Greifswald, 1954  S. 81 ff
 „Konstantin ist verantwortlich für die Entstehung des katholischen und orthodoxen Christentums.“  (2) Prof. Wolmeringer „Konstantin-Artikel“ vom 05.03.07 im Internet, S.2


Martin Luther
 

Wie er dasteht nach durchwachter Nacht, an jenem 18. Apriltag des Jahres 1521, vor den Fürsten Deutschlands unter Beobachtung tausender Zeugen und vor dem lässig sitzenden, noch jungen, doch sehr besonnenen Kaiser Karl V. der kein Deutsch versteht, bewegte Freund und Feind.  Es ging um Tod und Leben - und zwar nicht nur um das des Dr. Martin Luther.  Er solle seine Bücher und Ansichten widerrufen, denn diese rüttelten, nach Kardinal Cajetanus Urteil, an jenen Pfosten auf denen die Macht des Papsttums ruhte.  Mit dem Bekanntwerden seiner berühmten 95 Thesen, die schon wenige Wochen nachdem er sie formuliert hatte in ganz Deutschland Aufsehen und fast ausnahmslos Zustimmung gefunden hatten, drohte dem Vatikan vor allem das Versiegen des Geldflusses aus dem Ablasshandel. Das war aus Roms Sicht sträflicher Abfall von Gott. Martin hatte es auf den Punkt gebracht: „Der Papst möge die Basilika St. Peter aus seinen eigenen Mitteln bauen und nicht mit dem Geld der armen Gläubigen.“ (3)  86. These  
Es war nämlich kirchliche Sitte geworden, eine eigensinnige Interpretation von Matthäus 16: 19 (4) „Ich (Jesus) werde dir (Petrus) die Schlüssel des Himmelreiches geben, was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“
gemäß Ambrosius von Mailand aus dem Jahr 380 buchstäblich auszubeuten:  „Es kann keine noch so verruchte Schandtat begangen oder gedacht werden, welche die heilige Kirche nicht nachlassen könnte. Aufgrund der von Gott verliehenen Gewalt wird die von Gott geliebte Kirche einmal gleichsam in einem Atemzug, mit Gott genannt.“ (5) Gerhard J. Bellinger „Der Catechismus Romanus und die Reformation“ Georg Ohm Verlag, Paderborn, 1970, S.159   
Aus dieser entweder missverstandenen oder bewusst gewagten Behauptung eines der berühmtesten Männer aller Zeiten, entstand eine Denkweise, die heute wahrscheinlich kein Mensch mehr unterschreiben würde. Diese Zeilen wurden tatsächlich als Freibrief für Christen vom Typ Epiphanius (um 390) oder eines Cyrill von Alexandria (um 432) verstanden, die (wie später gezeigt wird)  rücksichtslos im Kampf um die eigene Macht agierten. Ambrosius Aussage wurde immer wieder genutzt, um alles zu entschuldigen was an Kapitalverbrechen geschah, solange es letztlich der
Festigung der Position des ‚heiligen Stuhls’ diente. Nicht nur der Dominikaner Tetzel auch andere Ablasshändler waren zu Luthers Zeiten durch die Lande gezogen und hatten jedem Sündenvergebung versprochen. Jedem! Es wurde seitens der Gläubigen nicht nur als eine in der Ewigkeit gültige Freisprechung vor Gott als Weltenrichter verstanden, es war auch so gemeint: nämlich, die Kirche kann dich von allen Sünden freisprechen, wenn du deine Vergehen bekennst.  Da ist der Fall des Mordes des Statthalters der Lombardei, Azzo Visconti an seinem Oheim Marcus im 14. Jahrhundert.  Papst Johannes XXII. nahm von diesem Mörder Geld und erklärte, Gott gedenke seiner Sünden nicht mehr. Visconti sei nun mit dem Reich Gottes ausgesöhnt. (6) Schlosser, Weltgeschichte Bd VI. S. 390-391  
Dass Geld, auch schmutziges, jedes Tor im Reich Gottes öffnen könne, wollte Luther weder verstehen, noch unwidersprochen hinnehmen. Mit einer riesigen Kreuzesfahne, militärisch geschützt war Tetzel quer durch Deutschland bis in Luther Nähe gereist. Er kam bis Jüterbog. Nach Wittenberg wo Bruder Martin lehrte durfte er nicht gehen, denn Kurfürst Friedrich der Weise hatte Tetzel untersagt Kursachsen zu betreten. Friedrich wollte nicht, dass sein Geld und das seiner Untertanen irgendwohin abwandert. Deshalb liefen die Wittenberger, abergläubisch wie sie durch ihre Geistlichen erzogen worden waren, nach Jüterbog. Bald spürte Beichtvater Luther die Auswirkungen direkt. Er zeigte sich nicht gewillt, alle Männer und Frauen von ihren Sünden zu absolvieren, solange sie nicht aufrichtig Umkehr geübt hatten. Deshalb lautete seine 1. und vielleicht wichtigste These: „So unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, will er, dass das Leben der Gläubigen eine stete und unaufhörliche Buße sei.“ In Bruder Martins Kopf und Herz stand an dieser Stelle das griechische Wort: metanoia, und das meinte innere Umkehr. Wie er glaubte, müsste das doch jedem einleuchten.  Nur, wie sagte er das seinem Kaiser? Er hätte es leicht erklären können: Was hat eine Ehefrau davon, dass ihr Mann bekennt, ich habe dich betrogen, solange sie nicht sieht, wie sehr es ihm im Innersten weh tut, und solange sie nicht fühlt, er würde es niemals wieder tun. Erst echte Reue (Buße, wie Luther sie verstand)  konnte alles bessern. Der Bußkatalog nannte statt Umkehr eine Geldsumme und das brachte Luther in Wut. Außerdem hieß es, Papst LeoX. hätte 1515 den Ablass ausgeschrieben um seine Schulden beim Bankhaus der Fugger zu begleichen. Denn er liebte die große Kunst  „von Raffael z.B. ließ er sich die Wände seines Badezimmers mit der Göttin Venus und ihrem Sohn, dem Liebesgott Cupido, bemalen und… laut seinen Zeitgenossen ... sei ein Teil des eingenommenen Geldes für die Aussteuer seiner Nichte Maddalena Cibò bestimmt gewesen...“ (7)  Maike Vogt- Lüerssen „Begegnungen mit Zeitgenossen der Renaissance“ 
Luther war auch nur ein normaler Sterblicher, er durchlief einen Prozess. Das ganze Jahr 1516 hindurch glaubte er noch gutwillig, dass der Papst Christi Stellvertreter auf Erden ist. Selbst im Jahr 1517 sagt er noch: „Die freche Ablasspredigt macht, dass es auch gelehrten Männern schwer wird, des Papstes Ehre rein zu halten von Verleumdungen oder wenigstens vor scharfen Fragen der Gläubigen“ (8) 82. These  
Den Papst stellte man sich zugleich als Christi Stellvertreter und als Kaufmann vor. Er sammelte die guten Werke seiner Frommen ein, darunter die vielen Gebete die vor allem die Nonnen und die Bruderschaften, über das notwendige Maß zur eigenen Erlösung, gesprochen hatten. Über dieses Plus konnte der heilige Vater verfügen, er konnte es verkaufen oder sogar als Gnade Christi verschenken. Supererogation nannte man das. Seit dem 13. Jahrhundert galt: „Es ist tatsächlich ein ungeheurer Schatz an Verdiensten vorhanden, der sich aus den frommen Taten ... zusammensetzt, welche die Heiligen über das hinaus vollbracht hatten, was zu ihrer Seligkeit notwendig ist... dass den Treuhänder dieses kostbaren Schatzes den römischen Pontifex ermächtigt, denen die er für geeignet hält, einen Teil dieser unerschöpflichen Quelle des Verdienstes zuzuerkennen... so ausreichend, dass die Übeltäter von der für ihre Missetaten vorgesehen Strafe befreit werden.“ (9) James Talmage, „Jesus der Christus“ zitiert Mosheim, Geschichte der Kirche, XII. Jahrhundert II. 3:4

Die Statistiken ‚guter Werke’ wurden gewissenhaft geführt. Das „Vaterunser“ - das zwar nur wenige Worte umfasst - wurde in manchen Klöstern rund um die Uhr gebetet: Sieben Millionen Ave Maria hatte „die Bruderschaft der 11 000 Jungfrauen auf Vorrat gebetet, dazu 200 000 Rosenkränze und  200 000 TeDeum laudamus, sowie 3500 ganze Psalter“  (10)  (10) Gustav Freytag Deutsche Bilder 2, Leipzig, 1927, S. 337  
Luther war in der durchgekämpften Nacht vor diesem Verhör mancherlei durch den Kopf gegangen. Er fühlte sich elend und verlassen. Doch seit seinem Turmerlebnis - einer Erfahrung, nachdem er wieder einmal  mit sich gerungen und doch im Kampf gegen die Lust unterlag - weiß er, dass Tetzels Lehre und damit des Papstes Auffassung nicht richtig sind. Denn niemand, der voll Selbstgerechtigkeit ist, kann mit der Gerechtigkeit Gottes erfüllt werden. Dass jedermann sogar seine sündigen Vorfahren, die
im Purgatorium große Qualen erleiden, freikaufen könne, hält er noch nur für eine Übertreibung und das Tetzelwort: Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt, ist in seinem Augen einfach eine dreiste Werbung. Doch eigentlich hatte sich sein Bruch mit dem Papsttum bereits einige Jahre zuvor vollzogen. 1515 war er nach Rom gewandert. Mit hochgespannten Erwartungen fiel er angesichts der am Horizont auftauchenden Türme der ewigen Stadt auf die Knie und dankte Gott: „Heiliges Rom!“ Unheiligeres sollte er nie wieder sehen, nie wieder so lästerliche Reden wie die seiner römischen Brüder hören, die die Messe mit unbeschreiblich obszönen Redensarten verlachten und die sich den Gedanken der Vorfreude hingaben, gleich danach Vergnügen in den Armen ihrer Geliebten zu finden. Gespannt starrte der bleiche Kaiser auf den Mund dieses Aufrührers, der wie er hörte so schlau gegen den Papst von der Gnade und dem Glauben an den Erlöser Jesus Christus sprach und der sich damit um Kopf und Kragen redete. Er starrte auf den Mund des Mönches, der seine Überzeugungen gerade mit den Worten zusammenfasste: „Ich kann meinen Schriften nicht anders beistehen, als wie mein Herr Christus selbst seiner Lehre beistand, indem er dem Diener...  der ihn ohrfeigte, antwortete: Habe ich übel geredet, so beweise, dass es böse sei.“  (11) Wachsmann, „Die Dokumentenplattform: Luthers Verteidigungsrede auf dem Reichstag zu Worms."
Martin stand nun im 36. Jahr seines Lebens, er ist Doktor der Heiligen Schrift, die er, wie sonst keiner, in diesem Raum, kannte und verstand. Er hatte sich nicht leicht durchgerungen, mit klaren Worten abzulehnen was von ihm gefordert wurde, denn er hatte zu viel erfahren und gesehen. Die den Kaiser beratenden schwarz-weißgekleideten  Dominikaner forderten angesichts der übergroßen Geduld ihres Herrn und der trotzig-zögernden Haltung des Augustinermönches Luther, seine sofortige Bestrafung:  „Er ist ein Ketzer, ... ins Feuer mit ihm!“ Das hörten nicht nur die ihnen Nächststehenden. Martin ist sich darüber im Klaren, ein kleiner Wink des mächtigsten Mannes der Welt genügte, um es auszuführen. Es ist wahr, er ist ein Ketzer! Keck hatte er in seinen Schriften behauptet, die Maximen des römischen Klerus seien Pfründe und Vormacht. Er ist ein Ketzer mit dem stark begründeten Anspruch die Wahrheit auf seiner Seite zu verteidigen. Er ist ein sonderbarer Ketzer, einer der intensiv um Toleranz warb,  um wenig später selbst unbeugsam intolerant zu handeln.  Bald wird er knapp und ungnädig sagen: „Mit Ketzern braucht man kein langes Federlesen zu machen, man kann sie ungehört verdammen!“   (12) Tischreden, Bd.III. S. 175

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