Sonntag, 20. Januar 2013

(1) Unglaublich, aber wahr


An einem warmen, sonnigen Spätsommertag, 1986, also einige Monate nach der Zeit des “Offenen Hauses”, sah ich einen sehr gut angezogenen, nachdenklich vor sich hinsinnenden Mann auf dem Freiberger Tempelplatz. Er saß auf einer der verstreut aufgestellten weißen Bänke im Grünen, umringt von Blumenrabatten. Ich ging auf ihn zu, grüßte ihn. Er mochte um die Fünfzig gewesen sein. Er schaute mich sonderbar an, als wollte er sagen: ich bin nicht gewillt, mich von ihnen belehren zu lassen!
Ich spürte diese Ablehnung wie selten zuvor, hatte aber das Gefühl, dass ich ihn ansprechen sollte, ob er eine Frage hätte.

Kühl und entschieden erwiderte der Fremde: “Nein!” Er schaute mich nochmals an: “Alles, was ich zu Ihrem Thema zu fragen hatte, wurde schon beantwortet.” Ich sah sofort, dass etwas von Bedeutung nicht stimmte.


File:Bundesarchiv Bild 183-1985-0617-304, Freiberg, Mormonen-Tempel.jpg
Bild Wikipedia Freibergtempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, 1985



http://www.zollikofen.ch/de/images/44bf60dd3a91a.jpg
Bild Wkipedia: in diesem Tempel der Kirche Jesu Christi der HLT, Zollikofen, Schweiz, erhielt ich 1957 mein Erstendowment 
                             
Was sollte ich machen? Er wünschte, nicht behelligt zu werden. Es störte mich nur, dass da ein nachdenklicher Mensch saß, der unbefriedigt und mit den von mir vermuteten Vorurteilen weggehen würde.
Doch ich hatte kein Mittel an der Hand, daran etwas zu ändern. Nach knapp einer halben Stunde, als ich zurückkam, befand er sich immer noch an derselben Stelle. Ich nahm allen Mut zusammen, entschuldigte mich und bat ihn, mir nicht übel zu nehmen, dass ich ihn nochmals anzusprechen wage.
Er knurrte: “Ich habe ihnen doch gesagt, dass ich bestens informiert bin.”

Ich fühlte, - oder sollte ich zutreffender sagen: ich wusste, - dass er nicht aus der eigentlichen Quelle getrunken haben konnte.
Was er denn erfahren habe. Er ließ sich auf meine zugegebenermaßen unverschämt nachdrängende Rückfrage tatsächlich ein und begann zu erzählen.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Nahezu alles was dieser kluge Mann über meine Kirche sagte, war grundfalsch. Es war noch unzutreffender als das von den europaweit bekannten und beliebten Brüdern Schreiber in ihrem Buch “Mysten, Maurer und Mormonen” zusammengestotterte Nichts auf ganzen zwei von vierhundert Seiten. Nahezu jeder Satz strotzte vor Lügen. War beides das Ergebnis bewusster Fehlinformation?

Als mein allmählich auftauender Gesprächspartner sagte, er sei ein Universitätslehrer aus Köln, ein Naturwissenschaftler, bat ich ihn mir zu erlauben, ihm drei Sätze aus dem Offenbarungsbuch des Propheten Joseph Smith vorzulesen.

Etwas gequält erwiderte er: “Aber bitte nur drei Sätze.”
Ich schlug Lehre und Bündnisse auf, Abschnitt 88, Vers 67: “Wenn euer Auge nur auf die Herrlichkeit Gottes ausgerichtet ist, so wird euer ganzer Körper mit Licht erfüllt werden und es wird in euch keine Finsternis sein; und wer ganz mit Licht erfüllt ist, begreift alle Dinge. Darum heiligt euch, damit euer Sinn nur auf Gott gerichtet ist, dann werden die Tage kommen da ihr ihn sehen werdet ...”

Noch einmal bitte!” sagte der Mann. Er schaute weit an mir vorbei.

Ich las es noch einmal vor.

Noch einen anderen Vers, bitte.”

Lasst niemanden euer Lehrer oder geistlicher Diener sein, außer es sei ein Mann Gottes, der auf seinen Pfaden wandelt und seine Gebote hält.”

Aus welchem Buch haben Sie nun vorgelesen?”

Aus dem Buch Mormon Mosia, 23,14.”

Er erhob sich, schaute mir eine Weile ins Gesicht. Er forschte mich ungeniert aus, aber es war mir nicht unangenehm. Wahrscheinlich fragte er sich, wer ich sein mochte. Ich bemerkte, dass sein Blick sich wieder meinem schwarzen Ledereinband zuwandte, den ich gewohnheitsgemäß auf dem Tempelplatz bei mir hatte – bis das Ehepaar Birsfelder aus Zollikofen, Schweiz kam um ihre Tempelplatzmission anzutreten.
Lesen sie selbst!” forderte ich ihn auf: “hier sind zwei Sätze aus den Briefen, die der Gefangene Joseph Smith, 1839, aus dem Libertygefängnis zu Missouri geschrieben hat.” Er las es tatsächlich. Es handelte sich um die Worte: “Die Rechte des Priestertums sind untrennbar mit den Himmelskräften verbunden und können nur nach den Grundsätzen der Rechtschaffenheit beherrscht und gebraucht werden….doch wenn wir versuchen unsere Sünden zu verdecken oder unseren Stolz und eitlen Ehrgeiz zu befriedigen, oder wenn wir auch nur im geringsten Maß von Unrecht irgendwelche Gewalt, Herrschaft oder Nötigung auf die Seele der Menschenkinder ausüben – siehe dann ziehen sich die Himmel zurück, der Geist des Herrn ist betrübt, und wenn er weggenommen wird, dann ist es mit dem Priestertum oder der Vollmacht des Betreffenden zu Ende.”

Sein Kopf kam wieder hoch.

Er dachte eine Weile nach. Tief durchatmend schloss er mit der Bemerkung: “Ich werde mich von meiner Informationsquelle abwenden!” Es klang wie das Zerreißen von festem Papier.

Tun Sie das, mein Herr. Ich danke ihnen, dass Sie mir zugehört haben.”

Ich danke Ihnen!” Leider habe ich nie wieder von ihm gehört. Aber vielleicht kommt dieser Tag noch…und sei es in der Ewigkeit.

Quelle: aus meinem Buch „Schritte durch zwei Diktaturen“, von meinem gleichnamigen Blog
bzw. in englisch „Steps Through Two Dictatorships“

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