Mittwoch, 18. Juni 2014

Aus der Inflationszeit 1920 - Nov 1923

Ich hatte das Glück einen Mann zu kennen, der in den ersten 20er Jahren seinen Job als hochherrschaftlicher Diener verlor, und der, wie ich, aus Not Hilfsarbeiter in der Binnenfischerei wurde. Er konnte tage- und nächtelang wortreich berichten, was er erlebte und was  ihn  bewegte. Er malte die Zeit der Inflationsjahre.

Fritz Biederstaedt (1905-1965)
Fritz erzählte, wie es 1921 bergab holperte bevor er vernahm, dass er im stolzen Haus der Berliner Freifrau von Stein nicht länger bleiben darf.
Plötzlich stand er mittellos auf der Straße mitten in Berlin, weil das Geld aller schneller schmolz als  Eis in der Mittagsonne.
Wohin? Was nun?
Immer ist es, in schwieriger Lage, der aufleuchtende Gedanke an den Ortswechsel. Nur weg von hier. Für Fritz war die Verklärung der fernen Vergangenheit unvermeidlich. Er wollte zurück in seine Heimatstadt.
Aber da konnte es kaum besser sein.

Der Krieg hatte seinen Preis: alleine auf deutscher Seite 2 Millionen getötete Soldaten und doppelt sowiele Verwundete, den Schaden an den Seelen nicht einbezogen. Die Revolution von 1919 und andere Wirren stifteten zusätzliche Schwierigkeiten. Alle verloren, nur die Spekulanten nicht. Auch die gesamtdeutsche Missernte von 1920 sollte sich verheerend auswirken. Statt der erwarteten Brotgetreideernte von 2.3 Millionen Tonnen, gelangte unseligerweise lediglich ein Viertel der zum Überleben notwendigen Menge auf den Binnenmarkt. Irgenwie musste deshalb, seitens der Regierung, eine Möglichkeit gefunden werden, die Fehlmenge irgendwo auf dem Weltmarkt einzukaufen. Der sowieso schon schwer angeschlagene Finanzhaushalt Deutschlands musste erneut geöffnet werden.
Und so fiel die 1914 aus typischdeutscher Überheblichkeit der Oberschicht, in den Krieg herabgestoßene Menge Menschen immer weiter ins Elend.
Immer mehr Ernährer ihrer Familien gingen nach dem "verlorenen" Krieg "stempeln". Sie erhielten die Sozialhilfe eines Staates der durch Krieg und Nachkrieg ausgeblutet war.
Im Januar 1921 faßten  die Siegermächte unter dem Druck ihrer Menschen, den berüchtigten Reparationsbeschluss. Die deutsche, einst so arrogante Nation sollte Wiedergutmachung für ihre Sünden leisten. Insgesamt brummte das Welttribunal dem Verlierer die ungeheure Strafe von 262 Milliarden Goldmark auf, zahlbar bis 1963, jahraus- jahrein anteilig. Der Betrag war in Naturalien, Steinkohle und Handelswaren zu leisten, später nach Auflagen. Im Schicksalsjahr 1921 seien 2 Milliarden (am. Billionen) zu leisten.
Arbeiter die für eine vierköpfige Familie sorgen mussten, verdienten um Weihnachten dieses Jahres zwar durchschnittlich 
1 000 Mark, aber was konnten sie für diese Summe schon kaufen? Ein Kilogramm Brot kostete mancherorts 30 Mark.

Vor dem 1. Weltkrieg verdienten die Beschäftigten in einer 60stündigen Arbeitswoche etwa 100 Mark, aber eine Schachtel Streichhölzer war für 1 Pfennig zu haben, 1923 musste der Käufer  für dieselbe Ware schließlich 55 Milliarden auf den Tisch legen.
Ein Ei kostete zuvor 5 Pfennige und nun fast 100 Milliarden.

60 deutsche Notendruckereien  arbeiteten rund um die Uhr. Zusammen waren es 1723 Druckerpressen die Geld ausspuckten, das beinahe ebenso wertlos war wie das Wasser, das noch aus den städtischen Springbrunnen floss. Selbst kleine Firmen mussten um am Zahltag das Geld zur Löhnung ihrer Arbeiter zu transportieren Pferdefuhrwerke zu den Banken schicken.
Die Männer konsumierten mehr Alkohol als zuvor. In ihrer Trunkenheit gifteten sie einander gefährlich an und zuhause bekamen die Kinder Dresche für etwas, an dem sie völlig unschuldig waren.
Jeder wünschte sich eine andere Regierung, eine andere Partei und Politik.
Überall standen die Wunderheiler herum und predigten vom getrübten Himmel schamlos die fettesten Lügen herunter.
Am schlimmsten logen die Nazis und die Kommunisten.
In dieser Zeit der Verschärfung der Konflikte warnte der Utah- (Mormonen-) senator Smoot  den amerikanischen Kongress, den Bogen nicht zu überspannen. Reed Smoot erklärte, Deutschlands Bürger könnten durch die maßlosen Forderungen der Allierten ihren Reparationszahlungen pünktlicher nachzukommen, in die Armee von Chauvinisten und politischen Abenteurern getrieben werden.

Mancherorts wurde Notgeld gedruckt. Es löste die Probleme nicht. Die bunten Inflationsscheine überfluteten das ganze Land als Ausdruck absoluter Hoffnungslosigkeit.

10 Milliarden Mark Briefmarke für einen Brief im Inland am 12. November 1923



Es war billiger mit Millionenscheinen das Zimmer zu tapezieren, als mit Tapeten (Wikipedia)


Reed Smoot (1862-1941)
Leider sollte Reed Smoot recht bekommen. Er wusste als Vorsitzender des USA Senatsausschusses für Finanzen (von 1923-1933) sehr wohl,  wovon er sprach. 

Fast gesetzmäßig war der tragische Ausgang des Konfliktes zwischen den großen deutschen Parteien vorgezeichnet, die ihre Lösungsvorschläge mit großen Parolen "an den Mann" zu bringen versuchten.  Effektiv betrieben sie damit allerdings das Emporkommen ihres Diktators. Bald stand es offen ob die Kommunisten mit Kremldeckung oder die Nationalsozialisten mit Deckung der Rüstungslobby das Rennen  zum  "Sieg" ihrer jeweils angedachten und ersehnten Diktatur machen würden.

Smoot war während der gesamten Zeit seiner Einflussnahme Mitglied des zweithöchsten Gremiums der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, indem er dem Rat der Zwölf (Apostel) angehörte.

Eine Weile schien es, dass der Sturz von der Demokratie in die Abhängigkeit hätte vermieden werden können, weil ein Finanzgenie Deutschlands, Ende 1923 auf seiner Idee bestand, eine Währungseinheit zu schaffen, die durch auf Gold lautende Rentenbriefe gedeckt werden könnte, was sofort verwirklich wurde und sich zunächst als segensreich erweisen sollte.
Der weitere Verfall der Mark wurde so gestoppt.

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