Samstag, 5. Oktober 2024

Mein 3. Brief an Mark Parson

 Mark Parsons: "We equip and empower Christians to share the truth in love with Mormons through witnessing courses, training and personalised mentoring."

Redeemed Child of God and Missionary

Dear Mark,

I can definitely understand your thinking. Over the last 30 years I have read several thousand specialist articles and dissertations by Protestant and Catholic theologians. I know your beliefs, although they are significantly different from the teachings of the early church.

You write: . We might reflect His image, but we are created beings, and the divide between Creator and creation is vast and eternal. This is why the idea of polytheism, or the belief that we can one day become gods ourselves, conflicts with the biblical understanding of God. God is one, and His nature is something we can’t fully fathom but must humbly accept as revealed in Scripture.

But was that the teaching of Christ?

Every theologian should know that until the year 543 it was common church teaching that humans could become gods.

... the idea of deification (of man) was the last and supreme; After Theophilius, Irenaeus, Hippolitus and Origen, it can be found in all the fathers of the ancient church, in Athanasius, in the Cappadocians, Appolinares, Ephraim Syrus, Epiphanius and others” Adolf von Harnnack “Textbook of the History of Dogma”

And Martin Luther: “...for this very reason the Word becomes flesh, so that the flesh may become the word. In other words: God becomes man so that man may become God.” T. Mannermaa “Luther und Theosis”, Band 16 Veröffentlichungen der Luther-Akademie Ratzeburg, Helsinki/Erlangen 1990

Hippolytus of Rome (canonized antipope around 220) said: “Through the Logos God brought everything into being, and otherwise it could not be made as it was made.” He created man as such; If man wants to become God, he must obey him.”

Joseph Langen “History of the Roman Church”

“…in Jesus Christ, the God of the world, became man in order to deify human beings.”

Anton Grabner-Haider-Maier “Cultural History of Early Christianity” Vandenhoek Ruprecht, 2008 refers to: “Irenaeus’ works against the “false Gnosis”…

Even Pope Benedict XVI. Referred, whether intentional or not, the critic said:

“… the core of Athanasius’ doctrine of the incarnation is: “Christ, the Divine Word, “became man that we might be deified…” Vatican, General Audience, June 20, 2007

Origen, who is still under criticism, said it unequivocally:

...Some do not appreciate what we said in setting up the Father as the one true God and admitting that other beings could become gods besides the only true God by participating in God.” Origen's Commentary on John: 2:3 on Wikipedia under Arianism

th the exception of the Finnish Lutheran exegetes, almost everyone else is very one-sidedly committed to the post-medieval results of dogma research.

Trinitarianism was only a result of the 4th century. Before that it was clear: Jesus Christ is God, but subordinate to the Father.

The real problem is that Origen (185-254) was cursed in 543 for clearly political reasons. Origen was recognized by all the bishops of his time. What he said was pure apostolic teaching. Origen added nothing.

He confirmed that all of Adam's descendants are literal spirit children of Elohim. We have forgotten where we came from. But deep within us is the idea that the one true God Elohim wants to exalt everyone provided they keep the commandments of Christ. The doctrine of the premortal existence of all people living today is still rejected by all major churches. But millions with near-death experiences report: We returned to the homeland from which we came. At this point almost all theologians from both mainstreams capitulate.


I'll write more later.

Your friend Gerd

Montag, 30. September 2024

Meine Lebensgeschichte 2


... Zurecht drückte sich jeder so lange wie möglich vor der eisern verlangten Pflicht mit einem Karabiner gegen erbarmungslos rollende Panzer zu fechten. Noch nie sahen wir so viele Uniformierte. Die Jüngsten bettelten uns an für sie ein Mädchen zu finden und wir knapp 15-jährigen wussten sehr wohl um was es ging.

Wenige Tage vor dem totalen Zusammenbruch der deutschen Front, abends, suchte ich meinen Freund Richard auf.

Gerda kam mir entgegen. Sie schaute mich sonderbar an, aber sie interessierte mich nicht. Ich hatte andere Sorgen.

Es brodelte in mir. Vor dem großen Fall müssten wir noch etwas unternehmen.

Wir liefen zur Saarstraße, wollten sehen ob Dabbert sich schon, wie zuvor die Plogs, in Richtung Westen zu den Amis abgesetzt hatten. Dann gab es da etwas zu klauen. Wenn er noch da sein sollte, lassen wir ihm die Luft aus den Reifen seines BMW.

Doch SA-Dabbert war schon auf und davon. Noch vor wenigen Tagen hatte er posaunt: “die Wunderwaffe kommt – der Endsieg!“

Breitbeinig stand er vor uns, oben auf dem kilometerlangen, fünf, sechs Meter breiten Panzersperrgraben, den wir mit vielen Tausenden gemeinsam ausgehoben hatten.

Wir standen da und ärgerten uns. Mit seinem dicken Hintern, saß er höchstwahrscheinlich hochzufrieden neben seiner dürren Emma im rollenden Auto und lachte sich eins ins Fäustchen. Kein Wehrmachtsoffizier, kein SSler wird es wagen ihn aufzuhalten, solange er seine Dienstmütze trugSchade, dass wir ihm nicht beizeiten den Auspuff abgerissen haben.

Die Kaninchen, auf die wir es abgesehen hatten, waren ebenfalls geflohen oder noch in den Dabberttöpfen gegart worden.

Plötzlich kam ein Polizist angeradelt.

An den Umrissen seines Tschakos erkannten wir das. Ein enorm schwacher Lichtstreifen fiel durch den vorgeschriebenen Verdunklungsschlitz seiner Fahrradlampe schräg vor ihm auf die schwarze Erde.

Aus unsere miesen Stimmung heraus, bewarfen wir ihn mit kleinen Steinen. Wir trafen ihn. Sofort sprang der große Mann vom Rad und dann über den niedrigen Zaun hinter dem wir uns befanden.

Ich rannte den Hauptweg des Neuen Friedhofs hinunter. Wenigstens bis hinter den riesigen Komposthaufen musste ich gelangen. Da pfiff zeitgleich mit dem Knall eine Kugel nahe an mir vorbei. E schoß noch einmal, ich stellte mich, zu Tode erschrocken, hinter den nächsten Baum. Da fand er mich: „Wer war der andere?“

Ich wollte noch den Helden spielen, erhielt ein kräftige Ohrfeige und sagte die Wahrheit.

Eine knappe Stunde später saß ich mit Richard, den sie meines Verrates wegen von zuhause abholten auf dem Wolgaster Rathausturm. Zur Strafe sollten und wollten wir Panzerwache halten.

                                                   

 Waren die russischen Spitzen dreißig oder nur noch drei oder zwei Kilometer von uns entfernt? Da war, an jenem späten Abend, die uns alle bewegende Frage.

Gegen elf muss es Gerda in den Sinn gekommen sein zu meiner Mutter zu laufen und ihr mitzuteilen was sie wusste und vermutete.

Augenblicklch machte Mutter sich auf den kurzen Weg zum Polizeirevier, das sich im Rathaus befand. Sie war von meiner absoluten Unschuld überzeugt. Wer weiß, was sich die Polizisten wiedereinmal hatten einfallen lassen. Unschuldige Kinder einsperren war das einzige, was die Herren sich in ihrer Ratlosigkeit noch einfallen ließen. In dieser Überzeugung betrat sie wutentbrannt die verqualmte Bude im Erdgeschoß, des Rathauss.

Infolge dieser Überzeugung regte sie sich auf und griff die bösen Buhmänner mit scharfen Worten an. Es sei unerhört in letzter Minute ihrer Machtausübung noch einmal die Muskeln spielen zu lassen. Sie verlange die sofortige Freilasung ihres Sohnes der niemanden auch nur ein Haar krümmen könnte.

Herrn Wallis, den Oberen, kannte sie persönlich. Der besuchte die Baptistenstunden und so seine Kinder. Das hätte sie von ihm nicht gedacht. So ein frommer Mann!

Die anderen vier oder fünf Männer pafften dicke Zigarren. Angesichts des Umstandes, das binnen weniger Stunden die Russen sie festnehmen werden, waren sie hoch nervös. Sie saßen in der Todesfalle, wegen der berechtigten Sorge, falls sie zu früh fliehen würden, könnten sie von den noch anwesenden fanatischen SS-Soldaten geschnappt und aufgehängt werden. Fahnenflucht galt als todeswürdiges Verbrechen.

Ihr Schicksal war besiegelt

Stöhnend und pustend setzte sich der rotköpfige Wallis den Tschako auf und bestieg die schmale Treppe zum engen offenen Raum, wo wir nichtsahnend vor uns hin starrten. Wir hockten da inmitten des schweigenden Nachthimmels und wunderten uns über die Ruhe.

Warum hörten wir nicht das Wummern der feindlichen Geschütze oder das Getöse von Frontkämpfen? Noch dachten wir illusorisch.

Schert euch nach Hause!“

Verwundert und verwirrt, wie ich war, warf ich noch einen Blick auf das im Sternenlicht blinkende Wasser des Peenestromes und des Spitzenhörn, wo ich gerne geangelt hatte.

- Am nächsten Morgen fiel mir ein, dass die Schmidts ebenfalls geflohen seien. Nahe dem Gaswerk hielten sie in kleinen Buchten ebenfalls Kaninchen.

Nichts, gar nichts warnte mich.

Die kleinen Ställchen waren natürlich leer.

Missmutig machte ich mich auf den Heimweg, wählte den kürzesten Weg. Der führte über die Schienen des Hauptbahnhofes zu dem des Hafens.

Fast am Ziel angekommen wurde ich heftig angeschrien: „Stopp!

Gewohnt zu gehorchen wenn ein Militär oder Uniformierten befahl, erstarrte ich. Ein blutjunger Soldat stand am schmalen Bahnsteig Er schlug die Hand vor seinen Mund. Dann wiederhole er scharf „Steh!“

Mein instinktiver Gehorsam rettete mein Leben.

Ich befand mich mitten in einem Minenfeld.

In meiner Verspieltheit sprang ich bislang von einer Schienenbohle zur nächsten, die ich gerade verlassen wollte. Siehst du nicht die Hügel? Minen! Die hätten dich zerfetzt!

Die Minen mussten sie gerade verlegt haben, denn nun konnte ich erkennen um was es sich handelte.

Wäre der Landser nicht gewesen…


Der Erste Russe

Am 30. April um acht Uhr morgens heulte etwas. Gleichzeitig bebte das alte Fachwerkhaus Langestraße 17. Die feindliche Granate flog vermutlich nur wenige Meter an den oberen Fenstern unserer Wohnung vorbei. Bevor ich nachdenken konnte, krachte es. Zwei Menschen, die auf der Straße in der Nähe des Rathauses standen und hinausschauten, wurden in Stücke gerissen.

Gegen Mittag radelten zwei Soldaten die Wilhelmstraße entlang, wo Gerda und Richard wohnten. Ein Offizier der Marine und ein Unteroffizier der Wehrmacht. Sie zeigten ihre Maschinenpistolen und prahlten damit, 50 weitere Soldaten der Roten Armee „niedergemäht“ zu haben. Sie schauten auf ihre Uhren.

Das musste etwas bedeuten.

Ein Fenster öffnete sich. Zu den vielen weißen Fahnen, die bereits an zahlreichen Fenstern um uns herum hingen, kam noch eine weitere hinzu.

Dann schrie der Sergeant. „Das ist Feigheit. Wir halten immer noch die Stellung!“

Sie fuhren weg in Richtung Hafen.

Richard zog mich mit sich.

Gerda sah mich wieder seltsam an. Ihr Blick regte mich zu neuen Gedanken an: Was sagten ihre Augen?

Hat sie mich wortlos gefragt?: „Du und nicht die Russen?“

Richard ging irgendwohin durch die Küchentür. -

Wir sind geblieben.

Wie schön sie aussah.

Gerda sagte nun flüsternd: „Wenn dich keine will, nehme ich dich.“

Angst öffnete ihren Mund.

Aus vielen Zeitungsberichten der nationalsozialistischen Presse wussten wir, dass die brutalen Eroberer Frauen wie wilde Tiere jagten.

Sie standen bereits an der Schwelle

Meine Fantasie übernahm kurzfristig die Oberhand. Mein Freund kam binnen Sekunden zurück und schimpfte vor sich hin.

Ein Ungeheuer überfiel uns.

Eine Detonation die nur eine Riesenbombe erzeugen konnte warf uns zu Boden. Es musste in unmittelbarer Nachbarschaft gewaltiger Schaden entstanden sein. Langestraße 17 war nur einhundert Meter entfernt.

Mutter!“

Meine Geschwister Helga und Helmut.

Sofort wollte ich mir Gewissheit verschaffen und sei sie noch so schrecklich. Wie ein Irrer warf ich mich gegen die Haustür, diesich nicht öffnen ließ.

Und wenn ich sie aus den Trümmern herausholen muss, ich will es wissen.

Erst als Richard und Gerda mir halfen die verklemmte nach außen öffnende Tür zu überwinden sollte es gelingen.

Mit fliegenden Beinen kam ich an.

Unser Haus stand unversehrt da. Aber die großen Schaufenster der uns gegenüberliegenden Reuscheldrogerie waren zerborsten.

Gottseidank. Wenn das alles war.

Kaum getröstet, rief eine hohe Stimme: „Sie haben die Peenebrücke gesprengt.“




Ich ging nicht hinein in unser Haus.

Mich trieb es vorwärts. Wohin ich auch kam, überall dasselbe, weniger die kleinen Fenster. Irgendwie brach sich, alledem zum Trotz, in mir die Lust zu leben breite Bahn.

Wolgast war mit diesem Schlag, wenn auch vielleicht nur für wenige Stunden zur gesetzlosen Zone geworden. Niemandsland. Es gab weder die Polizeit noch eine andere Ordnungsmacht mehr. Die glassplittrigen Öffnungen der Lebensmittelläden und des Gaugergeschäftes für Konfektions- und Schuhwaren am Marktplatz luden mich zur Selbstbedienung ein.

Ich widersprach mir nicht, ging die wenigen Schritte eiligst und betrat ungeniert den Bereich für Herrenkleidung zur Rechten. Ich gehörte nicht zu den Ersten, sah die magere Austattung des Ladens.

Im Begriff schamlos zuzugreifen und zu klauen was mir begehrenswert erschien, beeinflusste mich ein schon früher erlebtes Gefühl das mir im Klartext sagte: Tu es nicht!

Das erstaunte und lähmte mich, zunächst, - bis ich mir dreist herausnahm zu sagen: Ach was. Sei nicht so dumm.

Es strömten immer mehr Leute ins mittlerweile sperrangelweit geöffnete Geschäft hinein. Nicht nur durch die Vorderfront.

In kurzem Moment sah ich das noble Gesicht des Besitzers Heller vor mir, wie er an der Kasse sitzt, während meine Mutter den Betrag entrichtet für meinen neuen Anzug mit den Knickerbockerhosen, den ich mehr oder weniger stolz ab 43 sonntags trug. Die feine, leicht gezogene Nase verlieh diesem ruhigen Gesicht eine selten anzutreffende natürliche Vornehmheit.

Mir schien, er schaute zu, wie ich eine leichte, grüne Alltagshose an mich nahm. Die herumwirbelden Menschen kamen mir nun sekundenlang vor wie irrsinnig Tanzende.

Einige zankten sich. Alles raste, die Gedanken, das Blut, die Frauen. Mein Lebensgefühl wankte. Meine Wünsche wechselten hin und her.

Jetzt ist jetzt.

Eine gute Zukunft wird es nicht geben.

Dennoch verblieb hartnäckig ein Fünklein Hoffnung, während andere Wolgaster in tiefem Pessimismus sich und ihren Kindern Steine um die Hals banden um miteinander in die Peene zu springen.

Mir schien auch ich sei verrückt geworden. Es war ein stetes hin und her. Man muss doch ordentlich handeln.

Und dann wieder: Mache ab jetzt mehr aus deinen Chancen, falls es sie noch geben sollte.

Die Hose noch in der Hand verließ ich den schrecklichen Ort. Ich wollte sie nicht mehr haben und legte sie auf die offene Luke zum Kellereingang, von wo sie bald verschwand.

Inkonstant wie ich war kam nur Minuten später freche Furchtlosigkeit über mich: Mundraub ist erlaubt!

Zum Kuckuck es muss doch bei Anderson versteckte Schokolade oder wenigstens Bonbon geben. Von Ersterem gar nicht zu reden hatte ich seit Jahren Süßigkeiten entbehrt.

Während der Zeit vor unserer Verschickung nach Groß Mölln bin ich an der Fassade das Hauses hochgeklettert und durch das obere immer offen stehende Fenster in die sonst verschlossene Wohnung eingedrungen um Mutters Zuckerdose,, um einige Gramm zu erleichtern.

So rannte ich los um nur nicht der Allerletzte zu sein. In der Tat mindestens zwanzig Frauen suchten dasselbe wie ich, oder nur Margarine, oder Kaffee. Natürlich in die Ungewissheit hinein mussten sie etwas heimtragen, das die Kinder benötigten. Ich wusste noch nicht, dass ein verletztes Gewissen mit der Verkleinerung seines Potentials einhergeht, und, dass es durch stete Misshandlung sogar zu seinem Verstummen gebracht werden kann.

Ich verhielt mich etwas brutal, als ich mich zum Margarineregal drängte, um das sich Frauen und Jungen stritten. Über meinem Kopf schrie jemand: „Sehen Sie, ich habe es gewusst!“ Andere griffen danach und rissen ihm den aus Pappe gefertigten Eimer aus den Händen. Der Karton zerbrach und die Kaffeebohnen fielen zu Boden. Eine schwanger gehende Frau fing an, Gläser durch die Luft zu werfen, voller Wut, weil sie nur Rote Bete enthielten oder vielleicht nicht die gewünschten Früchte. Wo immer die Gefäße landeten, wurde der Boden rot.

Es wurde alles zu einem höllischen Spektakel. Der Ladenbesitzer, Herr Anderson, erschien am Tatort. Er war ein kleiner 50-jähriger Mann mit großem kahlen Kopf. "Meine Damen! Meine Damen!" klagte er und rang seine weißen Hände. Eine der Frauen kam auf ihn zu: „Ich bin keine Dame!“ schrie sie und warf ihm eine Flaschen vor die Füße. Der arme Mann, jetzt mit Saft bespritzt, schnappte nach Luft.

Doch wie sollten Männer jemals die Ängste der Frauen in dieser besonderen Zeit der auf uns zurückenden russischen Invasion wirklich verstehen? „Die Feindarmee wird kommen und wir sind die Opfer!“

Im Durcheinander hatte ich es geschafft, 16 Stücke Margarine einzusammeln, die ich mit nach Hause nahm. Dann kehrte ich zurück, um einen weiteren Diebstahl zu begehen, ohne mich mehr um mein Gewissen zu kümmern. Als ich um die Ecke unserer Straße bog, sah ich meinen 9-jährigen Bruder Helmut mit einem großen runden Käse, der fast so hoch war wie er selbst. Er kam den sanften Hang der Straße hinunter und rollte das Raubgut, das ja einem Rad glich direkt auf mich zu. Nicht viel weiter die Straße hinauf befand sich der aus mehreren Stockwerken bestehende Großvorrat an Lebensmitteln von Herrn Kriwitz. Dort, wie überall sonst, beging die Bevölkerung aus Panik Ladendiebstahl in erheblichem Umfang, in der zutreffenden Annahme alles würde sonst in Russenhände fallen.

Es wäre leicht gewesen, einem 9-Jährigen solchen Besitz wegzunehmen. Doch das geschah nicht Das Bild meines kleinen Bruders und des riesigen Käselaibs wird für immer in meinem Gedächtnis haften bleiben. Der kleine Blonde grinste mich an. „Warte“, dachte ich, „warte. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.“ Meine Gedanken wurden klarer, viel klarer als eine Stunde zuvor, als ich zum ersten Mal die Hand ausstreckte, um das zu nehmen, was nicht meins war.

Die Erkenntnis, dass das, was wir getan hatten, nicht richtig war, und die Forderung, den Käse zurückzugeben, fielen im selben Atemzug. „Das ist Diebstahl“, schnappte ich. Er erwiderte meine Reaktion mit einem unbekümmerten Grinsen. Ihm hat es einfach Spaß gemacht. Schließlich erforderte das Rollen eines so großen Objekts einiges an Geschick. Allerdings entwickelte sich in mir ein völlig anderes Konzept. Ich kam zu dem Schluss, dass ich alles, was wir mitgenommen hatten, zurückgeben musste, und genau das habe ich auch getan.

Mutter war es nicht recht. Die Russen oder wir!, wandte sie ein. Allerdings vergeblich. Plötzlich wollte ich wieder ein guter Deutscher sein.

Wenige Minuten später sah ich den ersten russischen Soldaten. Er kam direkt auf mich zu, den Finger am Abzug seiner Waffe. Jahrelang hatte ich den Lügen der Nazi-Propaganda zugehört, die von den Sowjets, das Bild von ungebildeten und minderwertigen Menschen zeichneten. Hatte ich außerdem nicht oft gesehen, wie die halb verhungerten, zerlumpten, elenden Kreaturen wie Vieh durch Wolgast getrieben und in Gefangenenlagern untergebracht wurden?

Erbarmungslos, wie ich damals noch war, erkannte ich in ihnen noch nicht meine Mitmenschen.

Als ich diesen gutaussehenden, älteren  Mann, einen Kämpfer der Roten Armee, auf mich zukommen sah, - und bis er mir fast zum Greifen nahe war, erstarrte ich völlig überrascht und fassungslos. Ich hatte schlagartig alle Bedenken verloren, da sein Aussehen sehr angenehm war. Etwas an ihm erinnerte mich an meinen eigenen Vater. Mir kam der Gedanke: „Gerd, da steht ein Held vor dir!“ Er trug einen hohen russischen Hut aus schwarzem Lammfell und über seiner Uniform einen weiten schwarzen Umhang. Ich schaute furchtlos in das schwarze Loch seiner Pistole. Er verzog keine Miene. Rundherum gab es Fenster, Türen und Ecken, aus denen ein tödlicher Schuss abgefeuert werden konnte. Er ging leichtfüßig weiter als sei ich Luft, zeigte keine Eile und schaute beim Weitergehen weder nach links noch nach rechts. Meine Augen folgten ihm nachdenklich. Ich werde diese Begegnung nie vergessen. Nicht die Uniform machte es aus, die Gut vom Böse trennte. So lernte ich in nur wenigen Augenblicken eine der wichtigsten Lektionen meines Lebens. So seltsam es auch erscheinen mag. Irgendwie fühlte ich mich zu diesem Fremden hingezogen. Mir wurde klar, wie falsch meine Einstellung mein biheriges Leben hindurch gewesen war. Lange nachdem er verschwunden war, blieb ich stehen, dachte nach und fragte: „Sind sie wirklich so?“

Nur etwa eine dreiviertel Stunde später sah ich einen deutschen Fallschirmspringer, der seinen runden Stahlhelm in der Hand trug, und eine jungen russischen Offizier in Uniform. Ich ging etwas näher heran Sie diskutierten über die Zukunft und die Frage, was aus Deutschland werden würde, nachdem das Dritte Reich der Ära Adolf Hitler zusammengebrochen war. Die überraschende Antwort des fließend deutsch sprechenden russischen Journalisten lautete: „Wir brauchen etwas, das alle Nationen zusammenhält.“

Da traf es mich!

Wir brauchen etwas, das alle Nationen zusammenhält.“

Mir schien mit einem Schlag ich würde Zeit überspringen. Ich sah Zusammenhänge.

Ich hörte noch, dass der Gefangene die implizite Einladung annahm… „Es muss eine neue Ideologie geben!“

Das war es…

Ich brauchte eine neue Idee und das betraf nicht nur mich.

Es war sehr enttäuschend zu sehen, dass nicht alle Russen wie diese beiden edlen Fremden waren. Denn nur wenige Stunden später marschierten Hunderte neue Soldaten ganz anderer Art in unsere Stadt ein. Horden hemmungsloser, wilder Männer füllten die Straßen. Ich überredete den alten Herrn Gottschalk, auch „Leller“ genannt, unseren Helfer in unserer kleinen Firma, mit mir die neue Szene zu erkunden. Zuerst war er überrascht, dass ihn die Russen nicht belästigten. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ein sehr junger Soldat der Roten Armee, gekleidet in ein dünnes, dunkelgrünes Baumwollhemd, dem gebeugten, rheumatischen alten Mann seine goldene Uhr abnahm. Zwei große Tränen rollten über seine faltigen Wangen, als er sich umdrehte und auf seinem Stock nach Hause humpelte. Was er verloren hatte, war außer seinem Bett, sein einziger Besitz gewesen. Schreiende Frauen stürmten an uns vorbei, Soldaten verfolgten sie. Ein Schuss fiel und wir traten beiseite, um die wütende Menge von Räubern und Vergewaltigern an uns vorbeizulassen. Meine Verwirrung über alles, was ich gesehen hatte, war so groß, dass ich reflexartig meine rechte Hand hob und „Heil, Hitler“ rief, als ein älterer russischer Offizier auf mich zukam. Der Mann in seiner grünen Uniform muss meinen Schock bemerkt haben.

Was auch immer es wert war, er hätte über einen solchen Ausbruch verärgert sein und mich auf der Stelle erschießen können – schließlich befanden wir uns immer noch im Krieg! Fast Erwachsene wie ich standen noch unter Verdacht. Und ich habe meinen faschistischen Hintergrund gezeigt.

Er sah mich an, schüttelte den Kopf wie ein weiser Vater, lächelte, hob den Zeigefinger an die Stirn, drehte sich um und ging weiter. Später traten mir andere Soldaten mit ihren Stiefeln in den Arsch, nur weil ich sie auf meine zugegeben etwa dreiste Weise anschaute.

Als die Schießereien zwischen Deutschen und Russen erneut begannen, flohen wir in unseren Keller. Dort saßen wir zwei Tage und Nächte lang in völliger Dunkelheit auf Holzbänken und lauschten dem Artilleriefeuer und den Explosionen. Die Frauen lauschten voller Angst jedem Geräusch, das von oben kam. Wurde die Haustür geöffnet? Würden deren Schritte in den Keller führen? Würden Bestien in Menschengestalt sie angreifen? Am dritten Tag setzte sich eine große junge Dame neben mich, weinte und erzählte den anderen Frauen in meiner Gegenwart, wie sie von der Menge vergewaltigt worden war, wie sie geflohen und sich versteckt hatte. In ihrer Verzweiflung erinnerte sie sich an die Langestraße 17 und Frau Stolp, unsere Nachbarin, und hoffte, dort Schutz zu finden, denn die alte Dame war Mitglied der Kommunistischen Partei, persönliche Freundin Rosa Luxemburgs.

Wie es das Schicksal wollte, war Frau Stolp zwei Tage zuvor verstorben. Da die junge Dame Angst hatte, sich noch einmal auf die Straße zu wagen, saßen wir nebeneinander im kalten, dunklen Keller. Ich fand es äußerst angenehm zu wissen, dass mein Schoß zu einem Kissen für ihren Kopf geworden war. Völlig erschöpft weinte sie sich in den Schlaf. Mehrmals in der Nacht zuckte ihr Körper vor Angst. Sanft fuhr ich mit meiner Hand über ihren Kopf und ihre Wange, um sie zu beruhigen, und sie hatte nichts dagegen. In der vierten Nacht schienen die Geräusche von draußen nicht mehr so heftig zu sein, also beschloss ich, wieder nach oben zu gehen, um in meinem Bett zu schlafen. Der alte Freund „Leller“ tat dasselbe. In der Ferne, einige hundert Meter entfernt, hörten wir noch immer das Grollen von Granaten. Im Handumdrehen fielen wir in einen tiefen Schlaf.


Nach dem Krieg


Am 8. Mai wurde die Schießerei endgültig eingestellt. Ich wagte mich wieder auf die Straße. Überall, wo ich hinschaute, sah ich betrunkene russische Soldaten. Sie hatten eine Kuh an eines der Fahrzeuge – primitive alte Bauernkarren – gebunden, auf denen weinselige, jubelnde junge Soldaten saßen und durch die Straßen rollten. Das Seil um ihren Hals würgte das Tier, weil es gefallen war. Es wurde gnadenlos über das Kopfsteinpflaster geschleift und hinterließ eine Blutspur. Meine Augen folgten der gemarterten Kreatur und die Gedanken, die mir in den Sinn kamen, waren: „Dies ist ein Symbol für Krieg und Sieg. So sieht es aus.“

Viele der Menschen, die meisten davon Flüchtlinge aus dem Osten, waren ältere Männer und Frauen. Elend und Schmerz standen ihnen ins Gesicht geschrieben. Auffallend viele der jungen Frauen gingen schwanger. Sie hatten viele stark verwüstete Orte gesehen. Völlig verstört hatten sie brutale Schikanen, Morde, Vergewaltigungen und mehr erlebt. Ihre Ehemänner, Väter und Brüder waren tot oder verkrüppelt. Es gab keine Hoffnung, keine Zukunft – nur Angst vor der harten „Soldatska“.

Es gab noch andere in Uniform, Männer, die aus der rasenden Menge herausstachen Männer wie der erste Russe, dem ich begegnete

Ich erinnere mich an den Tag, als ein Konvoi installierter LKW-Raketen (Stalin Orgeln) vor unserem Haus anhielt. Inmitten der disziplinierten Soldaten saß mein kleiner Bruder.

Auf seinen strohblonden Kopf hatten sie einen riesigen, dunklen Stahlhelm gesetzt. Lachend reichten sie ihn herum wie eine Stoffpuppe und gaben ihm Kekse. Was sie amüsant fanden, war, dass der kleine Kerl ein braunes und ein blaues Auge hatte. Diese Männer waren äußerst zivilisiert, da keiner von ihnen das Fahrzeug verließ, um in unser Haus einzudringen und es auszurauben. Viele Einheimische beleidigten wahllos alle Russen. Das war wirklich nicht fair. Es gab Soldaten, die zu uns nach Hause kamen und versuchten, auf unserem Klavier zu spielen, aber sie waren fast immer freundlich. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht sagen, warum Menschen aus der gleichen Umgebung und mit dem selben Hintergrund gut oder schlecht waren. Ich musste i noch viel mehr Erfahrung sammeln.

Ich habe törichterweise den Nazis, den Nachrichtenreportern und Männern wie Josef Goebbels und Adolf Hitler geglaubt. Aber, haben sie nicht alle in einem vertrauenerweckenden, nicht selten geradezu pastoralem Ton Fantasien und Lügen verbreitet?

Im Juli 1945 arbeitete ich als Hilfsarbeiter für die Rote Armee auf der noch heute bestehenden Wolgaster Werft. Damals wurde dort Zellmehl hergestellt. Ein kleines, kohlegetriebenes Kraftwerk befand sich dort ebenfalls. Wir mussten die brikettgefüllten Waggon entladen. Mir schien, dass viele Leute die hier arbeiten sollten, sich in den riesigen Hallen versteckten. Päärchen schliefen zwischen den tausenden Säcken Zellmehl. Wir hatten es nicht besonders eilig mit unserer Schaufelei. Hin und wieder wurden wir von bewaffneten Rotarmisten kontrolliert. Dann legten wir los, dass es nur so staubte.

Abends mussten wir unsere ehemaligen Schulranzen öffnen. Am Eingang schauten die Soldaten hinein. Wir nahmen stets ein paar Brikett mit nach Hause. Wir meinten, dass sei gerechten Lohn für die Zeit die wir opfern mussten. Ähnlich dachten die jungen Russen, die stets Machorka qualmten. Einmal zählte der Kontrolleur sieben kiloschwere Briketts und fluchte entsetzlich. Mit erhobenen sechs Fingern bedeutete er mir, wo die Grenze war. Ich sei ein Dieb. Zapzarap nix karascho.

Es gab auch Zuckerrübenschnitzel aus denen wir Sirup kochten. Ich lernte, dass etwa vier Kilogramm Schnitzel als legitime Beute galten. Da gab es Leute wie den 50-jährigen Friseur Bikowski, der zuvor Tabakwaren auf dem Schloßplatz verkaufte, wo sein kleines, schönes Haus einst, in unmittelbarer Nähe zur Peenebrücke stand. Die Druckwelle infolge der Brückensprengung hatte es dem Erdboden gleich gemacht.

Er saß stets auf einem Torweg der Kohlewagen und rauchte. Sobald die russischen Aufpasser auch nur in Sichtweite kamen, klopfte er seine Schippe geräuschvoll gegen die Metallwand des Waggons und stöhnte laut. Ich fand ihn nie anders.

Aus Langeweile und Torheit schwammen meine Freunde und ich, während einer Mittagspause etwa 150 Meter auf die andere Seite der Peene, an das Ufer der Insel Usedom. Niemand durfte dieses kleine Stück Land betreten. Nur teilweise durch Stacheldraht geschützt, lagerte dort eine riesige Ansammlung zurückgelassener deutscher Waffen. Denn dort befand sich eine der letzten Hauptkampflinien des Krieges: Dutzende große Holzkisten mit Munition aller Art warteten nur auf uns. Große Warnschilder die uns die Todesstrafe androhten beeindruckten uns nicht. Jungs bleiben Jungs – und manchmal sind sie einfach nur dumm!

Innerhalb weniger Minuten schnappten wir uns Gewehre und begannen in die Luft zu schießen.

 Oh, wie gut wir mit diesen Waffen waren und wie gut wir zielen konnten! Aber die Munition, die wir gefunden und verwendet haben, war Leuchtspurmunition! Was für eine wunderbare Lichtshow! Wir haben die erstaunlichsten Lichtstreifen in den endlosen blauen Himmel gemalt. Dass andere nun genau wussten, wo wir uns befanden, störte uns zunächst nicht. Schließlich konnten wir schnell schwimmen und uns verstecken. Ich für meinen Teil fühlte mich wie Robinson Crusoe auf seiner abgelegenen, freien Insel – einer Welt, die niemandem außer ihm gehörte. Allerdings lag Klein-Zinnowitz nicht im Pazifik – es war nur einen halben Kilometer von Wolgast entfernt. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht wirklich, dass die Russen immer noch rachsüchtig und wütend auf die Deutschen waren, dass sie uns packen und an die Wand stellen würden. Wir haben es mutig gewagt, ihre Gesetze zu brechen. Plötzlich hörten wir das typische Summen eines Tieffliegers. Bald sahen wir einen riesigen Doppeldecker auf uns zukommen,

- wie ein bunter Käfer. schwebte er heran. Nicht mehr als 80 Meter von uns entfernt, starrten wir auf großen roten sowjetischen Stern auf seinen hellblauen Flügeln. Wir sahen den Kopf des Piloten- Er aber konnte uns nicht sehen. Sieben Gewehre waren auf dieses riesige Ziel gerichtet. Zu unserem ewigen Segen hat keiner von uns den Kopf verloren und geschossen.

Was oder wer hat uns vor diesem tödlichen Spiel gerettet? Ich weiß nur, dass es keiner von uns war. Der Name unseres rettenden Engels war Buena Bergemann. Er erschien plötzlich. Auch er war wie wir früher Mitglied der Hitlerjugend gewesen. Tauchte unversehens hinter dem Stacheldrahtzaun auf. Er schrie: „Was zum Teufel macht ihr Idioten?“ Sieben besiegte, sonst so clevere Jungs legten beschämt ihre neu entdeckten Spielsachen auf den Boden

- In diesem Moment bemerkten wir, dass in einiger Entfernung, nämlich in der Nähe der großen Brücke, etwa 800 Meter entfernt, ein Boot der Militärpolizei kreiste. Wenn die Militärpolizei uns erwischt, wäre das definitiv unser Ende. Wir mussten so schnell wie möglich fliehen. Zu viele Augen hatten unser Spiel gesehen. Zu viele Ohren hatten das Abfeuern unserer Pistolen und Karabiner gehört.

Als wir , nach heftigem kraulen die Leiter zum Pier hinaufstiegen, dachten wir: „Wir sind außer Gefahr.“ Doch dort warteten die russischen Soldaten auf uns und zogen uns über die Böschung.

- Niemand kann die Konsequenzen seines Handelns vorhersehen, selbst wenn seine guten Absichten auf Steintafeln geschrieben stünden, geschweige denn, wenn seine Motive böse wären.

Wir standen fast nackt da, umgeben von Soldaten, die ihre Maschinengewehre auf uns gerichtet hatten.

Zitternd in unseren abgewetzten schwarzen Badehosen schauten wir auf die reglosen Bewaffneten Alles in uns und um uns herum erstarrte – sogar die Zeit.

Endlich!

Ein Jeep kam mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu, gefolgt von einer Staubwolke. Darin befand sich ein riesiger Mann in grüner Uniform, „der Stadtkommandant“! Seine Brust war mit vielen Medaillen geschmückt. Neben ihm saß ein junger, dürrer Fahrer.

- Sobald der Jeep zum Stehen kam, sprang der riesige Mann von seinem Sitz. Mit breiter Brust und schweren Schritten, den riesigen Kopf zum Boden gesenkt, schritt er auf uns zu, wütend wie ein gereizter Stier. Er war zum Racheengel für alles geworden, was die SS und die deutsche Wehrmacht seinem Volk angetan hatten. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er war offensichtlich bereit, alles zu vernichten, was ihm ungut erschien. Er kontrollierte die Szene vollständig. Ein Wort, eine Handbewegung seinerseits und alles, was wir zuletzt gesehen hätten, wäre das Blitzfeuer aus den „Spagin“-Maschinengewehren.

Der Riese brüllte wie ein verwundetes Tier. Doch je länger er schrie, desto mehr hofften wir, dass die auf uns gerichteten Waffen nicht abgefeuert würden. Irgendwie hatte ich für ein paar Sekunden sogar die leise Hoffnung, dass sie uns gehen lassen würden. Wir wussten nicht, dass zwischen Leben und Tod die gefrorenen Ebenen Sibiriens oder Karagandas liegen und nur auf Kriminelle wie uns warten. Viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum und verursachten letztendlich das totale Chaos. Ich bin überhaupt zu keinem Schluss gekommen. Am Ende konzentrierte sich meine ganze Sehnsucht auf einen verrückten Wunsch: dass ein Wunder geschehen würde.

Unser Arbeitsleiter, Herr Kell, ein bekanntes Mitglied der Kommunistischen Partei, wagte es, sich dem wütenden Kommandanten entgegen zu stellen, während die kühlherzigen Soldaten, nur wenig älter als wir, schweigend mit ihren Waffen dastanden und immer noch auf die Weisung ihres Kommandanten warteten. In scharfem Ton sprachen drei Männer laut und schwangen ihre langen Arme hin und her, als der Wortfluss übersetzt wurde. Zuerst haben wir überhaupt nichts verstanden. Mr. Kell, mit der roten Schleife um den Arm, ein ruhiger, freundlicher Mann, schwor sein eigenes Leben, um uns zu retten. Er hat sein eigenes Dasein für uns eingesetzt! Er garantiere, dass so etwas nie wieder passieren wird.

Das Unglaubliche geschah.

Der russische Offizier mit seinem grimmigen Gesicht und der übergroßen Nase erwies sich uns gegenüber barmherzig. Vielleicht hatte die SS seine eigenen Söhne erschossen, vielleicht hatten sie das gleiche jüdische Aussehen wie ihr Vater. Am Ende entschied er: „Lauft ihr Banditen!“

Wir rannten in alle Richtungen davon. Ich kroch in einen kleinen Raum im Maschinenraum, wo ich lange Zeit wie gelähmt saß. Zu Hause gab es kein einziges Wort darüber. Die schlimme Nachricht erreicht die Familie irgendwann, wenn alles der fernen Vergangenheit angehört. Was war wirklich passiert? Hunderte, ja, Tausende von Menschen, die weniger begangen hatten als wir, wurden in den Todesfallen von Konzentrationslagern wie Waldheim zum Sterben geschickt oder ihrer Gesundheit für immer beraubt. In den Gefangenenlagern (Gulag-Gefangenenlagern) von Irkutsk litten Zehntausende die weitaus weniger als wir verbrochen hatten..Die meisten von ihnen kehrten nie nach Hause zurück. Zwei meiner Freunde sollten bald ein solches Schicksal erleben.

Kurz darauf machte ich mich auf die Suche nach einem geeigneten Ort, um die Kamera meines Vaters vor den Russen zu verstecken.

Sie hatten angeordnet, dass alle Fahrräder, Kameras und Radios abgegeben werden müssen. auch Klaviere usw. Ich entdeckte auf unserem Dachboden eine verschlossene Kiste, die ich ohne Erlaubnis öffnete, und fand antimormonische Literatur. Es gab zwei Bücher, die von Pastor Zimmer und Pastor Roessle geschrieben wurden. Vater hatte diese Werke offensichtlich gelesen, um eine Entscheidung über seine Zukunft zu treffen. Wenn er die Literatur unten im Bücherregal gelassen hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht von Neugier getrieben worden. Aber jetzt reizte mich das Verborgene. Etwas Magisches erwartete mich. Etwas, das nur darauf wartete, entdeckt zu werden. Ich machte es mir unter einem der kleinen Fenster gemütlich und las beide Bücher – das des Pfarrer G.A, Zimmer: „Unter den Mormonen in Utah“ 1907 veröffentlichte, sowie das Werk Rößles „Aus der Welt des Mormonentums“ 1930. Es wurde in meinem Geburtsjahr verfasst.

Tagelang, von niemandem unterbrochen las ich Wort für Wort. Und das während sich draußen viele unangenehme Dinge ereigneten. Die Berichte dieser beiden Pastoren hatten eine seltsame, aber starke Wirkung auf mich. Sie waren fesselnder geschrieben als die Romane von Karl May, von den ich zuvor fünf oder sechs Bücher geradezu verschlungen hatte. Mit jeder Seite, die ich umblätterte, wuchs mein Wunsch, diese seltsame Religion meines Vaters zu erkunden, der ich nur nominell angehörte. Allerdings mit nun wieder aufkommenden , angenehmen Erinnerungen.

Mir wurde klar, wie wenig ich über die Hintrgrundgeschichten und Lehren wusste. Allerdings kamen jetzt einige Erinnerungen in mir hoch.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass hier etwas von großer Bedeutung für mich und mein zukünftiges Leben vorlag.

 Vieles, was Pfarrer Rössle schrieb, widersprach einander: Auf einer Seite behauptete er:  „Diese gottlose Priesterschaft, die Tausende verführt hat, das Wort Gottes mit Füßen zu treten und die das Heilige durch den Staub zerrt... Unzählige Deutsche werden mit Lehren befleckt, die sie glauben machen, das sei alles himmlische Nahrung für ihre Seelen.“ Aber schon auf der nächsten Seite glaubt Rössle, dass Joseph Smith ein ehrlicher Mann war: 

Sein Charakter ist sehr umstritten. Mormonen halten ihn für den größten Märtyrer des Jahrhunderts und den größten Mann, der in unserer Zeit gelebt hat. Seine Feinde nennen ihn einfach einen Lügner. Andere sagen, dass Joseph Smith selbst an seine fantastischen Offenbarungen glaubte und glaubte, er sei ein Instrument in den Händen Gottes. Mit all diesen Fakten entwickelte er eine erstaunliche Fähigkeit, die Zukunft zu planen. Darüber hinaus verfügte er über Kenntnisse in Arbeits- und Geschäftsangelegenheiten. Seine Freundlichkeit und Liebe gegenüber allen Menschen wurde immer geschätzt, insbesondere von den bescheidenen und ungebildeten Menschen, die ihn verehrten.“

Roessle sagte: „Staat und Kirche müssen sich vereinen, um den Mormonismus auszurotten. Ich kann es nicht laut genug betonen: Das Ziel der Mormonen ist es, die ganze Welt zu bekehren und damit die gesamte Menschheit zu versklaven. Das gesamte System ist auf dieses Ziel ausgerichtet. Dies ist der Zweck ihrer umfangreichen missionarischen Bemühungen. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass der Mormonismus im Gegensatz zum Islam steht, obwohl er in vielerlei Hinsicht die gleiche Fähigkeit besitzt, sich an alle Traditionen, Situationen und Ansichten anzupassen, sogar bis zu dem Punkt, alle Glaubensrichtungen zu übernehmen.“ Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fügt Pastor Rößle hinzu: „Diese nominell noch kleine, völlig andere Kirche wird eines Tages globalen Status erlangen. Diese amerikanische Kirche ist ein gefährlicher, oberflächlicher Glaube mit einem völligen Mangel an biblischem Wissen, unterstützt durch die Macht Satans. Unter dem Banner des Evangeliums verbreiten sie ihre Lehren. Aufgrund ihrer satanischen Kräfte wird die Mormonensekte zu einer Weltmacht und einer großen Gefahr für die Nationen der Erde werden.“




Entsetzt nahm ich das Werteurteil des Pfarrers Zimmer zur Kenntnis: S. 24,25

Diese Passagen konnte ich nie wieder vergessen. Was sollten die Theologiestudenten denken, wenn ihnen das im Fach Sektenkunde dargeboten wurde?

Ich habe Roessles Bösartigkeit immer noch im Ohr: … „Das Ziel der Mormonen ist es, alle zu bekehren, um die gesamte Menschheit zu versklaven. Das gesamte System ist darauf ausgelegt, dieses Ziel zu erreichen.“

Nachdem ich beide Bücher gründlich gelesen hatte, war mir klar, dass dieser Vorwurf unbegründet war. Schon als Zwölfjähriger hatte ich hinreichend Verstand, um die Botschaft der Missionare wenigstens in diesem Punkt zu verstehen. Allerdings erlebte ich in diesem Alter nur drei oder vier Hausversammlungen. Meiner Meinung nach gab es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass der „Mormonismus“ eines Tages als Peitsche wirken würde. Auch wenn es mich normalerweise nicht interessierte, was die Botschafter dieser Kirche sagten, wurde mir als Neuling und Leser nun klar, dass Pastor Rößle Zimmers Urteil völlig unbedacht übernommen hatte, zumal er ihn hier und da zitierte. Schließlich lebte Herr Zimmer zwei Jahre in Utah, und, sein Job verlangte von ihm Ehrlichkeit


Meine Lebensgeschichte 1

 

Das Hin und Her in der Gefühlswelt aller Menschen fasste der weltberühmte Dichter Johann Wolfgang von Goethe in Worte, die er Faust in den Mund legte : Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der anderen trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt, mit klammernden Organen; Die andre hebt, gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen“

Ja, wir sind duale Wesen, ein Teil von uns selbst fühlt irdisch derb, der andere ist göttlich. Wir Nachkommen Adams (2. Nephi 9: 21) sind nicht nur von dieser Welt, wir kommen herab aus den Gefilden hoher Ahnen.

Goethe sprach zahlreiche Sätze, die den neuzeitlichen Offenbarungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage entsprechen, aber keineswegs den Theologien seiner Zeit.

1832, kurz vor seinem Lebensende sagte Goethe im Gespräch mit seinem Freund und Sekretär Eckermann: „…“Diese plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm (Gottvater) sicher wenig Spaß gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwährend in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.” Jacob Moleschott „Anthologie aus der Weltliteratur,“ 1894

Sicherlich formulierte er dies auch in Kenntnis der Erlebnisse Emanuel Swedenborgs (1688 - 1772)

                                                                          *

Wenige Tage vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde ich, auf Wunch meines Vaters von einem sehr jungen Mormonenältesten in Wolgast, im Peenestrom getauft.

Um was es ging begriff ich als damals neunjähriger nicht. Es war mein Geburtstag. Geschenke erhielt ich nicht. Aber, als ich aus dem Wasser wieder auftauchte, fühlte ich pure Freude, die mehrere Stunden anhielt.

Ich staunte wenige Tage danach, dass mich gleichaltrige auf dem Schulhof spottend umrundeten und mich höhnisch einen „Heiligen“ nannten. Mir war damals keineswegs bewusst, dass ich nun der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage angehörte.

Erst einige Jahrzehnte später erfuhr ich, dass es um das Jahr 160, im vorderasiatischen Raum eine gewisse Urchristengruppe gab die sich die „Gemeinde der Heiligen der Letzten Tage“ nannte und dass Kirchenvater Tertullian Teil von ihr war. (Friedrich Loofs, Dogmengeschichte, Halle Saale-Verlag 1950)

Im Verlaufe der Kriegsjahre nahm ich nur kleine Bruchstücke von jener Religion auf, die mein späteres Leben erfüllen sollte.

Vater, ein Pazifist durch und durch, wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen, als der verbrecherische Krieg Hitlerdeutschlands gegen Russland sich bereits auf dem Höhepunkt befand. Sein Gelübde nie auf Menschen zu schießen sollte sein ferneres Handeln bestimmen.

Kurz vor Vaters Einberufung gab es noch ein mich vorübergehend berührendes Ereignis. Am Strand von Zinnowitz verfolgte ich zeitweise ein längeres Gespräch, das die Missionare Dzierzon und Rudolf Wächtler mit meinem Vater führten. Irgendwie ließ ich einiges, was sie sagten, in mein Herz sinken – und doch vergaß ich es, im Trubel der Kriegsjahre zunächst wieder.



Diese beiden, Arno Dzierzon und Rudol Wächtler, waren die letzten deutschen Missionare, die Hitler noch nicht zum Militärdienst einberufen hatte.

Das Foto zeigt meinen Vater und mich, begraben im warmen Sand vor der Ostsee Einer der beiden Männer sagte sinngemäßSchließlich haben wir uns in der vorirdischen Welt – nach Ewigkeiten der Gottesschau - ziemlich gelangweilt. Die Herrlichkeit Gottes war uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Irgendwann fühlten wir Geistkinder Gottes uns einfach leer. Wir konnten keine Freude empfinden weil wir Traurigkeit nicht kannten. Uns fehlte ein Maßstab, ähnlich so wie es Kindern superreicher Eltern ergeht.“

Die Lehre von unser Präexistenz sterblicher Menschen sei verloren gegangen. Die Erschaffung des Weltalls und Planeten Erde – all diese Dinge hätten einen großen Zweck.

Viele Jahre später, 1985, befand ich mich im Lesesaal der größten Bibliothek Berlins, vertieft in ein theologisches Lexikon. Meine Überraschung war groß, als ich die Worte (Origenes 185-254) las: “Im Urzustand waren alle Logika - alle Engel, Menschen, Dämonen körperlose Geister und als solche Götter, die dem Logos (- dem Wort - dem Christus -) anhingen. Sie waren mit ihm durch den Heiligen Geist verbunden und gaben sich mit ihm der unmittelbaren Schau des Vaters hin. Erlahmung der geistigen Schwungkraft und Überdruss an der Gottesschau führten zum Sündenfall… deshalb schuf Gott das Weltall….” Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 1960, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck – Verlag) Tübingen, Stichwort ‘Origenes’ p. 1696

 Wir (die Nachkommen von Adam) sind die buchstäblichen Nachkommen unseres himmlischen Vaters. Geister, die in einem vorirdischen Leben existierten. Der Grund, warum wir vom Himmel auf die Erde fielen, war Langeweile. Mit Blick auf die Herrlichkeit unseres himmlischen Vaters wollten wir denselben Status erreichen und erfahren, was Freude ist. 

Götter? Gott im Plural?

Ein Ärgernis für großkirchliche Theologen, die sich trinitarisch bekannten.

Vater bedauerte, dass er seinen Einfluss auf mich verlor. Die nächste Mitgliederfamilie lebte in 100 km Entfernung. Nur noch selten besuchten uns Missionare. So vereinnahmten mich mehr und mehr die Pflichtdienste zunächst in der „Deutschen Jugend“ dann in der „Hitlerjugend“. Mir wurde, als ich knapp 14 war nahegelegt Pilot zu werden. Und so zog ich bereits 1943 die graublaue Uniform an, die ich trug bis einen Tag vor dem Einmarsch der Sowjetarmisten in meine Heimatstadt.

Unvergessen: In der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 riss uns Sirenengeheul aus dem Schlaf: doch wie üblich geschah nichts. Die Feindflugzuge suchten größere Ziele. So drehte ich mich um und fiel wieder ins Traumland, bis mich eine gewaltige Detonation weckte. Es krachte immer heftiger und hörte nicht auf. In Panik raffte ich mein Kleidung und stürzte gleich anderen Bewohner des Hauses Langestraße 17 in den Keller. Jeden Augenblick konnte uns die nächste Bombe töten. Ich war gewiss, dies ist mein Ende. Aber es traf Peenemünde, wo die Nazis ihre Raketen produzierten. Die Luftlinie betrug 8 km. Doch die Luft einer windstillen Nacht kann über Wasserflächen selbst sehr fernes Hundegebell ungemindert übertragen. Es waren 600 Lancaster- und Halifax – Bomber die ihre Lasten auch als Phosphorbehälter abwarfen. Im Nachhinein schien mir, dass es die Schreie der französischen, britischen, russischen Kriegsgefangenen waren, die wir in den winzigen Pausen platzender Bomben durch das offene Kellerfenster vernahmen.

Frau Müller, unsere Hauswirtin, die in Peenemünde als Sekretärin arbeitete, berichtete uns später, wie grauenvoll der Anblick jener war, die von Phosphor überschüttet zu Tode verbrannt in den Maschen der sie umgebenen Drahtzäune hingen.

Man überspringt wohl Monate in seiner Entwicklung wenn solche Katastrophen eintreten. 

Mit weit geöffnetem Mund stand ich im Herbst 1943 auf dem Vorplatz des Berliner – S - Bahnhofs Alexanderplatz, den ich kannte, da meine Eltern, 1937 eine Großkonferenz mit Präsident Heber J. Grant besuchten. (Ich sehe ihn immer noch in kleiner Entfernung dasitzen, umgeben von Missionaren.)

Statt der Häuser sah ich nur rußgeschwärzte Ruinen.

Wir wurden evakuiert. Mutter ging mit uns – mit meinem Bruder Helmut. meiner Schwester sowie mir, - nach Oberschlesien. Dort lebten einige Mitglieder ihrer Familie.

Vater kam im März 44 vom Genesungsurlaub zu uns nach Ratibor. Er verlangte unsere umgehende Rückkehr nach Wolgast. Er sah voraus, dass die Rote Arme bald als Sieger kommend in Schlesien einmarschieren würde. Zuvor hatte die deutsche Wehrmacht die Schlacht am Kursker Bogen verloren.

Wieder in Wolgast absolvierte ich, nun als Mitglied der „Flieger – Hitler- Jugend“ meinen ersten Start mit dem Schulgleiter SG 38. Ich flog in fünf, sechs Meter Höhe etwa 80 Meter weit.

Mir wurde nahe gelegt mich den Schülern meiner Klasse in Groß-Mölln in Hinter-Pommern anzuschließen. Dort wurden wir straff vormilitärisch ausgebildet. Splitternackt paradierten wir im Strandsand und übten Stechschritt, gemäß den Befehlen eines drei Jahre älteren HJ- Führers.

Frauen oder Urlauber gab es nicht

Nun gut 14 Jahre alt erhielt ich eines Herbsttages eine saftige Ohrfeige von einem SA-Mann, der das große Hakenkreuzenblem als Armbinde über seinem braunen Oberhemd trug. In einem Großzelt hinter dem heruntergekommenen Hotel Böttcher, indem wir bis kurz vor Weihnachten lebten, wurden wir geschult. Wir sollten verinnerlichen, das unser Leben dem Führer Hitler gehörte. Bis dahin war zumindest mir nicht bewusst, dass es dem großen „Führer“ darum ging uns Heranwachsende bald als gut vorbereitete Reserve und Kanonenfutter an die Front zu schicken. Wir sollten keine eigene Meinung haben, sondern Gehorsam lernen. Der kleine Nazi-Mann ereiferte sich, uns zu sagen, dass an allem Unglück die Juden schuld sind. Dabei fielen aus seinem Mund die Worte: „Schlau sind sie schon immer gewesen. Und ein besonders Schlauer schrieb die Bibel…“ Ich meldete mich. Er kam zu mir. Ich saß im Schulungszelt hinten. Er hörte mich sagen: „Nein, das ist nicht korrekt, die Bibel entstand im Verlaufe von Jahrhunderten.“ 

Peng!

Das saß und brannte eine Weile. Auch wenn ich in meiner Heimatstadt Wolgast selten Missionaren unserer Kirche begegnete und ihnen noch seltener zuhörte, war doch einiges haften geblieben. Zudem besuchte ich gelegentlich die „Gottesdienste“ der evangelischen Gemeinde – weil es bei uns während des Krieges keine oder nur hin und wieder Zusammenkünfte gab. Ich kann mich, bis heute, an gewisse Passagen der Predigten und Unterrichtsstunden erinnern. So erfuhr ich schon früh, dass die Bibel ein Buch vieler Bücher zahlreicher Schreiber war. Das wenigstens war in meinem Gedächtnis haften geblieben. Gebetet habe ich damals nicht.

Da erstürmten Russen im Oktober die Kleinstadt Gumbinnen in Ostpreußen, während die Alliierte Aachen, im äußersten Westen Deutschland, belagerten.

Wir wurden nach Ahlbeck, nahe Wolgast verlegt.

Im Winter 1945 begegneten wir wieder Mädchen.

Sie marschierten in Blöcken, wie wir, zum Fahnenappell .

Ihr Anblick entzückte nicht nur mich.

In ihren schwarzen Röcken sahen sie bezaubernd aus.

Außer mir trugen die Jungen ebenfalls schwarze Uniformen. Ich ging blaugrau gekleidet in der Tracht künftiger Piloten und sah so aus wie ein Sechzehnjähriger. Da sagten mir einige

Eines Tages steckte man mir einen Brief zu.

Ich öffnete ihn erst, als ich alleine war. Von einem postkartengoßen Foto lächelte mich ein liebliches Mädchen an. Eine strahlende Schönheit. In harmonischen Kurven geschrieben leuchteten für mich die Worte: An Gerd – deine dich ewig liebende Inge Zühlsdorf. (Später sah ich sie oft. Wir wechselten zu keiner Zeit irgendein Wort. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen oder tun können)

Anfang März nach Hause und aus der Schulpflicht entlassen, erhielten wir unsere Zeugnisse. Meins gehörte wohl zu den Schlechtesten. 16 Vieren und eine Zwei, und die ausgerechnet in Betragen, das mir selber selten oder nie gefiel.

Warum mein Klasenkamerad Gerhard Schröder gerade mich und meinen Freund Richard Schwenk, samt dessen Schwester Gerda zur Konfirmationsfeier eingeladen hatte, blieb mir ein Rätsel. Überhaupt, dass er Konfirmand sei blieb mir, wann immer ich daran dachte, unverständlich. Keiner von uns Abgängern der Volksschule glaubte an Gott, (ich selbst ein wenig). Selbst noch ein, zwei Jahre später glaubten viele Deutsche klammheimlich und wehmütig an Adolf Hitlers beste Seiten.

Unsere HJ-Führer gaben uns Mitte März den Befehl, zur Unterstützung der Rote-Kreuz-Schwestern. 

Wir begaben uns zum Wolgaster-Fähre Bahnhof. Es würde, am späten Abend, ein Verwundetenzug aus Swinemünde erwartet.

Während wir dem unvorstellbaren Ereignis mit Erregung entgegen sahen, hockte im kleinen Wartesaal ein beinloser Landser inmitten einer beachtlichen Anzahl von Seesäcken und sang Heitschi-bumbeitschi. Seine wunderschöne Stimme war leise und drang mir doch ins Herz.

Ein grobe Stimme raunzte „Los! Der Zug kommt!“

Wir stürzten ins Freie.

Ich weiß nicht, was ich erwartete, doch war in mir noch das Bild aus einer der deutschen Wochenschauen von eleganten, blitzsauberen Verwundetenzügen. Aber schon als sich die dunkle Silhouette der funkenschnaubenden Lok über der grauschwarzen Mahlzoer Anhöhe abzeichnete, beschlich mich ein Gefühl des Jammers. Als wir das Bremsen vernahmen rannten wir den Viehwaggons entgegen. Es war noch nicht völlig dunkel, sondern gerade hell genug, um mit Entsetzen die zerfetzten Planken zu sehen. Trotz des Fauchens der Lokomotive hörte ich die Hilfeschreie. Plötzlich war mir das ganze Ausmaß des Elends des Krieges bewusst. Meine Beine wurden weich, meine Glieder schlotterten.

Jemand schrie mit hoher Stimme der Empörung. „Sie haben den Zug beschossen!“ Aus anderer Richtung kam die Bestätigung: „Ja. Gerade jetzt, kurz vor Zinnowitz.“ Blitzschnell kam mir die Frage: Russische Ratta oder britische Spitfire? Da wollten sie noch mal zeigen was sie können. Und das, obwohl von einigen Dächern das aufgemalte Zeichen des Roten Kreuzes noch heraufgeleuchtet haben musste.

Als die Schiebetür, die sich unmittelbar vor mir befand, von einem hünenhaften WaffenSSlers geöffnet wurde, schlug mir Gestank entgegen. Der erste Mann, der vor mir lag, war tot. Ein Zweiter tastete sich mir entgegen, fiel mir um den Hals: „Kamerad, Kamerad!“ Sein Kopf war, bis auf den Mund umwickelt, der Verband schwarz. Ich konnte ihn geradeso auffangen. Mich durchströmte ein Gefühl von brennender Liebe und ohnmächtiger Wut.

Wir legten ihn und die anderen so schnell und so behutsam wie möglich auf Handkarren.

In einer der letzten Nächte unter deutscher Herrschaft, nachdem wir weitere Schwer- und Schwerstverletzte ins Wolgaster Behelfslazarett brachten, ertappte ich meine Mutter dabei, dass sie BBC-London lauschte. Gebeugt stand sie vor dem braunen Volksempfänger, ihre grüne Wolldecke um Kopf und Radio gewickelt. Unsere Schulungsoffziere hatten uns gelehrt auf Volksverräter zu achten. Beispielsweise wenn wir das Bum-bum-bum-bum des Todfeindes hörten, müssten wir handeln und den NSDAP- Ortgruppenleiter oder die Polizei informieren, sei es Vater oder Mutter. Als ich den Raum betrat drang genau dieses Signal bis auf mein Trommelfell.

In meinem Zorn fuhr ich sie hart an.

Sie kam ebenso zornzischend hoch. Ihre Augen funkelten herrschsüchtig. Sie wünsche nicht gestört zu werden. Ihre weichen brünetten Haare zerzaust, drückte die helle, nun verkniffene Stirn die ganze Kraft ihrer Persönlichkeit aus.

Ich war genügend empört und bereit sie anzuzeigen: “Ich rette Leben und du, du glaubst deren Feind!”

Sekundenlang dachte ich: Geh! Tu dein Pflicht als guter Deutscher!

Es war ein lautes Tosen in mir. Es bestimmte mich. Strafe muss sein!

Zu meinem ewigen Glück, zögerte mein besseres Ich.

Eine leise, klare Stimme sagte mir: Nein.

Ich stutzte, da ich mich so widersprüchlich wahrnahm.

In meiner Hilflosigkeit und aus Wut wegen der Einsicht, dass dieser, mein Krieg, nun verloren war, knallte ich die Tür ins Schloss.

Immer mehr Ostflüchtlinge trafen ein.

Ihr meist kleines Gepäck wurde von uns in die umliegenden Dörfer auf kleinen Handwagen gefahren. So schritt, eines nachts, eine hochgewachene Frau, eine ganze Stunde neben mir ohne in einziges Wort zu sagen, bis wir in Hohendorf ankamen. Was in ihrem Innersten vorging wollte ich wirklich nicht wissen. Vielleicht war ihr Mann gefallen und sie schaute nur in ein endloses, schwarzes Loch.

Ihren zum Turban gewickelten Schal sehe ich immer noch.

Die Stadt füllte sich mehr und mehr mit unversehrten Soldaten aller Waffengattungen.

Chaos.