Samstag, 29. August 2015

Dogmen und Dogmatiker


Unter Dogmen versteht man im Laufe der Kirchengeschichte durch die lehramtliche Autorität formulierte Sätze“ Wikipedia

Gesagt werden muss, dass selbst hochrangige Akademiker selten hinreichend Stellung zu modernen Forschungsergebnissen des Gebietes Alte Kirchengeschichte beziehen. Dies gilt insbesondere für die protestantischen Hochschullehrer der Theologie in den USA.
Es ist die Art und der Inhalt ihrer Mormonismuskritik die stutzig macht. Häufig wird zu viel Gewicht auf gewisse Lippenbekenntnisse und Lehrmeinungen gelegt wird, die nicht nur längst auf wackligen Füßen stehen, sondern die angesichts der weltweiten Herausforderungen vor denen wir allesamt stehen, banal und bestenfalls zweitrangig sind.
Etwa wenn es gebetsmühlenartig in den Vorlesungen und Veröffentlichungen aller Kategorien wiederkehrt:
„Wer nicht nicänisch glaubt ist kein Christ Dr. Mohler, im Juni 2007, in Blogalogue – Debates about Faith „Mormonism Is Not Christianity“: „The Mormon doctrine of God does not correspond to the Christian doctrine of the Trinity” u.a.
Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Um diese Feststellung kommt niemand herum. Sämtliche Dogmen des Christentums  sind neu zu hinterfragen, denn es kann um nichts anderes gehen als um die Wahrheit, von der zu viele kluge Leute sagen, es gibt sie nicht.
Entschieden mehr Anstrengungen müssen geleistet werden um eine vom Geist der Toleranz und des Humanismus getragene Einheitsabwehr gegen den aggressiv-militanten Islam  zu stellen, ganz im Sinne Christi der seinen Nachfolgern den Auftrag ins Herz senkte: Ihr seid das Salz der Erde!
Schon die komplette Parabel warnt, wenn das Salz  (von dem Jesus spricht) seine Würzkraft verlieren sollte, dann tauge es zu nichts mehr, als „weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden.“
Vom Standpunkt dessen, der die spezifischen Resultate der vergleichenden Religionswissenschaft kennt, ist es angesagt, deutlicher zu machen, dass die ersten 5 Konzilien weitaus mehr Unheil angerichtet haben als allgemein bekannt ist.  Zu gerne wird übersehen, dass sie unter enorm inakzeptablen Umständen zu Stande kamen und dass sie deshalb erneut kritisch betrachtet werden müssen.
Gewisse Passagen ihrer Texte – nicht die Gesamttexte - stehen auf der Kippe. Sie werden fallen.
Ihr diktatorischer Charakter hat die antike Welt in namenloses Elend gestürzt und nutzte den Gesellschaften von damals und  heute gar nichts.
Jedes Ergebnis der Geschichtsforschung zeigt, dass das 1. ökumenische Konzil zu Nicäa 325, die Voraussetzungen für die weltweite Unterdrückung von Meinungs- und Entscheidungsfreiheit schuf. In Nicäa wurde das erste Glied jener Kette geschmiedet, die den freien Geist in den engen grauenhaften Grenzen halten wollte, die von Kirchenpolitikern vom Typ und Rang des heidnischen Kaisers Konstantin, wie später die des Ambrosius von Mailand, des Cäsaropapisten Justinian I. und Innozenz III. gesetzt worden waren.
So schrecklich das ist, so wahr ist es leider. Noch erschreckender ist die Erkenntnis, dass fast alle um diese Führungsgestalten herum wirkenden Beteiligten wussten, dass das Jesusevangelium auf dem Boden von Gewalt verkümmern muss. Christentum und Gewalt schließen einander aus wie Feuer und Wasser. Dies ist schließlich die Botschaft Christi. Wo Gewalt herrscht ersetzt Heuchelei die Liebe doch ohne Liebe ist der Mensch ein Nichts. Moroni
Glücklicherweise kann der von Gott für ein Freisein geschaffene Mensch seine Kraft einsetzen Ketten zu sprengen, auch wenn die Aussicht auf Erfolg nur gering ist. Das darf und soll er tun, es sei denn, er hat sich aus Einsicht und Liebe zuvor freiwillig an Menschen und Prinzipien gebunden und hat keinen echten Grund diese Bindung zu lösen.
Was wir hinter uns sehen ist nicht die Geschichte des Christentums, sondern des zwingenden Konstantinismus. Er kam als gnadenlosen Muss. Neue Begriffe wurden gewaltsam mit und nach 325 ins originale Feingefüge christlicher Theologie getrieben. Jahrzehnt um Jahrzehnt verschärften kirchliche Machtidioten ihre Maßnahmen, um eine Symbiose von Staat und Kirche zu Lasten des Originals zuwege zu bringen und das Unding am Leben zu halten. Das System „Alte Kirche“ brach noch im 4. Jahrhundert zusammen, nachdem 380 das Gesetz zum Glaubenszwang Cunctos populos jeder anderen als der katholischen Religion das Existenzrecht raubte. Aus deren Trümmern allerdings bauten Generationen nicht unbegabter und oft auch gutwilliger Theologen ein neues, ganz anderes Haus und Lehrgebäude.
Berufungen auf Konzilien verlieren nun, da diese traurige Tatsache feststeht, ihre ursprüngliche Bedeutung. Wagen wir einen Blick auf die vorliegenden Forschungsarbeiten in Bezug auf
die ersten 5 Konzilien und ihre wichtigsten Dogmen
·         325 (Ökumenisches Konzil von Nicäa): Dreieinigkeit, am Anfang des Arianischen Streites
·         381 (Ökumenisches Konzil von Konstantinopel): Nicäno-Konstantinopolitanum, beendete den Arianischen Streit
·         431 (Ökumenisches Konzil von Ephesus): Maria ist Gottesgebärerin (theotokos).
·         451 (Ökumenisches Konzil von Chalcedon): Christologie, Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, unvermischt und ungeschieden.
·         553 (Ökumenisches Konzil von Konstantinopel II): Christologie, beendete den Dreikapitelstreit.
Sie und zwei weitere sind weitgehend Glaubensbasis aller weltweit wirkenden Großkirchen. Sie genießen dort ihre fragwürdige Anerkennung. Die meisten Texte stehen natürlich nicht in der Kritik, doch betrachten wir zunächst
das strittige Element des 1. Konzils
 „wie uns die christliche Wahrheit zwingt, jede Person einzeln für sich als Gott und als Herrn zu bekennen, so verbietet uns der katholische Glaube, von drei Göttern oder Herren zu sprechen.“ Authentisch: Athanasianisches Bekenntnis
Wenn mich die christliche Wahrheit zwingt irgendetwas zu bekennen, mit welchem Recht will mir dann ein Irgendwie-Glaube dies verbieten?
Das strittige Element des 2. Konzils
ist die Fortschreibung und Bekräftigung des Antiarianismus.
Zur Systematik:
Exponenten des 1. Konzils waren neben Kaiser Konstantin, der Presbyter Arius und Diakon Athanasius
Konstantin (285-337) wollte  das Christentum zur Basisreligion des Imperiums zu machen, allerdings unter der Voraussetzung, dass sein eigenes Gottesbild das Vorbild für den Glauben aller Christen wird.
Zwei gegensätzliche Betrachtungsweisen standen zur Diskussion. Die jeweiligen Hauptsprecher kirchlicherseits waren der Älteste Arius (260-337) und Athanasius (296-373), ein Diakon einer der Gemeinden Alexandrias, Ägypten. Er bestritt strikt, dass Jesus dem Vater untergeordnet ist und dass er als Auferstandener, wie sein Vater, menschliche Gestalt und ein Angesicht hat.
Damit entsprach er im Wesentlichen Konstantins Vorstellungen.
Arius (260-337) widersprach dem zwar nicht heftig, aber entschieden, und es darf angenommen werden, dass die Mehrheit der Bischöfe (Gemeindevorsteher) innerhalb des römischen Reiches, hinter ihm standen. (89 Prozent waren aus sehr wahrscheinlich guten Gründen nicht angereist)
Athanasius konterte u.a. mit den Worten
„Leute die (wie Arius)  glauben sind keine Christen... Sie sind die Erfinder von Gotteslästerungen und in Wahrheit die Gottesfeinde, da sie sich, um den Sohn nicht als Bild des Vaters anerkennen zu müssen, vom Vater selbst leibliche und irdische Vorstellungen machen...“  Maßgebliche Werke des Hl. Athanasius in der Übersetzung der "Bibliothek der Kirchenväter" Aus der 1. Rede
Vernehmlich in Kaiser Gegenwart zu sagen Arianer seien Gottesfeinde, musste die Gefühle der meisten Christen verletzen, musste aufschrecken. Dieser Begriff rief Hass herauf, wurde zur Parole. Alexander, der Bischof des Athanasius goss Öl ins Feuer: „Dem Arius muss man Widerstand leisten bis aufs Blut“ E.F. Klein „Zeitbilder der Kirchengeschichte“
Hasspredigten vom Lesepult aus führten sehr bald zu Gewaltanwendung.
Der bekannte Theologe Schleiermacher kann jedenfalls nicht umhin festzustellen, dass „Athanasius... das Signal zu den Verfolgungen gegeben hat. Schon auf dem Nicänischen Konzil mag er die Hauptursache des strengen konstantinischen Dekrets gewesen sein... Er fängt überall mit Schimpfen und Heftigkeit an und ist unfähig und unbeholfen im Disputieren.“ Joachim Boekels, Dissertation: Schleiermacher als Kirchengeschichtler
Athanasius Anklagen verstummten nie wieder:
„Unter Rückgrif auf typische Formen der Polemik greift Athansius seine Gegner an und diskriminiert ihre Handlungsweise grundsätzlich ... dass  die Arianer sich wie dauernd umherschwirrende Stechmücken verhalten, ist eine Metapher. Die Athanasius immer wieder verwendet.“ Annette von Stockhausen „Athanasius von Alexandria Epistula ad afros.“
Adolf von Harnack stellt fest, dass seit Athanasius Wirken „die Sprache das Hasses die Kirchen“ erfüllte „Lehrbuch der Dogmengeschichte“
Schon die Art, wie Athanasius nach dem Tode seines Bischofs Alexander 327 sich „in einer Art Husarenritt von einer Minderheit zu seinem Nachfolger“ wählen ließ, hätte auch seine Sympathisanten stutzig machen müssen. Jetzt will er Metropolit und mehr werden! Bösartig provoziere er den Widerstand seiner Gegenspieler um sich selbst wichtiger zu machen.
Seine Reden wurden immer schärfer. Im scharfen Ton eines
kommunistischen Kommissars der 20er Jahre gegen Kulaken und angebliche Konterrevolutionäre hetzte der Häretiker: „Ich glaubte, die Heuchler des arianischen Wahnsinns würden sich auf das, was ich bisher zu ihrer Widerlegung und zum Erweis der Wahrheit vorgebracht habe, zufrieden geben und nunmehr sich ruhig verhalten und bereuen, was sie vom Heiland übel gedacht und geredet haben. (Er sei dem Vater nachgeordnet) Sie aber geben in unbegreiflicher Weise auch jetzt noch nicht nach, sondern wie Schweine und Hunde in ihrem eigenen Auswurf und Kot sich wälzen, so erfinden sie vielmehr für ihre Gottlosigkeit neue Wege.“ Maßgebliche Werke des Hl. Athanasius in der Übersetzung der "Bibliothek der
Kirchenväter" (auch in RTF-Format) Aus der 1. Rede
Man spürt, wes Geistes dieser Mann ist. Wer nicht glaubt wie er, der ist gottlos, die „…Arianer (sind) keine Christen... Sie sind die Erfinder von Gotteslästerungen…“  ebenda
Athanasius, der geborene Politiker sucht Verbündete, auch unter den Paganen, er bedarf der Unterstützung aller Kreise die ihm irgendwann nützlich sein könnten. Darin ist er nicht erfolglos. Man spürt jedoch, wer er ist. Kaiser Konstantin ist indessen verärgert, als er vernimmt, was sein Chefideologe da im fernen Alexandria treibt. Konstantin mag zu den rücksichtslosesten Machtmenschen aller Zeiten gezählt werden, doch an Frieden und Stabilität in seinem Reich lag ihm, aus wiederum egoistischen Gründen, viel. Kaiser einer Horde Barbaren zu sein, wäre wenig schmeichelhaft für ihn gewesen.
Beschwerden über Athanasius, als Kirchenfürst und heimliches Haupt Alexandrias, waren bald bei Hofe eingegangen. Deshalb ordnet der Imperator bereits 328 Ruhe an, und was den Intimfeind des Athanasius angeht „dass Arius wieder in die Kirchengemeinschaft Alexandrias aufgenommen wird, ... „doch Athanasius weigerte sich aus Gründen der Rechtgläubigkeit...“
Nach Manfred Jacobs erhebt sich hier jedoch die wichtige Frage „ob es Athanasius wirklich entscheidend um die Rechtgläubigkeit gegangen sei, sondern darum, seine Stellung als Metropolit Alexandria zu festigen und auszubauen...“ „Die Reichskirche und ihre Dogmen...“
Als Arius um 330 ankündigte, er werde nun doch einer anderen Kirche angehören als Athanasius, und als Konstantin vernimmt,
dass dieser kleine junge Mann ihm trotzt erregt sich der Kaiser. Noch richtet sich sein Zorn nicht gegen Athanasius. In seiner Wut, da er einsehen muss, dass das Konzil zu Nicäa letztlich nur den Hader vergrößert hat, während er Athanasius theologisch nicht widersprechen darf, wenn er sich selber nicht unglaubwürdig machen will, „befiehlt Konstantin nun die Bücher des Arius zu verbrennen und seine Anhänger fortan „Porphyrianer“ zu nennen. Das heißt, sie den schlimmsten Christusfeinden gleich zu setzen... Die Besitzer arianischer Bücher sollen sogar mit dem Tode bestraft werden.“ Das berichtet Sokrates
Scholasticus. Rudolf Lorenz, „Das vierte Jahrhundert“

So „verfolgte (Konstantin) die Arianer, - und die Orthodoxen haben das gebilligt.“ A. von Harnack „Lehrbuch der Dogmengeschichte“
Dann kippt die Grundhaltung Konstantins. Er der viele Probleme zu lösen hat, befiehlt definitiv Ruhe an.
Aber Athanasius ist taub, er geht stur voran. Er rechtfertigt sich vor dem Kaiser mit Beteuerungen, der Kaiser und er seien die Opfer arianischer Verleumdungen. Die Forschung weiß es besser und es ist anzunehmen auch Konstantin: „Die These von der Opferrolle des Athanasius kann... aufgrund der 1913 u 1914 von H. J. Bell aufgefundenen Papyri bezweifelt werden, in denen die beiden melitianischen Kleriker Callistus und Pagenus über die Brutalität berichten, mit der Athanasius die Melitianer verfolgt habe.“ Patricia Just, „Zum Verhältnis von Staatsgewalt und christlicher Kirche zwischen dem 1. Konzil zu Nicea (325) und dem 1. Konzil zu Konstantinopel“

Unter diesen Vorzeichen beginnt die Synode zu Tyrus 335.
Christoph Markschies sagt: „Wir kennen ein (für Athanasius) wenig schmeichelhaftes Stimmungsbild der Situation in Alexandria aus der Feder eines Melitianers aus dem Jahr 335: ein Bischof dieser Gemeinschaft aus Leontopolis, der in die Hafenstadt gekommen war, wurde von betrunkenen Soldaten überfallen und sein Begleiter inhaftiert. Es gab Tote. Nach Karl Holl handelte es sich um ‚Maßnahmen’, die Athanasius ergriff, um das Treffen einer melitianischen (arianischen G.Sk.) Synode in seiner Heimatstadt zu verhindern.“  Christoph Markschies, „ Alta Trinita Beata: Gesammelte Studien zur
altkirchlichen Trinitätstheologie“
„Fünf melitianische Bischöfe beschuldigten Athanasius in Tyrus 335, dass er sie habe prügeln lassen.“Rudolf Leeb, „Konstantin und Christus“
Konstantin konnte es nicht mehr ertragen. Was bildete sich der ‚schwarze Zwerg’, ein. Er verbannte ihn nach Trier, stellte ihn unter Aufsicht seines ältesten Sohnes Konstantin des Jüngeren.
„Das Ergebnis der Synode von Tyrus brachte... den endgültigen Bruch zwischen Athanasius und Konstantin.“ Patricia Just, „Zum Verhältnis von Staatsgewalt und christlicher Kirche zwischen dem 1. Konzil zu Nicea (325) und dem 1. Konzil zu Konstantinopel (381)“ Unter „Androhung der Verbannung war Athanasius zum Erscheinen aufgefordert worden. Dabei hatte er zu seiner Unterstützung 48 ägyptische Bischöfe mit nach Tyrus genommen, die nicht eingeladen waren“ Rudolf Lorenz „Die Kirche in ihrer Geschichte – Das vierte Jahrhundert“
es half ihm alles nichts. Er war zu weit gegangen. Einfluss auf diesen Gang der Ereignisse wird auch Konstantins Halbschwester Konstantia genommen haben. Bereits zum Zeitpunkt des 1. ökumenischen Konzils 325, erkannte Konstantin, dass er an ihr einiges gut zu machen habe. Er hatte seinen Eid gebrochen den er ihr geleistet, indem er ihren Ehemann Mitkaiser Licinius ermorden ließ, nachdem er ihn entmachtete. 312 waren sie Waffenbrüder gegen Maxentius gewesen, 313 hatten sie gemeinsam das Toleranzreskript von Mailand unterschrieben, aber dann kam es zu den abzusehenden Spannungen weil Konstantin sich außerstande sah zu teilen. Die Universalmonarchie oder nichts! Diese Idee muss ständig durch das Hirn des Machtgenies gezuckt sein…

Soweit römische Militär- und Staatsmacht reichte herrschte Angst unter den Arianern, bis  Konstantins Gesinnungswandel eintrat. Dieser allerdings sollte weder Arius selbst noch seinen Anhängern Frieden bescheren, denn am Tag vor seiner vollen Rehabilitation verstarb Arius unter sehr verdächtigen Umständen. Falls die Schilderung der Umstände durch Sokrates Scholastikus (Kirchengeschichte 1, 38) zutreffend ist, deuten die Symptome eher auf eine Verabreichung von weißem Arsen hin, als auf einen Zufall.
Alexander von Konstantinopel (250-337), Metropolit, ein fanatischer Unterstützer des Athanasius sah zutiefst erschüttert, dass der Kaiser – möglicherweise rechnete er sich Vorteile aus – die volle Versöhnung des Arius mit der Kirche wünschte. Das musste weitreichende Folgen für die katholische Sache haben.  Dringender als je zuvor, erheben sich einige Fragen. Darunter die ob es wahr ist, dass dieser fromme Herr in seiner Basilika zu Konstantinopel laut gebetet hatte:

"dass entweder er oder Arius aus der Welt 
entfernt würden"

Ist es völlig abwegig zu denken, dass einer der Hasser des Arius Mitglied des willfährigen Klüngels des Metropoliten Alexander, diese an Gott gerichtete Bitte als Auftrag zum Mord verstand? 

Wann und warum verlieh die römisch-kath. Kirche Alexander von Konstantinopel den Ehrentitel eines Heiligen?
Athanasianer wurden nun weiterhin Orthodoxe und Katholiken genannt. Die Arianer aller Richtungen galten allerdings nicht mehr überall im Reich als Ketzer und Reichsfeinde. Vor allem im Osten um Antiochia waren sie stark.
Konstantins Söhne bekannten sich unterschiedlich.

Constantius II. (317-361)  war entschiedener Arianer


Sein Bruder Constans (320-350) stand auf der Gegenseite. Er hatte klugerweise, für 343, „ein gemeinsames Schlichtungskonzil nach Serdica an der Grenze der beiden Reichsteile einberufen und sein Bruder (Constantius) ging darauf ein. Die Bischöfe des Westens bestanden auf einer Teilnahme des verbannten Athanasius.
Daraufhin verweigerten die Orientalen ihre Mitwirkung. Beide Gruppen exkommunizierten sich gegenseitig. Bei der nächstfolgende Schlacht um den Stuhl von Konstantinopel soll es 3510 Tote gegeben haben...“
Constantius war zu Kompromissen bereit „... nach dem Sturz des
(katholischen) Constans durch Magnentius 350 suchte Athanasius bei dem Usurpator Unterstützung gegen Constantius. Diese hochverräterischen Beziehungen kamen ans Licht, und der Kaiser ließ Athanasius durch 2 Synodalbeschlüsse 353 und 355 in Mailand zum 3. Mal absetzen.“ A. Demand „Geschichte der Spätantike“

Doch Athanasius fiel immer wieder auf die Beine. Die gesamtpolitischen
Umstände waren ihm günstig. Sein Hauptanliegen, seine persönliche
Gottesvorstellung durchzusetzen, sollte schließlich mit Hilfe rücksichtsloser, vorrangig politisch orientierter Christen gelingen. Dass dabei die von Goten gestiftete deutsche, arianische Kirche vernichtet wurde ist ein anderes Blatt im Geschichtsbuch.
Kaum im Bewusstsein der Anhänger sowohl der katholischen wie der protestantischen Richtungen ist die geradezu unerträgliche Fortsetzung und Wiederholung der beiden inkorrekten Behauptungen bis in die Gegenwart:
-     Arius leugnete die Gottheit Christi
-     „Die arianische Häresie erschütterte die Welt“ (Hertling)
Dem Ersten steht das Glaubenskenntnis des Arius gegenüber, dem zweiten die damalige Inkraftsetzung des Gesetzes zum Glaubenszwang „Cunctos populos“, vom 27. Februar 380, unmittelbar vor Beginn des  Nicäno-Konstantinopolitanums.
Der berühmte Arianer Wulfila der im 4. Jahrhundert wirkte, bekräftigte, was er von Arius gelernt hatte:

 „Jesus ist der „filius unigenitus, Dominus et noster... (M Pl. Suppl. I. 707) ... er glaubt an Gott den Vater und an seinen  eingeborenen Sohn, unseren Herrn und Gott, Werkmeister und Bildner der gesamten Kreatur, der seinesgleichen nicht hat.“ Auth. Bekenntnis des Gotenbischofs Wulfila
Diese Definition der arianischen Christen spricht für sich und vehement gegen deren angebliche Leugnung der Gottheit Christi. Wer jedoch ernsthaft bedenkt, dass der Hauptanspruch der Katholiken seit Nicäa, 325, lautete: Gott hat kein Angesicht, sollte sich erinnern, wie viele Menschen wegen ihres Widerstandes gegen solche Behauptung ihre Freiheit und ihr Leben verloren. Sicher ist nur, dass es millionenfach geschah. Michael Servet der Schweizer Arzt unter der Diktatur des Reformators und Trinitariers Calvin, wurde noch 1553 wegen seines Bekenntnisses, Gott habe ein menschliches Angesicht verbrannt.
Was aber nun? Papst Benedikt XVI. wagte in seiner 1. Enzyklika   am 23. Januar 2006, was bislang als Verbrechen gegenüber dem Nicänum, galt, indem er erklärte: Gott hat ein menschliches Angesicht!
Dantes „Göttliche Komödie“ habe ihn ... inspiriert, ... wo ein „kosmischer Ausflug“ im inneren des Paradieses zum innersten Licht der Liebe führe, „die Sonne und Sterne zugleich bewege“. – Das tiefste Innere dieses unzugänglichen Lichtes sei jedoch nicht etwa ein noch gleißenderes Leuchten oder noch helleres Scheinensondern das zarte Gesicht eines Menschen, das dem Seher da endlich auf seiner Suche entgegentrete. Dies sei „etwas vollkommen Neues“. Das menschliche Antlitz Jesu Christi, das Dante im Inneren des innersten Geheimnisses Gottes erkenne, sei „noch viel bewegender als die Offenbarung Gottes in der Form des Dreifaltigen Kreises von Erkenntnis und LiebeGott, das unendliche Licht, ... besitzt ein menschliches Gesicht.“
Während seiner Begegnung mit den Priestern der Diözese Rom am 22. Februar 2007, also ein Jahr später, erhärtet Benedikt: 

 „Gott ist nicht bloß ein ferner Schatten, eine »erste Ursache«, sondern er hat ein Antlitz: Es ist das Angesicht der Barmherzigkeit, das Angesicht der Vergebung und der Liebe, das Angesicht der Begegnung mit uns. Diese beiden Themen durchdringen sich also gegenseitig und müssen immer zusammengehen.“
Nicht also die angeblich arianische Häresie, sondern der Geist Konstantins, der Geist der Diktatur, den die Kirche von ihm übernahm, sollte die Welt tatsächlich erschüttern. Das wird deutlich wenn wir den Blick auf die Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten ökumenischen Konzil lenken. Im Zentrum der historischen Ereignisse steht Bischof Ambrosius von Mailand.
Er legte nach. Er wird die Basis des athanasianischen Bekenntnisses mit kaum überbietbarer Brutalität  entschieden verstärken.
Niemand will ihm die Ehre rauben in guter Absicht gehandelt zu haben. Ambrosius (339-397) war ein kluger, prinzipienfester Mann.
Aus Sicht des Mailänder Kaiserhauses, der flüchtigen, hilfesuchenden Ostgoten, aller Arianer, aller Hellenen, Manichäaer, Mandäer, der Isisgläubigen, der Buddhisten, kurz gesagt aus der Perspektive sämtlicher Nichtkatholiken,  war er jedoch ein Monster.


Fortsetzung folgt

Donnerstag, 27. August 2015

"Die vergessenen Söhne Ismaels" by Gerd Skibbe




1570, während des vorletzten Maurenaufstandes verliert der deutsche Söldner, Bernhard Gottschalk, der ursprünglich  in französischen, dann in spanischen Diensten stand, seine muslimische Familie.
28 Jahre sucht Bernhard, wegen seiner Konversion zum Islam, Abu Aibak genannt, seinen Sohn Asmai.

Im Sterbejahr König Philipp II. 1598, erhält Bernhard einen Brief von gleich gesinnten Freunden. Sie teilen dem alten Mann mit, dass sie wahrscheinlich Asmai gefunden haben. Er soll als Waise in ein Franziskanerkloster gekommen sein und nennt sich nun Dr. Zurita Simanca.
Er sei angesehener Mitarbeiter des Erzbischofs zu Valencia, der jedoch ein fanatischer Feind der Maurisken  ist.
Ist es Asmai, der verschollene Sohn?
Haben die beiden Männer eine Chance einander zu finden?
Oder wird der Konflikt der verfeindeten Gruppen jede Anbahnung vereiteln?
Wie geht das Ringen zwischen Spanien und den Maurisken aus?
Werden die neuen Machthaber Spaniens die, 1492, durch die Könige Isabella und Ferdinand verbrieften Rechte, erneuern oder wird das Imperium aus guten Gründen noch einmal wortbrüchig handeln?

Lässt sich zwischen Christentum und Islam jemals eine Brücke bauen, oder ist die Kluft unüberwindlich?



Autor Gerd Skibbe hat sich fast 60 Jahre lang mit der Geschichte des Christentums beschäftigt. Vor allem auf der Basis der von Rochau verfassten Chronik „Die Moriscos in Spanien“, Leipzig 1853, schrieb er „Allahs Söhne“, nun umbenannt in „Vergessene Söhne Ismaels.



Die vergessenen Söhne Ismaels by Gerd Skibbe

 Malaga 1598

Einen Brief und sein Schicksalsprotokoll in der sehnigen Rechten streckte sich der etwa sechzigjährige Mann Bernhard Gottschalk. Er stand an dem kleinen, weit geöffneten Fenster seines weißgetünchten, einfachen Zimmers und stöhnte. Die alten und die neuen, die inneren und äußeren Verwundungen machten ihm zu schaffen. Gedankenversunken blickte er auf das grell blinkende Mittelmeer. An diesem lichtdurchfluteten Februarmorgen hatte er von treuen Freunden, die ihn schon lange Abu Aibak nannten, aus dem weit entfernten Valencia, gute und zugleich ungute Nachrichten erhalten. Seine Verwirrung war unbeschreiblich.
Unmittelbar nach der Entsiegelung des Papiers, war ihm zuerst aus froher Erregung erhitztes Blut in den Kopf geschossen, dann drohte es, seiner scharfen Empörung wegen, zu stocken.
Innerhalb eines Satzabschnittes dieses Briefes, der aus der Feder des berühmten mauriskischen Wasserrichters Don Hernando Ruiz stammte, kamen aus entgegengesetzten Ecken die größtdenkbaren Gegensätze, wie zwei kampfeslustige Angreifer, auf ihn zugestürmt: „Lieber Abu Aibak“, hieß es in der Post aus Valencia, „plötzlich verdichteten sich unsere Vermutungen bezüglich Asmai, Deinem Sohn. Wir hörten ihn in unserer Gemeinde predigen. Asmai lebt. Er gehört zu den engsten Mitarbeitern des Erzbischofs Don Juan de Ribera.“
Das war die Freude und Entsetzen verbreitende Botschaft. Hass und Liebe in einem: Sein lieber, seit zahllosen Jahren, vermisster Sohn Asmai lebte - und stand auf der anderen Seite der Front.
Bernhard kam sich vor wie ein Mann der nichts mehr ersehnte als eine Umarmung von seiner geliebten Frau und der soeben den Beweis erhielt, dass sie die Treue gebrochen hat. Er war wie einer, der davon zu rennen wünschte, um vor dieser schrecklichen Wahrheit zu fliehen, die ihn aber an jedem Fleck der Erde einholen wird.
Abu Aibak drehte sich ab, senkte den weißen, kurzgeschorenen Kopf, ging einige Schritte und warf schließlich die beiden Dokumente ratlos und betroffen auf den Tisch. Dann ließ er sich schwer auf den Polsterstuhl niederfallen. Es summte in seinem alten Schädel: „Dein Sohn Asmai gehört zu den engsten Mitarbeitern de Riberas.“
An seiner Stirn pochte eine Ader während sich seine noch scharfen Augen an sein altes Gerichtsprotokoll hefteten.
Der von islamischem Denken geprägte Mann wog den markanten Kopf. Uriel ben Naad, der Bote und Übermittler des schwerwiegenden Briefes, hatte ihm nämlich mitgeteilt, dass seine Freunde in Valencia ihm raten, ihnen dieses, sein Sancerredokument auszuhändigen. Das war eine Zumutung - und zugleich unumgänglich, das hatte er schon nach nur kurzem Nachdenken einräumen müssen. Es war ja für Asmai bestimmt. Seinetwegen hatte er das Gerichtsprotokoll wie seinen Augapfel gehütet.
Sie wollten es ihm zu lesen geben, damit Sohn Asmai sich sein eigenes Urteil bilden kann. Vielleicht aber war es dann das letzte Mal, dass er, Aibak, sein Zeugnis, seinen einzigen Beleg für eine der wahrscheinlich unglaublichsten Landsknechtsgeschichten aller Zeiten, in seinen Händen hielt. Sohn Asmai könnte es aus Fanatismus ins Feuer werfen! Oder wird ihm dieses Dokument helfen, einen Weg zu seinem Vater zu bahnen?
Es dröhnte in ihm. Er sah nur unüberbrückbare Gegensätze. Hier ein maurisch-ketzerischer Vater und da der Sohn als engster Mitarbeiter eines Klerikers, der nichts in der Welt mehr hasste als maurische Rebellen. Abu Aibak schob sein starkes Kinn vor. Und bald, von weiteren Fragen getrieben, überflog er noch einmal die wenigen in Französisch geschriebenen Seiten, die er zumindest passagenweise längst auswendig kannte. Mit welchen Augen wird Asmai diesen für sie beide  so wichtigen Bericht aufnehmen?
Abu Aibak schlug mit leicht zitternden Händen, den braunen Lederdeckel auf, um sich noch einmal zu versichern, ob die vorliegenden Zeilen hinlänglich Auskunft über seinen Lebenskampf und seinen besten Willen geben können: 

Einleitendes Verfahren
Causae expositio praeparatoria

Erste Sitzung am 8. März 1573, im kleinen Ratssaal des Bürgerhauses zu Sancerre.

Vorsitzender ist Magister Jean Conseur, Doktor beider Rechte, Michel Jaquier, bevollmächtigter Berater, ehrenwerte Mitglieder der Reformiertengemeinde zu Sancerre: Francois Dunois, Henri Colin, Gerard Drappier, die Notare Jean Baptiste, Domenique Favre und der Angeklagte.

Magister Dr. Conseur: „Dieser Mann, den ihr hier seht, wurde am zweiten Weihnachtsfeiertag, zwei Wochen nach Beginn der Belagerung unserer Feste Sancerre, auf Zeugenaussage und Anzeige, gefangen genommen. Wie ich lese, wurde er schon einmal verhört.
So ist das.
Ihm wird Beteiligung an der Ermordung unseres Admirals Coligny und des Grafen Cuvier vorgeworfen. Der Verdacht ist dringend.
Ein glücklicher Zufall hat ihn uns übergeben. Es ist unsere Pflicht, vor Gott dem Allweisen die ganze Wahrheit offen zu legen. Amen.
Nun, Angeklagter Bernhard Gottschalk, tretet vor. Leistet euren Eid. Jede euch hier vorgelegte Frage habt ihr gemäß der Wahrheit zu beantworten. Ich ermahne euch dringlich, nicht zu täuschen. Wir haben, gemäß Umständen, viel Zeit, uns gründlich mit eurem Fall zu befassen. So ist das!
Unsere katholischen Todfeinde, mit den Guisenherzögen an der Spitze, stehen Gewehr bei Fuß vor unseren Mauern.
Sie werden nicht ablassen, uns zu belagern.
Aber wir haben Getreide und Wasser und genügend mutige Verteidiger. Hofft also nicht, dass eure Freunde euch befreien werden.”
Der Angeklagte: „Ich werde die Wahrheit sagen und alle Fragen beantworten, so gut ich kann. Doch das will ich noch einmal beteuern. Die da draußen sind auch meine Feinde. Würden sie herausfinden, wer ich bin, wäre ich des Todes. Ich habe niemanden ermordet. Wenn ich jemals tötete, dann nur aus Notwehr.”
Magister Dr. Conseur: „Ihr redet und schwört nur, wenn wir es euch sagen. Kniet euch hin!”
Der Angeklagte kniet nieder und legt beide Hände auf die Bibel, er hebt dann den rechten Arm und spricht die Worte nach, die ihm der Vorsitzende des Tribunals, Magister Doktor Conseur, vorsagt.
Magister Dr. Conseur: „Für die ungebührlich lange Zeit der Inhaftierung werdet ihr, falls sich wider Erwarten erweisen sollte, dass ihr unschuldig seid, entschädigt. So ist das!
Nach Art der Reformierten. Nennt mir euren Namen und Herkommen.”
Der Angeklagte: „Ich bin meiner Herkunft nach ein Deutscher und heiße daheim Bernhard Gottschalk.”
Magister Conseur: „Was  ist der Grund eures Aufenthaltes in unserer Stadt?”
Der Angeklagte: „Ich kam hierher, weil ich erfuhr ich würde unter den Flüchtlingen, die von der Feste Sancerre aufgenommen wurden, Monsieur Nicolas, einen Diener des Grafen Coligny, treffen.”
Magister Conseur: „Habt ihr Monsieur Nicolas getroffen?”
Der Angeklagte: „Ihr wisst Monseigneur, dass ich ihn traf. Am zweiten Weihnachtsfeiertag.”
Magister Conseur: „So ist das! Monsieur Nicolas erkannte in euch den Mann, der den Leichnam unseres Admirals schändete.”
Der Angeklagte: „Das war ein unseliger Zufall, ein Missverständnis, das ich aufklären kann.”
Magister Conseur: „Wir fragen euch Angeklagter. Wisst ihr, warum Sancerre belagert wird?
Der Angeklagte: „Ich weiß sehr wohl um die Zusammenhänge. Aber es könnte mir übel ausgelegt werden darüber zu reden.”
Magister Conseur: „Sprecht nur! Euer Leben ist in Gottes Hand.”
Der Angeklagte: „Es gibt zwei religiöse Parteien in Frankreich, die katholische Königspartei mit den Guisenherzögen auf der einen und die Reformierten - die Hugenotten - auf der Gegenseite. Die Königsseite beabsichtigt die Reformierten in die Knie zu zwingen. Ich weiß, dass es ein Kampf auf Tod und Leben ist.”
Magister Dr. Conseur: „Da sagt ihr die Wahrheit. Es ist der Riss, der auch durch euer Deutschland geht. So ist das. Wir werden herausfinden, auf welcher Seite ihr steht. Könnte es möglich sein, dass euer richtiger Name Dianowitz lautet?”
Der Angeklagte: „Ich habe gehört, dass der Mörder des Admirals Coligny ein Deutscher sein soll. Aber ich schwöre, ich war es nicht, noch habe ich mich jemals einer Leichenschändung schuldig gemacht.”
Magister Dr. Conseur: „Geschworen habt ihr schon. Habt ihr es nicht ernst genommen?
Sagt uns eurer Alter und wo ihr geboren wurdet!”
Der Angeklagte: „In diesem Jahre werde ich zweiunddreißig Jahre alt. Ich bin am 18. Juli im Jahre unseres Herrn 1539 in der altehrwürdigen Herzogstadt Wolgast zur Welt gekommen.”

Magister Conseur: „Seid ihr dort getauft worden? Nennt uns auch den Namen des Priesters.”
Der Angeklagte: „Es hieß, ich sei an meinem Geburtstag getauft worden, weil ich den andern Tag, wie meine Eltern glaubten, nicht erleben würde. Dr. Gershon, denke ich, hat mich getauft, in der Sankt Petruskirche, die dort nahe am Marktplatz steht.”
Magister Conseur: „Wie heißt euer Vater?”
Der Angeklagte: „Meines Vaters Taufnamen war Franz, aber ich kenne meinen Vater nicht. Mein Stiefvater hieß Karl Metz und meine Mutter nannte sich Marie.”
Magister Conseur: „Ihr sprecht von euren Eltern wie von Toten. Wie lange lebt ihr von ihnen getrennt?”
Der Angeklagte: „Fast neunzehn zwanzig Jahre sind es her! Nachdem ich fünfzehn wurde, bin ich von daheim weggelaufen.”
Magister Conseur: „Also aus Übermut habt ihr eure Heimatstadt und euer Elternhaus verlassen. Und wohin habt ihr euch gewandt?”
Der Angeklagte: „Ich war jung und verspielt. Ich hielt die Welt für schöner als mein Zuhause. Mein Stiefvater wollte mich schlagen.“
Magister Conseur: „Warum, Angeklagter Bernard, wollte euch euer Vater strafen?
Bernhard: „Mein Stiefvater war ungerecht zu mir. Er schlug mich bei jeder Kleinigkeit. Ich hätte ihm sein Brot gestohlen. Aber ich war stärker als er...”
Magister Conseur: „Ihr habt euch gewehrt!”
Bernhard: „Ja.”
Magister Conseur: „Und dann?”
Bernhard: „Ich bin zum Hafen hinuntergelaufen. Da lag ein Getreidesegler und es war schon dunkel.”
Magister Conseur: „Hat man euch nicht gelehrt, dass der Zorn nur böse Früchte hervorbringt?”
Bernhard: „Euer Hochwürden, ich bin kein jähzorniger Mensch!”
Magister Conseur: „Hitzig seid ihr. So ist das!
Wo landete das Getreideschiff, mit dem ihr in die Fremde geflohen seid?”
Bernhard: „In Ostende.”
Magister Conseur: „Und was geschah nach eurer Ankunft in Ostende?”
Bernhard: „Ich verstand kein Wort, als ich entdeckt wurde. Der Bootsmann verkaufte mich noch am selben Tag an einen Werber, an einen Franzosen, wie ich meine. Es herrschte ein großes Durcheinander. Ehe ich begriff, was geschah, befand ich mich bereits als Söldner in Diensten eines fremden Herrn. Wir sind viel umhergezogen. Einmal hieß es, wir gehen nach Italien, dann wieder, wir müssten nach den Niederlanden. Das ist eine lange Geschichte.”
Magister Conseur: „Überlasst es dem hohen Gericht, welcher Auskunft wir bedürfen. Habt ihr auf diese Weise gelernt, französisch zu reden?”
Angeklagter: „Ja. Drei Sommer lang lag ich zumeist mit Franzosen unter freiem Himmel.”
Magister Conseur: „Da habt Ihr mancherlei gelernt, vor allem zu töten.”
Angeklagter: „Wochenlang ging es ruhig zu, dann haben wir uns gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, das ist wahr, denn wir befanden uns im Kriegszustand.”
Magister Conseur: „Worum ging es in diesem Krieg, Angeklagter?”
Bernhard: „Richtig begriff ich das erst später, als ich ein Mädchen lieb gewann, die es mir mit einfachen Worten erklärte. Das katholische Spanien wollte überall vorherrschen. Aber die Reformierten, und auch die Franzosen und selbst der Papst hassten das.”
Magister Conseur: „Von welchem Papst redet ihr?”
Bernhard: „Paul Caraffa saß auf dem Petrusstuhl, wie die Katholiken zu sagen pflegten.”
Magister Conseur: „Gab es eine Kriegserklärung?”
Bernhard: „König Heinrich von Frankreich hatte den Spaniern im Frühjahr des Jahres unseres Herrn 1557 den Krieg erklärt.” 
Magister Conseur: „Ihr habt ein gutes Gedächtnis.”
Bernhard: „Es geschah nur wenige Wochen, bevor ich nach Spanien gelangte. Mir wurde bewusst, dass ich zwar im Hass auf die Katholiken erzogen worden war, aber ich lernte, dass es zwei Sorten Katholiken gab, die einander mehr und anders hassten als ich sie. Jedenfalls konnten die französischen Katholiken die spanischen auf den Tod nicht ausstehen.”
Magister Conseur: „Ihr täuscht uns nicht mit euren Redensarten! So ist das! Ihr wollt uns doch nicht weismachen, dass ihr in eurem Herzen ein Protestant seid!”
Bernhard: „Die Mutter hat mich in der Lutherlehre unterwiesen, aber ich bin nicht mehr der, der ich damals war. Das will ich gerne eingestehen. Das Leben hat mich viel gelehrt.”
Magister Conseur: „Vor allem scheint es euch den Hass auf uns Reformierte gelehrt zu haben und wie wichtig Geld ist. Ihr seid immer auf Euren Gewinn bedacht gewesen.“
Bernhard: „Ich wollte, weiß Gott, immer nur das Beste!“
Magister Conseur: „Das Beste für euch! Das ist es, was wir euch vorwerfen. Ihr habt immer den Guisen gedient, jenen Guisen die nun unsere Feste berennen. Sie boten euch das Beste. Ihr seid ein Spion und Handlanger der Guisen und im Auftrage der Guisensippe an der Ermordung unseres Admirals Coligny beteiligt.”
Bernhard: „Ich habe ihn nicht ermordet. Ich habe es nicht getan! Ehrwürden! Ist mir erlaubt euch eine Frage zu stellen?”
Magister Conseur: „Nur wenn es hilft, Klarheit zu bringen. So ist das!”
Bernhard: „Wie sollte ich als Knabe verstehen, dass ein Papst den König verfluchte, der ihn beschützte? Wie sollte ich kleiner Söldner damals wissen, unter welchem großen Herrn und für wessen Interessen ich wirklich kämpfte? Ich war aus Dummheit und aus Zwängen auf der falschen Seite.”
Magister Conseur: „Immer war, hinterher, die Seite der Verlierer die falsche! Schon lange vor der Bartholomäusnacht habt ihr euch für euren Gewinn gegen uns entschieden.”
Bernhard: „Ich war noch sehr jung. Wir marschierten für Geld und wenn es gut ging für Gold, das ist wohl wahr, aber wir gingen nicht für den Herzog Franz von Guise nach Rom. Wir hätten uns damals in unserer Unwissenheit auch für jeden andern Herrn und seinen Sold geschlagen.”
Magister Conseur: „... und für das Hurenvolk nach eurem Trieb. Das Gericht nimmt erneut zur Kenntnis, dass ihr bereits vor Jahrzehnten für die Guisenherzöge gekämpft habt und dass es euch nur um den Sold und Befriedigung der Leidenschaften ging! Dann gebt auch zu, dass euer Hass gegen die Grafen Coligny und Cuvier schon aus dieser Zeit stammt.”
Bernhard: „Nein! Das unterstellt man mir! Ich habe den Grafen Coligny nie gehasst, sondern im Gegenteil große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Denn ich bin Botschafter der spanischen Mauren! Ich bin König Aben Ommeyas und Aben Aboos Gesandter!”

Einige Herren Beisitzer lachen. Magister Jaquier wirft ein: „Und ich dachte schon, ihr seid des Großmoguls Wesir.”
Abu Aibak lehnte sich zurück.
„Wenn ich es nicht selber erlebt hätte!“ flüsterte er vor sich hin, „ich würde es auch nicht glauben können.“
Nach einem Augenblick des Bedenkens legte er wieder die Finger auf die folgenden Sätze:
Angeklagter: „Warum prüft mich das hohe Gericht nicht?“
Magister Dr. Conseur: „Wir prüfen euch. Welche Hoffnungen ihr hegt und wem ihr untertan seid, das werden wir bald wissen. Wir bemerken nur, dass ihr wie euer verstorbener Herr, der Herzog Francois Guise, von der Lustseuche gezeichnet seid.”
Bernhard: „Den Ausschlag hatte ich nicht gehabt, bevor ich in das Loch gesperrt wurde.” 
Der Angeklagte hebt seine Hände die voller Geschwüre sind.
Magister Conseur: „Wir haben es vernommen. Ihr seid also von unseren Todfeinden in Gold entlohnt worden!”
Angeklagter: „Das war, als der Herzog Franz von Guise bei uns  ankam, um den Papst gegen die Spanier zu unterstützen. Manchmal gab es viel zu verdienen, das ist gewiss so gewesen. Man steckt, wenn man so jung noch ist, da mitten drinnen im Landsknechtsleben und findet in seiner Unerfahrenheit nicht wieder heraus.”
Magister Conseur: „So ist das! Ihr wolltet gar nicht heraus aus diesem Lotterleben, weil euch das gefiel, Menschen zu jagen, zu rauben und Frauen vor euch her zu hetzen.
Es wird schwer werden, Angeklagter Bernhard, uns von eurer Unschuld zu überzeugen. Ihr seht selber, alles spricht gegen euch!”
Angeklagter: „Ich bin nicht überführt worden, doch ihr habt mir gleich Fußeisen angelegt und Ketten um meine Hände, als wäre ich schon verurteilt!”
Magister Conseur: „Warum wieder diese Hitze? Vertraut ihr unserm Urteilsvermögen nicht? Wir sind Reformierte, keine Inquisitoren. Berichtet uns. Wir hören euch geduldig an, so wie wir die tägliche Kanonade der Guisen hören.“
Der Angeklagte senkt den Kopf.
Magister Conseur: „Ihr schweigt, obwohl ihr ansonsten über eine gelöste Zunge verfügt. So ist das! Wo habt ihr gelernt euch wie ein Feldoberer auszudrücken? Auch das spricht nicht für euch.”
Angeklagter: „Das ist Mutters Gabe.”
Magister Conseur: „Welchen Rang hattet ihr im Dienste der Guisen inne?”
Angeklagter: „Rottenführer war ich, eine Zeitlang.”
Magister Conseur: „Ihr habt im Vorverhör gesagt, ihr seid Fähnleinführer gewesen.”
Angeklagter: „Fähnleinführer bin ich in Spanien geworden. Aber da stand ich unter anderem Befehl. Das gab es schon immer. Sie stellten seit je gerne deutsche Söldner in ihre Dienste, wegen ihrer Selbstdisziplin.”
Magister Conseur: „Stellt euch nur ein Eigenlob aus. Das wird euch wenig helfen, am Galgenstrick, eure Selbstdisziplin. Sagt uns lieber das: Unter welchen Umständen wird ein knapp zwanzigjähriger Landsknecht zum Fähnleinführer befördert?”
Angeklagter: „Wenn er tapfer ist und umsichtig.”
Magister Conseur: „So ist das. Wer im Felde ein echter Schlagetot und Räuber ist, der wird befördert. Deshalb seid ihr statt zu den Protestanten zu den Spaniern Philipp des Zweiten übergelaufen!”
Angeklagter:  „Ich lief über, weil mir ein anderer Rottenführer mein Mädchen wegnahm. Aber das liegt ungefähr 16 Jahre zurück. Danach ist viel passiert. Dieser Entschluss war richtig.”
Magister Conseur: „Ihr versucht, uns abzulenken, Angeklagter. Wir kennen, glaube ich, euren Grund dafür, dass ihr euch eng an die Feinde unserer Freiheit hieltet. Auf das weit Zurückliegende kommen wir noch ausführlicher zu sprechen. So ist das!
Jetzt geht es um euer Verhalten in der Mordnacht. Sie liegt ein halbes Jahr hinter uns und wir Reformierten haben noch viele Fragen offen.
Sagt uns, wo wart ihr in jener Nacht vom 23. zum 24. August im Jahre unseres Herrn 1572? Schildert uns diesen Tag vor der Bartholomäusnacht. Eure spanischen Abenteuer haben damit nichts zu tun! Man hat euch eindeutig erkannt in jener Blutnacht.”
Angeklagter:  „Wenn mir das hohe Gericht Zeit geben würde, dann könnte ich erklären, wie alles miteinander verwoben ist. Ich kam nicht aus eigenem Antrieb nach Paris, sondern, wie ich bereits sagte, in der Absicht, Admiral Coligny zu einem Bündnis mit den bedrängten Maurisken Spaniens zu bewegen. Ob ihr es glaubt oder nicht. Ich war König Aben Ommeyas Gesandter und danach der Beauftragte seines Nachfolgers, Aben Aboo, mit Vollmacht. Ohne Beistand der Reformierten musste unser Aufstand endgültig  zusammenbrechen. Wir wollten ein Bündnis anbieten. Zu diesem Zweck beabsichtigte ich den Grafen Cuvier oder Herrn Friedrich von Schomburgk zu sprechen. Das gelang mir nicht. Um aber direkt bis zu Admiral Coligny vorzudringen, bedurfte ich der Hilfe. Ich musste mich sehr beeilen. Ich wusste, ich musste mich sputen. Es stand um unsere Sache nicht zum Besten. Mein einziger Gewährsmann, der mir blieb, war  Monsieur Nicolas, des Grafen Coligny Diener.”
Magister Dr. Conseur: „Eben der Mann, der euch schwer belastet.“
Angeklagter: „Aus Irrtum und Trugschluss. Bitte, euer Ehrwürden, lasst es mich darlegen.”
Magister Conseur: „Ob Irrtum oder Lüge, Angeklagter, das herauszufinden müsst ihr schon dem Gericht überlassen. Hier sagt ihr nur die Antworten auf alle die Fragen, die wir euch stellen. Wir sind gnädig und hören euch sorgfältig an, bevor wir euch aufknüpfen. Ihr seid in Not, Angeklagter Bernhard. Die Zeugen werden bald nachhelfen, euch richtig zu erinnern. Nun sagt ihr uns zunächst, was ihr getan habt in dieser Nacht und an dem Tage, der unsere Besten auslöschte. Wir wollen hören, wie viele ihr von den sechstausend auf eurem Gewissen habt. Wo seid ihr gewesen Angeklagter? Wer hat auf den Admiral geschossen?”
Der Angeklagte schweigt.
Magister Conseur: „Kennt ihr Madame Cuvier, die einflussreiche Hofdame der Königsmutter Katharina von Medici? Ich fragte, ob ihr Madame Cuvier kennt?”
Der Angeklagte Bernard ist offensichtlich verwirrt.
Der Angeklagte: „Ich sehe, dass ich in lauter missliche Zufälle verwickelt bin. Ich wollte den Grafen Cuvier sprechen...”
Magister Conseur: „Es gibt keine Zufälle, Angeklagter. So ist das. Aber es gibt Zeugen! Wir hören nun den Zeugen Lebuin.”
Der Zeuge Lebuin erscheint.
Magister Dr. Conseur unterrichtet den Zeugen.
Lebuin legt  die Hand auf das heilige Evangelium und schwört, wie ihm vorgesprochen wird.
Magister Conseur: „Sagt dem Gericht, wie alt ihr seid.”
Zeuge Lebuin: „Ich bin heuer sechsundzwanzig geworden und schon seit ein paar Jahren ein treuer Reformierter.”
M. Conseur weist auf den Angeklagten: „Zeuge Lebuin, kennt ihr den Mann da?”
Lebuin: „Ja, das ist er.”
M. Conseur: „Kennt ihr den Namen?”
Lebuin: „Dannowitz ist das.”
M. Conseur:  „Ihr meint, der Angeklagte, den ihr seht, heiße Dianowitz. Woher wisst ihr den Namen.”
Lebuin: „Das weiß man eben. Ich hab’s schon bei der Anzeige gesagt!”
Der Angeklagte schreit dazwischen, es sei alles ein abgekartetes Spiel.
Magister Dr. Conseur spricht einen Tadel aus und ermahnt den Angeklagten. Auch der Zeuge wird noch einmal belehrt.
M. Conseur: „Sagt uns, Zeuge Lebuin, was ihr wisst. Nur was ihr wisst, nicht was ihr vermutet.”
Lebuin: „Der da  hat ihn abgemurkst.”
M. Conseur: „Ihr meint der Angeklagte habe jemanden getötet. Wen hat der Angeklagte umgebracht?”
Lebuin: „Meinen Herrn Grafen und unsern Admiral Coligny”
M. Conseur: „Nennt uns den Namen.”
Lebuin: „Dannewitz”
Magister Conseur erklärt dem Zeugen Lebuin abermals die Gerichtsordnung und dass er genau und zutreffend zu antworten habe.
Lebuin: „Mein Herr Graf Cuvier ist der Name.”
M. Conseur:  „Erklärt uns von Anfang an, was ihr gesehen habt.”
Lebuin: „Ich war beim Schuheputzen, als der da kam. Bertram war nicht da.”
M. Conseur: „Wer ist Bertram?”
Zeuge Lebuin: „Unseres Herrn Leibdiener. Und der da fragte mich doch, ob ich Heinrich der Navarrer bin. Verkohlt hat er mich, dachte ich, aber das hatte alles seinen Sinn, glaube ich jetzt. Denn nachher bei der Gräfin, die immer schlecht auf meinen Herrn Grafen zu reden war, als sie schon fast nacklicht ausgezogen war, kam mir das komisch vor. Ihr wisst es vielleicht. Die Katharina, ich meine des Königs Mutter, und die Gräfin, ich meine unsre. Die haben sich immer gegenseitig die Hurenböcke zugeschickt. Das weiß ich nun wirklich. Aber mein Herr Graf war ein braver Calviner. Der wusste es nicht oder vielleicht doch. Vielleicht hat er deshalb soviel getrunken. Das ist wohl wahr. Ich meinte in meinem Sinn, das wäre der neue Liebhaber. Konnte ja nicht ahnen...”
M. Conseur: „Was gehörte zu euren Obliegenheiten im Hause des Grafen Cuvier? Ich meine, welche Arbeiten ihr bei eurem Herrn und eurer Gräfin zu verrichten hattet.”
Lebuin: „Alle wichtigen Sachen waren meine. Holz holen, heizen zum Kochen und Braten, für trockenes Schuhwerk sorgen.”
M. Conseur an den Zeugen Lebuin gerichtet: „Habt ihr gesehen, dass der Angeklagte, von dem ihr meint er sei Dianowitz, Beischlaf mit der Gräfin hielt?”
Lebuin: „Alles haben sie mir auch nicht gezeigt.”
(Der Zeuge lacht. Er wird vom Vorsitzenden Magister Conseur zurechtgewiesen) 
Lebuin: „Na ja, das wäre ja was. Aber das ist wahr, sie stand ganz schön zu sehen, ganz beinahe nackt ausgezogen und der da stand da dabei und guckte groß. Das habe ich, bei Gott, gesehen.”
M. Conseur: „Ihr habt gelauscht.”
Lebuin: „Das musste ich schon für meines Herrn Grafen und meiner Madame Gräfin Sicherheit. Ja, man ist ja schon lange genug im Haus und kennt sich aus.“
M. Conseur: „Ihr wollt sagen, Zeuge Lebuin, dass ein Riss mitten durch das Haus Eurer Herrschaft ging. Hier euer Graf Cuvier, ein Reformierter von bester Sitte, und da die Gräfin Cuvier eine Vertraute unserer Feindin Katharina, ein verdorbenes Weibsbild.”
Lebuin: „Ich musste manchmal Wache halten. Für meine Gräfin. Diesmal auch. Da hab ich manches geseh'n. Ich kann euch sagen, großes Gericht!”
M. Conseur: „Seid ihr eurer Augen sicher?
Lebuin: „Versteh'n tu ich nicht alles, aber sehen kann ich gut.”
M. Conseur: „Zeuge Lebuin, auch ich kann nicht alles verstehen, was im Leben passiert. Das ist von Gott so gewollt. Das will ich wohl glauben.  Aber wie ihr, ein treuer Reformierter, einer Dame wie eurer Herrin dientet, das ist sicherlich mehr als unverständlich.
Lebuin: „Pflichten sind Pflichten!“
M. Conseur: „ Sprecht vernehmlicher!“
Lebuin: „Man steht ja in Brot und Arbeit,  Herr Richter!“
M. Conseur: „Ihr habt ausgesagt, dass ihr den Angeklagten am Bartholomäusmorgen als Mörder eures Grafen erkanntet. Schildert uns den ganzen Hergang.”
Lebuin: „Früh, als es nach dem Lärmen und Schreien in unserer Gegend ein wenig ruhiger war, bin ich raus. Und da lag er im Blut und Mist.”
M. Conseur: „Sagt uns deutlich, wer dort lag, und wo, und wann.”
Lebuin: „Nach der Nacht auf Sankt Bartholomäus, ein paar Stunden später. Mein Herr war tot und der da hatte den Degen noch in der Hand. Rot beklattert. Einen Heidenschreck bekam er. Aber das Ding am Kopf hatte er. Keine Zweifel nicht. Der hat ihn abgemurkst.”
Magister Conseur: „Ihr wollt sagen, der Angeklagte habe das Erkennungszeichen getragen.”
Lebuin: „Wie ich, na klar! Die Gräfin riet es mir an. Später eine Zeit, nachdem der da weg war. Die Mörder mit dem weißen Kreuz. Ganz dick aufgeschmiert. Mir hat’s ja das Leben gerettet, aber ich wusste, von wem.”
M. Conseur: „Angeklagter, ist das wahr? Trugt ihr das Kreuzeszeichen am Hut?”
Der Angeklagte: „In meinem Quartier angekommen, schlief ich ein und hörte kurze Zeit später, gegen Mitternacht das Glockengeläut, dann das grauenvolle Schreien. Ich wollte mich nicht auf die Straße wagen, tat es schließlich dennoch,  plötzlich aus Sorge, getrieben von der Furcht um den Grafen Cuvier bin ich zur Rue Bethsy gelaufen.” 
M. Conseur: „Sagt ja oder nein! Trugt ihr das weiße Kreuz?"
Der Angeklagte: „Ja, ... aber doch nicht...Ihr unterstellt mir...”
M. Conseur: „Ich verbiete euch das Wort Unterstellung, ein für allemal. Im Protokoll muss vermerkt werden, dass der Angeklagte stets vom Thema abweicht. Ich spreche ihm erneut einen Tadel aus. Es ist wichtig festzuhalten, dass der Angeklagte nicht zu erklären vermag, warum er das Zeichen trug.”
Lebuin: „Er war genauso erschrocken damals wie jetzt auch”
M. Conseur: „Sprecht nicht in Rätseln. Sagt uns nur das Wesentliche.”
Lebuin: „Na, als ich ihn ertappte, war er ganz blass um die Ohren geworden, am zweiten Weihnachtsfeiertag, jetzt letztens, auf der Straße, hier.”
M. Conseur: „Habt ihr noch etwas zu sagen, Zeuge Lebuin?”
Lebuin: „Ja! Hängt ihn an den höchsten Ast.”
M. Conseur: „Das Urteil überlasst dem Gericht! Bleibt ihr bei eurer Behauptung, dass ihr den Angeklagten bewaffnet  und bekreuzigt neben der Leiche des Grafen Cuvier am frühen Morgen des Bartholomäustages gesehen habt?”
Lebuin: „Das schwöre ich, so gut mir Gott weiterhelfe.”
Magister Conseur: „Angeklagter, ihr seht, wir haben die Anzeige gegen euch sehr gründlich geprüft. Legt uns nun die Einzelheiten offen, wie sie sich  angeblich euch darstellen.”
Angeklagter Bernard: „Den Ehemann der Dame Cuvier, den Grafen Cuvier sollte ich, auf Empfehlung Seigneur Poltrots, sprechen.”
M. Conseur: „Habt ihr mit dem Grafen Cuvier reden können?”
Der Angeklagte: „Kurz gesagt nein. Heute weiß ich, es war ein Missverständnis infolge der Abwesenheit des Dieners Bertram. Der Narr Lebuin hielt mich für einen Liebhaber der Gräfin.”
Lebuin: „Ich würde euch zu gerne mit meiner Faust eine aufs Auge drücken.”
Magister Conseur ermahnt sowohl den Zeugen wie den Angeklagten.
Der Angeklagte: „Madame Cuvier gewährte mir eine Audienz. Ich war nicht unterrichtet worden, dass die Dame auf der Gegenseite stand, zumal der Graf ein Reformierter war.
Ich geriet am Abend des 23. August in das Haus des Grafen Cuvier, auf ein gewisses Wort hin..., dann in das  Zimmer der Dame. "
M. Conseur: „Wie lautete dieses Schlüsselwort?”
Der Angeklagte: „Ich werde es nicht preisgeben.”
M. Conseur: „Wir haben es bereits vernommen, nicht wahr. Ja wir kennen es. Natürlich. Ihr werdet es uns jetzt dennoch mitteilen. So ist das!”
Der Angeklagte: „Ich habe geschworen, es niemals preiszugeben.”
M. Conseur: „Aber es ist heute bereits erwähnt worden. Oder nicht? Es ist sonderbarerweise nicht verstanden worden. Ist das so?”
Angeklagter: „Ich werde nicht antworten.”
M. Conseur: „Ihr habt es schon erwähnt. Was versprecht ihr euch davon, es zu verschweigen? Eine Wirkung auf das Urteil des Gerichtes? So ist das! ‚Heinrich von Navarra’ lautete es. Seht ihr. Das Gericht kennt es auch. Das ist gut so. Jemand  gab es euch? Wer?”
Angeklagter: „Ich werde nicht antworten.”
M. Conseur: „Ihr bemerkt selber, wie unsinnig euer Verhalten ist. Seigneur Poltrot soll euch nicht unterrichtet haben, dass Madame Cuvier ihren Platz bei unseren Feinden innehatte?”
Angeklagter: „War das damals wirklich offensichtlich, wer Freund und wer gut Freund war? Seigneur Poltrot erwähnte es nicht. Geschah die Mordaktion nicht völlig überraschend, überraschend für alle Seiten?”
M. Conseur: „Nicht ganz. Die Katholiken wussten es samt und sonders. Sie trugen das rettende Kreuz und die weiße Binde am Arm, genauso wie ihr, Angeklagter.
Was geschah also an jenem denkwürdigen Vorabend, einige Stunden vor dem Unheil, im Hause des Grafen Cuvier? Ihr befandet euch nicht in Eurem Quartier. Sie gab euch Vorschuss. Sie verhieß euch, ihr werdet sie wieder besitzen dürfen, wenn ihr dem Biest den Gatten aus dem Wege räumt.
Zeuge Lebuin! Ihr habt die Dame entblößt gesehen, während der Angeklagte sich in ihrem Boudoir aufhielt,  ist das wahr?”
Lebuin: „Und wie entblößt, euer Ehrwürden. So. Sie machte den Morgenrock auf und stand da wie Eva im Paradies.
M. Conseur: „Was geschah?”
Lebuin: „Lasst ihn das doch sagen! Alles habe ich auch nicht gesehen. Aber den Mann will ich sehn, wenn er gesund ist und noch jung.” Der Zeuge kichert ungebührlich.
M. Conseur: „Angeklagter, erspart uns die Einzelheiten. Aber überzeugt uns. Habt ihr sie berührt?”
Angeklagter: „Ich sah sie. Mehr nicht. Ich sah das vom gelben Kerzenschein erhellte Gesicht. Ja, ich sah sie ganz.”
M. Conseur: „Die Gräfin Cuvier hatte euch also erwartet, einen Mann wie euch, nicht gerade auffallend groß und stattlich aber mit gewissen Fähigkeiten, die Klinge zu gebrauchen. Verführte sie euch oder ihr sie? Sagt es uns. Wann befahl sie euch, ihren Mann zu töten?”
Angeklagter: „Ich fand innerhalb dieser höchstens einen Minute heraus, dass ein großer Irrtum vorlag. Denn obwohl sie mich eindeutig ermutigte, bat ich sie, mir zu erlauben den Grafen Cuvier zu sprechen. Unmutig bedeckte sie sich, zog mit wütendem Ruck den Morgenrock zurück und winkte mir herrisch mitzukommen. Der Graf lag betrunken auf der Chaiselongue. Das hatte mir Herr Poltrot schon angedeutet. Nun verstand ich es plötzlich. Ich beugte mich nieder und roch den Dunst, sah die glasigen Augen und lief einfach davon.”
Magister Conseur: „Ihr weicht schon wieder aus.”
Der Angeklagte: „Mehr hat sich nicht ereignet. Ich bin überzeugt Ehrwürden, dass auch ihr an diesem Abend, an dem ich mich bei Madame Cuvier aufhielt, nicht geahnt habt, dass das große Verhängnis über sämtlichen Reformierten Frankreichs schwebte. Dass eure und meine Freunde nur noch eine Fingerbreite vom Tod entfernt lebten, wusste außer den Verschwörern und denen, die sie einweihten, niemand. Selbst Graf Coligny, nachdem er am Vormittag angeschossen worden war, erwartete es gewiss nicht. Sonst hätte er anders gehandelt. Sie haben uns getäuscht. Die Überraschung war vollständig.
Zwar ging die Trennlinie offensichtlich durch den Louvre, aber wer, außer den katholischen Christen, hat auch nur eine Stunde vor Beginn der Bartholomäusnacht gewusst, dass sie tödlich sein würde?”
Magister Conseur: „Richtig, und auch ihr, Angeklagter, habt es gewusst! Ihr gehörtet zu den Eingeweihten.“
Angeklagter: „Niemals!”
M. Conseur: „Ihr lügt! So ist das! Ihr werdet doch nicht eine Wahrheit eingestehen, die euch an den Galgen bringt.”
Angeklagter: „Gewiss nicht anders als das hohe Gericht, erfuhr ich erst in den Wochen nach der Bluthochzeit Detail um Detail. Dass die Freunde des weibischen Königs Karl in Hurenkleidern durch das nächtliche Paris gezogen waren, dass sie keine Perversität ausgelassen, dass die Priester ihnen keineswegs gedroht hatten, sie würden exkommuniziert werden, wenn sie sich nicht besserten, dass Margot sich noch in der Hochzeitsnacht mit Kerlen herumgetrieben hatte, das drang erst allmählich zu mir durch.
Ebenso erfuhr ich erst später, dass Madame Cuvier gewisse Männer schamlos zu sich kommen ließ.“
Magister  Conseur: „Diese Schamlosigkeit gefiel euch!”
Angeklagter: „Ja, es gefiel mir, sie so zu sehen, weil ich ein Mann bin. Aber ich bin kein Straßenköter...”
M. Conseur: „Ihr hattet zu sichern, dass der Graf unter keinen Umständen mit dem Leben davon kommt. Deshalb habt ihr euch mit der Dame Cuvier getroffen. Sie wusste, dass ihr kommen würdet. Ihr hattet zu eurer doppelten Sicherheit das Kennwort erschlichen. Aber da Lebuin es nicht kannte, hätte es euch nichts genutzt. Ihr kamt also herein, weil ihr erwartet wurdet! Ist das so, Zeuge Lebuin? Könnte es so gewesen sein?”
Lebuin nickt lebhaft: „Ja, ja. Ich hatte ja schon, ich meine die hatte, zwei andere gehabt, an diesem Abend, die kamen und gingen. Warum nicht drei, dachte ich!”
Angeklagter: „Ich weiß davon nichts! Ich bin doch kein Prophet.”
M. Conseur: „Ihr hattet den Auftrag, an diesem Abend, mehrere namentlich genannte und bekannte Reformierte aus dem Wege zu räumen. Bis zu dieser Stunde wurde der an euch ergangene Befehl nicht vollständig ausgeführt, deshalb seid ihr in unserer Feste Sancerre. Deshalb lauscht ihr hoffnungsvoll, wenn von den Stadtmauern Kriegslärm bis zu uns dringt. Meint ihr, wir hätten das nicht bemerkt? Wen also sucht ihr hier wirklich?”
Der Angeklagte fragt laut: „Hohes Gericht. Sieht so ein gedungener Mörder aus? Wenn ich den Grafen hätte umbringen sollen, wäre es doch eine gute Gelegenheit gewesen ihn zu ermorden, als er völlig betrunken und stöhnend vor mir lag.”
Magister Conseur: „Nur selten sieht ein Mörder wie ein Mörder aus. Wer konnte es den frommen Geistlichen ansehen, dass sie über das Geheimnis verfügten, das die Unseren hätte erretten können?
Seht ihr je irgendeinem Halunken an, was er im Schilde führt?
Die glatte Maske auf der Fratze passt immer.
Es ist auszuschließen, dass Madame Cuvier sich zu der von euch erwähnten Abendstunde zufällig zu Hause aufhielt, es sei denn, sie hat einen höchst triftigen Grund. Man tobte nämlich noch zu dieser Zeit im Louvre.
Es ist absolut auszuschließen, dass Madame Cuvier da, an diesem vorletzten Abend der Vermählungsfeierlichkeiten, gefehlt hätte, es sei denn, ihr, als dienstbereiter Unhold, wurdet von der blutig gesinnten Dame erwartet. Euer teuflischer Auftrag lautete, den Grafen außerhalb ihres Hauses, auf der Straße niederzustrecken, nicht in seinem Bett. Weil Madame jeden Verdacht der Mittäterschaft von sich ablenken wollte. Sie selber bot sich euch als Preis dar. Beide Zeugen, Nicolas und Lebuin, haben unabhängig von einander zu Protokoll der Anzeige gegeben, sie hätten euch später draußen gesehen. Lebuin sah euch, nachdem ihr den Grafen Cuvier niedergestochen hattet und Nicolas ertappte euch, wie ihr euch an dem enthaupteten Leichnam des Grafen Coligny als Leichenschänder zu schaffen machtet. Welches Zeugnisses bedürfen wir noch?”
Der Angeklagte ist sehr aufgeregt und aufgesprungen: „Man stelle mich dem Zeugen Nicolas gegenüber!”
Magister Conseur: „Geduld junger Mann! Es wird alles rechtens geschehen. Ihr werdet ihn eher sehen und hören, als euch lieb ist. Es zählte in dieser Nacht nur das Eine, nämlich ob jemand das weiße Kreuz am Hut trug oder nicht. Das war das Kennzeichen. Es bedeutete: Ich bin ein Todfeind aller Reformierten. Ihr werdet uns nicht hinwegleugnen können, dass ihr um das bestgehütete Geheimnis dieser Mordnacht wusstet.
Ihr könnt uns nicht täuschen. 
Unser Urteil bedarf nur noch der Bestätigung durch den derzeitig erkrankten Zeugen Nicolas. Wir vertagen die Sitzung um eine Woche.”


2. Sitzung

am 12.März im Jahre des Herrn  1573 zu Sancerre, im Bürgerhaus.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Magister Dr. Conseur und die vorherigen Beisitzer.
Der Angeklagte Bernhard.
Magister Dr. Conseur: „Wir fanden heraus, dass ihr, Angeklagter, nun in noch größerem Maße verdächtig seid, den Grafen Cuvier umgebracht zu haben.”
Der Angeklagte erwidert laut: „Das hohe Gericht darf dem Zeugen Lebuin nicht glauben. Lebuin fand mich wohl bei der Leiche, aber ich tötete den Mann meiner Hoffnung keineswegs!”
Magister Conseur: „Woher hattet ihr euer Wissen? Das Kreuz trugen nur die mörderischen Katholiken. Antwortet glatt. Woher wusstet ihr?
Bernhard: „Ich hatte Glück...”
M. Conseur: „Sechstausend Hugenotten sind erschlagen worden, in zehn dunklen, Pariser Nachtstunden, rings um euch herum. Nicht ein einziger Hugenotte und Hugenottenfreund wusste oder ahnte etwas. Ihr aber kanntet das lebensrettende Zeichen und leugnet es nicht. Wie ging das an? Das erklärt uns auf der Stelle!”
Bernhard: „Ich hatte das Kennzeichen geraubt.”
M. Conseur: „Ja, ja rauben schon, Leben rauben und die Ehre wenn es sein muss, das ist euer Metier. In Spanien, in Flandern, sogar in Rom...”
Bernhard: „Als gegen Mitternacht die Sturmglocken läuteten, bin ich auf die Straße gerannt. Von meinem Quartier weg bin ich zum Louvre... gestürmt
Das Tuch, das sie trugen, und den Hut mit dem weißen Kreuz, hatte ich in dieser  Nacht kurz zuvor bereits zweimal gesehen. Woher ich wusste, dass dies das Kennzeichen war, weiß ich nicht. Ich spürte, ich ahnte, mehr weiß ich nicht, und ich handelte. Es war über mich gekommen.”
M. Conseur: „Über euch gekommen ist mancherlei, das will euch das Gericht glauben. Mehr nicht! Hört ihr: Mehr nicht. ihr seid ein elender Lügner. Wir sollen glauben, ihr hättet als fast Unbewaffneter zwei mit Degen ausgerüstete Soldaten niedergemacht? Ihr hättet erraten, was das Zeichen am Hut bedeutet?  Erwartet ihr das wirklich?”
Bernhard: „Ja! Aber ich...”
M. Conseur: „Es ist Schluss. Das genügt uns. Ich rufe den Zeugen Nicolas auf.”
Zeuge Nicolas kommt in den Gerichtssaal.
M. Conseur: „Zeuge Nicolas, sagt uns wie alt ihr seid, und wem ihr dient.”
Zeuge Nicolas: „Ich bin heuer dreißig geworden und diente dem Admiral Coligny, aber zeitweise auch dem Herrn von Schomburgk. Ich hatte Zugang zu den Gemächern der Kammerherren seiner Majestät. Und das auf ausdrücklichen Wunsch des Königs, der sah und anerkannte, dass ich den Admiral gelegentlich begleitete.”
M. Conseur:  „Wir erinnern euch, dass ihr unter Eid aussagt. Kennt ihr den Mann, der auf der Anklagebank sitzt?”
Zeuge Nicolas: „Ich habe den Mann sowohl im Contor des Monsieur von Schomburgk gesehen wie auch später am Bartholomäustag mitten im Haufen der Bauern und des Pöbels in Montfaucon, wo die Galgen standen. An einem der Gerüste hing, an seinen Beinen aufgehängt, der entsetzlich entstellte Leib des Admirals. Nur durch das Geschrei und Gekreische der Bösen und durch die ungeheuer unflätigen Schimpfworte, die sie ausstießen, erfuhr ich, dass es Colignys Leiche war. Der Mann da hat Sträucher aufs Feuer gelegt, in dem man des Grafen Leichnam verbrennen wollte. Das kann und werde ich vor dem ewigen Gott jetzt und am Jüngsten Tag beschwören.“
Der Angeklagte Bernhard springt heftig protestierend  auf: „Es ist unerhört. Ich habe nichts getan, was der Zeuge berichtet. Strolche kamen und warfen Gestrüpp in die Flammen. Ich habe so dicht daneben gestanden, dass ich es von mir schob, dieses lose Bündel Strauchwerk. Das vielleicht hat euer Zeuge gesehen. Ich zerrte es, so gut das ging, vom Feuer weg, ich war, wie alle Freunde Colignys, voller Entsetzen.
Doch hier wird der Eindruck erweckt, ich hätte mich an der Leichenfledderei beteiligt, ich hätte mich auf der Gegenseite befunden...das ist nicht wahr!”
M. Conseur: „Ihr habt euch ganz entschieden auf der Gegenseite befunden. Das weiße Kreuz am Hut, euer wutverzerrtes Gesicht, euer ganzes Benehmen lässt nur einen einzigen Schluss zu.”
Bernhard: „Ja! den Schluss lässt es zu, dass ich auf vagen Augenschein verdammt werden soll.“
M. Conseur: „Angeklagter, haltet eure Zunge im Zaum. Ihr werdet Gelegenheit erhalten, euch zu rechtfertigen und auf weitere Fragen  zu antworten. Zeuge Nikolas, ihr hieltet euch als Bediensteter des Hofes im Louvre auf. Berichtet uns von den Umständen. Es ist in unserem Interesse, ein vollständigeres Bild von den Ereignissen zu gewinnen.”
Zeuge Nicolas: „Ich will nicht unglaubwürdig werden und erkläre, dass ich bis zur Bartholomäusnacht zwar mit den Reformierten sympathisierte, aber von meiner römischen Kirche wandte ich mich erst nach dem Blutvergießen ab. Verheerende Umstände sind das gewesen. Was ich sah, begann am Vormittag des 23. August harmlos.”
M. Conseur: „Begann es mit dem Angeklagten?”
Zeuge Nicolas: „Nein. Meine Geschichte beginnt im Louvre ungefähr morgens neun Uhr, fünfzehn Stunden vor der Mordnacht. Ich kann, wenn das Gericht es wünscht, dazu beitragen zu erhellen, wie es geschah.”
M. Conseur: „Berichtet das Wichtigste.”
Bernhard wieder dazwischen rufend: „Hohes Gericht, euer Zeuge redet sich heraus.”
M. Conseur gibt dem Schreiber und dem Zeugen ein stummes Zeichen fortzufahren.
Zeuge Nicolas: „Wie die Mutter des Königs von Frankreich, mitten auf dem Flur auf ihre erst seit wenigen Tagen vermählte Tochter Margot einredete, war das Erste. Ich sehe die junge leidenschaftliche Dame immer noch lebhaft vor mir. Das war, während die Musik laut spielte. Mir war nicht möglich etwas zu verstehen. Mir schien, die alte, gelbgesichtige Hexe Katharina mache ihrer Tochter große Vorhaltungen. Dann sah ich, dass die Königsmutter sich dem Herzog Henri von Guise zuwandte als dieser ankam, den schwarzen Hut schief auf dem Kopf, den Degen in der Hand, als hätte er gerade ein Duell für sich entschieden, auch er jung und strahlend, wie seine jetzt an Heinrich von Navarra gebundene Geliebte, die auf Befehl ihrer Mutter schnell davon ging, und zwar auffallend schnell und wütend. Königsmutter Katharina kam mit dem Guisenherzog näher auf mich zu. Von einem Vorhang verdeckt, hörte ich, wie sie es absprachen. Henri de Guise war drei Schritte von mir entfernt. Er sagte: Wir tun es, wenn ihr wollt. Es ist vorbereitet. Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie zu  ihm etwas, das ich nicht richtig verstand. Das waren die Worte: ‘Ihr würdet es nicht tun, wenn ich es nicht wollte?’ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ermutigte den jungen Mann mit der Aufforderung: ‘Den Mörder seines Vaters muss man mit dem Tod bestrafen.’ Wie ich heute weiß, spielte sie damit darauf an, dass Reformierte seinen Vater Franz von Guise umgebracht hätten.
Henri de Guise erwiderte: ‚Coligny!‘ Henri de Guises Hassausbruch war heftig. Das war wie ein Degenstoß. Sie zischte etwas, das ich wiederum nicht ganz verstand, aber ich vermute nun, beide planten, den Admiral zu töten. Ich sehe die böse Alte vor mir. Der Admiral war ihnen zu mächtig geworden. Jetzt, da die Hochzeit Margots mit Heinrich von Navarra stattgefunden hatte, fürchteten sie Colignys Einfluss auf den uns gut gesonnenen Navarrer und vor allem Colignys Genie. Mir schien, dass sie das meinten. Colignys Einfluss auf den hilflosen und auf Führung angewiesenen jungen König Karl würde nun natürlich noch größer sein.                                                                                                                                                  
Der stürmische Guise und die giftige Katharina hatten offensichtlich Angst. Ihre Stimmen zitterten vor Wut und Sorge.
Die vielen Hugenotten in der Stadt, der mächtige Admiral und sein willenloser, halbverrückter Regent Karl, der sich nur in Gegenwart seines uns Reformierten zugeneigten Beraters wohl fühlte, wie wir alle wussten. Das trieb die beiden schier zur Verzweiflung. Ich wusste nur nicht, dass es noch am selben Tag geschehen sollte. Katharina hatte es ja gesagt: Ich will es. Und er antwortete: ‚Es ist alles auf gutem Wege‘.
Das war mir entgangen, jedenfalls wurde es mir erst später bewusst, dass sie davon redeten, was noch am selben Tage geschehen sollte. Ich dachte sie sprechen von einer Sache, die irgendwann stattfinden soll.”
M. Conseur: „Zeuge Nicolas, ihr habt selbstverständlich umgehend Herrn von Schomburgk unterrichtet!”
Zeuge Nicolas: „Ich suchte ihn verzweifelt. Es war wie verhext. Herr von Schomburgk ließ sich nicht finden.”
M. Conseur: „Ihr habt euch selbst an den Grafen Coligny gewandt?”
Zeuge Nicolas: „Ich wagte nicht, ihm einen Zettel zu schicken. Ich wollte ihn durch Herrn von Schomburgk warnen lassen und wartete die nächsten Stunden noch ab, sehr ungeduldig zwar, doch ich glaubte, wir hätten noch Zeit. Jedenfalls schien mir, es würde nicht so schnell passieren”.
M. Conseur: „Das habt ihr uns so bei eurer ersten Anzeige nicht erklärt. Ihr hättet das Leben des Admirals retten können. Ihr habt es unterlassen.”
Zeuge Nicolas: „Ich werfe es mir ja selber vor. Ich bin vielleicht mitschuldig. Ich hätte schneller handeln müssen. Plötzlich war es zu spät. Coligny kann sich an diesem Vormittag nicht lange im Louvre aufgehalten haben. Er war bereits wieder zu Fuß aufgebrochen und ging die wenigen Schritte über die Brücke nach Hause.
Meine Gedanken kreisten nur um Coligny.
Hätte ich doch gewusst was ich heute weiß.
Bereits kurz danach gab es viel Lärm. Viele Leute in den Gängen des Louvre schrieen: Man hat auf den Admiral geschossen. König Karl kam gerade vom Tennis. Er schwitzte, er jammerte. Seine langen, verzottelten Haare hingen nach allen Seiten. Sie hatten ihn bereits unterrichtet, was seinem würdigen Berater passiert war. Der König sah nicht aus als wäre er zweiundzwanzig, sondern wie vierzig. Das war nicht allein die Folge seiner Hurerei. ‘Schickt Parè!’ ‘Lebt er noch?’ ‘Sie haben ihm den Arm abgeschossen.’ Andere riefen: ‘Sie haben ihm bloß die Finger weggerissen.’ Alle schrieen im Hause nach Parè, dem Leibarzt seiner Majestät. Ich selber schrie.
Katharina erschien. Mir ist nicht mehr möglich zu sagen, wo ich sie wieder sah. Katharina sah zum ersten Mal, solange ich sie kannte, im Gesicht rot aus. Immer war sie blass und gelb und alt. Der Drachen. Du musst bei mir bleiben!’ sagte sie zum König. ‘Du musst mir beistehen. Ich will doch nur Dein Glück!’ Ich vermute, wenn sie ihn nicht bedrängt und festgehalten hätte, wäre er sofort aufgebrochen, um mit seinem Arzt in die Rue Béthisy zu laufen, mit den andern, allen voran wahrscheinlich Heinrich von Navarra und der Prinz von Condè.
Vor dem Hause des Admirals sollen sich in der Zwischenzeit viele Reformierte zusammengefunden haben. Das lässt sich denken, die Hugenotten waren doch noch nicht abgereist. Sie warteten wahrscheinlich auf das Zeichen des verwundeten Coligny, sich auf die Guisesoldaten zu stürzen. Denn sie schrieen, wie ich erfuhr, gegen die Guisegefolgschaft.
Indessen konnte Katharina ihren Sohn, König Karl, nicht lange aufhalten. Er rief nach seinem Pferd und Stallburschen. Ungestüm brach er auf. Katharina lief neben ihm davon, verschwand an der Seite ihres Sohnes. Kurz darauf sah ich sie gemeinsam davon reiten.
Ich kann mir vorstellen, wie erschrocken sie war, als sie die Hunderte Hugenotten sah, durch deren Spalier sie ritt. Das wird sie in Panik gestürzt haben. Man sah sie nicht mehr. Karl soll sich Coligny weinend zu Füßen geworfen haben. Das beschwichtigte die erregten Gemüter nur wenig.
Das wiederum muss, denke ich, der Königsmutter zu Ohren gekommen sein. Aber das hohe Gericht weiß das besser als ich.
‘Sie kommen!’ hieß es, und auch ich stellte mir vor, dass tausende Hugenotten dahergestürmt kämen. Aber nur in meinen Träumen war das so. Katharina soll kreischend nach Henri von Guise geschrien haben. Die Angst vor der Rache der Hugenotten, glaube ich, hat die Königsmutter endgültig mit den Guisen verbündet, obwohl Katharina sie wegen ihrer Ansprüche auf den Thron fürchtete. Vielleicht brachte ihre Boshaftigkeit erst in diesem Augenblick höchster Bestürzung den Plan hervor, sie müsste sämtliche Reformierte Frankreichs ermorden lassen. Denn alle Gerüchte, die man ihr zutrug, gingen dahin, sie sei die Urheberin des Attentates.
Zu eng hatte ich mich an den Befehl Herrn von Schomburgks gehalten, Wichtiges nur ihm allein mitzuteilen. Was im Hause Coligny geschah, habe ich nur gehört. Der König habe sich vor seinem Admiral gedemütigt und ihn um Verzeihung gebeten.
Am Nachmittag gab es viel Hektik im Louvre. Ich sah, mit meinen eigenen Augen wie sie sich in einem Pavillon der Tuilerien versammelten. Katharina und ihre Italiener.”
M. Conseur: „Kennt ihr Namen? War Birago dabei?”
Zeuge Nicolas: „Siegelbewahrer Birago habe ich genau erkannt, auch den Grafen von Retz, sowie Lodovico de Gonzaga und die beiden Florentiner Petrucci und auch Caviaga habe ich gesehen.
Caviaga und Marschall Tavannes hörte ich wenig später im Korridor leise miteinander reden. Tavannes sagte etwas, es sei so schnell nicht auszuführen.
Wenn Marschall Tavannes bremst, wird es noch Wochen dauern, dachte ich. Dann bogen sie um die Ecke. Wenig später kam Tavannes wieder und er sprach mit Petrucci. Tavannes sagte: ‚Madame bearbeitet noch den König‘.
Ich beruhigte mich deshalb, weil ich meinte, der hugenottisch gesinnte König werde sich entschlossen gegen jede böse Absicht seiner Mutter stellen und sich nur von seinem neuen Schwager Heinrich beraten lassen.
Aber das war mein Irrtum. Ich war leichtfertig. Mir ist das meiste erst danach klar geworden, als es bereits zu spät war. An diesem Nachmittag müssen sie den Plan gefasst haben, sofort zu handeln und zuzuschlagen, solange man die Köpfe der Feinde beisammen hat. Petrucci soll gesagt haben, es sei eine Gelegenheit für sie, die vielleicht nie wiederkehrt. Ich kann es heute noch nicht fassen. Denn alle Hochzeitsgäste hugenottischer Gesinnung ermorden zu lassen, bedeutete tausende Pariser und die Stadtgarde und die Truppen der Guisen auf die Beine zu bringen, und das alles bei tiefster Verschwiegenheit und im Einvernehmen mit der Geistlichkeit. Das müssen Katharina und ihr Anhang, in Abwesenheit des  Königs, an diesem Nachmittag beraten und beschlossen haben. Denn, soviel wussten wir alle miteinander, der König liebte seinen Admiral. Niemals würde er sich mit solchen Absichten einverstanden erklären.
Ich kann es immer noch nicht glauben.
Katharina muss es gelungen sein, den König anschließend völlig zu verwirren. Erst Stunden zuvor hatte der junge Mann dem Admiral Treue gelobt und dessen katholischen Feinden Rache geschworen. 
Mit klaren Sinnen hätte der König niemals zugestimmt, doch Madame und Henri de Guise benötigten sein Wort und Einverständnis, Navarras Tross mit Mann und Maus zu überrollen. Wenn der König Tapferkeit gezeigt hätte, wäre alles anders gekommen.
Ein Mädchen, eine Zofe Katharinas, berichtete mir zwei Tage nach dem ersten großen Morden etwas unter Tränen. Sie hätte nur einen Blick auf eine gewisse Szene werfen können, dabei habe sie gesehen und gehört, wie der König auf dem Fußboden gekrümmt lag, und wie seine Mutter die Hände in die Seiten stemmte: ‘Du musst es tun, Karl, oder sie tun es dir und mir. Deine Milde ist Grausamkeit und meine Grausamkeit ist Milde mit dir.’
Nach elf Uhr abends wurden ich und die andern Dienern seiner Majestät unterwiesen. Wir hätten um Mitternacht mit Beginn des Glockenläutens von Saint Germain weiße Kreuze auf die Stirn oder die Kopfbedeckungen zu zeichnen und eine weiße Binde am rechten Arm zu tragen.
Wenig später sollen die Vorsteher der Bürgerwehren das Haus betreten haben. Auch andere Wachen. Sie geleiteten die Herren in die Gemächer des Königs.
M. Conseur: „Was habt ihr in der euch verbleibenden einen Stunde unternommen, Zeuge Nicolas?”
Nicolas: „Ich bin so schnell ich konnte hinübergeeilt zum Grafen Coligny, in die Rue Béthisy, wurde aber von Soldaten gestellt und festgehalten. Wohin ich ginge, fragten sie mich. Ich log nach Kräften. Es half alles nichts.”
M. Conseur: „Warum seid ihr nicht zuerst zu Heinrich von Navarra gelaufen, warum habt ihr nicht einen einzigen Reformierten, dem ihr im Louvre begegnet seid, eine Warnung gegeben?”
Nicolas: „Das frage ich mich jetzt auch. Ich war in diesen Minuten verwirrt. Ich habe versagt. Mir schien, ich dürfte nicht einen Kampf auf Messers Schneide auslösen. Nicht ich. Nicht jetzt. Ich wollte es Coligny sagen. Da habe ich doch nicht gedacht, dass dies alles sich so wahnwitzig schnell zuspitzen würde.
Wie ich danach erfuhr, hatte Coligny seine treuen Hugenotten gerade von sich fort geschickt, von keiner Ahnung getrübt. Sein Diener soll ihm, nachdem er allein war, aus der Bibel vorgelesen haben und ich befand mich behindert und festgehalten, sah die Scharen vorrücken, wusste nun, was das bedeutete. Die Totschläger zogen los.”
M. Conseur: „Ihr habt uns einen Dienst erwiesen, den rechnen wir euch zugute. So ist das. Dennoch bleibt ihr uns zur  Rechenschaft verpflichtet. Ihr erweckt allerdings den Eindruck vor uns, ihr entschuldigtet die Verbrecherin Katharina. Es hörte sich so an, als wäret ihr, Zeuge Nicolas, überzeugt gewesen, dass der Überfall spontan zustande kam, andererseits wusstet ihr mehr, als wir bisher annehmen konnten.”
Zeuge Nikolas: „Ja, gewiss. Das ist, was ich denke und mir selber vorwerfe.”
M. Conseur: „War das alles, was ihr zu berichten habt?”
Zeuge Nikolas: „Mein Gewährsmann Monsieur La Fossense weiß mehr.”
M. Conseur: „Wir haben ihn bestellt.
Ihr könnt, wenn ihr wollt, gehen, oder zuhören, wie es euch beliebt. Ich rufe hiermit den dritten Zeugen Monsieur La Fossense. So ist das.”

Bernhard überflog auch die nächsten Seiten. Nur schwach nahm er wahr was da geschrieben stand, dennoch verließ ihn nicht das Gefühl  dass es für Asmai doch sehr wichtig wäre, seines unglücklichen Vaters Geschichte zu erfahren:
Der Zeuge La Fossense kommt. Er wird vereidigt.
M. Conseur: „Es ist ungewöhnlich, dass drei Freunde der Reformierten aus Paris, aus dem Louvre, das Gemetzel überlebten. Wir sind verwundert.”
Zeuge La Fossense: „Ich gab mich nie als Reformiertenfreund zu erkennen und war Kammerdiener seiner Majestät.”
M. Conseur: „Kennt ihr den Angeklagten? Angeklagter erhebt euch.”
Zeuge La Fossense: „Ich war mit meinem Freund Nicolas auf der Straße, als dieser Mann von ihm erkannt und gestellt wurde.”
M. Conseur: „Habt ihr ihn jemals zuvor gesehen?”
Zeuge La Fossense: „Obwohl ich Vertrauter des Herrn Friedrich von Schomburgk war, hatte ich selten Gelegenheit zu erleben, welche Gäste er empfing.”
M. Conseur: „Ihr habt aber zu Protokoll gegeben, ihr würdet in ihm, Dianowitz, den Meuchelmörder, wieder erkennen.”
Zeuge La Fossense: „Ja, im ersten Augenblick glaubte ich das auch“.
M. Conseur: „Kanntet ihr Dianowitz?”
Zeuge La Fossense: „Nicht direkt. Ich hatte ... glaube ich ...”
M. Conseur: „Beschränkt euch Zeuge, La Fossense, auf das, was ihr sicher wisst.”
Zeuge La Fossense: „Ich war zugegen, als der König von der Königsmutter gedrängt wurde, die Glocke von Saint Germain =l’ Auxerrois läuten zu lassen.”
M. Conseur: „Das mag sicher interessant sein. Wir wollen hören, ob ihr den Mann kennt, den man Dianowitz nennt, von dem wir wissen, dass er nach dem Glockenläuten ins Haus des Admirals stürzte, um sein blutiges Werk auszuführen.”
Zeuge La Fossense schweigt. Er senkt den Kopf und steht eine Weile so.
M. Conseur: „Man führe den Angeklagten Bernhard Gottschalk hinaus.”
Notar Michael Bernadotte meldet sich zu Wort. Notar Bernadotte spricht mit Magister Conseur, ohne Protokoll. Er wünscht, dass auch Zeuge Nicolas den Raum verlassen müsse.
M. Conseur: „Seid ihr eine ängstliche Natur?”
Zeuge La Fossense: „Ich will bei der Wahrheit bleiben. Ich habe mich, glaube ich, geirrt. So. Nun bin ich frei. Es hatte mich sehr bedrückt.”
M. Conseur: „Könnt ihr ausschließen, dass der Angeklagte Dianowitz ist?”
Zeuge La Fossense: „Nein, das kann ich nicht. Ich hatte ja nur einen Traum gehabt. Ich meinte, das wäre der Mann.”
M. Conseur: „Ihr wisst, dass ihr euch gegen das Gesetz unrichtig verhalten habt. So ist das!”
Zeuge La Fossense: „Es tut mir leid.”
M. Conseur berät sich mit den Beisitzern.
M. Conseur: „Macht eure Aussage. Aber haltet euch kurz.”
Zeuge La Fossense: „Unmittelbar vor dem Glockenläuten schrie der König: ‘Madame, halten Sie sich da heraus.’ In diesem Moment war er klar im Kopf. Er schrie: ‘Ich werde Ihren Todfeind beschützen. Ich werde ihn um Vergebung bitten für das, was  Ihr ihm angetan habt.’
Der Graf von Angoulèm drang auf seinen Bruder ein. Wörtlich und ganz förmlich sagte er: ‘Majestät, unsere Mutter hat Ihnen einen großen Dienst erwiesen, indem sie den Helden Maurevert anwies, auf den Admiral schießen zu lassen.’
‚Was hat sie getan?‘ Der Ton des Königs war nun ganz hoch. Angoulèm sagte: ‚Sie hat Maurevert bezahlt! Man muss Signale geben! Oder willst du etwa, dass wir der Pestilenz der Ketzerei und der Rebellion freien Lauf lassen, bis sie uns eines Tages erwürgen?‘
‚Meinen Admiral habt ihr umbringen wollen? Das kam von euch?“
Man schickte uns hinaus. Ich bin auf Umwegen in die daneben liegende Kammer geschlichen. Ich muss hinzufügen, dass es im Bereich verschiedener königlicher Gemächer gewisse Kammern gab. Man wusste, Katharina von Medici hatte sie anlegen lassen, um ihre Kinder und Fremde zu beobachten, wann immer es sie danach gelüstete. Leicht hätte ich da auf einen andern Lauscher stoßen können. Doch meine aufgestachelte Neugierde ließ mich waghalsig werden. Die Königsmutter rannte wütend hinter ihrem Sohn her. Er warf wieder eine Tür. Ich konnte nichts weiter hören. Bis zu dieser Minute muss Karl entschlossen gewesen sein, sich seiner Mutter Ansichten zu widersetzen. Das zeigte sich im nächsten Augenblick. Laut rief er aus dem Nebenzimmer: ‚Wer hat euch gerufen‘?
‚Die Pflicht, mein König‘! erwiderte die Mutter. Er kam wieder zurück ins Zimmer: ‚Ihr wollt mich absetzen! Zu Boden wollt ihr mich werfen. Vom Thron in die rote Hölle.‘ ‚Sohn‘ entgegnete Katharina und das klang so weich und gewinnend. ‚Du stehst vor Gott in der Pflicht, den Thron zu behalten. Was könnte ich besseres für dich wollen? Begreifst du nicht, dass Könige niemals ihr Herz um Rat fragen dürfen? Fürchte dich nicht. Wir sind mit dir‘.
‚Die da‘? fragte der König.
Katharina sagte: ‚Wir müssen ganze Arbeit leisten. Alle Gottesfeinde müssen wir ausrotten. Wann, wenn nicht jetzt?‘ Sie schrie ihn an: ‚Willst du herrschen oder willst du den Reformierten das Zepter überlassen? Habe ich euch nicht alles geopfert? Umsonst? Umsonst?‘
Der König  stapfte  aufgeregt durch den Saal. ‚Ihr?‘ Er schnaubte. Er schrie unmenschlich laut, als sei er wieder völlig von Sinnen: ‚Ich der König - bin ich nicht Karl? Ich verbiete euch zu morden. Oder wollt ihr mutwillig die Gottesgebote brechen? Ha, das weiß ich. Mich wollt ihr zerbrechen, wie man Äste knackt. Ins Feuer wollt ihr mich werfen. Du willst hier sitzen, Bruder Heinrich. Es gelüstet dich. Deiner Mutter würdest du besser auf dem Thron gefallen als ich. Ja. Das ist es. Du gefällst ihr, du bist Mutters Liebling!‘ Der König  rannte und tobte. Er rief nach seiner Amme. ‚Wo ist Madeleine?‘ Und dann wieder: ‚Maurevert sollte Coligny wegräumen und dann mich.
Nein! Schafft ihn her.‘
Wie vom Irrsinn gepackt: ‚Ich will herrschen! Du nicht!‘ Das schien auf seine Mutter gemünzt.
Er schrie. Nein! Er heulte. 
Wahl hätte er keine, erwiderte die Königsmutter hart. Er trage die Königspflicht, zur Rettung der Gottessache, das Zeichen zu geben. Paris stünde bereit, seinen Thron gegen die Hugenottenpest zu verteidigen. ‚Majestät!‘ Das Biest von Mutter klang weich: ‚Vergiss nicht, dass Gott sich furchtbar rächen wird. Du weißt, dass der Pharao geplagt wurde, weil er nicht gehorchte. Nur die Häuser in Ägypten, die das blutrote Kreuz über den Türpfosten aufwiesen, wurden verschont. Hast Du das nicht gelernt? Nur an denen ging der zerstörende Engel Gottes vorbei. Du bist der Engel Gottes. Befiehl uns, das Kreuz anzuheften, anzumalen. Wer es heute Nacht nicht trägt, den musst Du erschlagen. Gott will es!‘
Plötzlich redeten sie alle zugleich auf den jungen Mann ein.
‚O Je‘! schrie der König von Furien gehetzt. ‚Es ist also beschlossene Sache.‘
‚Gott hat es beschlossen, mein Sohn. Du kannst nicht dagegen sein, nicht gegen Gott.‘
Plötzlich und wieder mit klarerer Stimme der König, wie er meist sprach: ‚Gegen Gott kann ich nicht an!‘  Aber statt ihnen, wie man erwarten konnte, zuzustimmen, muss er wieder abgewiegelt haben. Denn sie drangen erneut heftig in ihn.
‚Die Reformierten planen unseren Untergang, Majestät. Sie wollen Rache für unser Attentat auf Coligny.‘ Das sagte der Siegelbewahrer, dieser verdammte Mailänder  Birago, der immer alles tat, was Katharina  jemals ausheckte. Birago redete wie ein Buch: ‚Seht Euch Eure großen Städte im Norden und im Süden an. Immer mehr bedeutende Familien fallen den Hugenotten zu. Das ist Rebellion gegen die Krone und gegen die uns allen so unendlich teure Mutter Kirche‘.
‚Mein Sohn‘, sagte sie dann wieder: ‚Du hast mir nicht geglaubt, als ich dir die Wahrheit enthüllte, dass du mehr Feinde als Freunde hast. Willst du auch noch die letzten Getreuen gegen dich aufbringen? Glaubst du, dass du gegen uns regieren kannst?‘
‚Ha, da!‘ schrie der verwirrte junge Mann. ‚Ihr droht mir. Meine eigene Mutter will  mich entmachten.‘ Wie die Zauberin Kirke, die Menschen in Schweine verwandelte, beschwor sie ihren halbverrückten Sohn: ‚Eine Gelegenheit wie diese, mein großer König, kommt nie wieder. Gott hat sämtliche Maurenführer Frankreichs rund um den Louvre versammelt. Deine Schwester Margot hat  Heinrich von Navarra heiraten müssen, sonst wären sie nicht gekommen wie die Bären zum Honig, um in die Falle zu tapsen. Wenn Ihr das versäumt, euch der versammelten wilden Tiere mit einem einzigen Schlag zu entledigen, dann lebt oder sterbt mit den Folgen solcher Unterlassung. Das wisst ihr selbst. Frankreich ist zu klein um zu überleben, wenn es in zwei Teile gerissen wird‘.
Der König brüllte: ‚Meine Schwester Margot! Dieses Hurenweib. Mit jedem Hergelaufenen hat sie geheckt. Mit meinem Feind Henri Guise. Das wisst ihr. Noch in der Hochzeitsnacht. Das war Betrug an ihrem rechtmäßigen Ehemann, Heinrich von Navarra, meinen Freund. Den einzigen außer Coligny. Ihr nicht!‘
‚Keine Sorge, mein Sohn,‘ erwiderte Mutter Katharina: ‚Du fürchtest deiner Verwandten Blicke, die auf den Thronen Englands und Österreichs sitzen. Du hast Angst vor dem Papst. Aber der Papst wird Dir Blumen und Lobesworte schicken, hörst Du! Wenn Du die Feinde der Religion Gottes erwürgst, wird er Dich segnen. Spaniens König Philipp, mein berühmter Schwiegersohn wird Dich umarmen. Wer Katholik ist, wird Dir zustimmen. Die Kirche wird triumphieren. Einzig den Guisenherzögen wird es nicht passen. Natürlich würden die Guise gern sehen, dass Frankreichs Krone und ihre Verteidiger an  den Hugenotten und die Hugenotten an der Staatsmacht verbluten. Dann stünde ihnen, als der dritten Macht, das lange belagerte Tor zum Königspalast und -thron  offen. Willst Du das? Du könntest, wenn Du meinem Ratschlag folgtest, Dich beider Gegner auf einmal entledigen. Ist das nichts? Wenn Du es willst, könnte das Volk glaubend gemacht werden, die Guisen hätten die Hugenotten erwürgt. Erwäge das gründlich und denke nicht immer ein König müsste jeden Tag Gnade vor Recht ergehen lassen. Sogar das Recht muss Dir untertan sein.‘
‚Eure Sache, Madame, ist nicht gerecht!‘
‚Was ist schon gerecht, mein Sohn? Wer, außer Dir, dem König, will das gegen Gott bestimmen, was Recht und Unrecht ist? Sage es mir!‘
Karl murrte. Er grollte. Eine Weile glaubte ich schon, nun würden sie unverrichteter Dinge abziehen. Aber ich täuschte mich. Heinrich Herzog von Anjou hielt ihm vor: ‘Unserm Bruder fehlt der Mut zum Bekenntnis’.
‘Mut?’ schrie der Halbirre. ‘Ja, erwiderte Anjou, es fehlt ihm an Mut. Unser Bruder weiß, dass wir bloß sein Bestes wollen. Aber die Glocke läuten zu lassen, mangelt ihm doch die Kraft‘.
Sofort schlug die Stimmung um. Er ein Feigling? Wie ein Tiger im Käfig rannte der König. Er habe den Mut, sogleich das Richtige zu tun, wenn es wirklich das Richtige ist. Wahrscheinlich wollte er weglaufen.
Katharina wird ihn in diesem Augenblick in den Arm genommen haben. ‚Das Richtige, mein König, ist, für das Haus Angoulèm gegen die Bourbonen und gegen die Guise  zu entscheiden. Das weißt Du doch, mein Liebling. Aber es ist nicht richtig, eine Entscheidung, die so dringend ansteht, hinauszuzögern, bis die Gelegenheit, die Gott dir gibt, vorbei ist. Geschmolzen wie Eis in der Sonne, zu nichts zerronnen. Noch sind sie hier versammelt. Die Hochzeit ist vorbei. Morgen früh ist es zu spät. Dann sind sie auf und davon, untergetaucht wie Giftschlangen in ihren Schlupflöchern, um dir aufzulauern.‘ Sie schwieg einen Augenblick lang. Aber sie holte nur Luft: ‚Du weißt, dass König Saul sein Königtum verlor, weil er Mitleid mit diesem Amalekiter hatte. Geh vorwärts. Gott will es.‘
‚Gott will es‘, wiederholte der Monarch mit  gebrochener Stimme. Plötzlich kommandierte er, als habe er nie anderes gewollt. Mit heiserer Stimme: ‚Ich werde euch das Glockenspiel von St Germain läuten. Bringen wir es hinter uns.‘
Er stampfte auf: ‚Ich werde sie Treue lehren. Wer außer mir bestimmt, welche Religion die richtige ist?’
Den Rest kennt das Gericht.“
M. Conseur: „Warum habt ihr nicht die Unseren alarmiert?”
Zeuge La Fossense: „Man ist wie gelähmt. Es sind nur wenige Augenblicke dazwischen gewesen. Das Glockengeläute war furchtbar. Es dröhnt noch heute in meinen Ohren. Da malte ich mir mit Kreide ein Kreuz an die Stirn. Die Flure wurden besetzt. Die Schreie der ersten im Schlaf überraschten Opfer schrillten grässlich. Ich irrte zwischen ihnen umher, besudelte mich mit Blut. Viel mehr Wachen als sonst liefen hin und her. Alle dachten, das sei wegen des Attentats auf den Grafen Coligny. Ich verließ das Haus. Draußen spießten die Palastwachen alle auf, die fliehen wollten. Die Flüchtenden trugen ja kein Kreuz und keine Waffen! Keiner, nicht einer, hat es den Reformierten verraten.”
M. Conseur: „Auch ihr nicht, Zeuge La Fossense!"
Zeuge La Fossense: „Ich hätte es gern gewollt, aber mir waren die Hände gebunden.“
M. Conseur: „Warum habt ihr Zeugen nur so entsetzlich viele Ausreden? So ist das!”
Zeuge La Fossense: „Seit Ligny in Barrois, schon vor einigen Monaten, als sie einen Mann aus Wut verbrannten, stand ich innerlich zu den Hugenotten. An jenem Tag besuchte ich meine Mutter, während der Hof auf Reisen war. Da ging ich in mich. Nach der Bartholomäusnacht bin ich zu euch übergetreten. Deshalb bin ich hier.”
M. Conseur: „Gereut es euch? Wenn die Feste Sancerre fallen sollte, werden sie es uns heimzahlen, ihnen Widerstand geleistet zu haben. Sie werden uns totschlagen wie die Fliegen. So ist das!”
Zeuge La Fossense: „Dann sollen sie es eben tun. Ich bin in Gottes Hand. Ich bin dankbar, erkannt zu haben, wessen Kirche das ist, die morden lässt und die den Mord vergibt.”
M. Conseur: „Man rufe den Angeklagten herein.”
Bernhard Gottschalk kommt.

Abu Aibak vergegenwärtigte sich die Situation von damals und erregte sich.
Er murmelte vor sich hin: „Es ist alles so wahr wie irgendein Wort meiner unseligen, lieben Mutter der ich mit meiner Flucht aus der Heimat unsagbaren Schmerz zugefügt habe. Es ist wohl so: alles was wir aussenden, kehrt zu uns zurück.“
Und wieder wandte sich der vielgeprüfte Mann Bernhard Gottschalk dem Protokoll, mit hoher Aufmerksamkeit zu, immer wieder erstaunt festzustellen wie gleich die unterschiedlichsten Menschen doch im Grunde sind.

M. Conseur: „Wir haben schwerwiegende Anklagen vernommen. Ihr habt das Wort, Angeklagter, zu eurer Verteidigung.”
Bernhard: „Wie soll ich mich verteidigen, wenn ich nichts gehört habe? Ich bin unschuldig. Mich bedrückt, dass ich nicht erklären kann, was geschah.“
M. Conseur: „Redet nur. Wir hören! Wenn ihr könnt, dann entlastet euch. So ist das!“
Bernhard: „Bis gegen den frühen Morgen nach dieser Mordnacht hielt ich mich in einem Hausflur versteckt. Da wartete ich ab, um mich nicht weiteren Gefahren auszusetzen, weil ich das entsetzliche Schreien von allen Seiten um mich herum vernahm. Erst  als der furchtbare Lärm endete, fand ich den Mann. Mir schien, er winke mich heran. Das war der Graf Cuvier.  An seiner Halskrause erkannte ich ihn, und an seinem Bart. Als ich mich über ihn beugte, sah ich, dass sie ihm den Schädel zertrümmert hatten. Noch atmete er, aber krampfhaft. Da nahm ich meinen Dolch und schnitt sein Gewand auf, wie ich es zu tun pflegte, wenn ein Kamerad verwundet war und um Luft rang.
Vielleicht wurde ich bei dieser Handlung gesehen. Retten konnte ich Graf Cuvier, der mir weiterhelfen sollte, nicht.”
Magister Dr. Conseur: „Das habt ihr euch gut ausgedacht! So, mit dem Messer in der Hand, sah euch Zeuge Lebuin. Ihr seid geflohen, als er euch neben dem uns teuren Toten knien sah. Das mögen die Beisitzer beachten. Ihr gebt es zu: Ihr hieltet euren Dolch in der Hand, er war blutig. Euer schlechtes Gewissen trieb euch in die Flucht.”
Bernhard: „Ich bin geflohen, als ich bemerkte, dass sich mir mehrere Schatten  nahten...Was hätte ich tun sollen? Ich hätte mich vielleicht nicht wehren können.“
M. Conseur: „Ihr trugt doch das Merkmal! Eure Geschichte war anders, nicht wahr? So ist das!“
Bernhard: „Spontan ging das zu.“
M. Conseur: „Ihr seid nicht bange. Das ist so! Und was geschah  in Montfaucon?“
Bernhard: „Ich war zugegen, als der Mob am Morgen die Leiche des Grafen Coligny ins Dorf schleppte. Es ist wahr, dass mein Kummer mich drängte, mehr zu sehen. Ich musste Gewissheit erlangen, ob es der Mann war, mit dem ich so viele Hoffnungen verknüpft hatte. Bauern und Soldaten strömten laut schreiend zusammen. Ich geriet bei diesem Gedränge in die Nähe des Galgens. Ich griff nach dem Seil, als mir übel wurde. Es ist nicht wahr, dass ich daran beteiligt war, den verstümmelten Körper zu erhängen, noch habe ich mich am Feuer beschäftigt, solange des Admirals Leichnam darüber hing. Das habe ich bereits erklärt. Wenn ihr meinen Bericht geduldig anhören würdet, wüsste das hohe Gericht, dass ich nicht schuldig sein kann. Ich liebe es, frei zu sein. Das ist der Grund der mich schon vor vierzehn Jahren bewegte ein Muslime zu werden.”
Magister Dr. Conseur: „Das Gericht vertagt sich bis kommenden Freitag. Euer Urteil werdet ihr dann hören...”

Gerichtsprotokoll vom  5. Juli im Jahre des Herrn 1573

Verhandlung gegen Bernhard Gottschalk.
Neuer Vorsitzender ist Magister Delmonte.
Weiterhin anwesend sind als Beisitzer ehrenwerte Mitglieder der Reformiertengemeinde zu Sancerre
Magister Delmonte: „Erhebt euch in Gedenken meines des Hungertodes erlegenen Vorgängers im Amte, des ehrenwerten Magister Dr. Conseur.“
Magister Delmonte gibt den anwesenden Notaren und den Beisitzern vor Eintreten des Angeklagten bekannt, dass beide Zeugen Monsieur Lebuin und Monsieur  Nikolas denselben Tod erlitten.
In dieser Sitzung beabsichtigt Magister Delmonte zu einem endgültigen Urteil finden.
Bernhard wird vorgeführt.
Magister Delmonte: „Angeklagter Bernhard, was hat man euch heute zu essen gegeben.”
Bernhard: „Ich bekam eine Scheibe Brot und eine Wassersuppe mit Kohlblättern.”
M. Delmonte: „Hungert euch?”
Bernhard: „Ja, sehr.”
M. Delmonte: „Wisst ihr, dass vor einigen Tagen ein Ehepaar auf dem Scheiterhaufen starb weil beide das Fleisch ihrer eigenen Tochter gegessen haben? Ahnt ihr, wann ich zum letzten Mal eine Scheibe Brot verzehrte?”
Bernhard: „Ich verdamme den Tag, an dem ich mich in diese Stadt begab. Ich hätte wissen müssen, dass sie belagert werden soll, während ich mich auf den Weg hierher machte.”
M. Delmonte:  „Seht einmal an! Ihr habt gewusst, dass Sancerre belagert werden soll! Spät kommt ihr mit dieser Wahrheit heraus, aber ihr rückt es doch zurecht.“
Bernhard: „Ich bin lange genug mit derlei Kriegsvorbereitungen vertraut. Ich hätte wissen müssen, was die Fahnen und Aufmärsche der königlichen Truppen bedeuten.”
M. Delmonte: „Ihr habt die Gefahr gesehen und seid ihr nicht ausgewichen?“
Bernhard: „Mein Verlangen nach Beistandsgesprächen war größer!“

M. Delmonte: „Das glaubt ihr selber nicht! Ihr seid ein Kundschafter unserer Todfeinde und seid, für euch unseligerweise, überrascht worden. Ihr habt einen Auftrag, nämlich, denen da draußen die Tore von innen zu öffnen. Ihr habt nur nicht voraussehen können, dass man euch wieder erkennen könnte. Nun versucht ihr euern Hals zu retten. Das kann man verstehen. Botschafter der Maurenrebellen seid ihr angeblich.“

Abu Aibak stockte an dieser Stelle. Ob sein Sohn Asmai ihm diese unglaubliche Geschichte abnehmen wird?

„Botschafter der Maurenrebellen seid ihr angeblich. Ich las, ihr seid ein Muslime geworden, nachdem ihr für die Katholiken gekämpft hattet. Ihr, ein gewesener Protestant. Doch dieser Maurenrebell Aben Ommeya, dessen Botschafter ihr angeblich sein wollt, ist lange tot. Wie wir erfuhren liegt auch euer Aben Aboo, der Nachfolger des Aben Ommeya unter der Erde. Oder der Staub hat ihre Asche verweht. Ihr wolltet einen Beistandspakt für angeblich von der Vertreibung bedrohte Maurisken zuwege bringen, aber ihr seid ein Deutscher. Warum sollte ein Deutscher Interesse daran haben, Mauren zu verteidigen, zumal ihm ein Verrat viel mehr Geld einbrächte. Ihr sprecht von eurem Aufstand, doch der Krieg ist längst beigelegt! Seit Monaten schweigen die Waffen.“
Bernhard: „Dieser Krieg wird niemals zu Ende gehen, weil seine Ursachen nicht beseitigt sind. Die Ungerechtigkeiten schreien zum Himmel! Wo es keine Gerechtigkeit gibt, da ist auch kein Friede.“
M. Delmonte: „Habt ihr Papiere, mit denen ihr beweisen könnt,  dass die Maurenrebellen sich ausgerechnet euch als ihren Botschafter aussuchten?”
Bernhard: „Die mich sandten, hatten guten Grund mir zu vertrauen. Zudem beherrsche ich die Sprachen. Das ist meine Gabe. Die mich beauftragten, kannten meine Familie. Sie wussten, dass ich es gewissenhaft ausführen würde, schon wegen meiner Kinder, wegen meines Sohnes. Wir konnten ohnehin nur versuchen, neue Fäden zu knüpfen. Wir wussten, welche Gefahren euch Hugenotten drohen. Denn es waren und es sind dieselben verderblichen Mächte, die zugleich gegen euch und uns drücken.
Uns erschien kein anderer Weg gangbar, als der durch Gewährsleute zu wirken. Weil wir wussten, welche Drohung über euch hing, war mir verboten, diese Gefahr zu vergrößern. Deshalb war mir nur erlaubt, einen Brief an Seigneur Karl Poltrot in Orleans zu übergeben. Deshalb habe ich keine weiteren Papiere und Beglaubigungen. Aus Gründen der Gesetze der Konspiration.”
M. Delmonte: „Das habt ihr euch  fein ausgedacht! Sagt uns die Fatiha in arabischer Sprache!”
Der Angeklagte erhebt und neigt sich. Er sagt etwas, von dem die Beisitzer meinen, dass es Arabisch sein könnte.
M. Delmonte: „Ihr ein Deutscher sprecht Arabisch? Ihr mutet uns viel zu!”
Angeklagter: „Aus Ärger, weil mir ein brutaler Kerl mein Mädchen wegnahm, bin ich im April 1557 mit meiner ganzen Rotte zu den Spaniern übergelaufen. Von da kam ich nur Wochen später nach Spanien und geriet wenige Monate später in maurische Gefangenschaft.“ 
Magister Delmonte: „Wäre es nicht besser und einfacher gewesen, zu den Nordholländern zu halten und zu den protestantischen Geusen überzulaufen?”
Angeklagter: „Wie denn? In Italien? Das weiß das hohe Gericht. Es gab damals, 1557, noch keine Geusen. Und wenn es sie schon gegeben hätte. Ich war noch unwissend. Noch war es nur ein Entschluss aus Wut und Blindheit gewesen. Ich erkannte noch lange nicht, dass man sich aus grundsätzlicher Erwägung entscheiden soll und nicht wegen gewisser Gefühle. Das lernte ich erst später, und noch viel später, dass alle Gewissensentscheidungen einsam getroffen werden. Noch war ich einer, der nur die Welt liebte und der viel sehen wollte. Ich war nur wild darauf zu leben und glaubte bloß, was so viele glauben.“
Magister Delmonte: „Und das wäre?“
Bernhard: „Ich glaubte an die Magie, an die Karten, an mein Glück und die Mädchen. Ich wollte mein Leben genießen und glaubte, dass die Priester dazu da sind, mich von meinen Sünden loszusprechen. Das ist die Wahrheit, ob sie mir schadet oder nicht.”
Ein Bote kommt und wendet sich an Magister Delmonte. Daraufhin berät sich das Gericht. Die Sitzung wird nicht geschlossen. Die Einschläge der Feldmörser sind lauter zu hören.
Magister Delmonte: „Es reimt sich nicht. Wir gestatten euch aber, Angeklagter, uns in wenigen Worten zu erklären, wie ihr Muslime wurdet. Hütet eure Zunge! Die Zeit ist nicht dazu angetan Anmaßungen zu hören. Ihr seid froh gewesen, nach Südspanien zu kommen? Das sagt ihr, um uns irre zu führen, mit euren vielen Winkelzügen und euren halben Wahrheiten, die ganze Lügen sind.”
Bernhard: „Es kam alles wie von alleine zu mir. Nachdem wir deutschen Landsknechte mit den andern wochenlang nach Süden marschiert waren, um da in der Tiefe Spaniens gegen aufständische Mauren eingesetzt zu werden, sollte sich daraus für mich das Beste entwickeln. Was ich damals aber noch nicht im Mindesten ahnen konnte...”
Magister Delmonte: „Wir lassen uns nicht erschüttern. Nicht von den Granateinschlägen, nicht von den Guisen, nicht von den Aufschneidern und Spionen, nicht vom leibhaftigen Feinde Gottes, dem Satan. Also, ihr seid mit eurem Söldnerhaufen nach Südspanien verlegt worden, habt ihr uns mitgeteilt. Wir hören. Nutzt diese vielleicht letzten Minuten eures Lebens weise. Sagt uns, was ihr dort angerichtet habt.”
Bernhard: „Mit etwa zwanzig andern Deutschen und Flamen sollten wir bei Aboo, einem kleinen Dorf zu Füßen der Felsmassive der Alpujarras, einem Trupp aufständischer Mauren den Weg abschneiden.”
M. Delmonte: „Das sind die Gegenden um Granada. Ist das richtig?”
Bernhard: „Ja, das ist richtig.”
M. Delmonte: „Aber dieser Umstand ergibt noch kein Bild. Wir hören.”
Bernhard: „Unser Auftrag lautete, die angeblichen Rebellen gefangen zu nehmen.“
Magister Delmonte: „Was geschah?”
Bernhard: „Ich wusste von diesen aufständischen Mauren so gut  wie nichts. Mir war gänzlich unbekannt, dass seit achthundert Jahren so viele Muslime in Spanien wohnten, dass sie von Afrika herübergekommen, dass sie von Christen gegen andere Christen herbeigerufen worden waren und vor Zeiten fast auch Frankreich erobert hätten, damals. Nichts wusste ich von den vielen Kriegen auf der iberischen Halbinsel, dass sie schließlich unterlegen waren. Unbekannt war mir, dass es noch eine Million Mauren dort gab. Nichts wusste ich von ihrer Religion, die ihnen, was ich aber  bald  erkennen sollte, genau so heilig war wie dem Papst die eigene. Ich wusste nichts von den Beleidigungen und Bedrückungen, von den immer wieder spanischerseits gebrochenen königlichen Verträgen und von alledem, dem sie sich als spanisch-moslemische Mauren, ausgesetzt sahen. Denn gegen diese Willkür rebellierten sie.”
Magister Delmonte: „Haltet euch knapper.”
Bernhard: „Ich ahnte noch nicht, was alles in den vielen Jahren zuvor geschehen war. Mir war nur gesagt worden: schlagt die Verbrecher, und das zu tun war ich willens. Immer noch zu unwissend war ich, lernte erst später, dass es in diesen Ländern, südlich der Pyrenäen, vor Jahrhunderten eine gewaltige Völkerwanderung gegeben hatte.
Erst als ich das begriff, fing ich an weiter zu denken. Ich sagte mir: Was können die Nachkommen dafür, wenn ihre Eltern neue Wohnsitze nehmen? Aus Afrika gekommen, hatten sie Kalifate gegründet, um sie nach und nach wieder zu verlieren. Noch lebten die Mauren in ganz Spanien verstreut. Die meisten wohnten in den Bergen Granadas und um Valencia herum. Alles Zwangsgetaufte, die man seitens der Kirche und der Krone unter Druck setzte. Noch jedoch sah ich  nicht soweit. In meinen und unseren Ohren klang nur der eine  Satz nach: „Maurische Verbrecher wollen spanische Kinder rauben!“ Deshalb  müssten wir die Mauren  vernichtend schlagen.
Dass jedoch umgekehrt die Väter und Mütter islamischer Gesinnung fürchteten, dass die katholischen Spanier ihnen die eigenen Kinder entwenden würden, um sie in ihren Klöstern gewaltsam zu Christen zu machen, ahnte ich nicht und niemand aus meinem Fähnlein.
An diesem Frühsommermorgen des Jahres 1558 gerieten wir schwer aneinander und wurden von den Aufständischen besiegt. Auch mich traf es. Einen ganzen Tag lang lag ich in jener entlegenen Schlucht schwerverwundet auf einem nackten Felsen. Die Sonne feuerte an diesem Tage gnadenlos herunter. Ich dachte, das wäre mein Ende. Schlimmer als meine Wunden, brannte mein Gewissen. Mir war schmerzhaft bewusst geworden, dass ich am Tage zuvor ein auf ihre Keuschheit stolzes Maurenmädchen gewaltsam an mich gerissen, dass ich es vergewaltigen wollte, das mir aber ein Stärkerer wegnahm. Zu Tode erschöpft lag ich herunter. Ein Dolchhieb hatte meinen Schenkel von unten bis oben aufgeschlitzt. Mein kurzes Leben zog an mir, wie in einem bösen Traum, vorbei. Ich sah die Gesichter derjenigen, die ich getötet, und die, die ich ausgeraubt und überwältigt hatte. Ich sah mein Blut auslaufen und meine letzte Stunde gekommen.
Es tat mir sehr leid. Doch ich konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Ich verdammte mich.”
M. Delmonte: „Kommt zur Sache!”
Bernhard: „Die Sache war, dass mich ein maurischer Bergbauer fand, ein alter Mann. Er sah, dass noch Leben in mir war. Er hätte mich mit einem einzigen Schlag, wie eine Ratte, erschlagen können. Stattdessen, lud er mich auf sein  Maultier, nahm mich mit sich heim, pflegte mich. Erst im Jammer, in dieser Gefangenschaft festigte ich die einfache Erkenntnis, dass meine eigenen Gedanken nicht immer meine guten Freunde  gewesen waren. Ich lag immer noch hilflos und sah die Geschehnisse nun von unten her. Alles erschien mir verkehrt zu sein, wie in einer Welt in der die Lebewesen schweigen und die Berge schreien. Feinde, die ich töten wollte, hatten mich gerettet und als ihr Gefangener blieb ich frei. Ich wage es hier zu sagen: Ich lernte eine bessere Gesellschaft kennen. Ich wage die Lästerung und bin unklug genug, mir nicht auf die Zunge zu beißen: Bessere Christen als die Mauren hatte ich bis dahin nicht gesehen. Aber unsere Priester hatten sie für verwerflich erklärt. Ich erlebte es jeden Tag neu. Wenn Mauren Ja oder Nein sagten, dann meinten sie das auch so. Das war bislang anders gewesen.“
M. Delmonte: „Ihr hasst uns Christen.”
Bernhard: „Ich hasste nicht, aber ich begann zu unterscheiden. Ich bitte Euch, hohes Gericht! Ich habe schon klar gestellt, dass ich weder die Christen hasse, noch die Lehre Christi, sondern nur die Täuschung von Leuten, die ihr kirchliches Getue wie eine Tarnkappe aufsetzten. Ich scheue mich nicht hinzuzufügen, dass mich Hugenotten verleumdet haben, sonst befände ich mich nicht in eurem Gewahrsam.”
M. Delmonte: „Wie lange bliebt ihr unter den Maurisken Granadas?”
Bernhard: „Etwa fünfzehn Jahre.”
M. Delmonte: „Ihr seid unter den Muslimen ein Muslime geworden. Ist das richtig?”
Bernhard: „Erlaubt mir, das zu erklären.”
M. Delmonte: „Ist das so?”
Bernhard: „Christen, die ich kennen lernte, und die Wert darauf legten, das zu betonen, waren stets unduldsamer gegenüber Andersglaubenden als die Maurisken.”
M. Delmonte: „Ist es nicht so? Bernhard Gottschalk, ihr seid längst kein Christ mehr?”
Bernhard: „Ich empfand, dass es Christen sehr wohl um ihre Religion geht, aber nur selten um deren Wahrheitsgehalt. Doch um was geht es dann, wenn nicht um die ganze Wahrheit?”
M. Delmonte: „Wer außer Gott hat die Wahrheit?
Und wegen dieses Schlusses, wie ihr meint, wurdet ihr Mohameds Verehrer! Das ergibt die einzig denkbare Einsicht für uns. Eure Beweggründe haben jedoch wie ich glaube, noch tiefere Wurzeln.”
Bernhard: „Ich liebe die gelebte Toleranz der Araber!”
M. Delmonte: „Bekennt ihr euch heute und jetzt noch als Muslime? Antwortet kurz mit Ja oder mit Nein.”
Bernhard: „Ja, ich glaube wie ein Mohamedaner. Aber ich...”
Magister Delmonte: „Es ist ungeheuerlich! Ihr schmettert es uns ins Gesicht: Ihr steht gegen uns Christen. Nun sagt auch noch den Rest, nämlich dass euch der maßlose Christenhass dazu trieb, Christen, gleichgültig wie sie sich nennen, zu verfolgen. Sagt auch das frei heraus, dieser Hass gebot euch, unsere Grafen Coligny und Cuvier zu ermorden.”
Bernhard: „Ich fürchte mich nicht. Der Tod kommt sowieso zu uns. Nein. Ich liebte den Grafen Coligny lange bevor ich ihn zum ersten Mal sah und ich werde das beweisen. Meine Hände sind nicht mit dem Blut der Grafen Coligny und Cuvier befleckt. Glaubt euren leichtfertigen Zeugen nicht. Selbst wenn sie das Kreuz über die Brust schlagen, verhütet das nicht ihre Niedertracht.”
M. Delmonte: „Das zu unterscheiden, überlasst dem Gericht.”
Bernhard: „Ich sage nur und bekenne, dass ich durch bittere Erfahrung gelernt habe, dass es auch Reformierte gibt, die rücksichtslos gegen ihre eigenen Gläubigen vorgehen und dass die meisten Christen, gleich welcher Sorte, anmaßend sind. Ich war entsetzt, als ich hörte, dass auch die Reformierten namens ihres Glaubens ungerecht sind. Wenn Leute von den ihnen vorgeschriebenen Glaubenssätzen abwichen - und zwar nur von den für wahr gehaltenen Sätzen. Es hat mich tief erschüttert, als ich hörte, dass es auch unter Euch Calvinisten Verbrennungen  von so genannten Ketzern gab.”
M. Delmonte ist sehr empört: „Wer hat euch solche Lügengeschichten gelehrt? Ihr wagt es uns anzuklagen?”
Bernhard: „Ich werde in jedem Fall sterben. Mir ist bekannt, dass der reformierte Mann Servet hingerichtet wurde, ein berühmter Arzt, nur weil er eurer Lehre nicht genau entsprach, weil er zu denken wagte. Ihr ertragt es nicht, wenn ein Mensch dem widerspricht was ihr für richtig erklärt habt, ihm aber durchaus nicht einleuchten will. Das ist nichts anderes als die Spanier in ihrem Wahn betreiben und was einem Muslimen nie einfallen würde, zu tun. Das schreckt mich ab.“
M. Delmonte: „Junger Mann, nehmt ihr den Mund nicht gar zu voll? Erstickt nur nicht an dem Bissen, den ihr euch vorgenommen habt. Es muss im Protokoll vermerkt werden, dass ich den Angeklagten verwiesen habe.”
Bernhard: „In Paris, in den heißen Tagen und Nächten vor der Sankt Bartholomäusnacht, habe ich von beiden Parteien dasselbe gehört. Aus Reformiertenmund hieß es da nicht anders als von Katholiken spöttisch: Gottes Gebote sind dazu da, dass man sie übertritt.
Wenn ein solches Gebot aber den Charakter eines ewigen Gesetzes hat, dann zerschmettert es den Übertreter durch die ihm innewohnende Kraft. Sagt mir, dass es nicht stimmt!
Niemals wäre einem Muslimen solche Verdrehtheit in den Sinn gekommen, gegen besseres Wissen zu handeln. Wer hat Vergnügen an Lippenbekenntnissen? Etwa Gott, der Schöpfer unverbrüchlicher Gesetze?  
Es ist wahr. Mauren haben getötet. Sie spießten ohne Pardon zu geben selbst Knaben auf, wenn sie ihnen den Weg versperrten. Aber sie verübten niemals solche Gräueltaten, wie die Christen, die sich an schwangeren Maurenfrauen vergingen, die ihnen während der Aufstandstage in die Hände fielen, das weiß ich, leider. Ich sah, wie Spanier sich erst bekreuzigten ehe sie ihnen die Bäuche aufschlitzten. Angeblich hätten sie Gold geschluckt. Ich sah, wie dieselben Kerle die Ungeborenen tauften indem sie unter lästerlichen Reden auf die kleinen Köpfe spuckten. Ich habe erlebt, wie sie die zuckenden Kleinen, sobald sie so blasphemisch getauft worden waren, gegen die Wand zu Tode schmetterten. Aber ich erlebte es nur ein einziges Mal, dass ein Mönchspriester dagegen einschritt. Ich habe in Paris Kerle calvinistischen Glaubens beim Falschspielen gesehen. Ich sah, wie sie sich mit den jauchzenden Dirnen wüst, wie läufige Hunde, zusammen schmissen.
Weil ich Gott ganz und gar vertraue, deshalb bleibe ich dabei. So war es.”
M. Delmonte: „Habt ihr nicht Furcht vor unserem Zorn, den ihr herausfordert?”
Bernhard: „Ich würde mich eher fürchten, durch Schweigen schuldig zu werden, mein Gewissen ist hellwach. Der unter den Teppich gekehrte Mist hinterlässt den Gestank! ”
M. Delmonte: „Ihr liebt es, starke Ausdrücke zu verwenden, ihr liebt die Perversion, sie geht in eurem eigenen Kopf wüst um und um. Euch hat der Hass um den Verstand gebracht. Ihr selber seid einer der Schrecklichen!”
Bernhard: „Ich bin voller Zorn auch auf mich. Ich weiß, dass es nie verjährt. Aber ich will mich ja bessern, will wieder gut machen so gut es eben geht. Ja, ich tobe oft gegen mich selber und gegen Euch Hohes Gericht! Ihr fragt mich seit Monaten lauter Nebensächlichkeiten und ich sehe in dieser Zeit wie der Letzte meiner Familie verkommt, mein Sohn Asmai, den ich bisher vergeblich suchte. Ihr habt mich zur Tatenlosigkeit verurteilt, obwohl ich betreffs eurer Klagen unschuldig bin.  Weil wir immer umsonst hofften, Hugenotten würden uns beistehen, weil ihr mir misstraut, wo nichts zu misstrauen ist und weil die Hilfe ausblieb um die ich bettelte, bin ich zornig.
Herr Richter, mir ist es nun ganz und gar gleichgültig, was ihr von mir denkt und wie ihr urteilt. Gnade werde ich nur vor Gott finden. Macht der Qual endlich ein Ende.”
M. Delmonte: „Ihr seid nicht nur aufbrausend und anmaßend, sondern auch frech. Es ist doch nicht unsere Schuld, dass ihr euch hier befindet. Also beherrscht euch! Angeklagter, wann kam euch zum  ersten Mal der Gedanke, eure Bitterkeit und Ablehnung den Christen, egal welcher Farbe,  heimzuzahlen?”
Bernhard: „Ich wollte nie heimzahlen.“
M. Delmonte: „Es steckt euch das Böse in den Knochen! Bringt euren Bericht zu Ende. Kurz und knapp. Wie passt das alles zusammen? Eure ganze Geschichte macht mir keinen Sinn! Ihr seid ein unberechenbarer Abenteurer. Ihr würdet euch für alles und jeden schlagen. Eure Hauptsache ist das Geld. Es tut mir leid das sagen zu müssen.
Wir würden euch freilassen, wenn ihr uns überzeugen könntet.“
Bernhard: „Seit meinem neunzehnten Lebensjahr kämpfte ich nur noch für meine Überzeugungen und danach außerdem noch für meine Familie. Nach Weihnachten 1566, wenn ich mich recht erinnere, bevor mein Sohn Asmai sechs wurde und meine Tochter fünf, gab Deza, Granadas Kanzleipräsident, einen folgenschweren Befehl bekannt. Er wurde in den südspanischen Kirchen verlesen.“
M. Delmonte: „Das sind nun fast sieben Jahre her.“
Bernhard: „Mir ist zumute, als wäre es erst gestern gewesen. Dezas Befehl ließ uns zu den Waffen greifen. Er wollte unsere Kinder rauben. Überall in der Stadt gab es Verlautbarungen dieser Art. So sprach sich diese Verordnung überall bis in die entferntesten Gegenden durch. Zugleich mit seiner unmenschlichen Weisung erließ Deza ein willkürlich aufgestelltes Gesetz gegen gewisse Maurensitten. Unseren Frauen wurde untersagt, ihre gewohnte Kleidung zu tragen, zu baden, den Thailesan anzulegen. Allen Mauren wurde bei Strafe verboten weiterhin arabisch zu reden. Der Ton der Veröffentlichungen war dermaßen rüde, dass wir daraus nur schließen konnten, dass sie unsere Kinder in Klöster einsperren und dort christlich erziehen lassen würden. Das musste die Mauren in den Widerstand treiben. So kam es erneut zum Krieg und so handelte ich.”
M. Delmonte: „Ihr redet immer von euren Kindern.”
Bernhard: „Ich verlor meine Familie in den maurischen Bergen.”
M. Delmonte: „Wem wollt ihr weismachen, dass ihr ausgerechnet bei denen, die euch in Gefangenschaft hielten, zu einer eigenen Familie gekommen seid. Ihr, ein Deutscher.“
Der Angeklagte antwortet ruhig: „Da gab es in diesem Maurendorf in den Alpujarras, in dem ich mich als Gefangener befand und lange Zeit verwundet niederlag, ein Mädchen, das mein Leben änderte.”
M. Delmonte: „Wollt ihr uns wirklich glauben machen, ihr hättet von euren Feinden zur Belohnung dafür, dass ihr Mauren niedergemetzelt und genötigt habt, eins ihrer Mädchen zur Frau erhalten?”
Bernhard: „Ich liebte sie über alles. Nein, natürlich, ich betete die Fatiha zweimal, vor drei Muslimen als Zeugen, und wurde beschnitten. Ich liebe sie immer noch. Ich hatte mich zu Allah bekehrt und ernstlich Vergebung gesucht. Das ist wahr. Sie nahm mich nach vielen Monaten, weil sie mich liebte.”
M. Delmonte: „Ja, natürlich beschnitten.“
Bernhard: „Als ich erkannte, dass ich mich selbst bessern muss, erkannte ich Gott. Ist das nicht gleichgültig, welchen Namen wir ihm geben?  Statt unter Christen lernte ich das wichtigste bei den Mauren: Nicht das ehrfürchtige Nennen und Anrufen eines Gottesnamens ist Bekehrung, sondern die unaufhörliche Selbstverbesserung.“
Magister Delmonte belehrt den Angeklagten heftig: „Ihr seid mir ein Dorn im Auge und ein Ärgernis im Ohr. Ihr redet wann ihr wollt, ihr sagt was ihr selber nicht glaubt. Merkt euch das: Es ist den Menschen unter unserm Himmelszelt kein anderer Name gegeben worden als der Name Jesu Christi. Das lehrt die Heilige Schrift, auf die ihr hier vor Gericht  geschworen habt.”
Bernhard: „Muslime glauben an die Bibel als das Wort Gottes, aber sie verspotten sie nicht durch ihre Taten. Muslime sind keine Lippenbekenner.”
M. Delmonte: „Ich frage mich sehr und auch die Beisitzer des Gerichtes, ob ihr recht bei Sinnen seid.”
Bernhard: „Ich bin vielleicht ungerecht. Ich bin sicherlich verbittert und vielleicht noch im Taumel. Aber wer an meiner Stelle wäre das nicht? Ich sitze in einem elenden Keller und meine Familie schreit nach mir. Hört ihr das nicht?
Seit Jahren wünsche ich nichts sehnlicher als sie wieder zu sehen. Ich weiß, dass ich sie verlor. Ich hoffe wenigstens, dass mein Sohn Asmai lebt.”
Magister Delmonte: „Beweist uns eure Unschuld!”
Bernhard: „Aber wenn er noch am Leben ist, dann hat Spanien ihn versklavt und ich weiß, wie Christen mit Sklaven umgehen.”
M. Delmonte: „Und was hat das alles mit dem Ommeyaden zu tun? Was habt ihr mit den Maurenkönigen zu schaffen? Uns ist bekannt, dass Aben Ommeya bereits im ersten Jahr seiner so genannten Regierung neben seinen Huren liegend erschlagen wurde.”
Bernhard: „Aben Ommeya ist nicht neben seinen Huren liegend erschlagen worden. Er lebte in Polygamie und es waren seine ihm rechtmäßig angetrauten Ehefrauen, mit denen er schlief.
Die Großen unter den Mauren rissen sich ja darum, ihm eine ihrer Töchter zur Frau zu geben.”
M. Delmonte: „Beantwortet unsere Frage. Überzeugt uns, wie ein Maurenkönig, sei er legitimer Regent oder nicht, einen deutschen Dahergelaufenen zu seinem Freundschaftsboten machte.”
Bernhard: „Vor fünf Jahren, im Spätdezember 1568, wenige Tage vor seiner geheimen Krönung in einem Hause im Albaycin, traf Aben Ommeya mich und meine Familie, da wir an diesem Tage uns bei Verwandten meiner Ehefrau  aufhielten. Diese wohnten ebenfalls im Albaycin.”
M. Delmonte: „Und der junge Thronanwärter schenkte euch sofort sein Vertrauen.”
Bernhard: „Ich hatte es lange Zeit nicht gewusst. Meine Frau ist eine Nachkommin Tariks. Das half mir sehr.”
M. Delmonte: „Tarik, ihr meint allen Ernstes jenen Tarik, der Spanien vor Jahrhunderten für den Islam eroberte?”
Bernhard: „Damals, an jenem Tage, an dem ich den großen Ommeyaden kennen lernte, war er selber noch ungewiss, wie seine Zukunft aussehen wird. Er hieß damals noch Don Fernando Muley de Valor und arbeitete für den Markgrafen von Mondejar, den militärischen Führer der Söldnerschaften Granadas. Don Fernando Muley de Valor war übrigens auch Mitglied der Vierundzwanziger.”
M. Delmonte: „Was besagt das?”
Bernhard: „Don Fernando war Mitglied des Stadtrates von Granada, dem nur Altchristen angehören durften.”
M. Delmonte: „Wollt ihr damit sagen, dass ein Maure altköniglichen Geblütes sich unerkannt unter Altchristen bewegte?”
Bernhard: „Meiner Überzeugung nach wussten die meisten Spanier überhaupt nichts von den inneren Verhältnissen unter Mauren. Sämtliche Spanier sind durch kirchliche Riten und durch ständiges Ermahnen von der Kanzel zur Blindheit erzogen worden. Sie fragen nicht, sondern überlassen das Nachdenken ihrer ebenfalls schlecht unterrichteten Geistlichkeit und der allwissenden Inquisition.”
M. Delmonte: „Befand sich der Hauptsitz der Inquisition damals nicht ebenfalls in Granada?”
Bernhard: „Das ist wahr. Auch mir erschien alles sonderbar, ja fast unglaublich: Die feierliche Krönung Don Fernandos fand im Hause El Zaguirs statt und dieser Alcazar des El Zaguir lag nur um ein weiteres Gebäude getrennt neben dem Palast der Inquisition. Übrigens, Don Fernando war an jenem Tage nicht älter als vierundzwanzig Jahre, - fünf Jahre jünger als ich.”
M. Delmonte: „Ihr meint, ich solle euch all diese eure Zugespitztheiten glauben? Nun sagt nur noch, ihr seid auch Zeuge der Krönungsfeierlichkeiten geworden.
Bernhard: „Wenn ich bei der Wahrheit bleiben will, muss ich das behaupten. Man vertraute mir, meiner Frau und unserer Kinder wegen. Ich war dabei, als aus dem jungem Mann Don Fernando König Aben Ommeya wurde. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich den Aufstandstermin der Mauren. Es war, ich werde es nie vergessen, der erste Januar 1569. Aben Ommeya schwor nicht nur mir: ‚Die Spanier, auch wenn sie das in ihrer Bosheit beabsichtigen, werden uns die Kinder nicht wegnehmen, eher holen sie sich blutige Köpfe‘. So hieß das bei uns. Das bewegte alle und ich wollte sehen, Hochwürden, ob es euch kalt gelassen, wenn  eure Füße in meinen Schuhen gesteckt hätten.
Bis zu diesem Tage sollten fünfzehntausend unserer Monfi kampfbereit stehen, um  Granada einzunehmen, und sie standen da. Jeder Maure weit und breit erfuhr dieses Datum, denn es war das Losungswort.
Wir wissen, dass keiner aus den Reihen der fünfundvierzigtausend Mauriskenfamilien zwischen Malaga, den Alpujarras und Granada, es verriet. Wie ein einziger Leib atmeten wir und wir fühlten alle dasselbe. Wie ihr Hugenotten, in den guten Jahren, fieberten wir unserer Freiheit entgegen...“

Bernhard Gottschalk schloss die müden Augen.
Wie durch einen Schleier sah er die Blätter  und Papiere. Jeden Satz dieses Dokumentes hatte er im Verlaufe seines Lebens zahllose Male gelesen.
Nun, da er fast aufgegeben hatte, kam der Ruizbrief ins Haus geflattert.
In gut leserlicher Schrift hieß es knapp und bündig:
„Zuvor war er uns nicht weiter aufgefallen. Aber da hattest Du uns noch nicht um unsere Mithilfe ersucht. Asmai soll bis vor einem Jahr im hiesigen Franziskanerkloster gelebt haben. Vielleicht ist er auch erst seit Kurzem hier in der Metropole. Man teilte uns mit, dass Dein Sohn gegenwärtig im Range eines Bischofberaters steht. Sein Name ist Dr. Zurita Simanca.“
Tonlos und immer noch hoch bestürzt sprach Aibak vor sich hin: „Sein Name ist Doktor Zurita Simanca!“

Den Blick ins Endlose erhob Aibak sich, nahm die Post zur Hand und schritt langsam wieder zurück zum hoch gelegenen Fenster des Balkonraumes. Er sah durch die Lücken tiefer liegender Dächer das weißlich gleißende Meer und die wogenden dunkelgrünen Zypressen. Versonnen und benommen legte er das Papier ab, stützte seine Ellenbogen auf die kaffeebraune Fensterbank und legte sein starkes Kinn und Gesicht in die geöffneten Handflächen. Er war in seiner grenzenlosen Trauer ratlos.
Selbst wenn Asmai käme und  vor ihm stünde, bereit zu reden, würde er gewiss keine Antwort auf die Fragen wissen, die ihn als Vater bewegten.
Wie ein Unbekannter vor einem Fremden würde er dastehen.
Aber er lebt doch! schrie Aibak sich innerlich an. Er lebt. Du wirst ihn wiedersehen.
Wieder sehen? Und was werde ich sehen?
Eine erstarrte Hülle? In diesem Alter biegt sich der Baum nicht mehr.
Gleich Wogentälern und Wellenhöhen durchrauschten ihn nun schon seit Stunden die scharfen Gegensätze.
Bischofsrat Asmai! Dr. Zurita Simanca!
Der Verlorene und der wiedergefundene Erneutverlorene.
Religionen und Anschauungen senkten in ihrer Gnadenlosigkeit Eisen in die Herzen. Als hätte er, Aibak, das nicht schon  zu oft gehört und erlebt. Wer Fanatikern in die Hände fiel, und ihnen nicht rechtzeitig entkam, der verlor Tag um Tag ein wenig von seinem Menschsein. So war es eben. Hunderttausende saßen fernab des pulsierenden Lebens,  abgeschieden von ihren Lieben und Liebsten in Klöstern, wie in kalte Ketten geschlagen.
Bislang hatte der Sinn seines Lebens darin bestanden, niemals den Glauben an ein Wiedersehen zu verlieren und nun hatte er wiedergefunden und war zum ersten Mal glaubens- und hoffnungslos. Warum war ihm nicht vergönnt, nun, wenigstens im Alter zur Ruhe zu kommen?
Mutter Erde gab doch sonst all ihren Geschöpfen die Kraft und die Fähigkeit, die versehrte Schönheit wiederherzustellen. 
Unbewegten Gesichtes starrte Aibak auf die vor ihm hin gebreiteten Zeilen. Ja! Er nickte. Der Brief stammte von einem Mann von Glaubwürdigkeit und Vorsicht.
Aber, wenn man nicht wüsste, mit welcher Hasskraft dieser Widerling Erzbischof de Ribera agierte.
Abu Aibaks altes Herz pochte hart. Atem ringend schaute und schaute er. Er sah Paris, Granada, das Tal Poqueyra und sich selbst inmitten des Trubels, der so viele Jahre hinter ihm lag. Wieder folgten seine Augen dem Zeilenverlauf: „Lieber Aibak, wir glauben, dass es für Dich wichtiger ist zu fragen ob er Dein Sohn  ist, als danach, für wen er arbeitet. Immerhin, nachdem wir letztes Mal darüber redeten achteten auch wir mehr auf Einzelheiten.
Jedenfalls die Art wie er die Hände hob und senkte, was er sagte und wie er es aussprach, machte uns aufmerksam und hellhörig. Sogar einige Deiner Gesten, nämlich, die Art und Weise wie er mit dem Rücken seiner Rechten über seine buschigen Augenbrauen wischte und dann gewisse gemeinsame Gesichtszüge fielen uns auf. Wie Schuppen fiel es uns von den Augen.
Ob der Franziskanermönch Dr. Zurita Simanca allerdings wirklich dein Sohn Asmai ist, nach dem du lebenslänglich gesucht hast, müssten wir erst, an Hand weiterer Hinweise von Dir, vorsichtig überprüfen.
Ich empfehle Dir, mir Deinen Sancerrebericht zu überlassen. Schicke ihn mit Uriel ben Naad. Immerhin besteht durchaus eine gewisse Gefahr. Ich rate auch von einer sofortigen Begegnung ab, denn es ist nicht auszuschließen, dass er ein echter Glaubensfanatiker ist. Du weißt ja. Sie kneten und formen uns alle, ununterbrochen. Wir müssen Leute ihrer Art werden oder ins Gras beißen.
Ich könnte Deinen Sohn zu mir nach Hause einladen und ihm Deinen Bericht zu lesen geben, dann teile ich Dir umgehend mit, wie er reagierte. Lasse mich wissen, was Du zu tun planst. Mit unserer Unterstützung kannst Du unbedingt rechnen.
Sei vorsichtig, schicke uns nur über  Uriel ben  Naad Nachrichten.
Unterschrieben von S.R.“
Zum ersten Mal in seinem Leben hörte Bernhard, dass seine Zähne knirschten.
Wer mischte ihm stets diese bitteren Wermutstropfen  unter das süße Wasser seines Glases?
Gott, warum bist du so grausam zu mir?  
Aibak, den ausladenden Hinterkopf in den Nacken gedrückt, schloss abermals die Augen.
Lieber wäre ihm gewesen, Asmai käme ihm leiblich verstümmelt, mit nur einem Bein und einem Arm, in Armut und auf einem Sack rutschend entgegen… das ließe sich ertragen…
Mit Ähnlichem musstest du doch rechnen, nicht wahr, Abu Aibak?
Zynisch die Lippen aufgeschürzt, verlachte sich der alte Deutsche schließlich.
„Asmai ist gesund, er lebt, was willst du mehr?“ Einige Male rief er diese Worte aus. Übe dich in Geduld. Verwirf nichts, ehe du es zweimal geprüft hast.
Zorah, seine Stieftochter, kam angelaufen, in der Meinung ihr Vater habe sie gerufen.
Barsch schickte Aibak das ihm sonst so angenehme Mädchen von sich.
„Ich rate Dir ab, die sofortige Begegnung zu suchen.“ Das klang wie Hohn auf sein jahrzehntelanges Bemühen.
Aibak nickte aber auch: er verstand sie ja allesamt, nur sich selber nicht. Vor allem junge Menschen glauben und vertreten zu oft mit äußerster Entschiedenheit was ihnen lange genug eingebläut wurde. Die wenigsten wägen das, was sie glauben sollen und wollen ernsthaft und hinlänglich ab, schon gar nicht, wenn große Gewalten oder die Gewohnheit dahinter stehen.
Du weißt doch: Steter Tropfen höhlt den Stein! Jahrzehntelanger, pausenloser Einfluss durch erzkatholische Priestermacht verformt auch den härtesten Brocken … und Asmai war damals erst ein weiches Kind.
Aibak konstatierte: Achtundzwanzig lange Jahre sind über deinen Herzenswunsch gewachsen.
Achtundzwanzig Jahre! Siebenunddreißig war Asmai nun.
Aber mein Sohn, sei gewiss, dass ich handeln werde!
Zunächst werde ich Bidà unterrichten und sie vorbereiten.

Weder Bidà, Abu Aibaks stets fürsorgliche Ehefrau noch Zorah, ihre Tochter, hatten es gewagt ihn zu fragen. Sie wussten lediglich, dass Ungewöhnliches  geschehen sein musste. Sie reimten sich zusammen, dass er durch eine Botschaft des Seefahrers und Postboten Uriel ben Naad niedergeschmettert worden war.
Seine ersten Worte als er ihre Küche betrat lauteten: „Bidà, ich habe Hoffnung, meinen Sohn lebend wieder zu sehen!“
Es durchzuckte sie, wie er sah. „Wie schön!“ erwiderte sie. Es sollte heiter klingen, denn sie liebte ihren Mann über alles. Sie rührte sich nicht und fügte kaum hörbar hinzu: „…für dich!“
Das erkannte sie sofort, diese Tatsache wird ihr nur Nachteile bringen.

Als sie dann nachts nebeneinander lagen, nahm Aibak ihre schmale Hand.
Mit Unterbrechungen erzählte er ihr alles.
Durch ihre Mutter erfuhr es Zorah, die mit verzücktem Gesicht lauschte, als habe sie nie anderes und mehr erwartet und als wüsste sie viel mehr, als ihre Mutter ahnen konnte.

Am Nachmittag des folgenden Tages kam Uriel ben Naad vom Hafen herauf um sich zu verabschieden, so, wie er es zugesagt hatte und Aibak übergab ihm den in ein festes Tuch eingenähten Sancerrebericht.
Mutter Bidà und Zorah waren dabei. Aibak rieb die weißen Hände aus gewisser Sorge und Verlegenheit. Denn es gehörte zum Kostbarsten was er besaß, diese unersetzlichen Papiere, die er damals  bei dem großen Durcheinander, während der Erstürmung der Feste Sancerre, entwenden konnte. Wie von Furien gejagt, waren an jenem denkwürdigen Tag die Gerichtsleute vor dem erbarmungslosen Feind auseinander gestoben und er hatte seine Chance gesehen, mit seiner Beute zu entkommen.
Er wandte sich gewollt zuversichtlichen Tones an Uriel ben Naad mit seiner Botschaft an den Wasserrichter Ruiz: „Ich hoffe, dass Asmai jede Zeile liest. Vielleicht lernt er zu verstehen!“
Aibak schämte sich nicht zu sagen, dass er am liebsten selber   losstürmen würde. Doch gut Ding will Weile haben. Dieses Wort seiner Mutter stünde in seinem Bewusstsein.
Fischer Uriel ben Naad  erwiderte entschuldigend, er sei in großer Eile, doch andererseits wäre er auch darauf eingestellt Abu Aibak auf seinem Boot unterzubringen und ihn mit sich zu nehmen.
Vater Aibak schaute den stämmigen Maurisken freundlich an: „Nein, überbringt dem Wasserrichter Hernando Ruiz meinen besten Dank. Ich werde ihn bald aufsuchen, hoffe ich. Ich bitte ihn schon jetzt um seine Gastfreundschaft.“  
Aibak musste schwer an sich halten, gelassen zu erscheinen.

Ben Naad hingegen schien erleichtert zu sein: „Es ist vielleicht besser nicht mit mir und meinem schaukligen Dinghi zu reisen, es scheint, dass wir Sturm  bekommen.“ Das sagte er, als rede er über das Angeln von kleinen Fischen von einer sicheren Mole aus. Er kratzte seinen eckig geschnittenen Vollbart.
„Aber, in  etwa  zwei oder drei Wochen legt hier Ali, der Äthiopier, von Valencia kommend an. Der hat eine schöne Barke, und was ich nicht habe, eine Lizenz.
Ich sprach noch zuletzt mit ihm. Er wird im Hafen Ladung nehmen und ebenfalls nach Valencia zurück segeln.“
Zorah die davon gegangen war, brachte dem sich verabschiedenden Gast frisch gepressten Orangensaft. Der rau wirkende Mann schaute die schöne sechzehnjährige mit leuchtenden Augen an und trank, ohne den Blick von ihr zu wenden. Beinahe nebenbei sagte er: „Das Boot Alis hat drei Masten, es geht gut bei Wind. Du erkennst es an seinen rotgelben Hauptsegeln und dem gelben Fock. Auf dem Top weht Grünweiß.“
„Auf dem Top weht Grünweiß!“ wiederholte Aibak nachdenklich.
Aber, auch wenn er es nicht bemerkte, seine Stieftochter Zorah murmelte dieselben Worte: „Auf dem Top weht Grünweiß!“
Er geleitete den Boten hinaus, ging ein paar Schritte mit ihm:
„Gott ist groß!“ rief er dann hinter dem Eiligen her, der die Steinstufen hinunter rannte, als jage ihn bereits der von ihm vorausgesagte Sturm.
Sogleich als er das Haus wieder betrat ergriff Bidà ihres Mannes Hand: „Meinetwegen sollst du nicht verzichten!“ sagte sie so selbstbewusst wie sie immer gewesen war.
„Es kommt noch früh genug auf dich zu!“ erwiderte er und gab ihr den Händedruck zurück. Wie gerne hätte er ihr erklärt was er empfand, doch noch war er nicht mit sich selber im Reinen: Denn immer noch kam ihm sein lieber Asmai, wie ein Ungeheuer in hochkirchlichem Ornat vor.
Kein Altchrist konnte die Juden dermaßen hassen, wie ein konvertierter Jude.
Kein christlicher Fanatiker vermochte es Maurisken so zu hassen, wie ein konvertierter Mauriske.
Zwei Namen standen in der Geschichte dieses Landes tragisch beispielhaft da. Der erste hieß Torquemada, der Mann jüdischer Herkunft der berüchtigte, gewissenslose Großinquisitor Granadas der sein Stammvolk in die Verzweiflung und Notlage trieb, entweder sich gegen ihr Gewissen und Tradition taufen zu lassen oder den Feuertod zu erleiden, - oder bestenfalls, das  Land zu verlassen.
Den Zweiten nannte man Albotodo. Er wurde trotz seines arabisch-berberischen Blutes Jesuit, der mit gnadenloser Hetze auf die Unterwerfung sämtlicher Maurennachkommen bestand.
Beide Unholde waren ein reines Produkt der Kirche.
Nur ungefähr drückte Aibak seine Gedanken auf diese Weise aus und ging in den Patio.
Dort setzt er sich auf eine Bank. Er wollte sich nicht mehr zergrübeln. Deshalb konnte er nicht anders als seine abgrundtiefe Verachtung für die lieblose, familienzerstörende, spanische Religion durch den Satz auszudrücken: Dornengestrüpp kann nur Dornengestrüpp hervorbringen. Er ballte die Rechte zur Faust und reckte sie protestierend gegen den Himmel in den ihn die Kirche hineinzwingen wollte.

Am nächsten Tag umgarnte ihn die Stieftochter Zorah. Wann immer er von sich und seinem Asmai erzählt hatte, und das war selten genug, konnte sich nie satt hören.
Jetzt schon gar nicht.
Denn seit langem hegte sie den geheimen Wunsch dieser Asmai, den sie aus Aibaks Erzählungen kannte, möge sich eines seligen Tages in sie verlieben. Sie hatte unentwegt daran geglaubt, dass er lebt und dass ihr Vater ihn finden wird. Für sie war das nie eine Frage gewesen. Allzu sehr, wenn auch seltsam genug, hatte ihr Herz schon seit je gewusst, dass sie für diesen wunderbaren Menschen bestimmt ist.
Zorah beobachtete den Vater. Er schaute in die Ferne, dann auf seine mit einer Handarbeit beschäftigte Frau Bidà.
Es trieb ihn um. Er lief umher, als wäre er ziellos.
Deshalb dauerte es eine Weile bis er sich wieder setzte und zu reden begann: „Vornean steht eine traurige Geschichte, die mich mein ganzes Leben hindurch schmerzhaft begleitete und die mich nun erneut beschäftigt.“ Aibak schluckte und zeigte ein kleines Lächeln, das jedoch schnell wieder verschwand, was die hoch aufmerksame Zorah stutzig machte.
„Wisst ihr“, sagte er: „wir müssen nämlich lernen mit uns selber schonungslos ehrlich und selbstkritisch umzugehen.“
Zorah brannte lichterloh: „Hast du wirklich Sorgen, Vater, Asmai könnte nicht der Mann sein, den du dir vorgestellt hast?“
Aibak blinzelte sie an: „Zorah hast du heimlich den Brief gelesen?“ Seine Rechte die oft seine Reden untermalte blieb starr in der Luft hängen.
Er hatte ihr das Schreiben und das Lesen beigebracht.
„Ja, Vater!“ bekannte sie.
Es war ein Bekenntnis ohne Reue. Das konnte sie nicht leugnen. Ihre Art war zu offen. Während der Vater den Fischer hinausbrachte, habe sie die Gelegenheit genutzt.
Er zog tiefe Falten um seinen Mund herum, atmete tief durch und schwieg.
Schließlich seufzte er und zuckte die Achseln: „Im Hause eines Mauriskenhassers vom Format eines Don Juan de Ribera, dienen nur überprüfte, glaubenstreue Leute, Leute mit einer Gesinnung die selbst den grimmigsten Herren des  Inquisitionsbüros gefällt.“
„Aber Asmai, wird doch nicht sein eigenes Volk hassen…“
Sie verstand mehr, als ihrem Alter gemäß gewesen wäre.
„Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen, zu glauben, dass sich etwas nach unseren fantastischen Wunschvorstellungen zum Guten entwickelt. Liebe, kleine Zorah, Enttäuschung ist wahrscheinlicher als Erfüllung.“
Plötzlich richtete er sein Rückgrat gerade: „Keine Illusionen, Zorah!“ Er schaute ihr in die Augen und fuhr fort: „Asmai ist sehr verbogen worden.“
Seine unruhigen Hände betrachtend sagte er: „Wir müssen auch in Zeiten schwerster Niedergeschlagenheit und Entmutigung gut sein! Wir wissen, dass Dinge und Menschen sich ändern. Doch wenigstens auf uns und unsere Beständigkeit  muss Verlass sein. Wir dürfen nur altern und reifen, aber nicht den Pfad verlassen. Gleichgültig welches Los uns bestimmt ist, wir wissen, dass es sich lohnt, sich immer für das Glück des anderen zu entscheiden.“
Zorahs rehbraune Augen streichelten das Gesicht des Alten, der ihr immer ein guter Stiefvater gewesen war.
„Ich habe zu viel gesehen und weiß, warum es für Freund und Feind nicht gut ausgeht. Mir macht es Sorgen, dass hier die Sadat und da die Altchristen, erbarmungslos nur nach eigenem Vorteil trachten, statt nach einem gerechten Urteil. Solcher Egoismus provoziert den nächsten Krieg. Viele unserer Leute haben mir höflich zugenickt, wenn ich ihnen sagte, was ich aus bitterer Lebenserfahrung weiß und dann hörte ich sie ziemlich gemein hinter meinem Rücken über meine Ansichten, als Banalitäten spotten. Ich bin aber dennoch überzeugt, dass es nur bedingt richtig ist, sich gegen die Knechtung von Leib und Seele zu wehren, nämlich nur solange, wie die Verteidigung selber nicht zum Verbrechen entartet.“ Wie selbstvergessen sprach er das aus: „Es ist klar, wir Maurisken müssen besser sein als die Christen, sonst werden wir verlieren, - alles verlieren.“
Bidà schaute ihren Aibak traurig und zugleich bewundernd an. Sie verstand ihren Mann.
Abu Aibaks Mundwinkel sanken herab: „Ich befürchte, dass mein Sohn Asmai unheilbar verzogen wurde. Das ist der Umstand der mir so große Sorgen bereitet. Asmai, wenn er mir ähnelt, denkt wahrscheinlich, dass unser Kampf um die Behauptung unserer Freiheit nicht berechtigt ist. Es ist ja wahr, auf unserer Seite gibt es Kräfte, die damit drohen auf spanischem Boden ein Regime des Schreckens zu errichten. Bösartige Sadat haben in ihrer Verblendung selbst in der jüngsten Vergangenheit viel verdorben und den Grund für solches Misstrauen gelegt.“
Er sinnierte laut vor sich hin: „Sie verstehen mich nicht. Unser damaliger Vorsatz zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung unserer Familie, denen die Spanier die Kinder wegnehmen wollten, war gut. Aber, was alles verdarb, war die Unfähigkeit unsererseits Ungerechtigkeiten und Verbrechen, auszuschließen. Wir wollten zwar Besseres tun und bringen als die Spanier, doch uns Maurisken fehlte der innere Entschluss, niemals Böses zuzulassen.  
Das ist dieser, nicht wenigen unserer heutigen Sadat noch unwichtige Punkt, auf den es jedoch immer wieder entscheidend ankommt. Eine Schlacht kann durch Zufall gewonnen werden, unser Lebenskampf nicht.
Wir müssen die Hände sauber halten oder untergehen. Unrecht erzeugt Unrecht. Unkraut verhundertfacht sich, wenn wir das nicht rigoros unterbinden. Niemand ist nach seinem Vergehen derselbe.“ Zorah sah, wie stark ihn seine Erinnerungen beschäftigten.
Sie wusste, alles was der Vater jemals  gesagt hatte, ergab stets einen tiefen Sinn, auch wenn man nicht gleich erkannte was er ausdrücken wollte.
Wie üblich kehrte Abu Aibak nach einem Augenblick der Selbstbesinnung zurück in die Vergangenheit. Er zielte anscheinend darauf, eine nicht eindeutig gute Nachricht mit einem alten Urteil und seiner wichtigsten Frage zu verknüpfen. Wie sie, suchte er mehr Erkenntnis.
Er lachte unerwartet auf und seine klugen, grauen Augen strahlten auf, als wollte er die beiden Damen erheitern: „Ich glaube, dass die Mütter bestimmen, wie die Welt von morgen aussieht. Den Männern fehlt sowohl die Geduld, wie die Liebe, sich mit ihrem eigenen Fleisch und Blut anders zu beschäftigen, als ihnen Dummheiten beizubringen. Frauen handeln zum Glück, meistens aus dem Gefühl heraus, richtig.“ Er legte den Kopf schief: „Meine Frau Ablah hatte Asmai jedenfalls beigebracht, dass man im täglichen Umgang mit Feinden und Tieren Mitleid haben muss. So oft erzählte sie unseren Kindern, wie ihr Großvater mich seelisch verarmten, zusammengeschlagenen Söldner und Feind gefunden hatte. Der alte Mann, der genügend Böses von meinesgleichen erfahren hatte, lud mich auf seinen Esel, brachte mich heim und heilte mich. Er salbte meine Wunden und sprach mir Trost zu, auch wenn ich nicht eine einzige Silbe verstand, so erfuhr ich doch Menschlichkeit. Wegen ihrer unaufdringlich herzlichen Art und Weise nahmen mich meine früheren Feinde für sich ein.
Ich lernte durch sie, dass ich ein törichter Bengel und Totschläger aus Dummheit gewesen war. Jedenfalls was mir die Christen anerzogen hatten, war jenseits aller Vernunft und Herzensgüte. Wegen des Erbarmens eines schlichten alten Mannes, wurde ich ein Freund der Maurisken und ihnen allmählich in der Gesinnung gleich.“
Aibak sprang auf und rannte wieder im kleinen Garten umher. Bidà ging in die Küche.
Erst als sie zurückkam setzte Abu Aibak sich erneut nieder. Es drängte ihn, sich verständlich zu machen: „Der nächste Krieg wird nicht nur aufgrund militärischer Bedingungen darüber entscheiden ob wir Maurisken als Volk überleben werden oder zugrunde gehen. Wenn unsere jungen Männer sich wieder zu Verbrechen an ihren Feinden hinreißen lassen, dann kann uns niemand mehr helfen. Auch Gott nicht! Das ist, nachdem ich hoffen darf meinen Sohn wieder zu sehen, eine meiner größten Befürchtungen.
Es scheint, dass unsichtbare, aber sehr reale Mächte das Menschengeschick nach ehernen Prinzipien dirigieren. Sie lassen das Unrechttun zu, nicht aber den bleibenden Ruhm und Vorteil dafür. Ich weiß, wovon ich rede.“


Teil 1 Forts. folgt