Als achtzehnjähriges, teilweise überzeugtes Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, besuchte ich in Abständen des Sommers 1948 die berühmte Hansestadt Stralsund, im Auftrag unseres damaligen Gemeindepräsidenten Walter Krause. (Später Patriarch der Dresdener Mission). In einer großen Baracke, „Am Kupfergraben, 7“ wohnte zusammen mit anderen eher armen Leuten die Familie Proschke, die sich für das wiederhergestellte Evangelium interessierte. Eines Sonntags erwarteten mich zur vorgesehenen Zeit Brunhilde und ihre etwas ältere Schwester vor dem Eingang: „Da darfst heute nicht reinkommen. Die Jungs sind wütend auf dich.“
Ich hatte eine leise Ahnung, die wahrscheinlich in meinem Alter stehenden kräftigen Burschen fühlten sich von mir provoziert. Die Schwestern nickten: „Du singst immer so laut“, alle hören das im Haus. Ein paar Sekunden forschte ich mich aus. Aber da war kein wirkliches Bedenken. Singe ich eben leiser. Wie das so geht. Ich vergaß mich und legte dann wieder los.
Es rumorte im Nebenraum.
Dann las ich die beiden wirklich inhaltsreichen Verse 9 und zehn des 12. Alma-kapitels des Buches Mormon mit leicht gedämpfter Stimme vor: „Es ist vielen gegeben, die Geheimnisse Gottes zu kennen; doch ist ihnen das strenge Gebot auferlegt, nichts mitzuteilen außer gemäß dem Maß seines Wortes, das er den Menschenkindern zugesteht, gemäß der Beachtung und dem Eifer, die sie ihm widmen.
Darum empfängt der, der sein Herz verhärtet, das kleinere Maß des Wortes; und wer sein Herz nicht verhärtet, dem wird das größere Maß des Wortes gegeben, bis es ihm gegeben ist, die Geheimnisse Gottes zu erkennen, bis er sie völlig kennt.“ An mehr kann ich mich nicht erinnern.
Vielleicht habe ich nur zu mir selbst geredet, denn das wusste ich. So ist es. Wenn wir wissen wollen müssen wir studieren und es verinnerlichen um es zu bewahren. Es geht nur Schritt für Schritt.
Manchmal quälten mich gewisse Zweifel. Die allerdings konnten und können grundsätzlich nicht dadurch überwunden werden indem man die Widersprüche nicht bis zur Lösung ausdiskutiert. Das kann Jahre dauern, auch wenn man fühlt, dass man sich einem gewissen Punkt nähert.
Nebenbei gesagt: Ich habe einen guten Freund der in ohnehin schwieriger Seelenlage von der Mutter seines Sohnes verlassen wurde. Er sagte mir: „… ich stand in Jerusalem vor der Klagemauer und sagte: „Lieber Gott, schenke mir Glauben!“ Er hätte eine Weile gewartet, aber da war nichts. Daraus folgerte er: Also gibt es Gott nicht.
„Ja,“ erwiderte ich „ein Bohrloch in Beton entsteht nicht durch einen Stoßseufzer.“
Damals als ich das Zuhause der Proschkes verließ, drehte ich mich noch einmal um. Da standen meine Widersacher, zwei Recken die sich wohl vorgenommen hatten dem vermeintlichen „Heldentenor“ das Fell zu gerben. Zehn Schritte trennten uns. Beide reckten ihre Fäuste. Ich erstarrte geradezu und meine, dass ich die Rechte schief auf meinen Mund legte, da wurden aus Fäusten winkende Hände. Das werde ich nie vergessen, und die beide Proschkedamen wünschten, drei oder vier Wochen, später getauft zu werden… nicht besprengt von einem Geistlichen, sondern untergetaucht, auch als Bad der Reinwaschung für einen Neuanfang.“
Ich fühlte mich manchmal winzig angesichts einer Umgebung die mir in hunderterlei Hinsicht haushoch überlegen schien.
Aber Zeile um Zeile erkannte ich die Winzigkeit, insbesondere der protestantischen Dogmen gegenüber dem "strahlenden Optimismus" der Gesamtaussagen der Kirche Jesu Christ der Heiligen der Letzten Tage, die selbst dem elendsten Menschen in möglicher Verworfenheit Mut zuspricht: Beginne erneut, gib dich nicht auf!
Der Tag wird kommen an dem selbst die Protestanten zugeben werden, dass jeder Mensch wegen des freien Willens über den er verfügt, an seiner eigenen Erlösung mitwirken kann.
Links St. Nikolai, evangelisch
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