(1)
Unglaublich, aber wahr
An
einem warmen, sonnigen Spätsommertag, 1986, also einige Monate nach
der Zeit des “Offenen Hauses”, sah ich einen sehr gut
angezogenen, nachdenklich vor sich hinsinnenden Mann auf dem
Freiberger Tempelplatz. Er saß auf einer der verstreut aufgestellten
weißen Bänke im Grünen, umringt von Blumenrabatten. Ich ging auf
ihn zu, grüßte ihn. Er mochte um die Fünfzig gewesen sein. Er
schaute mich sonderbar an, als wollte er sagen: ich bin nicht
gewillt, mich von ihnen belehren zu lassen!
Ich
spürte diese Ablehnung wie selten zuvor, hatte aber das Gefühl,
dass ich ihn ansprechen sollte, ob er eine Frage hätte.
Kühl
und entschieden erwiderte der Fremde: “Nein!” Er schaute mich
nochmals an: “Alles, was ich zu Ihrem Thema zu fragen hatte, wurde
schon beantwortet.” Ich sah sofort, dass etwas von Bedeutung nicht
stimmte.
Bild Wikipedia Freibergtempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, 1985 |
Bild Wkipedia: in diesem Tempel der Kirche Jesu Christi der HLT, Zollikofen, Schweiz, erhielt ich 1957 mein Erstendowment |
Was
sollte ich machen? Er wünschte, nicht behelligt zu werden. Es störte
mich nur, dass da ein nachdenklicher Mensch saß, der unbefriedigt
und mit den von mir vermuteten Vorurteilen weggehen würde.
Doch
ich hatte kein Mittel an der Hand, daran etwas zu ändern. Nach knapp
einer halben Stunde, als ich zurückkam, befand er sich immer noch an
derselben Stelle. Ich nahm allen Mut zusammen, entschuldigte mich und
bat ihn, mir nicht übel zu nehmen, dass ich ihn nochmals
anzusprechen wage.
Er knurrte:
“Ich habe
ihnen doch gesagt, dass ich bestens informiert bin.”
Ich
fühlte, - oder sollte ich zutreffender sagen: ich wusste, - dass er
nicht aus der eigentlichen Quelle getrunken haben konnte.
Was
er denn erfahren habe. Er ließ sich auf meine zugegebenermaßen
unverschämt nachdrängende Rückfrage tatsächlich ein und begann zu
erzählen.
Ich
wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Nahezu alles was
dieser kluge Mann über meine Kirche sagte, war grundfalsch. Es war
noch unzutreffender als das von den europaweit bekannten und
beliebten Brüdern Schreiber in ihrem Buch “Mysten, Maurer und
Mormonen” zusammengestotterte Nichts auf ganzen zwei von
vierhundert Seiten. Nahezu jeder Satz strotzte vor Lügen. War beides
das Ergebnis bewusster Fehlinformation?
Als
mein allmählich auftauender Gesprächspartner sagte, er sei ein
Universitätslehrer aus Köln, ein Naturwissenschaftler, bat ich ihn
mir zu erlauben, ihm drei Sätze aus dem Offenbarungsbuch des
Propheten Joseph Smith vorzulesen.
Etwas
gequält erwiderte er: “Aber bitte nur drei Sätze.”
Ich
schlug Lehre und Bündnisse auf, Abschnitt 88, Vers 67: “Wenn euer
Auge nur auf die Herrlichkeit Gottes ausgerichtet ist, so wird euer
ganzer Körper mit Licht erfüllt werden und es wird in euch keine
Finsternis sein; und wer ganz mit Licht erfüllt ist, begreift alle
Dinge. Darum heiligt euch, damit euer Sinn nur auf Gott gerichtet
ist, dann werden die Tage kommen da ihr ihn sehen werdet ...”
“Noch
einmal bitte!” sagte der Mann. Er schaute weit an mir vorbei.
Ich
las es noch einmal vor.
“Noch
einen anderen Vers, bitte.”
“Lasst
niemanden euer Lehrer oder geistlicher Diener sein, außer es sei ein
Mann Gottes, der auf seinen Pfaden wandelt und seine Gebote hält.”
“Aus
welchem Buch haben Sie nun vorgelesen?”
“Aus
dem Buch Mormon Mosia, 23,14.”
Er
erhob sich, schaute mir eine Weile ins Gesicht. Er forschte mich
ungeniert aus, aber es war mir nicht unangenehm. Wahrscheinlich
fragte er sich, wer ich sein mochte. Ich bemerkte, dass sein Blick
sich wieder meinem schwarzen Ledereinband zuwandte, den ich
gewohnheitsgemäß auf dem Tempelplatz bei mir hatte – bis das
Ehepaar Birsfelder aus Zollikofen, Schweiz kam um ihre
Tempelplatzmission anzutreten.
“Lesen
sie selbst!” forderte ich ihn auf: “hier sind zwei Sätze aus den
Briefen, die der Gefangene Joseph Smith, 1839, aus dem
Libertygefängnis zu Missouri geschrieben hat.” Er las es
tatsächlich. Es handelte sich um die Worte: “Die Rechte des
Priestertums sind untrennbar mit den Himmelskräften verbunden und
können nur nach den Grundsätzen der Rechtschaffenheit beherrscht
und gebraucht werden….doch wenn wir versuchen unsere Sünden zu
verdecken oder unseren Stolz und eitlen Ehrgeiz zu befriedigen, oder
wenn wir auch nur im geringsten Maß von Unrecht irgendwelche Gewalt,
Herrschaft oder Nötigung auf die Seele der Menschenkinder ausüben –
siehe dann ziehen sich die Himmel zurück, der Geist des Herrn ist
betrübt, und wenn er weggenommen wird, dann ist es mit dem
Priestertum oder der Vollmacht des Betreffenden zu Ende.”
Sein
Kopf kam wieder hoch.
Er
dachte eine Weile nach. Tief durchatmend schloss er mit der
Bemerkung: “Ich werde mich von meiner Informationsquelle abwenden!”
Es klang wie das Zerreißen von festem Papier.
“Tun
Sie das, mein Herr. Ich danke ihnen, dass Sie mir zugehört haben.”
“Ich
danke Ihnen!” Leider habe ich nie wieder von ihm gehört. Aber
vielleicht kommt dieser Tag noch…und sei es in der Ewigkeit.
Quelle:
aus
meinem Buch „Schritte durch zwei Diktaturen“, von meinem
gleichnamigen Blog
bzw. in englisch „Steps
Through Two Dictatorships“
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