Jeder erzählte ihm etwas anderes.
Vielleicht
gibt es Gott, aber gerecht ist er nicht, denn dann hätte er das
Elend nicht zugelassen.
Die
Christen lagen miteinander im Streit, wegen Kleinigkeiten, wie die
zahllosen politischen Parteien in seiner Zeit, mit ihren unhaltbaren
Versprechungen. Als 27jähriger Suchender stand mein Vater, 1932,
unter dem Eindruck der neun bedeutendsten Richtungen die um
Wählerstimmen buhlten.
Die
4 Hauptrichtungen boten völlig entgegengesetzte Lösungswege an, wie
die Misere Deutschlands behoben werden könnte.Partei | Stimmen (Änderung) | Sitze im Reichstag (Änderung) | ||
---|---|---|---|---|
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Hitlerbewegung (NSDAP) |
37,3 %
|
+19,0 %
|
230
|
+123
|
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) |
21,6 %
|
−2,9 %
|
133
|
−10
|
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) |
14,3 %
|
+1,2 %
|
89
|
+12
|
Deutsche Zentrumspartei (Zentrum) |
12,4 %
|
+0,6 %
|
75
|
+7
|
Deutschnationale Volkspartei (DNVP) |
5,9 %
|
−1,1 %
|
37
|
−4
|
Bayerische Volkspartei (BVP) |
3,2 %
|
+0,2 %
|
22
|
+3
|
Deutsche Volkspartei (DVP) |
1,2 %
|
−3,3 %
|
7
|
−23
|
Deutsche Staatspartei (DStP) |
1,0 %
|
−2,8 %
|
4
|
−16
|
Christlich-Sozialer Volksdienst (CSVD) |
1,0 %
|
−1,5 %
|
3
|
−11
|
Reichspartei des deutschen Mittelstandes („WP“) |
0,4 %
|
−3,5 %
|
2
|
−21
|
Deutsche Bauernpartei (DBP) |
0,4 %
|
−0,6 %
|
2
|
−4
|
Landbund |
0,3 %
|
−0,3 %
|
2
|
−1
|
Deutsches Landvolk |
0,3 %
|
−2,8 %
|
1
|
−18
|
Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung (Volksrechtpartei) |
0,1 %
|
−0,7 %
|
1
|
+1
|
Sonstige |
0,6 %
|
−0,3 %
|
0
|
±0
|
Total |
100,0 %
|
608
|
+31
|
Den Kommunisten muss man zugute halten, dass sie sich ehrlich um die Sorgen der Geringsten kümmerten, und dass sie sehr wohl voraussagten: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.
Heute
darf man rückschauend fragen: ist es nicht
sehr wahrscheinlich, dass Deutschland auch mit den Kommunisten in die Katastrophe gefallen wäre, falls sie die
“Macht ergriffen” hätten. Die Diktatur des Stalinismus wäre eine unzumutbare Provokation für den freien
Westen gewesen, - eine Nötigung,- militärisch einzugreifen.
Er hörte genau hin, wenn die einen oder die anderen redeten und zu überzeugen suchten, sie wären die wahren Heilsbringer.
Er erwog alles gründlich und gebetvoll, das ist wohl wahr.
Das Hauptproblem aller Zeiten bestand seiner Erkenntnis nach darin, dass die besten Programme nicht imstande waren oder sind, die Bestie Mensch zu zügeln. Das vermag nur der Einzelne, wenn er stark genug motiviert ist.
Wenn der Hunger nach Brot oder Sex zu groß wird, verrät der Hungrige seinen besten Freund.
Zivilisation ist aber nur dort, wo es eine tragende Schicht Prinzipientreuer gibt und die sind in der Politik ebenso selten, wie in der Religion.
Das Bild, das die Kirchen damals meinem Vater boten, war bunt aber kaum weniger verwirrend.
Ihm schien, dass die braunen SA- Leute die in den Gottesdiensten auftauchten an Zahl zugenommen hatten. Zugleich aber lag auf der Hand, dass ihr Benehmen unchristlich war, wenn sie breitbeinig und streitsüchtig durch die Straßen marschierten, während die Großkirchen sie allesamt immer noch als ihre "Christen" betrachtete, - denn sie zahlten die Kirchensteuer - obwohl die Herzen der meisten bereits an den Feind aller Rechtschaffenheit Hitler gefallen waren.
Und, wie sich mehr und mehr erwies, die Mehrzahl der Kirchen-Beamten trachtete auch nur nach eigenen Vorteilen, während die Hörer sich sowieso nicht darum kümmerten was ihnen an "Seelennahrung" vorgesetzt wurde. Es gehörte sich eben, sonntags "zur Kirche zu gehen!", ganz gleich wohin die Gedanken schweiften.
Schlimmer, wenn er Gottesdienste besuchte erkannte Vater, wie sehr der Zeitgeist in den Predigten mitschwang. Es gab nirgendwo so etwas wie eine Hauptlinie.
Warum durften die Prediger einander das Wort abschneiden?
Warum trugen sie Sonderkleidung?
Wer gerantierte ihm, dass der Mann auf der Kanzel glaubte was er sagte, und meinte was er predigte?
Hatte das Gehalt den Charakter der Jesusverkünder nicht bereits in ältesten Zeiten verbogen?
War
es nicht eine Frechheit gegenüber Gott, wenn sich die Großkirchen
herausnahmen Menschen - kleine unmüdige Menschlein - durch einen
angeblich frommen Akt, der eher einem schlauen Trick ähnelte, evangelisch oder katholisch zu vereinnahmen?
Ihm
war sehr bewusst, dass niemand die “ganze Wahrheit” hat,
ausgenommen sie wäre ihm von Gott gegeben worden.
Die meisten Menschen seiner Zeit hatten
längst aufgegeben die Wahrheit zu suchen, sie entschieden aus dem
Bauch heraus wen und was sie wählen würden.
Mein Vater ließ sich jedoch
nicht beirren: Wenigstens Gott hat die Wahrheit und er gewährt uns
stückweise wonach wir trachten.
Ein Mormonenmissionar hatte es ihm
gesagt, dass im Buch Mormon geschrieben stünde, Gott gewähre uns
Erkenntnis und zwar in dem Maß, in dem wir uns darum bemühten.
Man Vater hatte richtig gedacht.Das Streben nach der Wahrheit ist genaus so wichtig wie das Finden.
G.E. Lessing schrieb zwei Jahre vor seinem “Nathan” unter dem Titel “Über die Wahrheit”:
“Wenn
Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den
einzigen
immer regen Trieb nach Wahrheit,
obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen
hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine
Linke und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für
dich allein!”
Nach
dem Vorbild meines Vaters hielt ich den “Trieb nach Wahrheit” in
mir hellwach. Ich irrte mich oft, aber ich fand wahre Prinzipien:
dazu
gehört die Unabdingbarkeit von Toleranz, weil sie zugleich
Menschenliebe, Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit voraussetzt.
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