Prof. Dr. theol. Heikki Räisänen, Spezialgebiet Exegese des Neuen Testaments und Forschungsprofessor der Akademie von Finnland verfasste den entschieden zu wenig beachteten Artikel der im Februar 1984 in der "Theologischen Literaturzeitschrift" 109. Jahrgang erschien:
„Joseph Smith und die Bibel“ (ISSN 0040-5671) |
Heikki Räisänen (Dez. 1941 ) |
Prof Raisänen beschäftigte sich mit der
Frage, wie - aus theologisch-großkirchlicher Sicht - die Korrekturen
zu werten sind, die Joseph Smith an Bibeltexten vornahm.
Die Einschübe oder Textänderungen sind als Inspirierte Version bekannt. (Inspired Version)
Immer wieder attackieren uns
außenstehende Christen, Geistliche oder auch einfache Gläubige, Josph
Smith hätte die Bibel geändert. Das ist zwar zutreffend, aber ehe jemand
sich negativ äußert, möge zuvor bedenken wovon er redet. Heikki
Räisänen sagt nach einer kurzen Einleitung:
„Das Wort Gottes kann keine
Widersprüche enthalten. Wo Joseph Smith Widersprüche entdeckt,
gleicht er sie aus. Viele seiner Harmonisierungsmaßnahmen sind heute
noch aus Werken großkirchlicher Fundamentalisten bekannt. Der
Unterschied ist nur , dass Smith sich nicht mit einer
harmonisierenden Auslegung begnügt, sondern den Bibeltext selbst
verbessert.“
Räisänen benutzt tatsächlich den Begriff: "verbessert". Das ist zunächst verblüffend, denn, die Frage ob man die Bibel verbessern kann oder nicht, ist eigentlich mit einem klaren Nein zu beantworten. Hier wäre der Ansatz zu destruktiver Kritik gegeben, doch das Gegenteil ist der Fall.
Um das zu
belegen, greifen wir aus der Fülle der Fallbeispiele, die der finnische,
evangelische Theologe bringt, einige heraus.
Räisänen verweist beispielsweise auf den
„theologisch wichtigen
Widerspruch, der zwischen den Angaben des Exodus über den Umgang
Moses (und anderer) mit Gott und der kühnen Behauptung von Joh: 1:18
besteht, niemand habe je Gott gesehen. Während großkirchliche
Auslegung geneigt ist, die alttestamentlichen Aussagen abzuschwächen,
geht Smith, dem die Diskrepanz nicht entgangen ist, den umgekehrten
Weg und korrigiert den johanneischen Text. Joh 1: 19 lautet (in der
Inspired Version von J. Smith) also: „Niemand hat Gott je gesehen,
außer demjenigen, der über den Sohn Zeugnis abgelegt hat.“
...
auch das klassische Problem des Gottesnamens, der lt. Exodus 6: 3
erst dem Mose offenbart wird, während er doch bereits in der Genesis
gebräuchlich ist, löst Joseph Smith... indem er aus dem Satzende
eine rhetorische Frage macht: „and was not my name Jehova known
unto them?“...
Einer der
schwierigsten Anstöße für konservative Bibelauslegung ist die
unerfüllte Naherwartung. Auch in diesem Fall vertritt Smith eine
Deutung, die heute noch in großkirchlichen Konservativismus gang und
gäbe ist; der Unterschied ist wieder einmal der, dass er den Text
selbst
im Sinne der Auslegung ändert. Die Aussage, dieses Geschlecht werde
nicht vergehen, bevor alles geschehen sein wird. Matth: 24: 34 wird
verbessert: „This Generation, in which these things shall be shown
forth, shall not pass away, until all I have told you shall be
fulfilled“ dem entsprechend sagt Jesus (bei Joseph Smith) in Matth:
24: 42 nicht „ihr seht dies:“ sondern „meine Erwählten...
werden sehen."
Der Rat,
dass der Ehemann sein soll als hätte er keine Frau, wird auf die
Missionslage durch den Zusatz bezogen: „for ye are called und
chosen to do the Lords work“
Konsequenterweise wird festgehalten,
dass Jesus nicht am Ende der Tage auf Erden erschienen ist, sondern
in der Mitte der Zeit“ z.B. Genesis 6: 60 in der Inspired
Version....
Die vielleicht auffälligste Neuerung von allen ist die,
dass Smith die Menschheit vom Uranfang an über die Ankunft des
Messias Jesus am genauesten unterrichtet sein läßt. Die künftige
Heilsgeschichte ist ihr von den frühesten Tagen bekannt... Der
mormonische Kommentator Matthews bemerkt dazu: Da die frühen
Patriarchen das Evangelium hatten und seinen Vorschriften gehorchten,
ist es offenbar, dass der Plan der Erlösung konstant ist und durch
die Geschichte der Welt hindurch derselbe gewesen ist. „Dies ist
nicht so offenbar in der King James Version!“
In der Tat
nicht!
Bei aller
Naivität der Lösung sollte zugestanden werden, dass Joseph Smith
hier seinen Finger auf ein wirkliches Problem, auf einen heiklen
Punkt in der Heilsgeschichte gelegt hat. Wie steht es eigentlich mit
Gottes Plan, wenn mit Christus ein neuer Heilsweg eröffnet worden
ist, von dem die Alten noch nichts wussten? War den früheren
Generationen ein echter Heilsweg offen, etwa in der Form der Buße
und der freudigen Annahme des göttlichen Gesetzes?
Wenn nicht,
hat dann Gott nicht die alttestamentlichen Frommen irregeführt,
indem er ihnen ein Gesetz gab, das das Leben verheißt (z.B. Lev 18:
5) und keinen Hinweis auf seine eigene Vorläufigkeit erhält?
Räisänen verweist dann auf den
1. Clemesbrief indem auch von dort her Joseph Smiths Linie bestätigt wird:
„Clemens versichert, Gott
habe von Ewigkeit her alle Menschen auf dieselbe Weise
gerechtfertigt, und zwar durch den Glauben... er habe von Geschlecht
zu Geschlecht denjenigen Gelegenheit zur Buße gegeben, die sich ihm
zuwenden wollten“
… Mit der Kontinuität der
Heilsgeschichte hängt es ferner zusammen, dass Smith die paulinische
Rede vom Gesetz als Ursache der Sünde oder von seiner
sündenvermehrenden Funktion abschwächen muss.... auch diesmal
befindet Joseph Smith sich in guter Gesellschaft....
Bei der Umgestaltung (einiger
Passagen bei Paulus) bringt (Joseph) Smith ein erstaunliches Maß an
Scharfsinn auf, mehrfach entsprechen seine Beobachtungen im großen
denen moderner Exegeten...
Zusammenfassend lässt sich
feststellen, dass Joseph Smith durchgehend echte Probleme erkannt und
sich darüber Gedanken gemacht hat... Wie durch ein Vergrößerungsglas
lassen sich (bei Joseph Smith) die Mechanismen studieren, die in
aller apologetischer Schriftauslegung am Werke sind; die zahlreichen
Parallelen zum heutigen Fundamentalismus aber auch zur raffinierten
Apologetik etwa der Kirchenväter sind hochinteressant...“
Räisänen fasst schließlich
zusammen:
„Mit diesen Beispielen aus
den Werken Joseph Smiths, sowie aus der neueren Literatur über den
Mormonismus hoffe ich hinreichend angedeutet zu haben, dass eine
ernsthafte Beschäftigung mit den Werken des Mormonismus eine
lohnende Aufgabe nicht nur für den Symboliker und den
Religionswissenschaftler ist , sondern auch für den Exegeten und den
Systematiker. Der um Fairnis bemühte Forscher kann ihnen den Wert
als in ihrer Zeit und Umgebung als sinnvole Neuinterpretation der
religiösen Tradition gar nicht so leicht absprechen…“
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