Samstag, 15. April 2023

Rechtschaffenheit kontra Rechtfertigungsdenken

 

Am 29. 06. 1988 las ich mit höchstem Erstaunen Michael Gorbatschows Bekenntnis, das er als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Sowjetrusslands, auf der XIX. Unionsparteikonferenz der KPdSU, am Vortag, in seinem umfangreichen Rechenschaftsbericht ablegte:
“Eine Schlüsselposition innerhalb des neuen Denkens nimmt die Konzeption der Entscheidungsfreiheit ein... “ Neues Deutschland. 29. Juni 1988, S. 5
Welch ein Satz.


By RIA Novosti archive M. Gorbatschow 1931-2022


Den Intellektuellen beider Lager ging der Mund auf. Als damals fast schon sechzigjähriger DRR-Bürger wider Willen erkannte ich sofort: Das war Selbstmord. Diese wenigen Worte waren das Todesurteil für die bis dahin gefährlichste aller Diktaturen. Alle wussten, dass der bis an die Zähne bewaffnete Kommunismus in sich zusammenbrechen musste, gäbe es infolge des uns nun zugestandenen Individualrechtes, für jeden die Möglichkeit der ungestraften freien Meinungsäußerung.
Unter der Fuchtel von verlogenen Kommunisten fanden im gesamten Osten „Volkswahlen“ statt, deren Ergebnisse bereits Wochen zuvor festgelegt wurden.
Auch ich ging, denn ich hatte Familie, wollte meinen Söhnen nicht den akademischen Weg verbauen. Doch mit jeder Faser meines Seins wusste ich: Meine Entscheidungsfreiheit konnten die Roten beschneiden, meine Willensfreiheit niemals.


Das Propagandablatt der DDR

Als Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), der in tausenden Versammlungen seiner Kongregation gelernt hatte, das der allmächtige Gott seinerseits seinen Kinder das Jedermannsrecht auf persönliche Entscheidungsfreiheit garantiert, musste mich Gorbatschows Zusage sowohl entzücken wie entsetzen. Das Haus in dem wir wohnen wird einstürzen…
Längst war ich erstaunt, dass es Mitmenschen, Mitchristen gibt die generell das Prinzip Willensfreiheit und sogar das des Individualrechtes anzweifeln, mehr und schlimmer, die ernsthaft glauben und lehren: „Gottes Allmacht und sein Vorherwissen schließen menschliche Willensfreiheit aus.“ Online Dogmatik evangelischer Glaube
Kurzschlüsse stellen unzulässig eine Verbindung zwischen Vorherwissen und Vorherbestimmung her. Soviel steht fest: „Es ereignet sich nichts ohne Ursache“ Benjamins „Vorsehung und Freiheit bei Origenes“ Origenes erklärte glasklar: „Die Dinge geschehen nicht, weil sie vorhergewusst wurden.“ De Spiritu et littera n. 5
Selbstverständlich gibt es Ratschlüsse Gottes die unser Wollen und Willen nicht berücksichtigen, (und insofern kann man Luther folgen, der stets vom „unfreien Willen des Menschen“ sprach und schrieb) aber das berührt nicht das uns verliehene Individualrecht, das Recht auf Entscheidungsfreiheit. Selten konnte jemand diesen Aspekt mehr erhellen als Origenes: „Der Schöpfer gewährte den Intelligenzen, die er schuf, willensbestimmte freie Bewegungen, damit in ihnen eigenes Gut entstehe.“ Arbeitskreis Origenes
Auch Menschen weitab christlicher Überlieferungen sind allezeit im Stande, sittlich hochwertige Entscheidungen zu treffen, die der allein wahre Gott ihnen anrechnet!
Origenes lehrte ohne Wenn und Aber, sowie für jeden befriedigend: „Der Schöpfer gewährte den Intelligenzen, die er schuf, willensbestimmte, freie Bewegungen, damit in ihnen eigenes Gut entstehe, da sie es mit ihrem eigenen Willen bewahrten… durch die Kunst seiner Pädagogik wird Gott (seine Geschöpfe) doch noch dazu bringen, dass sie dem Guten beständig anhängen.... Gottes Pädagogik und der freie Wille der Logika, den Gott durch Erziehung fördern und nicht durch Zwang vergewaltigen darf, sind die eigentlichen Pole des origenistischen Systems.“ „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft dritte, völlig neu bearbeitete Auflage Vierter Bd, 1960 Mohr-Siebeck
Da liegt der eigentliche Grund für Missverständnisse. Es gäbe kein „orthodoxes“ (in diesem Fall „rechthaberisches“...) Christentum, wenn Männer wie Ambrosius von Mailand nicht so entschieden auf die Kaiser ihrer Zeit eingewirkt hätten: Sie müssten das allen Menschen von Gott gewährte Menschenrecht auf Entscheidungsfreiheit eliminieren. Was denn auch mit der Verlautbarung von „Cunctos populos“ im Februar 380 innerhalb des gesamten römischen Herrschaftsbereiches geschah.
Vor Ambrosius oder genauer gesagt vor dem Konzil zu Nicäa 325 war den neu gewonnenen Mitgliedern der Frühkirche klar, dass mit ihrer Taufe, die Pflicht auf sie zukam die Freiheit des Anderen zu verteidigen.
Das Rechtfertigungsdenken wie es in der „Gemeinsamen Erklärung“ von 1999 feierlich beschrieben und verabschiedet wurde, wäre wahrscheinlich von Dietrich Bonhoeffer nicht unterschrieben worden, weil er sinngemäß seiner Losung glaubte:
„Wir sind vor dem eigenen Gewissen nicht gerechtfertigt, wenn wir nicht rechtschaffen handeln“. „Öffne deinen Mund für die Stummen, für das Recht aller Schwachen. Öffne deinen Mund, richte gerecht, verschaffe dem Bedürftigen und Armen Recht.“ Sprichwörter 31: 8-9
Die Erklärung umfasst 3 000 Worte, der Terminus „Rechtfertigung“ kommt 145-mal vor. Der Begriff „Rechtschaffenheit“, wird nicht einmal erwähnt. Dort heißt es: „Rechtfertigung ist Vergebung der Sünden“. Bis zum Überdruss wird wiederholt: Rechtfertigung erfolge, wenn man an Christus glaubt!
Wirklich?
Das ist unglaubwürdig.
Vergebung für ein Vergehen verlangt zunächst das tiefe Bedauern des Täters, die Reue, oder religiöse gesagt die Buße, die auch im Willen zur Wiedergutmachung besteht, der Vorsatz nicht rückfällig zu werden. Indessen bekräftigen führende Kirchenfunktionäre: „Wir bekennen gemeinsam, dass der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist... Rechtfertigung (Sündenvergebung) geschieht allein aus Gnade.“ „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ 1999
Die Palette evangelischer Ansichten zu diesem Thema ist allerdings breit.
Am äußersten Rand der (orthodoxen) Lutheraner standen im 16. Jahrhundert Nikolaus von Amsdorf und Matthias Flacius. Ihr Credo lautete: „Gute Werke sind schädlich zur Seligkeit.“ Ihnen widerstrebten die Glaubensbrüder Georg Major und Justus Menius, die zum Glück rein vernunftmäßig das Gegenteil behaupteten. Wie kannst du glücklich werden wenn das Opfer an deinem Gewissen nagt?
Jehovah sagte den nicht gerade bußwilligen Israeliten: „Bessert euer Leben und Wesen, dann will ich bei euch wohnen...“ Jeremia 7: 5
Oder mit anderen Worten der deutschen Textbibel von 1899: „… nur wenn ihr euch ernstlich eines guten Wandels und guter Taten befleißigt, wenn ihr ernstlich das Recht zur Geltung bringt bei dem Streite des einen mit dem andern,...“ Jeremia 7: 5
Deutlicher als Justus Menius oder Joseph Smith und andere rügt Petrus seinen Mitapostel Paulus: "... wenn ihr um guter Taten willen leidet und es ertragt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand;" 1. Petrusbrief 2: 2-25
Jahrelang begleitete Petrus seinen großen Lehrer der „Tugend und Wahrhaftigkeit“. Er hatte jedes Wort und seinen Geist in sich aufgesogen. Kaum jemand kannte, wie er, die ewig gültigen Prinzipien des Erlösers.
Petrus geht sehr weit. Er warnt. Paulus „Kürzel“ verführe zum Trugschluss, der Leichtgläubige unweigerlich ins Verderben stürzt. Wegweisend fand er für den ersten Satz einen Begriff der die Erwartungshaltung Gottes einschließt: wir könnten mehr tun. Der Herr warte auf dieses unser Guttun mit schier unglaublicher "Geduld".
“Seid überzeugt, dass die Geduld (gr. ypomoni) unseres Herrn eure Rettung ist. Das hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm geschenkten Weisheit geschrieben; es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, verdrehen diese Stellen ebenso wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.” 2. Petrus 3: 15-16
Jakobus, dagegen, des "Herren Bruder", konnte Paulus Überbetonung einer durchaus wichtigen Lehre - wenn sie im Licht der Bergpredigt betrachtet wird - nicht mehr hören. Verärgert fragt er zurück: Soll aus deiner Gnadenlehre folgen, gute Taten wären zur Erlösung nicht nötig? Er schreit die Antwort: "NEIN!", geradezu heraus:
"Willst du aber erkennen, du eitler Mensch, dass der Glaube ohne Werke tot sei?" Jakobus 2: 20
Sonderbar, ganz du gar unpaulinisch sagt Paulus, sozusagen sich selbst korrigierend: „Irret euch nicht, was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Galaterbrief 6: 17.
Dieser, das typisch Protestantische in Frage stellende, Satz fehlt denn auch in der „Gemeinsamen Erklärung“.
Christen müssen Frieden stiften und Salz der Erde sein, wozu sind sie sonst nütze? Nur vom Frieden zu träumen ist ihnen nicht erlaubt. Das Recht das fehlt haben sie zu schaffen, aber nicht indem sie sich hinter Friedensaufrufen verstecken. Christus nachfolgen bedeutet gemäß seinem Liebesgebot, aktiv das Menschenrecht des Anderen zu stärken, stattdessen eventuell die Unterwerfung eines Bedrängten direkt oder indirekt zu verlangen. Niemand darf in Gegenwart von Christen dem Kleinsten unwidersprochen vorschreiben was er zu glauben und zu tun hat, denn der Allmächtige verlieh selbst dem Bösesten das Individualrecht, das Recht auf Entscheidungsfreiheit. Niemand darf es ihm rauben. Aber Gott setzte fest, dass der Untat eine angemessene Strafe folgt.
In allen christlichen Kirchen des 2. Jahrhunderts galt für jeden Bekenner als unabdingbare Pflicht: „Eine neue, alle völkischen Unterschiede unter sich lassende Lebensordnung (zu schaffen!) Alle Menschen von sittlichem Willen (sollen) sich ihr freudig unterstellen... diese Auffassung vom Ziel der sittlichen Willensfreiheit bringt uns die Loslösung des Menschen vom Zwang irdischer Bindungen.“ Dialog des Bardesanes H. Lietzmann „Geschichte der alten Kirche“

„Auf die Erkenntnis der Wahrheit müssen ... immer die Taten der Liebe
folgen!“  Hippolyt von Rom (170-235)


Die Forschung meint dies sei eine Statue des Bischofs Hippolyt. Dieser Mann lehrte bedeutende Elemente die nur in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tag vorkommen, wie die von der "Erhöhung der Menschen die Gottes Gebote halten". Er betonte, dass ein Bischof immer zwei Ratgeber an seiner Seite hat um der Gemeinde vorzustehen, dass niemand in der Gemeinde auch nur einen Pfennig Lohn für seinen Kirchendienst erhalten darf...


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen