Gemessen an
der Mitgliederzahl waren das "Mormonentum" wie das Christentum während der ersten 100 Jahre ihrer Existenz bedeutungslos.
Aber
die den beiden Nahverwandten innewohnende Brisanz konnte von Beginn an
kaum ignoriert werden. Auch wohlmeinende Traditionalisten empfanden die beiden Schwesterreligionen jeweils als mit ihren Glaubensvorstelungen unvereinbar und deshalb als unerträgliche "Neuheit". Das führte da wie hier zu Verfolgungen.
Ebensowenig
kann die Übereinstimmung der jeweiligen Lehren beider unbemerkt
bleiben. Urchristen und Mormonen hegen dasselbe, in Nicäa 325,
verworfene origenistisch-arianische Gottes- und Menschenbild.
Das allerdings ist erst jetzt beweisbar. (Davon wird im Folgenden die Rede sein.)
Beide sind entschiedene Befürworter und Verteidiger des Individualrechtes. Es
geht um eben jene Entscheidungsfreiheit, die Jesus allen gab. Dieses
uns von Gott verliehene Menschenrecht wurde jedoch im Jahr 380 durch ein
von engstirnigen Christen ersonnenes Staatsgesetz, namens Cunctos
populos, augehebelt, wenn nicht vernichtet.
Die künftige ecclesia triumphans wünschte keine Nebenbuhler.
Doch unvergessen ist, dass Jesus, vermutlich im Jahr 30, zu Beginn seiner Laufbahn als Rabbi, in
einer Synagoge Nazareths, aufsehenerregend sein Erlösungsprogramm mit
Jesajaworten dargelegt hatte. Er sagte den Nachdenklichen damals, dass
er in die Welt kam, um den "Gefangenen die Freiheit zu verkünden, und
dass er die Zerschlagenen in Freiheit setzen wird".
Da
sind viele Gemeinsamkeiten zwischen Urkirche und der Praxis und
Theologie der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Die
Überein-stimmungen bestehen manchmal bis in die kleinsten Details. An Stelle der paulinisch-lutherischen Rechtfertigungslehre, behauptet das Buch Mormon dieselben Elemente wie sie durch Petrus, Jakobus und Origenes bezeugt werden:
Uns Menschen, (die zur Familie Adams gehören nach Mormon)
weil wir ewige buchstäbliche (Geist-) kinder Gottes sind, wohnt die
Kraft inne aus freiem Ermesssen Gutes zu tun. Andererseits bestätigen
mehrere Autoren des Buches Mormon, wie hier Moroni, in 7: 16: dass "jedem Menschen der Geist Christi gegeben wurde, damit er Gut von Böse unterscheiden kann...".
Dies ist ein Akt reiner Gnade. Das Zitat bestätigt Luthers Grundaussage.
Wenn
Luthers Erkenntnis allerdings auf "sola gratia" beschränkt wird und das
ganze Denken der Protestanten nur auf diese Kurzformel gerichtet
bleibt, dann wirkt sie lähmend.
Mormonen
und die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der ersten Jahrhunderte
waren überzeugt, dass sie an ihrer Erlösung mitwirken, mit der
Einschränkung, dass niemand ohne die Gnade Gottes die eigene Gottesferne überwinden kann.
Vielleicht
darf man sagen, dass wir einem Mann ähneln der trinken wollte und in
einen tiefen Brunnen stürzte. Er muss das Seil umklammern das ihm sein
Erlöser herunterwirft und sich angemessen anstrengen.
In
diese Situation gerieten wir durch den von jedem von uns bewusst
gewählten "Sündenfall", der aus dem vorirdischen Dasein, dem Paradies,
ins Erdenleben erfolgte.
Paradies meint "Geisterwelt", lehrte Joseph Smith.
Interessant
ist, dass gegenwärtig eine Strömung in der evangelischen Kirche
aufkommt, vertreten durch Pfarrer Lic. Felix Gieterbruch und die ihn
beratenden Professoren.
In seinem großartigen Werk „Der
Sündenfall ein sinnvoller Mythos“, 2008, schreibt er
“Präexistenz
meint, dass wir als handlungsfähige geistige Wesen schon vor unserer
Geburt existierten... in dieser Vorexistenz haben wir uns alle
eigenverantwortlich von Gott entfremdet...
Ich denke, heute
wird uns mehr und mehr bewusst, dass auch das christliche Abendland
neu darüber nachdenken muss.“
Bereits vor Veröffentlichung des Buches Gietenbruchs stand in meinen Powerpoint-Präsentationen immer eine andere seiner Formulierungen an bedeutender
Stelle:
„Nach der Lehre
Adams ist jeder Mensch Adam und ist aus der Sphäre des Paradieses
gefallen..."
Das ist (nahezu) mormonischer Tempeltext!
Als vorirdische Geistwesen wünschten wir eigene Erfahrungen in einer Welt der
Gegensätze zu sammeln, nachdem uns schon im Vaterhaus Gottes bewusst
wurde, dass die Götter! (Origenes 185-254)) unseren Wunsch aus dem
sicheren Zuhause fortzugehen eingeplant hatten. Erfreut sahen wir, dass
"Elohim" und sein Christus einen Weg zu unserer Erlösung (Rückkehr)
vorbereiteten.
Schon in der Ewigkeit wurde der dem Vater nachgeordnete Christus erwählt, durch sein makelloses Opfer, ohne unser Dazutun, unsere Unsterblichkeit und die Möglichkeit zu unserer Erhöhung zu sichern.
Der
Mensch kann entsprechend seinem Bemühen wie Gott werden. Es ist ein
Ziel das Jesus in der Bergpredigt in den Mittelpunkt stellte, indem er
forderte:
"Darum sollt ihr vollkommen werden, gleichwie euer Vater im Himmel ist"
Selbst Luther spricht von der Deifikation (Theosis) des Menschen! (1)
Unentbehrlich ist, dass Christus uns zuvor von der Last der Schuld befreit. Das kann jedoch nur geschehen in dem Maße, in dem wir "wahrhaft Buße" tun, (wodurch wir mitwirken.)
Buße verstehen Mormonen als innere Umkehr, metanoia, wie sie auch der junge Luther verstand und mit seiner 1. These lehrte.
Vielleicht ist es der Grad der Helligkeit der uns auch später unterscheidet)
Origenes, immerhin anerkannter Bewahrer urchristlicher Lehre sagte:
"Unsere
Bemühungen werden durch die Gnade Gottes bei weitem überwogen, dennoch
wird Gott unser Guttun, die eigenen Anstrengungen, die er ebenfalls
eingeplant hat, gerecht vergelten." (2) Handwörterbuch
Mormonen und Origenes stimmen somit in ihrer synergistischen Erlösungslehre überein.
Es
gibt eben viel mehr Stufen ewiger Geselligkeit, als nur höllische oder
himmlische. Im Vaterhaus Gottes sind viele Wohnungen, wie es bereits
hier zwischen bös- und gutartigen Menschen aller Stufen gravierende Unterschiede gibt.
Wie
die Forschung zeigt, teilen Mormonen und der arianische Zweig des
Christentums darüber hinaus dasselbe Priestertums- und Tempelverständnis
und mehr. (3)
Beide hatten denselben Typ Hauptfeinde, gewisse Schriftgelehrte, den Mob, sowie Verräter in den eigenen Reihen.
|
Giotto Scrovegni Gefangennahme Jesu |
|
Der Mob teert und federt Joseph Smith 1832 |
Leider litt
das Urchristentum zudem an den Meinungsverschiedenheiten
der Apostel sowie an den vergleichsweise miserablen
Kommunikations-möglichkeiten. Auch der verstärkte Zulauf aus
nichtjüdischen Reihen sollte zum raschen Verfall der Einmütigkeit führen,
denn es kamen nicht selten Menschen der Charitas wegen hinzu, die sich
keineswegs bekehrt hatten, sondern die Vorteile suchten und an ihren
alten Gewohnheiten hängen blieben. Die buchstäblich unentwegt neu zu
erwerbende Hinwendung jedes Einzelnen zum Geist Christi ist und bleibt
aber die Grundvoraussetzung für das Gedeihen seiner Sache. Dies hat kein
Geringerer als Paulus klar formuliert:
"Wer seinen Geist nicht hat, der gehört nicht zu ihm." (4)
Mormonisch gesagt:
"Seid eins, sagt der Herr, denn wenn ihr nicht eins seid, seid ihr nicht mein." (5)
Dieses
Element zu bewahren ist eine Willensleistung, die Martin Luther nur als
Ausdruck der Gnade Gottes gelten lässt. Darüber, wie das bezogen auf
das praktische Leben zu verstehen sei gab es ungezählte Diskussionen
auch unter Protestanten, denn sie sind sich bis heute durchaus nicht
einig.
Luther
ist viel zu sehr und zu lange Augustiner gewesen um im Sinne Erasmus
einzulenken, der darauf besteht, dass der Mensch über die Willens- und
Wahlfreiheit verfügt, aus eigener Kraft zu entscheiden und demgemäß zu
handeln, weshalb er für sein Tun und Lassen vor Gott
rechenschaftspflichtig ist.
Das ist der Standpunkt der Mormonen, hier ist der große Gegensatz zu Luther.
Wenn Luther seinen Begriff von
der "Gnade Gottes" mit "Liebe Gottes" gleichsetzen könnte, gäbe es kaum
Denk- und Glaubensschwierigkeiten.
Wie
er Christi permanente Aufforderung zum Tun des Guten mit seiner eigenen
Betrachtungsweise vereinbaren will, ist den Mitgliedern der Kirche Jesu
Christi der HLT, sobald sie sich damit befassen, ein Rätsel.
Für Mormonen ist undenkbar,
dass Gott die Christenheit in ihrer Zersplitterung anerkennt, ganz
abgesehen von nicht wenigen einander ausschließenden Sonderansichten.
Aber er wird immer den Einzelnen bewerten, weil "er das Herz ansieht".
Es
ist inkorrekt zu unterstellen, die Mormonen glaubten, nur sie kämen in
den "Himmel". Falsch ist ebenfalls zu meinen, Mormonen führten
Totentaufen durch um die Seelen der Verstorbenen (irgendwie) zu
vereinnahmen. Es ist auch deshalb nicht zutreffend weil dies ein
Verstoß wäre, gegen das allen Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der
Heiligen der Letzten Tage heiligen Rechtes jedermanns auf
Entscheidungsfreiheit. Im Buch der Gebote, heute "Lehre und Bündnisse"
(einer Schrift zusätzlicher Offenbarungen) heisst es in seinem 1.
Abschnitt unmissverständlich, Gott werde die Menschen dermaleinst nach
ihren Taten richten (und nicht nach ihrer Kirchenzugehörigkeit).
Dies wird im 76. Abschnitt klar ausgeführt...
Außerdem gelten die folgenden drei Sätze in Lehre und Bündnisse 130 für alle Menschen.
"Jeglicher Grundzug der Intelligenz , den wir uns in diesem Leben zu eigen machen, wird mit uns in der Auferstehung hervorkommen .
19
Und wenn jemand in diesem Leben durch seinen Eifer und Gehorsam mehr
Wissen und Intelligenz erlangt als ein anderer, so wird er in der
künftigen Welt um so viel im Vorteil sein.
20
Es gibt ein Gesetz, das im Himmel vor den Grundlegungen dieser Welt
unwiderruflich angeordnet wurde und auf dem alle Segnungen beruhen -
21 und wenn wir irgendeine Segnung von Gott erlangen, dann nur, indem wir das Gesetz befolgen, auf dem sie beruht."
Mormonen
glauben an die Notwendigkeit fortlaufender Offenbarung, weil die Umwelt
sich ständig ändert. Es handelt sich um Anpassungen der
Schriftauslegung. Auf diese Weise erfuhr Petrus, nach Christi Tod in seiner Vision von
den reinen und unreinen Tieren, fortan seien die Tore der Kirche für die
Heiden zu öffnen ...
Es gab, wie sie bekennt, auch in
der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage
Fehlinterpretationen. Dazu gehört u.a. (möglicherweise) die Missdeutung
einer Passage in "Köstliche Perle", Abraham 2: 27, die dazu führte dass
"schwarze Farbige" nur sehr selten das Priestertum erhielten... Dies
hob die Offenbarung "Amtliche Erklärung Nr.2" vom 30. Sept 1978 auf.
Mormonen
stehen in Auslegung von Matthäus 16: 13-20 auf anderem Grund als die
römisch-katholische Kirche. Sie lehnen ab, - belehrt durch die
Inspirationen die Joseph Smith empfing -, zu glauben, dass Petrus der
Felsen ist auf den die Kirche unverrückbar durch die Zeiten gehen soll.
Der Kontext verweise darauf, dass fortlaufende Offenbarung das Fundament
bildet. Wenn die Kirche in echter, ständiger Verbindung zu ihrem
auferstandenen Herrn bleibt, wenn sie auf ihn hört,
wie es die Propheten vor Alters taten, was er aktuell zu sagen wünscht
und wenn sie demgemäß handelt, dann könne sie niemals von "den Mächten
der Finsternis überwunden werden." Nur dann!
Das
römische "Felsenamt" wurde, wie die Dokumente offenlegen, mindestens zeitweise
von Personen ausgeübt, die dem Anschein nach eher zu den Mächten der
Finsternis gehörten, wie Papst Gregor VII. der mit einem Federzug
hunderttausend Kinder zu Waisen machte und von dem Kirchenlehrer
Damiani, (1006-1072) der selbst ein Verfechter des strengen Zölibats
war, als "heiliger Satan" bezeichnet wurde, auch weil Gregor in seinen 27 Thesen
in "Dictatus" u.a. behauptete:
"Niemand
auf Erden kann über den Papst urteilen. Die römische Kirche hat nie
geirrt und kann bis zum Ende der Zeiten nie irren... er allein hat das
Recht auf die Reichsinsignien. Er kann Kaiser und Könige absetzen und
ihre Gefolgschaft dispensieren..."
Die Folge war, dass er mehr als 60 größere und kleinere Kriege verursachte.
"Alle Fürsten müssen ihm die Füße küssen..."
Wie schnell es gehen kann den mit Christus verbundenen Faden abreissen zu lassen hat die Geschichte, nicht erst seit dem Saeculum obscurum bewiesen.
In dem, selbst von den katholischen Historikern sogenannten "dunklen
Jahrhundert des Papsttums", das keineswegs 996 endet, gab es kaum mehr
als Mord und Totschlag im Ringen um den "Stuhl Petri". Nach Hertling SJ
handelte es sich um
"römische Familien die ihre Mitglieder zu Päpsten
machen und die von anderern Familien aufgestellten Päpste zu stürzen
versuchten." (6)
Noch schneller als Menschengeister sind die Saiten eines Instruments verstimmt.
Nachdem Kammerton a als Wert bestimmt wurde, haben wir uns, wie Orchestermitglieder, stets erneut einzustimmen.
Bis heute streiten sich die Christen wer den Kammerton festlegt... Von Beginn an war das leider so.
Ist es nicht wahr, dass wir fragen sollten: Lieber, großer Gott im Himmel, könnte es sein, dass Du Dir mit Joseph Smith ein Werkzeug erwählt hast, das uns Deinen Ton widergibt? Dass er unter Deiner Inspiration alles das, was im Verlaufe der Jahrhunderte verloren ging zurückbrachte?
Sind es Deine Missionare, die versuchen zugleich unaufdringlich wie mitteilsam zu sein, die uns nur darauf hinweisen möchten, dass sie fühlen, dass Joseph Smith vor Dir ausgesucht wurde, um uns Deinen Willen mitzuteilen?
Sie behaupten, es handle sich um die reine Wahrheit.
Ist es in Ordnung, dass wir diese Aussage prüfen?
In dieser mehr denn je unsicheren Welt, bedürfen wir der Sicherheit. Ist es wahr, dass Du sie uns geben kannst?
Quellen:
1.) Nikolai Krokoch zitiert Tuomo Mannermaa der darauf verweist, dass das Wort der Theosis (deificatio) öfters bei Luther vorkommt als
der Hauptbegriff seiner während der berühmten Heidelberger Disputation
(1518) formulierten Heilslehre nämlich die theologia crucis. „Wenn in
Luthers Epistelkommentaren und Weihnachtspredigten die inkarnatorische
Wahrheit auf besondere Weise zum Ausdruck kommt, dann meint er ähnlich
wie die orthodoxe Heilslehre die reale Teilhabe an der Gottheit Jesu:
,,Wie das Wort Gottes Fleisch geworden ist, so ist es gewiß notwendig,
daß auch das Fleisch Wort werde. Dann eben darum wird das Wort Fleisch,
damit das Fleisch Wort werde. Mit anderen Worten: Gott wird darum Mensch, damit der Mensch Gott werde.
2.) Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft“, dritte,
völlig neu bearbeitete Auflage, 4. Band Kop-O, Mohr (Paul Siebeck)
Tübingen, 1960 S. 1692 – 1702
3.) Gerd Skibbe "Streifzüge durch die Kirchengeschichte - aus dem Blickwinkel eines Mormonen" im Internet
4.) Römer 8:9
5.) Lehre und Bündnisse 38: 27
6.) "Geschichte der Katholischen Kirche bis 1740", mit Imprimatur