1570, während des vorletzten Maurenaufstandes
verliert der deutsche Söldner, Bernhard Gottschalk, der ursprünglich in französischen, dann in spanischen Diensten
stand, seine muslimische Familie.
28 Jahre sucht Bernhard, wegen seiner Konversion
zum Islam, Abu Aibak genannt, seinen Sohn Asmai.
Im Sterbejahr König Philipp II. 1598, erhält
Bernhard einen Brief von gleich gesinnten Freunden. Sie teilen dem alten Mann
mit, dass sie wahrscheinlich Asmai gefunden haben. Er soll als Waise in ein
Franziskanerkloster gekommen sein und nennt sich nun Dr. Zurita Simanca.
Er sei angesehener Mitarbeiter des
Erzbischofs zu Valencia, der jedoch ein fanatischer Feind der Maurisken ist.
Ist es Asmai, der verschollene Sohn?
Haben die beiden Männer eine Chance einander zu
finden?
Oder wird der Konflikt der verfeindeten
Gruppen jede Anbahnung vereiteln?
Wie geht das Ringen zwischen Spanien und den
Maurisken aus?
Werden die neuen Machthaber Spaniens die,
1492, durch die Könige Isabella und Ferdinand verbrieften Rechte, erneuern oder
wird das Imperium aus guten Gründen noch einmal wortbrüchig handeln?
Lässt sich zwischen Christentum und Islam
jemals eine Brücke bauen, oder ist die Kluft unüberwindlich?
Autor Gerd Skibbe hat sich fast 60 Jahre lang mit der
Geschichte des Christentums beschäftigt. Vor allem auf der Basis der von Rochau
verfassten Chronik „Die Moriscos in Spanien“, Leipzig 1853, schrieb er „Allahs
Söhne“, nun umbenannt in „Vergessene Söhne Ismaels.
Die vergessenen
Söhne Ismaels by Gerd Skibbe
Malaga 1598
Einen Brief und sein Schicksalsprotokoll in der sehnigen
Rechten streckte sich der etwa sechzigjährige Mann Bernhard Gottschalk. Er
stand an dem kleinen, weit geöffneten Fenster seines weißgetünchten, einfachen
Zimmers und stöhnte. Die alten und die neuen, die inneren und äußeren
Verwundungen machten ihm zu schaffen. Gedankenversunken blickte er auf das
grell blinkende Mittelmeer. An diesem lichtdurchfluteten Februarmorgen hatte er
von treuen Freunden, die ihn schon lange Abu Aibak nannten, aus dem weit
entfernten Valencia, gute und zugleich ungute Nachrichten erhalten. Seine
Verwirrung war unbeschreiblich.
Unmittelbar nach der Entsiegelung des Papiers, war ihm zuerst
aus froher Erregung erhitztes Blut in den Kopf geschossen, dann drohte es, seiner
scharfen Empörung wegen, zu stocken.
Innerhalb eines Satzabschnittes dieses Briefes, der aus
der Feder des berühmten mauriskischen Wasserrichters Don Hernando Ruiz stammte,
kamen aus entgegengesetzten Ecken die größtdenkbaren Gegensätze, wie zwei kampfeslustige
Angreifer, auf ihn zugestürmt: „Lieber Abu Aibak“, hieß es in der Post aus
Valencia, „plötzlich verdichteten sich unsere Vermutungen bezüglich Asmai,
Deinem Sohn. Wir hörten ihn in unserer Gemeinde predigen. Asmai lebt. Er gehört
zu den engsten Mitarbeitern des Erzbischofs Don Juan de Ribera.“
Das war die Freude und Entsetzen verbreitende Botschaft. Hass
und Liebe in einem: Sein lieber, seit zahllosen Jahren, vermisster Sohn Asmai
lebte - und stand auf der anderen Seite der Front.
Bernhard kam sich vor wie ein Mann der nichts mehr
ersehnte als eine Umarmung von seiner geliebten Frau und der soeben den Beweis
erhielt, dass sie die Treue gebrochen hat. Er war wie einer, der davon zu
rennen wünschte, um vor dieser schrecklichen Wahrheit zu fliehen, die ihn aber
an jedem Fleck der Erde einholen wird.
Abu Aibak drehte
sich ab, senkte den weißen, kurzgeschorenen Kopf, ging einige Schritte und warf
schließlich die beiden Dokumente ratlos und betroffen auf den Tisch. Dann ließ er
sich schwer auf den Polsterstuhl niederfallen. Es
summte in seinem alten Schädel: „Dein Sohn Asmai gehört zu den engsten
Mitarbeitern de Riberas.“
An seiner Stirn
pochte eine Ader während sich seine noch scharfen Augen an sein altes
Gerichtsprotokoll hefteten.
Der von
islamischem Denken geprägte Mann wog den markanten Kopf. Uriel ben Naad, der
Bote und Übermittler des schwerwiegenden Briefes, hatte ihm nämlich mitgeteilt,
dass seine Freunde in Valencia ihm raten, ihnen dieses, sein Sancerredokument
auszuhändigen. Das war eine Zumutung - und zugleich unumgänglich, das hatte er
schon nach nur kurzem Nachdenken einräumen müssen. Es war ja für Asmai
bestimmt. Seinetwegen hatte er das Gerichtsprotokoll wie seinen Augapfel
gehütet.
Sie wollten es
ihm zu lesen geben, damit Sohn Asmai sich sein eigenes Urteil bilden kann.
Vielleicht aber war es dann das letzte Mal, dass er, Aibak, sein Zeugnis,
seinen einzigen Beleg für eine der wahrscheinlich unglaublichsten
Landsknechtsgeschichten aller Zeiten, in seinen Händen hielt. Sohn Asmai könnte
es aus Fanatismus ins Feuer werfen! Oder wird ihm dieses Dokument helfen, einen
Weg zu seinem Vater zu bahnen?
Es dröhnte in ihm.
Er sah nur unüberbrückbare Gegensätze. Hier ein maurisch-ketzerischer Vater und
da der Sohn als engster Mitarbeiter eines Klerikers, der nichts in der Welt
mehr hasste als maurische Rebellen. Abu Aibak schob sein starkes Kinn vor. Und bald,
von weiteren Fragen getrieben, überflog er noch einmal die wenigen in
Französisch geschriebenen Seiten, die er zumindest passagenweise längst auswendig
kannte. Mit welchen Augen wird Asmai diesen für sie beide so wichtigen Bericht aufnehmen?
Abu Aibak schlug
mit leicht zitternden Händen, den braunen Lederdeckel auf, um sich noch einmal
zu versichern, ob die vorliegenden Zeilen hinlänglich Auskunft über seinen
Lebenskampf und seinen besten Willen geben können:
Einleitendes Verfahren
Causae expositio praeparatoria
Erste Sitzung am 8. März 1573, im kleinen Ratssaal des
Bürgerhauses zu Sancerre.
Vorsitzender ist Magister Jean Conseur, Doktor beider
Rechte, Michel Jaquier, bevollmächtigter Berater, ehrenwerte Mitglieder der
Reformiertengemeinde zu Sancerre: Francois Dunois, Henri Colin, Gerard
Drappier, die Notare Jean Baptiste, Domenique Favre und der Angeklagte.
Magister Dr. Conseur: „Dieser Mann, den ihr hier seht,
wurde am zweiten Weihnachtsfeiertag, zwei Wochen nach Beginn der Belagerung
unserer Feste Sancerre, auf Zeugenaussage und Anzeige, gefangen genommen. Wie
ich lese, wurde er schon einmal verhört.
So ist das.
Ihm wird Beteiligung an der Ermordung unseres Admirals
Coligny und des Grafen Cuvier vorgeworfen. Der Verdacht ist dringend.
Ein glücklicher Zufall hat ihn uns übergeben. Es ist
unsere Pflicht, vor Gott dem Allweisen die ganze Wahrheit offen zu legen. Amen.
Nun, Angeklagter Bernhard Gottschalk, tretet vor. Leistet
euren Eid. Jede euch hier vorgelegte Frage habt ihr gemäß der Wahrheit zu
beantworten. Ich ermahne euch dringlich, nicht zu täuschen. Wir haben, gemäß
Umständen, viel Zeit, uns gründlich mit eurem Fall zu befassen. So ist das!
Unsere katholischen Todfeinde, mit den Guisenherzögen an
der Spitze, stehen Gewehr bei Fuß vor unseren Mauern.
Sie werden nicht ablassen, uns zu
belagern.
Aber wir haben Getreide und Wasser und genügend mutige Verteidiger.
Hofft also nicht, dass eure Freunde euch befreien werden.”
Der Angeklagte: „Ich werde die Wahrheit sagen und alle
Fragen beantworten, so gut ich kann. Doch das will ich noch einmal beteuern.
Die da draußen sind auch meine Feinde. Würden sie herausfinden, wer ich bin,
wäre ich des Todes. Ich habe niemanden ermordet. Wenn ich jemals tötete, dann
nur aus Notwehr.”
Magister Dr. Conseur: „Ihr redet und schwört nur, wenn
wir es euch sagen. Kniet euch hin!”
Der Angeklagte kniet nieder und legt beide Hände auf die
Bibel, er hebt dann den rechten Arm und spricht die Worte nach, die ihm der
Vorsitzende des Tribunals, Magister Doktor Conseur, vorsagt.
Magister Dr. Conseur: „Für die ungebührlich lange Zeit
der Inhaftierung werdet ihr, falls sich wider Erwarten erweisen sollte, dass
ihr unschuldig seid, entschädigt. So ist das!
Nach Art der Reformierten. Nennt mir
euren Namen und Herkommen.”
Der Angeklagte: „Ich bin meiner Herkunft nach ein
Deutscher und heiße daheim Bernhard Gottschalk.”
Magister Conseur: „Was
ist der Grund eures Aufenthaltes in unserer Stadt?”
Der Angeklagte: „Ich kam hierher, weil ich erfuhr ich
würde unter den Flüchtlingen, die von der Feste Sancerre aufgenommen wurden,
Monsieur Nicolas, einen Diener des Grafen Coligny, treffen.”
Magister Conseur: „Habt ihr Monsieur
Nicolas getroffen?”
Der Angeklagte: „Ihr wisst Monseigneur, dass ich ihn
traf. Am zweiten Weihnachtsfeiertag.”
Magister Conseur: „So ist das! Monsieur Nicolas erkannte
in euch den Mann, der den Leichnam unseres Admirals schändete.”
Der Angeklagte: „Das war ein unseliger Zufall, ein
Missverständnis, das ich aufklären kann.”
Magister Conseur: „Wir fragen euch Angeklagter. Wisst
ihr, warum Sancerre belagert wird?
Der Angeklagte: „Ich weiß sehr wohl um die Zusammenhänge.
Aber es könnte mir übel ausgelegt werden darüber zu reden.”
Magister Conseur: „Sprecht nur! Euer
Leben ist in Gottes Hand.”
Der Angeklagte: „Es gibt zwei religiöse Parteien in
Frankreich, die katholische Königspartei mit den Guisenherzögen auf der einen
und die Reformierten - die Hugenotten - auf der Gegenseite. Die Königsseite
beabsichtigt die Reformierten in die Knie zu zwingen. Ich weiß, dass es ein
Kampf auf Tod und Leben ist.”
Magister Dr. Conseur: „Da sagt ihr die Wahrheit. Es ist
der Riss, der auch durch euer Deutschland geht. So ist das. Wir werden
herausfinden, auf welcher Seite ihr steht. Könnte es möglich sein, dass euer
richtiger Name Dianowitz lautet?”
Der Angeklagte: „Ich habe gehört, dass der Mörder des
Admirals Coligny ein Deutscher sein soll. Aber ich schwöre, ich war es nicht,
noch habe ich mich jemals einer Leichenschändung schuldig gemacht.”
Magister Dr. Conseur: „Geschworen habt ihr schon. Habt
ihr es nicht ernst genommen?
Sagt uns eurer Alter und wo ihr
geboren wurdet!”
Der Angeklagte: „In diesem Jahre werde ich zweiunddreißig
Jahre alt. Ich bin am 18. Juli im Jahre unseres Herrn 1539 in der
altehrwürdigen Herzogstadt Wolgast zur Welt gekommen.”
Magister Conseur: „Seid ihr dort getauft worden? Nennt
uns auch den Namen des Priesters.”
Der Angeklagte: „Es hieß, ich sei an meinem Geburtstag
getauft worden, weil ich den andern Tag, wie meine Eltern glaubten, nicht
erleben würde. Dr. Gershon, denke ich, hat mich getauft, in der Sankt
Petruskirche, die dort nahe am Marktplatz steht.”
Magister Conseur: „Wie heißt euer
Vater?”
Der Angeklagte: „Meines Vaters Taufnamen war Franz, aber
ich kenne meinen Vater nicht. Mein Stiefvater hieß Karl Metz und meine Mutter
nannte sich Marie.”
Magister Conseur: „Ihr sprecht von euren Eltern wie von
Toten. Wie lange lebt ihr von ihnen getrennt?”
Der Angeklagte: „Fast neunzehn zwanzig Jahre sind es her!
Nachdem ich fünfzehn wurde, bin ich von daheim weggelaufen.”
Magister Conseur: „Also aus Übermut habt ihr eure
Heimatstadt und euer Elternhaus verlassen. Und wohin habt ihr euch gewandt?”
Der Angeklagte: „Ich war jung und verspielt. Ich hielt
die Welt für schöner als mein Zuhause. Mein Stiefvater wollte mich schlagen.“
Magister Conseur: „Warum, Angeklagter Bernard, wollte
euch euer Vater strafen?
Bernhard: „Mein Stiefvater war ungerecht zu mir. Er
schlug mich bei jeder Kleinigkeit. Ich hätte ihm sein Brot gestohlen. Aber ich
war stärker als er...”
Magister Conseur: „Ihr habt euch
gewehrt!”
Bernhard: „Ja.”
Magister Conseur: „Und dann?”
Bernhard: „Ich bin zum Hafen hinuntergelaufen. Da lag ein
Getreidesegler und es war schon dunkel.”
Magister Conseur: „Hat man euch nicht gelehrt, dass der
Zorn nur böse Früchte hervorbringt?”
Bernhard: „Euer Hochwürden, ich bin
kein jähzorniger Mensch!”
Magister Conseur: „Hitzig seid ihr.
So ist das!
Wo landete das Getreideschiff, mit dem ihr in die Fremde
geflohen seid?”
Bernhard: „In Ostende.”
Magister Conseur: „Und was geschah nach eurer Ankunft in
Ostende?”
Bernhard: „Ich verstand kein Wort, als ich entdeckt
wurde. Der Bootsmann verkaufte mich noch am selben Tag an einen Werber, an
einen Franzosen, wie ich meine. Es herrschte ein großes Durcheinander. Ehe ich
begriff, was geschah, befand ich mich bereits als Söldner in Diensten eines
fremden Herrn. Wir sind viel umhergezogen. Einmal hieß es, wir gehen nach
Italien, dann wieder, wir müssten nach den Niederlanden. Das ist eine lange
Geschichte.”
Magister Conseur: „Überlasst es dem hohen Gericht,
welcher Auskunft wir bedürfen. Habt ihr auf diese Weise gelernt, französisch zu
reden?”
Angeklagter: „Ja. Drei Sommer lang lag ich zumeist mit
Franzosen unter freiem Himmel.”
Magister Conseur: „Da habt Ihr mancherlei gelernt, vor
allem zu töten.”
Angeklagter: „Wochenlang ging es ruhig zu, dann haben wir
uns gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, das ist wahr, denn wir befanden uns im
Kriegszustand.”
Magister Conseur: „Worum ging es in
diesem Krieg, Angeklagter?”
Bernhard: „Richtig begriff ich das erst später, als ich
ein Mädchen lieb gewann, die es mir mit einfachen Worten erklärte. Das
katholische Spanien wollte überall vorherrschen. Aber die Reformierten, und
auch die Franzosen und selbst der Papst hassten das.”
Magister Conseur: „Von welchem Papst
redet ihr?”
Bernhard: „Paul Caraffa saß auf dem Petrusstuhl, wie die
Katholiken zu sagen pflegten.”
Magister Conseur: „Gab es eine
Kriegserklärung?”
Bernhard: „König Heinrich von Frankreich hatte den
Spaniern im Frühjahr des Jahres unseres Herrn 1557 den Krieg erklärt.”
Magister Conseur: „Ihr habt ein
gutes Gedächtnis.”
Bernhard: „Es geschah nur wenige Wochen, bevor ich nach Spanien
gelangte. Mir wurde bewusst, dass ich zwar im Hass auf die Katholiken erzogen
worden war, aber ich lernte, dass es zwei Sorten Katholiken gab, die einander
mehr und anders hassten als ich sie. Jedenfalls konnten die französischen
Katholiken die spanischen auf den Tod nicht ausstehen.”
Magister Conseur: „Ihr täuscht uns nicht mit euren
Redensarten! So ist das! Ihr wollt uns doch nicht weismachen, dass ihr in eurem
Herzen ein Protestant seid!”
Bernhard: „Die Mutter hat mich in der Lutherlehre
unterwiesen, aber ich bin nicht mehr der, der ich damals war. Das will ich
gerne eingestehen. Das Leben hat mich viel gelehrt.”
Magister Conseur: „Vor allem scheint es euch den Hass auf
uns Reformierte gelehrt zu haben und wie wichtig Geld ist. Ihr seid immer auf Euren
Gewinn bedacht gewesen.“
Bernhard: „Ich wollte, weiß Gott,
immer nur das Beste!“
Magister Conseur: „Das Beste für euch! Das ist es, was
wir euch vorwerfen. Ihr habt immer den Guisen gedient, jenen Guisen die nun
unsere Feste berennen. Sie boten euch das Beste. Ihr seid ein Spion und
Handlanger der Guisen und im Auftrage der Guisensippe an der Ermordung unseres
Admirals Coligny beteiligt.”
Bernhard: „Ich habe ihn nicht ermordet. Ich habe es nicht
getan! Ehrwürden! Ist mir erlaubt euch eine Frage zu stellen?”
Magister Conseur: „Nur wenn es hilft, Klarheit zu
bringen. So ist das!”
Bernhard: „Wie sollte ich als Knabe verstehen, dass ein
Papst den König verfluchte, der ihn beschützte? Wie sollte ich kleiner Söldner
damals wissen, unter welchem großen Herrn und für wessen Interessen ich
wirklich kämpfte? Ich war aus Dummheit und aus Zwängen auf der falschen Seite.”
Magister Conseur: „Immer war, hinterher, die Seite der
Verlierer die falsche! Schon lange vor der Bartholomäusnacht habt ihr euch für
euren Gewinn gegen uns entschieden.”
Bernhard: „Ich war noch sehr jung. Wir marschierten für
Geld und wenn es gut ging für Gold, das ist wohl wahr, aber wir gingen nicht
für den Herzog Franz von Guise nach Rom. Wir hätten uns damals in unserer
Unwissenheit auch für jeden andern Herrn und seinen Sold geschlagen.”
Magister Conseur: „... und für das Hurenvolk nach eurem
Trieb. Das Gericht nimmt erneut zur Kenntnis, dass ihr bereits vor Jahrzehnten
für die Guisenherzöge gekämpft habt und dass es euch nur um den Sold und Befriedigung
der Leidenschaften ging! Dann gebt auch zu, dass euer Hass gegen die Grafen
Coligny und Cuvier schon aus dieser Zeit stammt.”
Bernhard: „Nein! Das unterstellt man mir! Ich habe den
Grafen Coligny nie gehasst, sondern im Gegenteil große Hoffnungen auf ihn
gesetzt. Denn ich bin Botschafter der spanischen Mauren! Ich bin König Aben
Ommeyas und Aben Aboos Gesandter!”
Einige Herren Beisitzer lachen. Magister Jaquier wirft
ein: „Und ich dachte schon, ihr seid des Großmoguls Wesir.”
Abu Aibak lehnte sich zurück.
„Wenn ich es nicht selber erlebt hätte!“ flüsterte er vor
sich hin, „ich würde es auch nicht glauben können.“
Nach einem Augenblick des Bedenkens legte er wieder die
Finger auf die folgenden Sätze:
Angeklagter: „Warum prüft mich das
hohe Gericht nicht?“
Magister Dr. Conseur: „Wir prüfen euch. Welche Hoffnungen
ihr hegt und wem ihr untertan seid, das werden wir bald wissen. Wir bemerken
nur, dass ihr wie euer verstorbener Herr, der Herzog Francois Guise, von der
Lustseuche gezeichnet seid.”
Bernhard: „Den Ausschlag hatte ich nicht gehabt, bevor
ich in das Loch gesperrt wurde.”
Der Angeklagte hebt seine Hände die
voller Geschwüre sind.
Magister Conseur: „Wir haben es vernommen. Ihr seid also
von unseren Todfeinden in Gold entlohnt worden!”
Angeklagter: „Das war, als der Herzog Franz von Guise bei
uns ankam, um den Papst gegen die
Spanier zu unterstützen. Manchmal gab es viel zu verdienen, das ist gewiss so
gewesen. Man steckt, wenn man so jung noch ist, da mitten drinnen im
Landsknechtsleben und findet in seiner Unerfahrenheit nicht wieder heraus.”
Magister Conseur: „So ist das! Ihr wolltet gar nicht
heraus aus diesem Lotterleben, weil euch das gefiel, Menschen zu jagen, zu
rauben und Frauen vor euch her zu hetzen.
Es wird schwer werden, Angeklagter Bernhard, uns von
eurer Unschuld zu überzeugen. Ihr seht selber, alles spricht gegen euch!”
Angeklagter: „Ich bin nicht überführt worden, doch ihr
habt mir gleich Fußeisen angelegt und Ketten um meine Hände, als wäre ich schon
verurteilt!”
Magister Conseur: „Warum wieder diese Hitze? Vertraut ihr
unserm Urteilsvermögen nicht? Wir sind Reformierte, keine Inquisitoren.
Berichtet uns. Wir hören euch geduldig an, so wie wir die tägliche Kanonade der
Guisen hören.“
Der Angeklagte senkt den Kopf.
Magister Conseur: „Ihr schweigt, obwohl ihr ansonsten
über eine gelöste Zunge verfügt. So ist das! Wo habt ihr gelernt euch wie ein
Feldoberer auszudrücken? Auch das spricht nicht für euch.”
Angeklagter: „Das ist Mutters Gabe.”
Magister Conseur: „Welchen Rang hattet ihr im Dienste der
Guisen inne?”
Angeklagter: „Rottenführer war ich,
eine Zeitlang.”
Magister Conseur: „Ihr habt im Vorverhör gesagt, ihr seid
Fähnleinführer gewesen.”
Angeklagter: „Fähnleinführer bin ich in Spanien geworden.
Aber da stand ich unter anderem Befehl. Das gab es schon immer. Sie stellten
seit je gerne deutsche Söldner in ihre Dienste, wegen ihrer Selbstdisziplin.”
Magister Conseur: „Stellt euch nur ein Eigenlob aus. Das
wird euch wenig helfen, am Galgenstrick, eure Selbstdisziplin. Sagt uns lieber
das: Unter welchen Umständen wird ein knapp zwanzigjähriger Landsknecht zum
Fähnleinführer befördert?”
Angeklagter: „Wenn er tapfer ist und
umsichtig.”
Magister Conseur: „So ist das. Wer im Felde ein echter
Schlagetot und Räuber ist, der wird befördert. Deshalb seid ihr statt zu den
Protestanten zu den Spaniern Philipp des Zweiten übergelaufen!”
Angeklagter: „Ich
lief über, weil mir ein anderer Rottenführer mein Mädchen wegnahm. Aber das
liegt ungefähr 16 Jahre zurück. Danach ist viel passiert. Dieser Entschluss war
richtig.”
Magister Conseur: „Ihr versucht, uns abzulenken,
Angeklagter. Wir kennen, glaube ich, euren Grund dafür, dass ihr euch eng an
die Feinde unserer Freiheit hieltet. Auf das weit Zurückliegende kommen wir
noch ausführlicher zu sprechen. So ist das!
Jetzt geht es um euer Verhalten in der Mordnacht. Sie
liegt ein halbes Jahr hinter uns und wir Reformierten haben noch viele Fragen
offen.
Sagt uns, wo wart ihr in jener Nacht vom 23. zum 24.
August im Jahre unseres Herrn 1572? Schildert uns diesen Tag vor der
Bartholomäusnacht. Eure spanischen Abenteuer haben damit nichts zu tun! Man hat
euch eindeutig erkannt in jener Blutnacht.”
Angeklagter: „Wenn
mir das hohe Gericht Zeit geben würde, dann könnte ich erklären, wie alles
miteinander verwoben ist. Ich kam nicht aus eigenem Antrieb nach Paris,
sondern, wie ich bereits sagte, in der Absicht, Admiral Coligny zu einem
Bündnis mit den bedrängten Maurisken Spaniens zu bewegen. Ob ihr es glaubt oder
nicht. Ich war König Aben Ommeyas Gesandter und danach der Beauftragte seines
Nachfolgers, Aben Aboo, mit Vollmacht. Ohne Beistand der Reformierten musste
unser Aufstand endgültig
zusammenbrechen. Wir wollten ein Bündnis anbieten. Zu diesem Zweck
beabsichtigte ich den Grafen Cuvier oder Herrn Friedrich von Schomburgk zu
sprechen. Das gelang mir nicht. Um aber direkt bis zu Admiral Coligny
vorzudringen, bedurfte ich der Hilfe. Ich musste mich sehr beeilen. Ich wusste,
ich musste mich sputen. Es stand um unsere Sache nicht zum Besten. Mein
einziger Gewährsmann, der mir blieb, war
Monsieur Nicolas, des Grafen Coligny Diener.”
Magister Dr. Conseur: „Eben der
Mann, der euch schwer belastet.“
Angeklagter: „Aus Irrtum und Trugschluss. Bitte, euer
Ehrwürden, lasst es mich darlegen.”
Magister Conseur: „Ob Irrtum oder Lüge, Angeklagter, das
herauszufinden müsst ihr schon dem Gericht überlassen. Hier sagt ihr nur die
Antworten auf alle die Fragen, die wir euch stellen. Wir sind gnädig und hören
euch sorgfältig an, bevor wir euch aufknüpfen. Ihr seid in Not, Angeklagter
Bernhard. Die Zeugen werden bald nachhelfen, euch richtig zu erinnern. Nun sagt
ihr uns zunächst, was ihr getan habt in dieser Nacht und an dem Tage, der
unsere Besten auslöschte. Wir wollen hören, wie viele ihr von den sechstausend
auf eurem Gewissen habt. Wo seid ihr gewesen Angeklagter? Wer hat auf den
Admiral geschossen?”
Der Angeklagte schweigt.
Magister Conseur: „Kennt ihr Madame
Cuvier, die einflussreiche Hofdame der Königsmutter Katharina von Medici? Ich
fragte, ob ihr Madame Cuvier kennt?”
Der Angeklagte
Bernard ist offensichtlich verwirrt.
Der Angeklagte: „Ich sehe, dass ich
in lauter missliche Zufälle verwickelt bin. Ich wollte den Grafen Cuvier
sprechen...”
Magister Conseur: „Es gibt keine
Zufälle, Angeklagter. So ist das. Aber es gibt Zeugen! Wir hören nun den Zeugen
Lebuin.”
Der Zeuge Lebuin
erscheint.
Magister Dr.
Conseur unterrichtet den Zeugen.
Lebuin legt die Hand auf das heilige Evangelium und
schwört, wie ihm vorgesprochen wird.
Magister Conseur:
„Sagt dem Gericht, wie alt ihr seid.”
Zeuge Lebuin: „Ich bin heuer
sechsundzwanzig geworden und schon seit ein paar Jahren ein treuer
Reformierter.”
M. Conseur weist auf den
Angeklagten: „Zeuge Lebuin, kennt ihr den Mann da?”
Lebuin: „Ja, das
ist er.”
M. Conseur: „Kennt
ihr den Namen?”
Lebuin: „Dannowitz
ist das.”
M. Conseur: „Ihr meint, der Angeklagte, den ihr seht,
heiße Dianowitz. Woher wisst ihr den Namen.”
Lebuin: „Das weiß man eben. Ich
hab’s schon bei der Anzeige gesagt!”
Der Angeklagte schreit dazwischen,
es sei alles ein abgekartetes Spiel.
Magister Dr. Conseur spricht einen
Tadel aus und ermahnt den Angeklagten. Auch der Zeuge wird noch einmal belehrt.
M. Conseur: „Sagt uns, Zeuge Lebuin,
was ihr wisst. Nur was ihr wisst, nicht was ihr vermutet.”
Lebuin: „Der
da hat ihn abgemurkst.”
M. Conseur: „Ihr meint der
Angeklagte habe jemanden getötet. Wen hat der Angeklagte umgebracht?”
Lebuin: „Meinen
Herrn Grafen und unsern Admiral Coligny”
M. Conseur: „Nennt
uns den Namen.”
Lebuin: „Dannewitz”
Magister Conseur erklärt dem Zeugen
Lebuin abermals die Gerichtsordnung und dass er genau und zutreffend zu
antworten habe.
Lebuin: „Mein
Herr Graf Cuvier ist der Name.”
M. Conseur: „Erklärt uns von Anfang an, was ihr gesehen
habt.”
Lebuin: „Ich war beim Schuheputzen,
als der da kam. Bertram war nicht da.”
M. Conseur: „Wer
ist Bertram?”
Zeuge Lebuin: „Unseres Herrn Leibdiener. Und der da
fragte mich doch, ob ich Heinrich der Navarrer bin. Verkohlt hat er mich,
dachte ich, aber das hatte alles seinen Sinn, glaube ich jetzt. Denn nachher
bei der Gräfin, die immer schlecht auf meinen Herrn Grafen zu reden war, als
sie schon fast nacklicht ausgezogen war, kam mir das komisch vor. Ihr wisst es
vielleicht. Die Katharina, ich meine des Königs Mutter, und die Gräfin, ich
meine unsre. Die haben sich immer gegenseitig die Hurenböcke zugeschickt. Das
weiß ich nun wirklich. Aber mein Herr Graf war ein braver Calviner. Der wusste
es nicht oder vielleicht doch. Vielleicht hat er deshalb soviel getrunken. Das
ist wohl wahr. Ich meinte in meinem Sinn, das wäre der neue Liebhaber. Konnte
ja nicht ahnen...”
M. Conseur: „Was gehörte zu euren Obliegenheiten im Hause
des Grafen Cuvier? Ich meine, welche Arbeiten ihr bei eurem Herrn und eurer
Gräfin zu verrichten hattet.”
Lebuin: „Alle wichtigen Sachen waren meine. Holz holen,
heizen zum Kochen und Braten, für trockenes Schuhwerk sorgen.”
M. Conseur an den Zeugen Lebuin gerichtet: „Habt ihr
gesehen, dass der Angeklagte, von dem ihr meint er sei Dianowitz, Beischlaf mit
der Gräfin hielt?”
Lebuin: „Alles haben sie mir auch
nicht gezeigt.”
(Der Zeuge lacht. Er wird vom Vorsitzenden Magister
Conseur zurechtgewiesen)
Lebuin: „Na ja, das wäre ja was. Aber das ist wahr, sie
stand ganz schön zu sehen, ganz beinahe nackt ausgezogen und der da stand da
dabei und guckte groß. Das habe ich, bei Gott, gesehen.”
M. Conseur: „Ihr habt gelauscht.”
Lebuin: „Das musste ich schon für meines Herrn Grafen und
meiner Madame Gräfin Sicherheit. Ja, man ist ja schon lange genug im Haus und
kennt sich aus.“
M. Conseur: „Ihr wollt sagen, Zeuge Lebuin, dass ein Riss
mitten durch das Haus Eurer Herrschaft ging. Hier euer Graf Cuvier, ein
Reformierter von bester Sitte, und da die Gräfin Cuvier eine Vertraute unserer
Feindin Katharina, ein verdorbenes Weibsbild.”
Lebuin: „Ich musste manchmal Wache halten. Für meine
Gräfin. Diesmal auch. Da hab ich manches geseh'n. Ich kann euch sagen, großes
Gericht!”
M. Conseur: „Seid ihr eurer Augen
sicher?
Lebuin: „Versteh'n tu ich nicht
alles, aber sehen kann ich gut.”
M. Conseur: „Zeuge Lebuin, auch ich kann nicht alles
verstehen, was im Leben passiert. Das ist von Gott so gewollt. Das will ich
wohl glauben. Aber wie ihr, ein treuer
Reformierter, einer Dame wie eurer Herrin dientet, das ist sicherlich mehr als
unverständlich.
Lebuin: „Pflichten sind Pflichten!“
M. Conseur: „ Sprecht
vernehmlicher!“
Lebuin: „Man steht ja in Brot und
Arbeit, Herr Richter!“
M. Conseur: „Ihr habt ausgesagt, dass ihr den Angeklagten
am Bartholomäusmorgen als Mörder eures Grafen erkanntet. Schildert uns den
ganzen Hergang.”
Lebuin: „Früh, als es nach dem Lärmen und Schreien in
unserer Gegend ein wenig ruhiger war, bin ich raus. Und da lag er im Blut und
Mist.”
M. Conseur: „Sagt uns deutlich, wer
dort lag, und wo, und wann.”
Lebuin: „Nach der Nacht auf Sankt Bartholomäus, ein paar
Stunden später. Mein Herr war tot und der da hatte den Degen noch in der Hand.
Rot beklattert. Einen Heidenschreck bekam er. Aber das Ding am Kopf hatte er.
Keine Zweifel nicht. Der hat ihn abgemurkst.”
Magister Conseur: „Ihr wollt sagen, der Angeklagte habe
das Erkennungszeichen getragen.”
Lebuin: „Wie ich, na klar! Die Gräfin riet es mir an.
Später eine Zeit, nachdem der da weg war. Die Mörder mit dem weißen Kreuz. Ganz
dick aufgeschmiert. Mir hat’s ja das Leben gerettet, aber ich wusste, von wem.”
M. Conseur: „Angeklagter, ist das wahr? Trugt ihr das
Kreuzeszeichen am Hut?”
Der Angeklagte: „In meinem Quartier angekommen, schlief
ich ein und hörte kurze Zeit später, gegen Mitternacht das Glockengeläut, dann
das grauenvolle Schreien. Ich wollte mich nicht auf die Straße wagen, tat es
schließlich dennoch, plötzlich aus
Sorge, getrieben von der Furcht um den Grafen Cuvier bin ich zur Rue Bethsy
gelaufen.”
M. Conseur: „Sagt ja oder nein!
Trugt ihr das weiße Kreuz?"
Der Angeklagte: „Ja, ... aber doch
nicht...Ihr unterstellt mir...”
M. Conseur: „Ich verbiete euch das Wort Unterstellung,
ein für allemal. Im Protokoll muss vermerkt werden, dass der Angeklagte stets
vom Thema abweicht. Ich spreche ihm erneut einen Tadel aus. Es ist wichtig
festzuhalten, dass der Angeklagte nicht zu erklären vermag, warum er das
Zeichen trug.”
Lebuin: „Er war genauso erschrocken
damals wie jetzt auch”
M. Conseur: „Sprecht nicht in Rätseln. Sagt uns nur das
Wesentliche.”
Lebuin: „Na, als ich ihn ertappte, war er ganz blass um
die Ohren geworden, am zweiten Weihnachtsfeiertag, jetzt letztens, auf der
Straße, hier.”
M. Conseur: „Habt ihr noch etwas zu
sagen, Zeuge Lebuin?”
Lebuin: „Ja! Hängt ihn an den
höchsten Ast.”
M. Conseur: „Das Urteil überlasst dem Gericht! Bleibt ihr
bei eurer Behauptung, dass ihr den Angeklagten bewaffnet und bekreuzigt neben der Leiche des Grafen
Cuvier am frühen Morgen des Bartholomäustages gesehen habt?”
Lebuin: „Das schwöre ich, so gut mir
Gott weiterhelfe.”
Magister Conseur: „Angeklagter, ihr seht, wir haben die
Anzeige gegen euch sehr gründlich geprüft. Legt uns nun die Einzelheiten offen,
wie sie sich angeblich euch darstellen.”
Angeklagter Bernard: „Den Ehemann der Dame Cuvier, den
Grafen Cuvier sollte ich, auf Empfehlung Seigneur Poltrots, sprechen.”
M. Conseur: „Habt ihr mit dem Grafen
Cuvier reden können?”
Der Angeklagte: „Kurz gesagt nein.
Heute weiß ich, es war ein Missverständnis infolge der Abwesenheit des Dieners
Bertram. Der Narr Lebuin hielt mich für einen Liebhaber der Gräfin.”
Lebuin: „Ich würde euch zu gerne mit meiner Faust eine
aufs Auge drücken.”
Magister Conseur ermahnt sowohl den Zeugen wie den
Angeklagten.
Der Angeklagte: „Madame Cuvier gewährte mir eine Audienz.
Ich war nicht unterrichtet worden, dass die Dame auf der Gegenseite stand,
zumal der Graf ein Reformierter war.
Ich geriet am Abend des 23. August in das Haus des Grafen
Cuvier, auf ein gewisses Wort hin..., dann in das Zimmer der Dame. "
M. Conseur: „Wie lautete dieses
Schlüsselwort?”
Der Angeklagte: „Ich werde es nicht
preisgeben.”
M. Conseur: „Wir haben es bereits vernommen, nicht wahr.
Ja wir kennen es. Natürlich. Ihr werdet es uns jetzt dennoch mitteilen. So ist
das!”
Der Angeklagte: „Ich habe
geschworen, es niemals preiszugeben.”
M. Conseur: „Aber es ist heute bereits erwähnt worden. Oder
nicht? Es ist sonderbarerweise nicht verstanden worden. Ist das so?”
Angeklagter: „Ich werde nicht
antworten.”
M. Conseur: „Ihr habt es schon erwähnt. Was versprecht
ihr euch davon, es zu verschweigen? Eine Wirkung auf das Urteil des Gerichtes?
So ist das! ‚Heinrich von Navarra’ lautete es. Seht ihr. Das Gericht kennt es
auch. Das ist gut so. Jemand gab es
euch? Wer?”
Angeklagter: „Ich werde nicht
antworten.”
M. Conseur: „Ihr bemerkt selber, wie unsinnig euer
Verhalten ist. Seigneur Poltrot soll euch nicht unterrichtet haben, dass Madame
Cuvier ihren Platz bei unseren Feinden innehatte?”
Angeklagter: „War das damals wirklich offensichtlich, wer
Freund und wer gut Freund war? Seigneur Poltrot erwähnte es nicht. Geschah die
Mordaktion nicht völlig überraschend, überraschend für alle Seiten?”
M. Conseur: „Nicht ganz. Die Katholiken wussten es samt
und sonders. Sie trugen das rettende Kreuz und die weiße Binde am Arm, genauso
wie ihr, Angeklagter.
Was geschah also an jenem denkwürdigen Vorabend, einige
Stunden vor dem Unheil, im Hause des Grafen Cuvier? Ihr befandet euch nicht in
Eurem Quartier. Sie gab euch Vorschuss. Sie verhieß euch, ihr werdet sie wieder
besitzen dürfen, wenn ihr dem Biest den Gatten aus dem Wege räumt.
Zeuge Lebuin! Ihr habt die Dame entblößt gesehen, während
der Angeklagte sich in ihrem Boudoir aufhielt,
ist das wahr?”
Lebuin: „Und wie entblößt, euer Ehrwürden. So. Sie machte
den Morgenrock auf und stand da wie Eva im Paradies.
M. Conseur: „Was geschah?”
Lebuin: „Lasst ihn das doch sagen! Alles habe ich auch
nicht gesehen. Aber den Mann will ich sehn, wenn er gesund ist und noch jung.”
Der Zeuge kichert ungebührlich.
M. Conseur: „Angeklagter, erspart uns die Einzelheiten.
Aber überzeugt uns. Habt ihr sie berührt?”
Angeklagter: „Ich sah sie. Mehr nicht. Ich sah das vom
gelben Kerzenschein erhellte Gesicht. Ja, ich sah sie ganz.”
M. Conseur: „Die Gräfin Cuvier hatte euch also erwartet,
einen Mann wie euch, nicht gerade auffallend groß und stattlich aber mit
gewissen Fähigkeiten, die Klinge zu gebrauchen. Verführte sie euch oder ihr
sie? Sagt es uns. Wann befahl sie euch, ihren Mann zu töten?”
Angeklagter: „Ich fand innerhalb dieser höchstens einen
Minute heraus, dass ein großer Irrtum vorlag. Denn obwohl sie mich eindeutig
ermutigte, bat ich sie, mir zu erlauben den Grafen Cuvier zu sprechen. Unmutig
bedeckte sie sich, zog mit wütendem Ruck den Morgenrock zurück und winkte mir
herrisch mitzukommen. Der Graf lag betrunken auf der Chaiselongue. Das hatte
mir Herr Poltrot schon angedeutet. Nun verstand ich es plötzlich. Ich beugte
mich nieder und roch den Dunst, sah die glasigen Augen und lief einfach davon.”
Magister Conseur: „Ihr weicht schon
wieder aus.”
Der Angeklagte: „Mehr hat sich nicht ereignet. Ich bin
überzeugt Ehrwürden, dass auch ihr an diesem Abend, an dem ich mich bei Madame
Cuvier aufhielt, nicht geahnt habt, dass das große Verhängnis über sämtlichen
Reformierten Frankreichs schwebte. Dass eure und meine Freunde nur noch eine
Fingerbreite vom Tod entfernt lebten, wusste außer den Verschwörern und denen,
die sie einweihten, niemand. Selbst Graf Coligny, nachdem er am Vormittag
angeschossen worden war, erwartete es gewiss nicht. Sonst hätte er anders
gehandelt. Sie haben uns getäuscht. Die Überraschung war vollständig.
Zwar ging die Trennlinie offensichtlich durch den Louvre,
aber wer, außer den katholischen Christen, hat auch nur eine Stunde vor Beginn
der Bartholomäusnacht gewusst, dass sie tödlich sein würde?”
Magister Conseur: „Richtig, und auch ihr, Angeklagter,
habt es gewusst! Ihr gehörtet zu den Eingeweihten.“
Angeklagter: „Niemals!”
M. Conseur: „Ihr lügt! So ist das! Ihr werdet doch nicht
eine Wahrheit eingestehen, die euch an den Galgen bringt.”
Angeklagter: „Gewiss nicht anders als das hohe Gericht,
erfuhr ich erst in den Wochen nach der Bluthochzeit Detail um Detail. Dass die
Freunde des weibischen Königs Karl in Hurenkleidern durch das nächtliche Paris
gezogen waren, dass sie keine Perversität ausgelassen, dass die Priester ihnen
keineswegs gedroht hatten, sie würden exkommuniziert werden, wenn sie sich
nicht besserten, dass Margot sich noch in der Hochzeitsnacht mit Kerlen
herumgetrieben hatte, das drang erst allmählich zu mir durch.
Ebenso erfuhr ich erst später, dass Madame Cuvier gewisse
Männer schamlos zu sich kommen ließ.“
Magister Conseur: „Diese Schamlosigkeit gefiel euch!”
Angeklagter: „Ja, es gefiel mir, sie so zu sehen, weil
ich ein Mann bin. Aber ich bin kein Straßenköter...”
M. Conseur: „Ihr hattet zu sichern, dass der Graf unter
keinen Umständen mit dem Leben davon kommt. Deshalb habt ihr euch mit der Dame
Cuvier getroffen. Sie wusste, dass ihr kommen würdet. Ihr hattet zu eurer
doppelten Sicherheit das Kennwort erschlichen. Aber da Lebuin es nicht kannte,
hätte es euch nichts genutzt. Ihr kamt also herein, weil ihr erwartet wurdet!
Ist das so, Zeuge Lebuin? Könnte es so gewesen sein?”
Lebuin nickt lebhaft: „Ja, ja. Ich hatte ja schon, ich
meine die hatte, zwei andere gehabt, an diesem Abend, die kamen und gingen.
Warum nicht drei, dachte ich!”
Angeklagter: „Ich weiß davon nichts!
Ich bin doch kein Prophet.”
M. Conseur: „Ihr hattet den Auftrag, an diesem Abend,
mehrere namentlich genannte und bekannte Reformierte aus dem Wege zu räumen.
Bis zu dieser Stunde wurde der an euch ergangene Befehl nicht vollständig ausgeführt,
deshalb seid ihr in unserer Feste Sancerre. Deshalb lauscht ihr hoffnungsvoll,
wenn von den Stadtmauern Kriegslärm bis zu uns dringt. Meint ihr, wir hätten
das nicht bemerkt? Wen also sucht ihr hier wirklich?”
Der Angeklagte fragt laut: „Hohes Gericht. Sieht so ein
gedungener Mörder aus? Wenn ich den Grafen hätte umbringen sollen, wäre es doch
eine gute Gelegenheit gewesen ihn zu ermorden, als er völlig betrunken und
stöhnend vor mir lag.”
Magister Conseur: „Nur selten sieht ein Mörder wie ein
Mörder aus. Wer konnte es den frommen Geistlichen ansehen, dass sie über das
Geheimnis verfügten, das die Unseren hätte erretten können?
Seht ihr je irgendeinem Halunken an,
was er im Schilde führt?
Die glatte Maske auf der Fratze
passt immer.
Es ist auszuschließen, dass Madame Cuvier sich zu der von
euch erwähnten Abendstunde zufällig zu Hause aufhielt, es sei denn, sie hat
einen höchst triftigen Grund. Man tobte nämlich noch zu dieser Zeit im Louvre.
Es ist absolut auszuschließen, dass Madame Cuvier da, an
diesem vorletzten Abend der Vermählungsfeierlichkeiten, gefehlt hätte, es sei
denn, ihr, als dienstbereiter Unhold, wurdet von der blutig gesinnten Dame
erwartet. Euer teuflischer Auftrag lautete, den Grafen außerhalb ihres Hauses,
auf der Straße niederzustrecken, nicht in seinem Bett. Weil Madame jeden
Verdacht der Mittäterschaft von sich ablenken wollte. Sie selber bot sich euch
als Preis dar. Beide Zeugen, Nicolas und Lebuin, haben unabhängig von einander
zu Protokoll der Anzeige gegeben, sie hätten euch später draußen gesehen.
Lebuin sah euch, nachdem ihr den Grafen Cuvier niedergestochen hattet und
Nicolas ertappte euch, wie ihr euch an dem enthaupteten Leichnam des Grafen
Coligny als Leichenschänder zu schaffen machtet. Welches Zeugnisses bedürfen wir
noch?”
Der Angeklagte ist sehr aufgeregt und aufgesprungen: „Man
stelle mich dem Zeugen Nicolas gegenüber!”
Magister Conseur: „Geduld junger Mann! Es wird alles
rechtens geschehen. Ihr werdet ihn eher sehen und hören, als euch lieb ist. Es
zählte in dieser Nacht nur das Eine, nämlich ob jemand das weiße Kreuz am Hut
trug oder nicht. Das war das Kennzeichen. Es bedeutete: Ich bin ein Todfeind
aller Reformierten. Ihr werdet uns nicht hinwegleugnen können, dass ihr um das
bestgehütete Geheimnis dieser Mordnacht wusstet.
Ihr könnt uns nicht täuschen.
Unser Urteil bedarf nur noch der Bestätigung durch den
derzeitig erkrankten Zeugen Nicolas. Wir vertagen die Sitzung um eine Woche.”
2. Sitzung
am 12.März im Jahre des Herrn 1573 zu Sancerre, im Bürgerhaus.
Magister
Dr. Conseur und die vorherigen Beisitzer.
Der Angeklagte Bernhard.
Magister Dr. Conseur: „Wir fanden heraus, dass ihr,
Angeklagter, nun in noch größerem Maße verdächtig seid, den Grafen Cuvier
umgebracht zu haben.”
Der Angeklagte erwidert laut: „Das hohe Gericht darf dem
Zeugen Lebuin nicht glauben. Lebuin fand mich wohl bei der Leiche, aber ich
tötete den Mann meiner Hoffnung keineswegs!”
Magister Conseur: „Woher hattet ihr euer Wissen? Das
Kreuz trugen nur die mörderischen Katholiken. Antwortet glatt. Woher wusstet
ihr?
Bernhard: „Ich hatte Glück...”
M. Conseur: „Sechstausend Hugenotten sind erschlagen
worden, in zehn dunklen, Pariser Nachtstunden, rings um euch herum. Nicht ein
einziger Hugenotte und Hugenottenfreund wusste oder ahnte etwas. Ihr aber
kanntet das lebensrettende Zeichen und leugnet es nicht. Wie ging das an? Das
erklärt uns auf der Stelle!”
Bernhard: „Ich hatte das Kennzeichen
geraubt.”
M. Conseur: „Ja, ja rauben schon, Leben rauben und die
Ehre wenn es sein muss, das ist euer Metier. In Spanien, in Flandern, sogar in
Rom...”
Bernhard: „Als gegen Mitternacht die Sturmglocken
läuteten, bin ich auf die Straße gerannt. Von meinem Quartier weg bin ich zum
Louvre... gestürmt
Das Tuch, das sie trugen, und den Hut mit dem weißen
Kreuz, hatte ich in dieser Nacht kurz
zuvor bereits zweimal gesehen. Woher ich wusste, dass dies das Kennzeichen war,
weiß ich nicht. Ich spürte, ich ahnte, mehr weiß ich nicht, und ich handelte.
Es war über mich gekommen.”
M. Conseur: „Über euch gekommen ist mancherlei, das will
euch das Gericht glauben. Mehr nicht! Hört ihr: Mehr nicht. ihr seid ein
elender Lügner. Wir sollen glauben, ihr hättet als fast Unbewaffneter zwei mit
Degen ausgerüstete Soldaten niedergemacht? Ihr hättet erraten, was das Zeichen
am Hut bedeutet? Erwartet ihr das
wirklich?”
Bernhard: „Ja! Aber ich...”
M. Conseur: „Es ist Schluss. Das genügt uns. Ich rufe den
Zeugen Nicolas auf.”
Zeuge Nicolas kommt in den
Gerichtssaal.
M. Conseur: „Zeuge Nicolas, sagt uns wie alt ihr seid,
und wem ihr dient.”
Zeuge Nicolas: „Ich bin heuer dreißig geworden und diente
dem Admiral Coligny, aber zeitweise auch dem Herrn von Schomburgk. Ich hatte
Zugang zu den Gemächern der Kammerherren seiner Majestät. Und das auf
ausdrücklichen Wunsch des Königs, der sah und anerkannte, dass ich den Admiral
gelegentlich begleitete.”
M. Conseur: „Wir
erinnern euch, dass ihr unter Eid aussagt. Kennt ihr den Mann, der auf der
Anklagebank sitzt?”
Zeuge Nicolas: „Ich habe den Mann sowohl im Contor des
Monsieur von Schomburgk gesehen wie auch später am Bartholomäustag mitten im
Haufen der Bauern und des Pöbels in Montfaucon, wo die Galgen standen. An einem
der Gerüste hing, an seinen Beinen aufgehängt, der entsetzlich entstellte Leib
des Admirals. Nur durch das Geschrei und Gekreische der Bösen und durch die
ungeheuer unflätigen Schimpfworte, die sie ausstießen, erfuhr ich, dass es
Colignys Leiche war. Der Mann da hat Sträucher aufs Feuer gelegt, in dem man
des Grafen Leichnam verbrennen wollte. Das kann und werde ich vor dem ewigen
Gott jetzt und am Jüngsten Tag beschwören.“
Der Angeklagte Bernhard springt heftig protestierend auf: „Es ist unerhört. Ich habe nichts getan,
was der Zeuge berichtet. Strolche kamen und warfen Gestrüpp in die Flammen. Ich
habe so dicht daneben gestanden, dass ich es von mir schob, dieses lose Bündel
Strauchwerk. Das vielleicht hat euer Zeuge gesehen. Ich zerrte es, so gut das
ging, vom Feuer weg, ich war, wie alle Freunde Colignys, voller Entsetzen.
Doch hier wird der Eindruck erweckt, ich hätte mich an
der Leichenfledderei beteiligt, ich hätte mich auf der Gegenseite
befunden...das ist nicht wahr!”
M. Conseur: „Ihr habt euch ganz entschieden auf der
Gegenseite befunden. Das weiße Kreuz am Hut, euer wutverzerrtes Gesicht, euer
ganzes Benehmen lässt nur einen einzigen Schluss zu.”
Bernhard: „Ja! den Schluss lässt es zu, dass ich auf
vagen Augenschein verdammt werden soll.“
M. Conseur: „Angeklagter, haltet eure Zunge im Zaum. Ihr
werdet Gelegenheit erhalten, euch zu rechtfertigen und auf weitere Fragen zu antworten. Zeuge Nikolas, ihr hieltet euch
als Bediensteter des Hofes im Louvre auf. Berichtet uns von den Umständen. Es
ist in unserem Interesse, ein vollständigeres Bild von den Ereignissen zu
gewinnen.”
Zeuge Nicolas: „Ich will nicht unglaubwürdig werden und
erkläre, dass ich bis zur Bartholomäusnacht zwar mit den Reformierten
sympathisierte, aber von meiner römischen Kirche wandte ich mich erst nach dem
Blutvergießen ab. Verheerende Umstände sind das gewesen. Was ich sah, begann am
Vormittag des 23. August harmlos.”
M. Conseur: „Begann es mit dem
Angeklagten?”
Zeuge Nicolas: „Nein. Meine Geschichte beginnt im Louvre
ungefähr morgens neun Uhr, fünfzehn Stunden vor der Mordnacht. Ich kann, wenn
das Gericht es wünscht, dazu beitragen zu erhellen, wie es geschah.”
M. Conseur: „Berichtet das Wichtigste.”
Bernhard wieder dazwischen rufend: „Hohes Gericht, euer
Zeuge redet sich heraus.”
M. Conseur gibt dem Schreiber und dem Zeugen ein stummes
Zeichen fortzufahren.
Zeuge Nicolas: „Wie die Mutter des Königs von Frankreich,
mitten auf dem Flur auf ihre erst seit wenigen Tagen vermählte Tochter Margot
einredete, war das Erste. Ich sehe die junge leidenschaftliche Dame immer noch
lebhaft vor mir. Das war, während die Musik laut spielte. Mir war nicht möglich
etwas zu verstehen. Mir schien, die alte, gelbgesichtige Hexe Katharina mache
ihrer Tochter große Vorhaltungen. Dann sah ich, dass die Königsmutter sich dem
Herzog Henri von Guise zuwandte als dieser ankam, den schwarzen Hut schief auf
dem Kopf, den Degen in der Hand, als hätte er gerade ein Duell für sich
entschieden, auch er jung und strahlend, wie seine jetzt an Heinrich von
Navarra gebundene Geliebte, die auf Befehl ihrer Mutter schnell davon ging, und
zwar auffallend schnell und wütend. Königsmutter Katharina kam mit dem
Guisenherzog näher auf mich zu. Von einem Vorhang verdeckt, hörte ich, wie sie
es absprachen. Henri de Guise war drei Schritte von mir entfernt. Er sagte: Wir
tun es, wenn ihr wollt. Es ist vorbereitet. Sie schwieg eine Weile. Dann sagte
sie zu ihm etwas, das ich nicht richtig verstand.
Das waren die Worte: ‘Ihr würdet es nicht tun, wenn ich es nicht wollte?’ Sie
wartete seine Antwort nicht ab, sondern ermutigte den jungen Mann mit der
Aufforderung: ‘Den Mörder seines Vaters muss man mit dem Tod bestrafen.’ Wie
ich heute weiß, spielte sie damit darauf an, dass Reformierte seinen Vater
Franz von Guise umgebracht hätten.
Henri de Guise erwiderte: ‚Coligny!‘ Henri de Guises Hassausbruch war heftig. Das war wie ein Degenstoß. Sie
zischte etwas, das ich wiederum nicht ganz verstand, aber ich vermute nun,
beide planten, den Admiral zu töten. Ich sehe die böse Alte vor mir. Der
Admiral war ihnen zu mächtig geworden. Jetzt, da die Hochzeit Margots mit
Heinrich von Navarra stattgefunden hatte, fürchteten sie Colignys Einfluss auf
den uns gut gesonnenen Navarrer und vor allem Colignys Genie. Mir schien, dass
sie das meinten. Colignys Einfluss auf den hilflosen und auf Führung
angewiesenen jungen König Karl würde nun natürlich noch größer sein.
Der stürmische Guise und die giftige Katharina hatten
offensichtlich Angst. Ihre Stimmen zitterten vor Wut und Sorge.
Die vielen Hugenotten in der Stadt, der mächtige Admiral
und sein willenloser, halbverrückter Regent Karl, der sich nur in Gegenwart
seines uns Reformierten zugeneigten Beraters wohl fühlte, wie wir alle wussten.
Das trieb die beiden schier zur Verzweiflung. Ich wusste nur nicht, dass es
noch am selben Tag geschehen sollte. Katharina hatte es ja gesagt: Ich will es.
Und er antwortete: ‚Es ist alles auf gutem Wege‘.
Das war mir entgangen, jedenfalls wurde es mir erst
später bewusst, dass sie davon redeten, was noch am selben Tage geschehen
sollte. Ich dachte sie sprechen von einer Sache, die irgendwann stattfinden
soll.”
M. Conseur: „Zeuge Nicolas, ihr habt selbstverständlich
umgehend Herrn von Schomburgk unterrichtet!”
Zeuge Nicolas: „Ich suchte ihn verzweifelt. Es war wie
verhext. Herr von Schomburgk ließ sich nicht finden.”
M. Conseur: „Ihr habt euch selbst an den Grafen Coligny
gewandt?”
Zeuge Nicolas: „Ich wagte nicht, ihm einen Zettel zu
schicken. Ich wollte ihn durch Herrn von Schomburgk warnen lassen und wartete
die nächsten Stunden noch ab, sehr ungeduldig zwar, doch ich glaubte, wir
hätten noch Zeit. Jedenfalls schien mir, es würde nicht so schnell passieren”.
M. Conseur: „Das habt ihr uns so bei eurer ersten Anzeige
nicht erklärt. Ihr hättet das Leben des Admirals retten können. Ihr habt es
unterlassen.”
Zeuge Nicolas: „Ich werfe es mir ja selber vor. Ich bin
vielleicht mitschuldig. Ich hätte schneller handeln müssen. Plötzlich war es zu
spät. Coligny kann sich an diesem Vormittag nicht lange im Louvre aufgehalten
haben. Er war bereits wieder zu Fuß aufgebrochen und ging die wenigen Schritte
über die Brücke nach Hause.
Meine Gedanken kreisten nur um
Coligny.
Hätte ich doch gewusst was ich heute
weiß.
Bereits kurz danach gab es viel Lärm. Viele Leute in den
Gängen des Louvre schrieen: Man hat auf den Admiral geschossen. König Karl kam
gerade vom Tennis. Er schwitzte, er jammerte. Seine langen, verzottelten Haare
hingen nach allen Seiten. Sie hatten ihn bereits unterrichtet, was seinem
würdigen Berater passiert war. Der König sah nicht aus als wäre er
zweiundzwanzig, sondern wie vierzig. Das war nicht allein die Folge seiner
Hurerei. ‘Schickt Parè!’ ‘Lebt er noch?’ ‘Sie haben ihm den Arm abgeschossen.’
Andere riefen: ‘Sie haben ihm bloß die Finger weggerissen.’ Alle schrieen im
Hause nach Parè, dem Leibarzt seiner Majestät. Ich selber schrie.
Katharina erschien. Mir ist nicht mehr möglich zu sagen,
wo ich sie wieder sah. Katharina sah zum ersten Mal, solange ich sie kannte, im
Gesicht rot aus. Immer war sie blass und gelb und alt. Der Drachen. Du musst
bei mir bleiben!’ sagte sie zum König. ‘Du musst mir beistehen. Ich will doch
nur Dein Glück!’ Ich vermute, wenn sie ihn nicht bedrängt und festgehalten
hätte, wäre er sofort aufgebrochen, um mit seinem Arzt in die Rue Béthisy zu
laufen, mit den andern, allen voran wahrscheinlich Heinrich von Navarra und der
Prinz von Condè.
Vor dem Hause des Admirals sollen sich in der
Zwischenzeit viele Reformierte zusammengefunden haben. Das lässt sich denken,
die Hugenotten waren doch noch nicht abgereist. Sie warteten wahrscheinlich auf
das Zeichen des verwundeten Coligny, sich auf die Guisesoldaten zu stürzen.
Denn sie schrieen, wie ich erfuhr, gegen die Guisegefolgschaft.
Indessen konnte Katharina ihren Sohn, König Karl, nicht
lange aufhalten. Er rief nach seinem Pferd und Stallburschen. Ungestüm brach er
auf. Katharina lief neben ihm davon, verschwand an der Seite ihres Sohnes. Kurz
darauf sah ich sie gemeinsam davon reiten.
Ich kann mir vorstellen, wie erschrocken sie war, als sie
die Hunderte Hugenotten sah, durch deren Spalier sie ritt. Das wird sie in
Panik gestürzt haben. Man sah sie nicht mehr. Karl soll sich Coligny weinend zu
Füßen geworfen haben. Das beschwichtigte die erregten Gemüter nur wenig.
Das wiederum muss, denke ich, der Königsmutter zu Ohren
gekommen sein. Aber das hohe Gericht weiß das besser als ich.
‘Sie kommen!’ hieß es, und auch ich stellte mir vor, dass
tausende Hugenotten dahergestürmt kämen. Aber nur in meinen Träumen war das so.
Katharina soll kreischend nach Henri von Guise geschrien haben. Die Angst vor
der Rache der Hugenotten, glaube ich, hat die Königsmutter endgültig mit den
Guisen verbündet, obwohl Katharina sie wegen ihrer Ansprüche auf den Thron
fürchtete. Vielleicht brachte ihre Boshaftigkeit erst in diesem Augenblick höchster
Bestürzung den Plan hervor, sie müsste sämtliche Reformierte Frankreichs
ermorden lassen. Denn alle Gerüchte, die man ihr zutrug, gingen dahin, sie sei
die Urheberin des Attentates.
Zu eng hatte ich mich an den Befehl Herrn von Schomburgks
gehalten, Wichtiges nur ihm allein mitzuteilen. Was im Hause Coligny geschah,
habe ich nur gehört. Der König habe sich vor seinem Admiral gedemütigt und ihn
um Verzeihung gebeten.
Am Nachmittag gab es viel Hektik im Louvre. Ich sah, mit
meinen eigenen Augen wie sie sich in einem Pavillon der Tuilerien versammelten.
Katharina und ihre Italiener.”
M. Conseur: „Kennt ihr Namen? War
Birago dabei?”
Zeuge Nicolas: „Siegelbewahrer Birago habe ich genau
erkannt, auch den Grafen von Retz, sowie Lodovico de Gonzaga und die beiden
Florentiner Petrucci und auch Caviaga habe ich gesehen.
Caviaga und Marschall Tavannes hörte ich wenig später im
Korridor leise miteinander reden. Tavannes sagte etwas, es sei so schnell nicht
auszuführen.
Wenn Marschall Tavannes bremst, wird es noch Wochen
dauern, dachte ich. Dann bogen sie um die Ecke. Wenig später kam Tavannes
wieder und er sprach mit Petrucci. Tavannes sagte: ‚Madame bearbeitet noch den
König‘.
Ich beruhigte mich deshalb, weil ich meinte, der
hugenottisch gesinnte König werde sich entschlossen gegen jede böse Absicht
seiner Mutter stellen und sich nur von seinem neuen Schwager Heinrich beraten
lassen.
Aber das war mein Irrtum. Ich war leichtfertig. Mir ist
das meiste erst danach klar geworden, als es bereits zu spät war. An diesem Nachmittag
müssen sie den Plan gefasst haben, sofort zu handeln und zuzuschlagen, solange
man die Köpfe der Feinde beisammen hat. Petrucci soll gesagt haben, es sei eine
Gelegenheit für sie, die vielleicht nie wiederkehrt. Ich kann es heute noch
nicht fassen. Denn alle Hochzeitsgäste hugenottischer Gesinnung ermorden zu
lassen, bedeutete tausende Pariser und die Stadtgarde und die Truppen der
Guisen auf die Beine zu bringen, und das alles bei tiefster Verschwiegenheit
und im Einvernehmen mit der Geistlichkeit. Das müssen Katharina und ihr Anhang,
in Abwesenheit des Königs, an diesem
Nachmittag beraten und beschlossen haben. Denn, soviel wussten wir alle
miteinander, der König liebte seinen Admiral. Niemals würde er sich mit solchen
Absichten einverstanden erklären.
Ich kann es immer noch nicht
glauben.
Katharina muss es gelungen sein, den König anschließend
völlig zu verwirren. Erst Stunden zuvor hatte der junge Mann dem Admiral Treue
gelobt und dessen katholischen Feinden Rache geschworen.
Mit klaren Sinnen hätte der König niemals zugestimmt,
doch Madame und Henri de Guise benötigten sein Wort und Einverständnis,
Navarras Tross mit Mann und Maus zu überrollen. Wenn der König Tapferkeit
gezeigt hätte, wäre alles anders gekommen.
Ein Mädchen, eine Zofe Katharinas, berichtete mir zwei
Tage nach dem ersten großen Morden etwas unter Tränen. Sie hätte nur einen
Blick auf eine gewisse Szene werfen können, dabei habe sie gesehen und gehört,
wie der König auf dem Fußboden gekrümmt lag, und wie seine Mutter die Hände in
die Seiten stemmte: ‘Du musst es tun, Karl, oder sie tun es dir und mir. Deine
Milde ist Grausamkeit und meine Grausamkeit ist Milde mit dir.’
Nach elf Uhr abends wurden ich und die andern Dienern
seiner Majestät unterwiesen. Wir hätten um Mitternacht mit Beginn des
Glockenläutens von Saint Germain weiße Kreuze auf die Stirn oder die
Kopfbedeckungen zu zeichnen und eine weiße Binde am rechten Arm zu tragen.
Wenig später sollen die Vorsteher der Bürgerwehren das
Haus betreten haben. Auch andere Wachen. Sie geleiteten die Herren in die
Gemächer des Königs.
M. Conseur: „Was habt ihr in der euch verbleibenden einen
Stunde unternommen, Zeuge Nicolas?”
Nicolas: „Ich bin so schnell ich konnte hinübergeeilt zum
Grafen Coligny, in die Rue Béthisy, wurde aber von Soldaten gestellt und
festgehalten. Wohin ich ginge, fragten sie mich. Ich log nach Kräften. Es half
alles nichts.”
M. Conseur: „Warum seid ihr nicht zuerst zu Heinrich von
Navarra gelaufen, warum habt ihr nicht einen einzigen Reformierten, dem ihr im
Louvre begegnet seid, eine Warnung gegeben?”
Nicolas: „Das frage ich mich jetzt auch. Ich war in
diesen Minuten verwirrt. Ich habe versagt. Mir schien, ich dürfte nicht einen
Kampf auf Messers Schneide auslösen. Nicht ich. Nicht jetzt. Ich wollte es
Coligny sagen. Da habe ich doch nicht gedacht, dass dies alles sich so
wahnwitzig schnell zuspitzen würde.
Wie ich danach erfuhr, hatte Coligny seine treuen
Hugenotten gerade von sich fort geschickt, von keiner Ahnung getrübt. Sein
Diener soll ihm, nachdem er allein war, aus der Bibel vorgelesen haben und ich
befand mich behindert und festgehalten, sah die Scharen vorrücken, wusste nun,
was das bedeutete. Die Totschläger zogen los.”
M. Conseur: „Ihr habt uns einen Dienst erwiesen, den
rechnen wir euch zugute. So ist das. Dennoch bleibt ihr uns zur Rechenschaft verpflichtet. Ihr erweckt
allerdings den Eindruck vor uns, ihr entschuldigtet die Verbrecherin Katharina.
Es hörte sich so an, als wäret ihr, Zeuge Nicolas, überzeugt gewesen, dass der
Überfall spontan zustande kam, andererseits wusstet ihr mehr, als wir bisher
annehmen konnten.”
Zeuge Nikolas: „Ja, gewiss. Das ist, was ich denke und
mir selber vorwerfe.”
M. Conseur: „War das alles, was ihr
zu berichten habt?”
Zeuge Nikolas: „Mein Gewährsmann Monsieur La Fossense
weiß mehr.”
M. Conseur: „Wir haben ihn bestellt.
Ihr könnt, wenn ihr wollt, gehen, oder zuhören, wie es
euch beliebt. Ich rufe hiermit den dritten Zeugen Monsieur La Fossense. So ist
das.”
Bernhard überflog auch die nächsten
Seiten. Nur schwach nahm er wahr was da geschrieben stand, dennoch verließ ihn
nicht das Gefühl dass es für Asmai doch
sehr wichtig wäre, seines unglücklichen Vaters Geschichte zu erfahren:
Der Zeuge La Fossense kommt. Er wird
vereidigt.
M. Conseur: „Es ist ungewöhnlich,
dass drei Freunde der Reformierten aus Paris, aus dem Louvre, das Gemetzel
überlebten. Wir sind verwundert.”
Zeuge La Fossense: „Ich gab mich nie als
Reformiertenfreund zu erkennen und war Kammerdiener seiner Majestät.”
M. Conseur: „Kennt ihr den Angeklagten? Angeklagter
erhebt euch.”
Zeuge La Fossense: „Ich war mit meinem Freund Nicolas auf
der Straße, als dieser Mann von ihm erkannt und gestellt wurde.”
M. Conseur: „Habt ihr ihn jemals
zuvor gesehen?”
Zeuge La Fossense: „Obwohl ich Vertrauter des Herrn
Friedrich von Schomburgk war, hatte ich selten Gelegenheit zu erleben, welche
Gäste er empfing.”
M. Conseur: „Ihr habt aber zu Protokoll gegeben, ihr
würdet in ihm, Dianowitz, den Meuchelmörder, wieder erkennen.”
Zeuge La Fossense: „Ja, im ersten Augenblick glaubte ich
das auch“.
M. Conseur: „Kanntet ihr Dianowitz?”
Zeuge La Fossense: „Nicht direkt.
Ich hatte ... glaube ich ...”
M. Conseur: „Beschränkt euch Zeuge, La Fossense, auf das,
was ihr sicher wisst.”
Zeuge La Fossense: „Ich war zugegen, als der König von der
Königsmutter gedrängt wurde, die Glocke von Saint Germain =l’ Auxerrois läuten
zu lassen.”
M. Conseur: „Das mag sicher interessant sein. Wir wollen
hören, ob ihr den Mann kennt, den man Dianowitz nennt, von dem wir wissen, dass
er nach dem Glockenläuten ins Haus des Admirals stürzte, um sein blutiges Werk
auszuführen.”
Zeuge La Fossense schweigt. Er senkt den Kopf und steht
eine Weile so.
M. Conseur: „Man führe den Angeklagten Bernhard
Gottschalk hinaus.”
Notar Michael Bernadotte meldet sich zu Wort. Notar
Bernadotte spricht mit Magister Conseur, ohne Protokoll. Er wünscht, dass auch
Zeuge Nicolas den Raum verlassen müsse.
M. Conseur: „Seid ihr eine
ängstliche Natur?”
Zeuge La Fossense: „Ich will bei der Wahrheit bleiben.
Ich habe mich, glaube ich, geirrt. So. Nun bin ich frei. Es hatte mich sehr
bedrückt.”
M. Conseur: „Könnt ihr ausschließen, dass der Angeklagte
Dianowitz ist?”
Zeuge La Fossense: „Nein, das kann ich nicht. Ich hatte
ja nur einen Traum gehabt. Ich meinte, das wäre der Mann.”
M. Conseur: „Ihr wisst, dass ihr euch gegen das Gesetz
unrichtig verhalten habt. So ist das!”
Zeuge La Fossense: „Es tut mir
leid.”
M. Conseur berät sich mit den
Beisitzern.
M. Conseur: „Macht eure Aussage. Aber haltet euch kurz.”
Zeuge La Fossense: „Unmittelbar vor dem Glockenläuten
schrie der König: ‘Madame, halten Sie sich da heraus.’ In diesem Moment war er
klar im Kopf. Er schrie: ‘Ich werde Ihren Todfeind beschützen. Ich werde ihn um
Vergebung bitten für das, was Ihr ihm angetan
habt.’
Der Graf von Angoulèm drang auf seinen Bruder ein.
Wörtlich und ganz förmlich sagte er: ‘Majestät, unsere Mutter hat Ihnen einen
großen Dienst erwiesen, indem sie den Helden Maurevert anwies, auf den Admiral
schießen zu lassen.’
‚Was hat sie getan?‘ Der Ton des Königs war nun ganz hoch.
Angoulèm sagte: ‚Sie hat Maurevert bezahlt! Man muss Signale geben! Oder willst
du etwa, dass wir der Pestilenz der Ketzerei und der Rebellion freien Lauf
lassen, bis sie uns eines Tages erwürgen?‘
‚Meinen Admiral habt ihr umbringen
wollen? Das kam von euch?“
Man schickte uns hinaus. Ich bin auf Umwegen in die
daneben liegende Kammer geschlichen. Ich muss hinzufügen, dass es im Bereich
verschiedener königlicher Gemächer gewisse Kammern gab. Man wusste, Katharina
von Medici hatte sie anlegen lassen, um ihre Kinder und Fremde zu beobachten,
wann immer es sie danach gelüstete. Leicht hätte ich da auf einen andern
Lauscher stoßen können. Doch meine aufgestachelte Neugierde ließ mich waghalsig
werden. Die Königsmutter rannte wütend hinter ihrem Sohn her. Er warf wieder
eine Tür. Ich konnte nichts weiter hören. Bis zu dieser Minute muss Karl
entschlossen gewesen sein, sich seiner Mutter Ansichten zu widersetzen. Das
zeigte sich im nächsten Augenblick. Laut rief er aus dem Nebenzimmer: ‚Wer hat
euch gerufen‘?
‚Die Pflicht, mein König‘! erwiderte die Mutter. Er kam
wieder zurück ins Zimmer: ‚Ihr wollt mich absetzen! Zu Boden wollt ihr mich
werfen. Vom Thron in die rote Hölle.‘ ‚Sohn‘ entgegnete Katharina und das klang
so weich und gewinnend. ‚Du stehst vor Gott in der Pflicht, den Thron zu
behalten. Was könnte ich besseres für dich wollen? Begreifst du nicht, dass
Könige niemals ihr Herz um Rat fragen dürfen? Fürchte dich nicht. Wir sind mit
dir‘.
‚Die da‘? fragte der König.
Katharina sagte: ‚Wir müssen ganze Arbeit leisten. Alle
Gottesfeinde müssen wir ausrotten. Wann, wenn nicht jetzt?‘ Sie schrie ihn an:
‚Willst du herrschen oder willst du den Reformierten das Zepter überlassen?
Habe ich euch nicht alles geopfert? Umsonst? Umsonst?‘
Der König
stapfte aufgeregt durch den Saal.
‚Ihr?‘ Er schnaubte. Er schrie unmenschlich laut, als sei er wieder völlig von
Sinnen: ‚Ich der König - bin ich nicht Karl? Ich verbiete euch zu morden. Oder
wollt ihr mutwillig die Gottesgebote brechen? Ha, das weiß ich. Mich wollt ihr
zerbrechen, wie man Äste knackt. Ins Feuer wollt ihr mich werfen. Du willst
hier sitzen, Bruder Heinrich. Es gelüstet dich. Deiner Mutter würdest du besser
auf dem Thron gefallen als ich. Ja. Das ist es. Du gefällst ihr, du bist
Mutters Liebling!‘ Der König rannte und
tobte. Er rief nach seiner Amme. ‚Wo ist Madeleine?‘ Und dann wieder:
‚Maurevert sollte Coligny wegräumen und dann mich.
Nein! Schafft ihn her.‘
Wie vom Irrsinn gepackt: ‚Ich will herrschen! Du nicht!‘
Das schien auf seine Mutter gemünzt.
Er schrie. Nein! Er heulte.
Wahl hätte er keine, erwiderte die Königsmutter hart. Er
trage die Königspflicht, zur Rettung der Gottessache, das Zeichen zu geben.
Paris stünde bereit, seinen Thron gegen die Hugenottenpest zu verteidigen.
‚Majestät!‘ Das Biest von Mutter klang weich: ‚Vergiss nicht, dass Gott sich
furchtbar rächen wird. Du weißt, dass der Pharao geplagt wurde, weil er nicht
gehorchte. Nur die Häuser in Ägypten, die das blutrote Kreuz über den
Türpfosten aufwiesen, wurden verschont. Hast Du das nicht gelernt? Nur an denen
ging der zerstörende Engel Gottes vorbei. Du bist der Engel Gottes. Befiehl
uns, das Kreuz anzuheften, anzumalen. Wer es heute Nacht nicht trägt, den musst
Du erschlagen. Gott will es!‘
Plötzlich redeten sie alle zugleich
auf den jungen Mann ein.
‚O Je‘! schrie der König von Furien gehetzt. ‚Es ist also
beschlossene Sache.‘
‚Gott hat es beschlossen, mein Sohn. Du kannst nicht
dagegen sein, nicht gegen Gott.‘
Plötzlich und wieder mit klarerer Stimme der König, wie
er meist sprach: ‚Gegen Gott kann ich nicht an!‘ Aber statt ihnen, wie man erwarten konnte,
zuzustimmen, muss er wieder abgewiegelt haben. Denn sie drangen erneut heftig
in ihn.
‚Die Reformierten planen unseren Untergang, Majestät. Sie
wollen Rache für unser Attentat auf Coligny.‘ Das sagte der Siegelbewahrer,
dieser verdammte Mailänder Birago, der
immer alles tat, was Katharina jemals
ausheckte. Birago redete wie ein Buch: ‚Seht Euch Eure großen Städte im Norden
und im Süden an. Immer mehr bedeutende Familien fallen den Hugenotten zu. Das
ist Rebellion gegen die Krone und gegen die uns allen so unendlich teure Mutter
Kirche‘.
‚Mein Sohn‘, sagte sie dann wieder: ‚Du hast mir nicht
geglaubt, als ich dir die Wahrheit enthüllte, dass du mehr Feinde als Freunde
hast. Willst du auch noch die letzten Getreuen gegen dich aufbringen? Glaubst
du, dass du gegen uns regieren kannst?‘
‚Ha, da!‘ schrie der verwirrte junge Mann. ‚Ihr droht
mir. Meine eigene Mutter will mich
entmachten.‘ Wie die Zauberin Kirke, die Menschen in Schweine verwandelte,
beschwor sie ihren halbverrückten Sohn: ‚Eine Gelegenheit wie diese, mein
großer König, kommt nie wieder. Gott hat sämtliche Maurenführer Frankreichs
rund um den Louvre versammelt. Deine Schwester Margot hat Heinrich von Navarra heiraten müssen, sonst
wären sie nicht gekommen wie die Bären zum Honig, um in die Falle zu tapsen.
Wenn Ihr das versäumt, euch der versammelten wilden Tiere mit einem einzigen
Schlag zu entledigen, dann lebt oder sterbt mit den Folgen solcher
Unterlassung. Das wisst ihr selbst. Frankreich ist zu klein um zu überleben,
wenn es in zwei Teile gerissen wird‘.
Der König brüllte: ‚Meine Schwester Margot! Dieses Hurenweib.
Mit jedem Hergelaufenen hat sie geheckt. Mit meinem Feind Henri Guise. Das
wisst ihr. Noch in der Hochzeitsnacht. Das war Betrug an ihrem rechtmäßigen
Ehemann, Heinrich von Navarra, meinen Freund. Den einzigen außer Coligny. Ihr
nicht!‘
‚Keine Sorge, mein Sohn,‘ erwiderte Mutter Katharina: ‚Du
fürchtest deiner Verwandten Blicke, die auf den Thronen Englands und
Österreichs sitzen. Du hast Angst vor dem Papst. Aber der Papst wird Dir Blumen
und Lobesworte schicken, hörst Du! Wenn Du die Feinde der Religion Gottes
erwürgst, wird er Dich segnen. Spaniens König Philipp, mein berühmter
Schwiegersohn wird Dich umarmen. Wer Katholik ist, wird Dir zustimmen. Die
Kirche wird triumphieren. Einzig den Guisenherzögen wird es nicht passen.
Natürlich würden die Guise gern sehen, dass Frankreichs Krone und ihre
Verteidiger an den Hugenotten und die
Hugenotten an der Staatsmacht verbluten. Dann stünde ihnen, als der dritten
Macht, das lange belagerte Tor zum Königspalast und -thron offen. Willst Du das? Du könntest, wenn Du
meinem Ratschlag folgtest, Dich beider Gegner auf einmal entledigen. Ist das
nichts? Wenn Du es willst, könnte das Volk glaubend gemacht werden, die Guisen
hätten die Hugenotten erwürgt. Erwäge das gründlich und denke nicht immer ein
König müsste jeden Tag Gnade vor Recht ergehen lassen. Sogar das Recht muss Dir
untertan sein.‘
‚Eure Sache, Madame, ist nicht
gerecht!‘
‚Was ist schon gerecht, mein Sohn? Wer, außer Dir, dem
König, will das gegen Gott bestimmen, was Recht und Unrecht ist? Sage es mir!‘
Karl murrte. Er grollte. Eine Weile glaubte ich schon,
nun würden sie unverrichteter Dinge abziehen. Aber ich täuschte mich. Heinrich
Herzog von Anjou hielt ihm vor: ‘Unserm Bruder fehlt der Mut zum Bekenntnis’.
‘Mut?’ schrie der Halbirre. ‘Ja, erwiderte Anjou, es
fehlt ihm an Mut. Unser Bruder weiß, dass wir bloß sein Bestes wollen. Aber die
Glocke läuten zu lassen, mangelt ihm doch die Kraft‘.
Sofort schlug die Stimmung um. Er ein Feigling? Wie ein
Tiger im Käfig rannte der König. Er habe den Mut, sogleich das Richtige zu tun,
wenn es wirklich das Richtige ist. Wahrscheinlich wollte er weglaufen.
Katharina wird ihn in diesem Augenblick in den Arm
genommen haben. ‚Das Richtige, mein König, ist, für das Haus Angoulèm gegen die
Bourbonen und gegen die Guise zu
entscheiden. Das weißt Du doch, mein Liebling. Aber es ist nicht richtig, eine
Entscheidung, die so dringend ansteht, hinauszuzögern, bis die Gelegenheit, die
Gott dir gibt, vorbei ist. Geschmolzen wie Eis in der Sonne, zu nichts
zerronnen. Noch sind sie hier versammelt. Die Hochzeit ist vorbei. Morgen früh
ist es zu spät. Dann sind sie auf und davon, untergetaucht wie Giftschlangen in
ihren Schlupflöchern, um dir aufzulauern.‘ Sie schwieg einen Augenblick lang.
Aber sie holte nur Luft: ‚Du weißt, dass König Saul sein Königtum verlor, weil
er Mitleid mit diesem Amalekiter hatte. Geh vorwärts. Gott will es.‘
‚Gott will es‘, wiederholte der Monarch mit gebrochener Stimme. Plötzlich kommandierte
er, als habe er nie anderes gewollt. Mit heiserer Stimme: ‚Ich werde euch das
Glockenspiel von St Germain läuten. Bringen wir es hinter uns.‘
Er stampfte auf: ‚Ich werde sie Treue lehren. Wer außer
mir bestimmt, welche Religion die richtige ist?’
Den Rest kennt das Gericht.“
M. Conseur: „Warum habt ihr nicht
die Unseren alarmiert?”
Zeuge La Fossense: „Man ist wie gelähmt. Es sind nur
wenige Augenblicke dazwischen gewesen. Das Glockengeläute war furchtbar. Es
dröhnt noch heute in meinen Ohren. Da malte ich mir mit Kreide ein Kreuz an die
Stirn. Die Flure wurden besetzt. Die Schreie der ersten im Schlaf überraschten
Opfer schrillten grässlich. Ich irrte zwischen ihnen umher, besudelte mich mit
Blut. Viel mehr Wachen als sonst liefen hin und her. Alle dachten, das sei
wegen des Attentats auf den Grafen Coligny. Ich verließ das Haus. Draußen
spießten die Palastwachen alle auf, die fliehen wollten. Die Flüchtenden trugen
ja kein Kreuz und keine Waffen! Keiner, nicht einer, hat es den Reformierten
verraten.”
M. Conseur: „Auch ihr nicht, Zeuge
La Fossense!"
Zeuge La Fossense: „Ich hätte es gern gewollt, aber mir
waren die Hände gebunden.“
M. Conseur: „Warum habt ihr Zeugen nur so entsetzlich
viele Ausreden? So ist das!”
Zeuge La Fossense: „Seit Ligny in Barrois, schon vor
einigen Monaten, als sie einen Mann aus Wut verbrannten, stand ich innerlich zu
den Hugenotten. An jenem Tag besuchte ich meine Mutter, während der Hof auf Reisen
war. Da ging ich in mich. Nach der Bartholomäusnacht bin ich zu euch
übergetreten. Deshalb bin ich hier.”
M. Conseur: „Gereut es euch? Wenn die Feste Sancerre fallen sollte, werden sie es uns heimzahlen, ihnen
Widerstand geleistet zu haben. Sie werden uns totschlagen wie die Fliegen. So
ist das!”
Zeuge La Fossense: „Dann sollen sie es eben tun. Ich bin
in Gottes Hand. Ich bin dankbar, erkannt zu haben, wessen Kirche das ist, die
morden lässt und die den Mord vergibt.”
M. Conseur: „Man rufe den Angeklagten
herein.”
Bernhard Gottschalk kommt.
Abu Aibak vergegenwärtigte sich die
Situation von damals und erregte sich.
Er murmelte vor sich hin: „Es ist
alles so wahr wie irgendein Wort meiner unseligen, lieben Mutter der ich mit
meiner Flucht aus der Heimat unsagbaren Schmerz zugefügt habe. Es ist wohl so:
alles was wir aussenden, kehrt zu uns zurück.“
Und wieder wandte sich der
vielgeprüfte Mann Bernhard Gottschalk dem Protokoll, mit hoher Aufmerksamkeit
zu, immer wieder erstaunt festzustellen wie gleich die unterschiedlichsten
Menschen doch im Grunde sind.
M. Conseur: „Wir haben schwerwiegende Anklagen vernommen.
Ihr habt das Wort, Angeklagter, zu eurer Verteidigung.”
Bernhard: „Wie soll ich mich verteidigen, wenn ich nichts
gehört habe? Ich bin unschuldig. Mich bedrückt, dass ich nicht erklären kann,
was geschah.“
M. Conseur: „Redet nur. Wir hören! Wenn ihr könnt, dann
entlastet euch. So ist das!“
Bernhard: „Bis gegen den frühen Morgen nach dieser
Mordnacht hielt ich mich in einem Hausflur versteckt. Da wartete ich ab, um
mich nicht weiteren Gefahren auszusetzen, weil ich das entsetzliche Schreien
von allen Seiten um mich herum vernahm. Erst
als der furchtbare Lärm endete, fand ich den Mann. Mir schien, er winke
mich heran. Das war der Graf Cuvier. An
seiner Halskrause erkannte ich ihn, und an seinem Bart. Als ich mich über ihn
beugte, sah ich, dass sie ihm den Schädel zertrümmert hatten. Noch atmete er,
aber krampfhaft. Da nahm ich meinen Dolch und schnitt sein Gewand auf, wie ich
es zu tun pflegte, wenn ein Kamerad verwundet war und um Luft rang.
Vielleicht wurde ich bei dieser Handlung gesehen. Retten
konnte ich Graf Cuvier, der mir weiterhelfen sollte, nicht.”
Magister Dr. Conseur: „Das habt ihr euch gut ausgedacht!
So, mit dem Messer in der Hand, sah euch Zeuge Lebuin. Ihr seid geflohen, als
er euch neben dem uns teuren Toten knien sah. Das mögen die Beisitzer beachten.
Ihr gebt es zu: Ihr hieltet euren Dolch in der Hand, er war blutig. Euer
schlechtes Gewissen trieb euch in die Flucht.”
Bernhard: „Ich bin geflohen, als ich bemerkte, dass sich
mir mehrere Schatten nahten...Was hätte
ich tun sollen? Ich hätte mich vielleicht nicht wehren können.“
M. Conseur: „Ihr trugt doch das Merkmal! Eure Geschichte
war anders, nicht wahr? So ist das!“
Bernhard: „Spontan ging das zu.“
M. Conseur: „Ihr seid nicht bange. Das ist so! Und was
geschah in Montfaucon?“
Bernhard: „Ich war zugegen, als der Mob am Morgen die
Leiche des Grafen Coligny ins Dorf schleppte. Es ist wahr, dass mein Kummer
mich drängte, mehr zu sehen. Ich musste Gewissheit erlangen, ob es der Mann
war, mit dem ich so viele Hoffnungen verknüpft hatte. Bauern und Soldaten
strömten laut schreiend zusammen. Ich geriet bei diesem Gedränge in die Nähe
des Galgens. Ich griff nach dem Seil, als mir übel wurde. Es ist nicht wahr,
dass ich daran beteiligt war, den verstümmelten Körper zu erhängen, noch habe
ich mich am Feuer beschäftigt, solange des Admirals Leichnam darüber hing. Das habe
ich bereits erklärt. Wenn ihr meinen Bericht geduldig anhören würdet, wüsste
das hohe Gericht, dass ich nicht schuldig sein kann. Ich liebe es, frei zu
sein. Das ist der Grund der mich schon vor vierzehn Jahren bewegte ein Muslime
zu werden.”
Magister Dr. Conseur: „Das Gericht vertagt sich bis
kommenden Freitag. Euer Urteil werdet ihr dann hören...”
Gerichtsprotokoll vom 5. Juli im Jahre des Herrn 1573
Verhandlung gegen Bernhard
Gottschalk.
Neuer Vorsitzender ist Magister
Delmonte.
Weiterhin anwesend sind als Beisitzer ehrenwerte
Mitglieder der Reformiertengemeinde zu Sancerre
Magister Delmonte: „Erhebt euch in Gedenken meines des
Hungertodes erlegenen Vorgängers im Amte, des ehrenwerten Magister Dr.
Conseur.“
Magister Delmonte gibt den anwesenden Notaren und den
Beisitzern vor Eintreten des Angeklagten bekannt, dass beide Zeugen Monsieur
Lebuin und Monsieur Nikolas denselben
Tod erlitten.
In dieser Sitzung beabsichtigt Magister Delmonte zu einem
endgültigen Urteil finden.
Bernhard wird vorgeführt.
Magister Delmonte: „Angeklagter Bernhard, was hat man
euch heute zu essen gegeben.”
Bernhard: „Ich bekam eine Scheibe Brot und eine
Wassersuppe mit Kohlblättern.”
M. Delmonte: „Hungert euch?”
Bernhard: „Ja, sehr.”
M. Delmonte: „Wisst ihr, dass vor einigen Tagen ein
Ehepaar auf dem Scheiterhaufen starb weil beide das Fleisch ihrer eigenen
Tochter gegessen haben? Ahnt ihr, wann ich zum letzten Mal eine Scheibe Brot
verzehrte?”
Bernhard: „Ich verdamme den Tag, an dem ich mich in diese
Stadt begab. Ich hätte wissen müssen, dass sie belagert werden soll, während
ich mich auf den Weg hierher machte.”
M. Delmonte: „Seht
einmal an! Ihr habt gewusst, dass Sancerre belagert werden soll! Spät kommt ihr
mit dieser Wahrheit heraus, aber ihr rückt es doch zurecht.“
Bernhard: „Ich bin lange genug mit derlei
Kriegsvorbereitungen vertraut. Ich hätte wissen müssen, was die Fahnen und
Aufmärsche der königlichen Truppen bedeuten.”
M. Delmonte: „Ihr habt die Gefahr gesehen und seid ihr
nicht ausgewichen?“
Bernhard: „Mein Verlangen nach Beistandsgesprächen war
größer!“
M. Delmonte: „Das glaubt ihr selber nicht! Ihr seid ein
Kundschafter unserer Todfeinde und seid, für euch unseligerweise, überrascht
worden. Ihr habt einen Auftrag, nämlich, denen da draußen die Tore von innen zu
öffnen. Ihr habt nur nicht voraussehen können, dass man euch wieder erkennen könnte.
Nun versucht ihr euern Hals zu retten. Das kann man verstehen. Botschafter der
Maurenrebellen seid ihr angeblich.“
Abu Aibak stockte an dieser Stelle. Ob sein Sohn Asmai
ihm diese unglaubliche Geschichte abnehmen wird?
„Botschafter der Maurenrebellen seid ihr angeblich. Ich
las, ihr seid ein Muslime geworden, nachdem ihr für die Katholiken gekämpft
hattet. Ihr, ein gewesener Protestant. Doch dieser Maurenrebell Aben Ommeya,
dessen Botschafter ihr angeblich sein wollt, ist lange tot. Wie wir erfuhren
liegt auch euer Aben Aboo, der Nachfolger des Aben Ommeya unter der Erde. Oder
der Staub hat ihre Asche verweht. Ihr wolltet einen Beistandspakt für angeblich
von der Vertreibung bedrohte Maurisken zuwege bringen, aber ihr seid ein
Deutscher. Warum sollte ein Deutscher Interesse daran haben, Mauren zu
verteidigen, zumal ihm ein Verrat viel mehr Geld einbrächte. Ihr sprecht von
eurem Aufstand, doch der Krieg ist längst beigelegt! Seit Monaten schweigen die
Waffen.“
Bernhard: „Dieser Krieg wird niemals zu Ende gehen, weil
seine Ursachen nicht beseitigt sind. Die Ungerechtigkeiten schreien zum Himmel!
Wo es keine Gerechtigkeit gibt, da ist auch kein Friede.“
M. Delmonte: „Habt ihr Papiere, mit denen ihr beweisen
könnt, dass die Maurenrebellen sich
ausgerechnet euch als ihren Botschafter aussuchten?”
Bernhard: „Die mich sandten, hatten guten Grund mir zu
vertrauen. Zudem beherrsche ich die Sprachen. Das ist meine Gabe. Die mich
beauftragten, kannten meine Familie. Sie wussten, dass ich es gewissenhaft
ausführen würde, schon wegen meiner Kinder, wegen meines Sohnes. Wir konnten
ohnehin nur versuchen, neue Fäden zu knüpfen. Wir wussten, welche Gefahren euch
Hugenotten drohen. Denn es waren und es sind dieselben verderblichen Mächte,
die zugleich gegen euch und uns drücken.
Uns erschien kein anderer Weg gangbar, als der durch
Gewährsleute zu wirken. Weil wir wussten, welche Drohung über euch hing, war
mir verboten, diese Gefahr zu vergrößern. Deshalb war mir nur erlaubt, einen
Brief an Seigneur Karl Poltrot in Orleans zu übergeben. Deshalb habe ich keine
weiteren Papiere und Beglaubigungen. Aus Gründen der Gesetze der Konspiration.”
M. Delmonte: „Das habt ihr euch fein ausgedacht! Sagt uns die Fatiha in
arabischer Sprache!”
Der Angeklagte erhebt und neigt sich. Er sagt etwas, von
dem die Beisitzer meinen, dass es Arabisch sein könnte.
M. Delmonte: „Ihr ein Deutscher sprecht Arabisch? Ihr
mutet uns viel zu!”
Angeklagter: „Aus Ärger, weil mir ein brutaler Kerl mein
Mädchen wegnahm, bin ich im April 1557 mit meiner ganzen Rotte zu den Spaniern
übergelaufen. Von da kam ich nur Wochen später nach Spanien und geriet wenige
Monate später in maurische Gefangenschaft.“
Magister Delmonte: „Wäre es nicht besser und einfacher
gewesen, zu den Nordholländern zu halten und zu den protestantischen Geusen
überzulaufen?”
Angeklagter: „Wie denn? In Italien? Das weiß das hohe
Gericht. Es gab damals, 1557, noch keine Geusen. Und wenn es sie schon gegeben
hätte. Ich war noch unwissend. Noch war es nur ein Entschluss aus Wut und
Blindheit gewesen. Ich erkannte noch lange nicht, dass man sich aus
grundsätzlicher Erwägung entscheiden soll und nicht wegen gewisser Gefühle. Das
lernte ich erst später, und noch viel später, dass alle Gewissensentscheidungen
einsam getroffen werden. Noch war ich einer, der nur die Welt liebte und der
viel sehen wollte. Ich war nur wild darauf zu leben und glaubte bloß, was so
viele glauben.“
Magister Delmonte: „Und das wäre?“
Bernhard: „Ich glaubte an die Magie, an die Karten, an
mein Glück und die Mädchen. Ich wollte mein Leben genießen und glaubte, dass
die Priester dazu da sind, mich von meinen Sünden loszusprechen. Das ist die
Wahrheit, ob sie mir schadet oder nicht.”
Ein Bote kommt und wendet sich an Magister Delmonte.
Daraufhin berät sich das Gericht. Die Sitzung wird nicht geschlossen. Die
Einschläge der Feldmörser sind lauter zu hören.
Magister Delmonte: „Es reimt sich nicht. Wir gestatten
euch aber, Angeklagter, uns in wenigen Worten zu erklären, wie ihr Muslime
wurdet. Hütet eure Zunge! Die Zeit ist nicht dazu angetan Anmaßungen zu hören.
Ihr seid froh gewesen, nach Südspanien zu kommen? Das sagt ihr, um uns irre zu
führen, mit euren vielen Winkelzügen und euren halben Wahrheiten, die ganze
Lügen sind.”
Bernhard: „Es kam alles wie von alleine zu mir. Nachdem
wir deutschen Landsknechte mit den andern wochenlang nach Süden marschiert
waren, um da in der Tiefe Spaniens gegen aufständische Mauren eingesetzt zu
werden, sollte sich daraus für mich das Beste entwickeln. Was ich damals aber
noch nicht im Mindesten ahnen konnte...”
Magister Delmonte: „Wir lassen uns nicht erschüttern.
Nicht von den Granateinschlägen, nicht von den Guisen, nicht von den
Aufschneidern und Spionen, nicht vom leibhaftigen Feinde Gottes, dem Satan.
Also, ihr seid mit eurem Söldnerhaufen nach Südspanien verlegt worden, habt ihr
uns mitgeteilt. Wir hören. Nutzt diese vielleicht letzten Minuten eures Lebens
weise. Sagt uns, was ihr dort angerichtet habt.”
Bernhard: „Mit etwa zwanzig andern Deutschen und Flamen
sollten wir bei Aboo, einem kleinen Dorf zu Füßen der Felsmassive der
Alpujarras, einem Trupp aufständischer Mauren den Weg abschneiden.”
M. Delmonte: „Das sind die Gegenden um Granada. Ist das
richtig?”
Bernhard: „Ja, das ist richtig.”
M. Delmonte: „Aber dieser Umstand ergibt noch kein Bild.
Wir hören.”
Bernhard: „Unser Auftrag lautete, die angeblichen
Rebellen gefangen zu nehmen.“
Magister Delmonte: „Was geschah?”
Bernhard: „Ich wusste von diesen aufständischen Mauren so
gut wie nichts. Mir war gänzlich
unbekannt, dass seit achthundert Jahren so viele Muslime in Spanien wohnten,
dass sie von Afrika herübergekommen, dass sie von Christen gegen andere
Christen herbeigerufen worden waren und vor Zeiten fast auch Frankreich erobert
hätten, damals. Nichts wusste ich von den vielen Kriegen auf der iberischen
Halbinsel, dass sie schließlich unterlegen waren. Unbekannt war mir, dass es
noch eine Million Mauren dort gab. Nichts wusste ich von ihrer Religion, die
ihnen, was ich aber bald erkennen sollte, genau so heilig war wie dem
Papst die eigene. Ich wusste nichts von den Beleidigungen und Bedrückungen, von
den immer wieder spanischerseits gebrochenen königlichen Verträgen und von
alledem, dem sie sich als spanisch-moslemische Mauren, ausgesetzt sahen. Denn
gegen diese Willkür rebellierten sie.”
Magister Delmonte: „Haltet euch
knapper.”
Bernhard: „Ich ahnte noch nicht, was alles in den vielen
Jahren zuvor geschehen war. Mir war nur gesagt worden: schlagt die Verbrecher,
und das zu tun war ich willens. Immer noch zu unwissend war ich, lernte erst
später, dass es in diesen Ländern, südlich der Pyrenäen, vor Jahrhunderten eine
gewaltige Völkerwanderung gegeben hatte.
Erst als ich das begriff, fing ich an weiter zu denken.
Ich sagte mir: Was können die Nachkommen dafür, wenn ihre Eltern neue Wohnsitze
nehmen? Aus Afrika gekommen, hatten sie Kalifate gegründet, um sie nach und
nach wieder zu verlieren. Noch lebten die Mauren in ganz Spanien verstreut. Die
meisten wohnten in den Bergen Granadas und um Valencia herum. Alles
Zwangsgetaufte, die man seitens der Kirche und der Krone unter Druck setzte.
Noch jedoch sah ich nicht soweit. In
meinen und unseren Ohren klang nur der eine
Satz nach: „Maurische Verbrecher wollen spanische Kinder rauben!“
Deshalb müssten wir die Mauren vernichtend schlagen.
Dass jedoch umgekehrt die Väter und Mütter islamischer
Gesinnung fürchteten, dass die katholischen Spanier ihnen die eigenen Kinder
entwenden würden, um sie in ihren Klöstern gewaltsam zu Christen zu machen,
ahnte ich nicht und niemand aus meinem Fähnlein.
An diesem Frühsommermorgen des Jahres 1558 gerieten wir
schwer aneinander und wurden von den Aufständischen besiegt. Auch mich traf es.
Einen ganzen Tag lang lag ich in jener entlegenen Schlucht schwerverwundet auf
einem nackten Felsen. Die Sonne feuerte an diesem Tage gnadenlos herunter. Ich
dachte, das wäre mein Ende. Schlimmer als meine Wunden, brannte mein Gewissen.
Mir war schmerzhaft bewusst geworden, dass ich am Tage zuvor ein auf ihre
Keuschheit stolzes Maurenmädchen gewaltsam an mich gerissen, dass ich es
vergewaltigen wollte, das mir aber ein Stärkerer wegnahm. Zu Tode erschöpft lag
ich herunter. Ein Dolchhieb hatte meinen Schenkel von unten bis oben
aufgeschlitzt. Mein kurzes Leben zog an mir, wie in einem bösen Traum, vorbei.
Ich sah die Gesichter derjenigen, die ich getötet, und die, die ich ausgeraubt
und überwältigt hatte. Ich sah mein Blut auslaufen und meine letzte Stunde
gekommen.
Es tat mir sehr leid. Doch ich konnte es nicht mehr
ungeschehen machen. Ich verdammte mich.”
M. Delmonte: „Kommt zur Sache!”
Bernhard: „Die Sache war, dass mich ein maurischer
Bergbauer fand, ein alter Mann. Er sah, dass noch Leben in mir war. Er hätte
mich mit einem einzigen Schlag, wie eine Ratte, erschlagen können. Stattdessen,
lud er mich auf sein Maultier, nahm mich
mit sich heim, pflegte mich. Erst im Jammer, in dieser Gefangenschaft festigte
ich die einfache Erkenntnis, dass meine eigenen Gedanken nicht immer meine
guten Freunde gewesen waren. Ich lag
immer noch hilflos und sah die Geschehnisse nun von unten her. Alles erschien
mir verkehrt zu sein, wie in einer Welt in der die Lebewesen schweigen und die
Berge schreien. Feinde, die ich töten wollte, hatten mich gerettet und als ihr
Gefangener blieb ich frei. Ich wage es hier zu sagen: Ich lernte eine bessere Gesellschaft
kennen. Ich wage die Lästerung und bin unklug genug, mir nicht auf die Zunge zu
beißen: Bessere Christen als die Mauren hatte ich bis dahin nicht gesehen. Aber
unsere Priester hatten sie für verwerflich erklärt. Ich erlebte es jeden Tag
neu. Wenn Mauren Ja oder Nein sagten, dann meinten sie das auch so. Das war
bislang anders gewesen.“
M. Delmonte: „Ihr hasst uns
Christen.”
Bernhard: „Ich hasste nicht, aber ich begann zu
unterscheiden. Ich bitte Euch, hohes Gericht! Ich habe schon klar gestellt,
dass ich weder die Christen hasse, noch die Lehre Christi, sondern nur die
Täuschung von Leuten, die ihr kirchliches Getue wie eine Tarnkappe aufsetzten.
Ich scheue mich nicht hinzuzufügen, dass mich Hugenotten verleumdet haben,
sonst befände ich mich nicht in eurem Gewahrsam.”
M. Delmonte: „Wie lange bliebt ihr unter den Maurisken
Granadas?”
Bernhard: „Etwa fünfzehn Jahre.”
M. Delmonte: „Ihr seid unter den Muslimen ein Muslime
geworden. Ist das richtig?”
Bernhard: „Erlaubt mir, das zu
erklären.”
M. Delmonte: „Ist das so?”
Bernhard: „Christen, die ich kennen lernte, und die Wert
darauf legten, das zu betonen, waren stets unduldsamer gegenüber
Andersglaubenden als die Maurisken.”
M. Delmonte: „Ist es nicht so? Bernhard Gottschalk, ihr
seid längst kein Christ mehr?”
Bernhard: „Ich empfand, dass es Christen sehr wohl um
ihre Religion geht, aber nur selten um deren Wahrheitsgehalt. Doch um was geht
es dann, wenn nicht um die ganze Wahrheit?”
M. Delmonte: „Wer außer Gott hat die
Wahrheit?
Und wegen dieses Schlusses, wie ihr meint, wurdet ihr
Mohameds Verehrer! Das ergibt die einzig denkbare Einsicht für uns. Eure
Beweggründe haben jedoch wie ich glaube, noch tiefere Wurzeln.”
Bernhard: „Ich liebe die gelebte
Toleranz der Araber!”
M. Delmonte: „Bekennt ihr euch heute und jetzt noch als
Muslime? Antwortet kurz mit Ja oder mit Nein.”
Bernhard: „Ja, ich glaube wie ein
Mohamedaner. Aber ich...”
Magister Delmonte: „Es ist ungeheuerlich! Ihr schmettert
es uns ins Gesicht: Ihr steht gegen uns Christen. Nun sagt auch noch den Rest,
nämlich dass euch der maßlose Christenhass dazu trieb, Christen, gleichgültig
wie sie sich nennen, zu verfolgen. Sagt auch das frei heraus, dieser Hass gebot
euch, unsere Grafen Coligny und Cuvier zu ermorden.”
Bernhard: „Ich fürchte mich nicht. Der Tod kommt sowieso
zu uns. Nein. Ich liebte den Grafen Coligny lange bevor ich ihn zum ersten Mal
sah und ich werde das beweisen. Meine Hände sind nicht mit dem Blut der Grafen
Coligny und Cuvier befleckt. Glaubt euren leichtfertigen Zeugen nicht. Selbst
wenn sie das Kreuz über die Brust schlagen, verhütet das nicht ihre
Niedertracht.”
M. Delmonte: „Das zu unterscheiden,
überlasst dem Gericht.”
Bernhard: „Ich sage nur und bekenne, dass ich durch
bittere Erfahrung gelernt habe, dass es auch Reformierte gibt, die
rücksichtslos gegen ihre eigenen Gläubigen vorgehen und dass die meisten
Christen, gleich welcher Sorte, anmaßend sind. Ich war entsetzt, als ich hörte,
dass auch die Reformierten namens ihres Glaubens ungerecht sind. Wenn Leute von
den ihnen vorgeschriebenen Glaubenssätzen abwichen - und zwar nur von den für
wahr gehaltenen Sätzen. Es hat mich tief erschüttert, als ich hörte, dass es
auch unter Euch Calvinisten Verbrennungen
von so genannten Ketzern gab.”
M. Delmonte ist sehr empört: „Wer hat euch solche
Lügengeschichten gelehrt? Ihr wagt es uns anzuklagen?”
Bernhard: „Ich werde in jedem Fall sterben. Mir ist
bekannt, dass der reformierte Mann Servet hingerichtet wurde, ein berühmter
Arzt, nur weil er eurer Lehre nicht genau entsprach, weil er zu denken wagte.
Ihr ertragt es nicht, wenn ein Mensch dem widerspricht was ihr für richtig
erklärt habt, ihm aber durchaus nicht einleuchten will. Das ist nichts anderes
als die Spanier in ihrem Wahn betreiben und was einem Muslimen nie einfallen
würde, zu tun. Das schreckt mich ab.“
M. Delmonte: „Junger Mann, nehmt ihr den Mund nicht gar
zu voll? Erstickt nur nicht an dem Bissen, den ihr euch vorgenommen habt. Es
muss im Protokoll vermerkt werden, dass ich den Angeklagten verwiesen habe.”
Bernhard: „In Paris, in den heißen Tagen und Nächten vor
der Sankt Bartholomäusnacht, habe ich von beiden Parteien dasselbe gehört. Aus
Reformiertenmund hieß es da nicht anders als von Katholiken spöttisch: Gottes
Gebote sind dazu da, dass man sie übertritt.
Wenn ein solches Gebot aber den Charakter eines ewigen
Gesetzes hat, dann zerschmettert es den Übertreter durch die ihm innewohnende
Kraft. Sagt mir, dass es nicht stimmt!
Niemals wäre einem Muslimen solche Verdrehtheit in den
Sinn gekommen, gegen besseres Wissen zu handeln. Wer hat Vergnügen an
Lippenbekenntnissen? Etwa Gott, der Schöpfer unverbrüchlicher Gesetze?
Es ist wahr. Mauren haben getötet. Sie spießten ohne
Pardon zu geben selbst Knaben auf, wenn sie ihnen den Weg versperrten. Aber sie
verübten niemals solche Gräueltaten, wie die Christen, die sich an schwangeren
Maurenfrauen vergingen, die ihnen während der Aufstandstage in die Hände
fielen, das weiß ich, leider. Ich sah, wie Spanier sich erst bekreuzigten ehe
sie ihnen die Bäuche aufschlitzten. Angeblich hätten sie Gold geschluckt. Ich
sah, wie dieselben Kerle die Ungeborenen tauften indem sie unter lästerlichen
Reden auf die kleinen Köpfe spuckten. Ich habe erlebt, wie sie die zuckenden
Kleinen, sobald sie so blasphemisch getauft worden waren, gegen die Wand zu
Tode schmetterten. Aber ich erlebte es nur ein einziges Mal, dass ein
Mönchspriester dagegen einschritt. Ich habe in Paris Kerle calvinistischen
Glaubens beim Falschspielen gesehen. Ich sah, wie sie sich mit den jauchzenden
Dirnen wüst, wie läufige Hunde, zusammen schmissen.
Weil ich Gott ganz und gar vertraue, deshalb bleibe ich
dabei. So war es.”
M. Delmonte: „Habt ihr nicht Furcht vor unserem Zorn, den
ihr herausfordert?”
Bernhard: „Ich würde mich eher fürchten, durch Schweigen
schuldig zu werden, mein Gewissen ist hellwach. Der unter den Teppich gekehrte
Mist hinterlässt den Gestank! ”
M. Delmonte: „Ihr liebt es, starke Ausdrücke zu
verwenden, ihr liebt die Perversion, sie geht in eurem eigenen Kopf wüst um und
um. Euch hat der Hass um den Verstand gebracht. Ihr selber seid einer der
Schrecklichen!”
Bernhard: „Ich bin voller Zorn auch auf mich. Ich weiß,
dass es nie verjährt. Aber ich will mich ja bessern, will wieder gut machen so
gut es eben geht. Ja, ich tobe oft gegen mich selber und gegen Euch Hohes
Gericht! Ihr fragt mich seit Monaten lauter Nebensächlichkeiten und ich sehe in
dieser Zeit wie der Letzte meiner Familie verkommt, mein Sohn Asmai, den ich
bisher vergeblich suchte. Ihr habt mich zur Tatenlosigkeit verurteilt, obwohl
ich betreffs eurer Klagen unschuldig bin.
Weil wir immer umsonst hofften, Hugenotten würden uns beistehen, weil
ihr mir misstraut, wo nichts zu misstrauen ist und weil die Hilfe ausblieb um
die ich bettelte, bin ich zornig.
Herr Richter, mir ist es nun ganz und gar gleichgültig,
was ihr von mir denkt und wie ihr urteilt. Gnade werde ich nur vor Gott finden.
Macht der Qual endlich ein Ende.”
M. Delmonte: „Ihr seid nicht nur aufbrausend und
anmaßend, sondern auch frech. Es ist doch nicht unsere Schuld, dass ihr euch
hier befindet. Also beherrscht euch! Angeklagter, wann kam euch zum ersten Mal der Gedanke, eure Bitterkeit und
Ablehnung den Christen, egal welcher Farbe,
heimzuzahlen?”
Bernhard: „Ich wollte nie
heimzahlen.“
M. Delmonte: „Es steckt euch das Böse in den Knochen!
Bringt euren Bericht zu Ende. Kurz und knapp. Wie passt das alles zusammen?
Eure ganze Geschichte macht mir keinen Sinn! Ihr seid ein unberechenbarer
Abenteurer. Ihr würdet euch für alles und jeden schlagen. Eure Hauptsache ist
das Geld. Es tut mir leid das sagen zu müssen.
Wir würden euch freilassen, wenn ihr
uns überzeugen könntet.“
Bernhard: „Seit meinem neunzehnten Lebensjahr kämpfte ich
nur noch für meine Überzeugungen und danach außerdem noch für meine Familie.
Nach Weihnachten 1566, wenn ich mich recht erinnere, bevor mein Sohn Asmai
sechs wurde und meine Tochter fünf, gab Deza, Granadas Kanzleipräsident, einen
folgenschweren Befehl bekannt. Er wurde in den südspanischen Kirchen verlesen.“
M. Delmonte: „Das sind nun fast
sieben Jahre her.“
Bernhard: „Mir ist zumute, als wäre es erst gestern
gewesen. Dezas Befehl ließ uns zu den Waffen greifen. Er wollte unsere Kinder
rauben. Überall in der Stadt gab es Verlautbarungen dieser Art. So sprach sich
diese Verordnung überall bis in die entferntesten Gegenden durch. Zugleich mit
seiner unmenschlichen Weisung erließ Deza ein willkürlich aufgestelltes Gesetz
gegen gewisse Maurensitten. Unseren Frauen wurde untersagt, ihre gewohnte
Kleidung zu tragen, zu baden, den Thailesan anzulegen. Allen Mauren wurde bei Strafe
verboten weiterhin arabisch zu reden. Der Ton der Veröffentlichungen war
dermaßen rüde, dass wir daraus nur schließen konnten, dass sie unsere Kinder in
Klöster einsperren und dort christlich erziehen lassen würden. Das musste die
Mauren in den Widerstand treiben. So kam es erneut zum Krieg und so handelte
ich.”
M. Delmonte: „Ihr redet immer von
euren Kindern.”
Bernhard: „Ich verlor meine Familie
in den maurischen Bergen.”
M. Delmonte: „Wem wollt ihr weismachen, dass ihr
ausgerechnet bei denen, die euch in Gefangenschaft hielten, zu einer eigenen
Familie gekommen seid. Ihr, ein Deutscher.“
Der Angeklagte antwortet ruhig: „Da gab es in diesem
Maurendorf in den Alpujarras, in dem ich mich als Gefangener befand und lange
Zeit verwundet niederlag, ein Mädchen, das mein Leben änderte.”
M. Delmonte: „Wollt ihr uns wirklich glauben machen, ihr
hättet von euren Feinden zur Belohnung dafür, dass ihr Mauren niedergemetzelt
und genötigt habt, eins ihrer Mädchen zur Frau erhalten?”
Bernhard: „Ich liebte sie über alles. Nein, natürlich,
ich betete die Fatiha zweimal, vor drei Muslimen als Zeugen, und wurde
beschnitten. Ich liebe sie immer noch. Ich hatte mich zu Allah bekehrt und
ernstlich Vergebung gesucht. Das ist wahr. Sie nahm mich nach vielen Monaten,
weil sie mich liebte.”
M. Delmonte: „Ja, natürlich
beschnitten.“
Bernhard: „Als ich erkannte, dass ich mich selbst bessern
muss, erkannte ich Gott. Ist das nicht gleichgültig, welchen Namen wir ihm
geben? Statt unter Christen lernte ich
das wichtigste bei den Mauren: Nicht das ehrfürchtige Nennen und Anrufen eines
Gottesnamens ist Bekehrung, sondern die unaufhörliche Selbstverbesserung.“
Magister Delmonte belehrt den Angeklagten heftig: „Ihr
seid mir ein Dorn im Auge und ein Ärgernis im Ohr. Ihr redet wann ihr wollt,
ihr sagt was ihr selber nicht glaubt. Merkt euch das: Es ist den Menschen unter
unserm Himmelszelt kein anderer Name gegeben worden als der Name Jesu Christi.
Das lehrt die Heilige Schrift, auf die ihr hier vor Gericht geschworen habt.”
Bernhard: „Muslime glauben an die Bibel als das Wort
Gottes, aber sie verspotten sie nicht durch ihre Taten. Muslime sind keine
Lippenbekenner.”
M. Delmonte: „Ich frage mich sehr und auch die Beisitzer
des Gerichtes, ob ihr recht bei Sinnen seid.”
Bernhard: „Ich bin vielleicht ungerecht. Ich bin
sicherlich verbittert und vielleicht noch im Taumel. Aber wer an meiner Stelle
wäre das nicht? Ich sitze in einem elenden Keller und meine Familie schreit
nach mir. Hört ihr das nicht?
Seit Jahren wünsche ich nichts sehnlicher als sie wieder
zu sehen. Ich weiß, dass ich sie verlor. Ich hoffe wenigstens, dass mein Sohn
Asmai lebt.”
Magister Delmonte: „Beweist uns eure
Unschuld!”
Bernhard: „Aber wenn er noch am Leben ist, dann hat
Spanien ihn versklavt und ich weiß, wie Christen mit Sklaven umgehen.”
M. Delmonte: „Und was hat das alles mit dem Ommeyaden zu
tun? Was habt ihr mit den Maurenkönigen zu schaffen? Uns ist bekannt, dass Aben
Ommeya bereits im ersten Jahr seiner so genannten Regierung neben seinen Huren
liegend erschlagen wurde.”
Bernhard: „Aben Ommeya ist nicht neben seinen Huren
liegend erschlagen worden. Er lebte in Polygamie und es waren seine ihm
rechtmäßig angetrauten Ehefrauen, mit denen er schlief.
Die Großen unter den Mauren rissen sich ja darum, ihm
eine ihrer Töchter zur Frau zu geben.”
M. Delmonte: „Beantwortet unsere Frage. Überzeugt uns,
wie ein Maurenkönig, sei er legitimer Regent oder nicht, einen deutschen
Dahergelaufenen zu seinem Freundschaftsboten machte.”
Bernhard: „Vor fünf Jahren, im Spätdezember 1568, wenige
Tage vor seiner geheimen Krönung in einem Hause im Albaycin, traf Aben Ommeya
mich und meine Familie, da wir an diesem Tage uns bei Verwandten meiner
Ehefrau aufhielten. Diese wohnten
ebenfalls im Albaycin.”
M. Delmonte: „Und der junge Thronanwärter schenkte euch
sofort sein Vertrauen.”
Bernhard: „Ich hatte es lange Zeit nicht gewusst. Meine
Frau ist eine Nachkommin Tariks. Das half mir sehr.”
M. Delmonte: „Tarik, ihr meint allen Ernstes jenen Tarik,
der Spanien vor Jahrhunderten für den Islam eroberte?”
Bernhard: „Damals, an jenem Tage, an dem ich den großen
Ommeyaden kennen lernte, war er selber noch ungewiss, wie seine Zukunft
aussehen wird. Er hieß damals noch Don Fernando Muley de Valor und arbeitete
für den Markgrafen von Mondejar, den militärischen Führer der Söldnerschaften
Granadas. Don Fernando Muley de Valor war übrigens auch Mitglied der
Vierundzwanziger.”
M. Delmonte: „Was besagt das?”
Bernhard: „Don Fernando war Mitglied des Stadtrates von
Granada, dem nur Altchristen angehören durften.”
M. Delmonte: „Wollt ihr damit sagen, dass ein Maure
altköniglichen Geblütes sich unerkannt unter Altchristen bewegte?”
Bernhard: „Meiner Überzeugung nach wussten die meisten
Spanier überhaupt nichts von den inneren Verhältnissen unter Mauren. Sämtliche
Spanier sind durch kirchliche Riten und durch ständiges Ermahnen von der Kanzel
zur Blindheit erzogen worden. Sie fragen nicht, sondern überlassen das
Nachdenken ihrer ebenfalls schlecht unterrichteten Geistlichkeit und der
allwissenden Inquisition.”
M. Delmonte: „Befand sich der Hauptsitz der Inquisition
damals nicht ebenfalls in Granada?”
Bernhard: „Das ist wahr. Auch mir erschien alles
sonderbar, ja fast unglaublich: Die feierliche Krönung Don Fernandos fand im
Hause El Zaguirs statt und dieser Alcazar des El Zaguir lag nur um ein weiteres
Gebäude getrennt neben dem Palast der Inquisition. Übrigens, Don Fernando war
an jenem Tage nicht älter als vierundzwanzig Jahre, - fünf Jahre jünger als
ich.”
M. Delmonte: „Ihr meint, ich solle euch all diese eure
Zugespitztheiten glauben? Nun sagt nur noch, ihr seid auch Zeuge der
Krönungsfeierlichkeiten geworden.
Bernhard: „Wenn ich bei der Wahrheit bleiben will, muss
ich das behaupten. Man vertraute mir, meiner Frau und unserer Kinder wegen. Ich
war dabei, als aus dem jungem Mann Don Fernando König Aben Ommeya wurde. Bei
dieser Gelegenheit erfuhr ich den Aufstandstermin der Mauren. Es war, ich werde
es nie vergessen, der erste Januar 1569. Aben Ommeya schwor nicht nur mir: ‚Die
Spanier, auch wenn sie das in ihrer Bosheit beabsichtigen, werden uns die
Kinder nicht wegnehmen, eher holen sie sich blutige Köpfe‘. So hieß das bei
uns. Das bewegte alle und ich wollte sehen, Hochwürden, ob es euch kalt
gelassen, wenn eure Füße in meinen
Schuhen gesteckt hätten.
Bis zu diesem Tage sollten fünfzehntausend unserer Monfi
kampfbereit stehen, um Granada
einzunehmen, und sie standen da. Jeder Maure weit und breit erfuhr dieses
Datum, denn es war das Losungswort.
Wir wissen, dass keiner aus den Reihen der
fünfundvierzigtausend Mauriskenfamilien zwischen Malaga, den Alpujarras und
Granada, es verriet. Wie ein einziger Leib atmeten wir und wir fühlten alle
dasselbe. Wie ihr Hugenotten, in den guten Jahren, fieberten wir unserer
Freiheit entgegen...“
Bernhard Gottschalk schloss die müden Augen.
Wie durch einen Schleier sah er die Blätter und Papiere. Jeden Satz dieses Dokumentes
hatte er im Verlaufe seines Lebens zahllose Male gelesen.
Nun, da er fast aufgegeben hatte, kam der Ruizbrief ins
Haus geflattert.
In gut leserlicher Schrift hieß es knapp und bündig:
„Zuvor war er uns nicht weiter aufgefallen. Aber da
hattest Du uns noch nicht um unsere Mithilfe ersucht. Asmai soll bis vor einem
Jahr im hiesigen Franziskanerkloster gelebt haben. Vielleicht ist er auch erst
seit Kurzem hier in der Metropole. Man teilte uns mit, dass Dein Sohn
gegenwärtig im Range eines Bischofberaters steht. Sein Name ist Dr. Zurita
Simanca.“
Tonlos und immer noch hoch bestürzt sprach Aibak vor sich
hin: „Sein Name ist Doktor Zurita Simanca!“
Den Blick ins Endlose erhob Aibak sich, nahm die Post zur
Hand und schritt langsam wieder zurück zum hoch gelegenen Fenster des
Balkonraumes. Er sah durch die Lücken tiefer liegender Dächer das weißlich
gleißende Meer und die wogenden dunkelgrünen Zypressen. Versonnen und benommen legte
er das Papier ab, stützte seine Ellenbogen auf die kaffeebraune Fensterbank und
legte sein starkes Kinn und Gesicht in die geöffneten Handflächen. Er war in
seiner grenzenlosen Trauer ratlos.
Selbst wenn Asmai käme und vor ihm stünde, bereit zu reden, würde er gewiss
keine Antwort auf die Fragen wissen, die ihn als Vater bewegten.
Wie ein Unbekannter vor einem Fremden würde er dastehen.
Aber er lebt doch! schrie Aibak sich innerlich an. Er
lebt. Du wirst ihn wiedersehen.
Wieder sehen? Und was werde ich sehen?
Eine erstarrte Hülle? In diesem Alter biegt sich der Baum
nicht mehr.
Gleich Wogentälern und Wellenhöhen durchrauschten ihn nun
schon seit Stunden die scharfen Gegensätze.
Bischofsrat Asmai! Dr. Zurita Simanca!
Der Verlorene und der wiedergefundene Erneutverlorene.
Religionen und Anschauungen senkten in ihrer
Gnadenlosigkeit Eisen in die Herzen. Als hätte er, Aibak, das nicht schon zu oft gehört und erlebt. Wer Fanatikern in
die Hände fiel, und ihnen nicht rechtzeitig entkam, der verlor Tag um Tag ein
wenig von seinem Menschsein. So war es eben. Hunderttausende saßen fernab des
pulsierenden Lebens, abgeschieden von
ihren Lieben und Liebsten in Klöstern, wie in kalte Ketten geschlagen.
Bislang hatte der Sinn seines Lebens darin bestanden,
niemals den Glauben an ein Wiedersehen zu verlieren und nun hatte er
wiedergefunden und war zum ersten Mal glaubens- und hoffnungslos. Warum war ihm
nicht vergönnt, nun, wenigstens im Alter zur Ruhe zu kommen?
Mutter Erde gab doch sonst all ihren Geschöpfen die Kraft
und die Fähigkeit, die versehrte Schönheit wiederherzustellen.
Unbewegten Gesichtes starrte Aibak auf die vor ihm hin
gebreiteten Zeilen. Ja! Er nickte. Der Brief stammte von einem Mann von
Glaubwürdigkeit und Vorsicht.
Aber, wenn man nicht wüsste, mit welcher Hasskraft dieser
Widerling Erzbischof de Ribera agierte.
Abu Aibaks altes Herz pochte hart. Atem ringend schaute
und schaute er. Er sah Paris, Granada, das Tal Poqueyra und sich selbst
inmitten des Trubels, der so viele Jahre hinter ihm lag. Wieder folgten seine
Augen dem Zeilenverlauf: „Lieber Aibak, wir glauben, dass es für Dich wichtiger
ist zu fragen ob er Dein Sohn ist, als
danach, für wen er arbeitet. Immerhin, nachdem wir letztes Mal darüber redeten
achteten auch wir mehr auf Einzelheiten.
Jedenfalls die Art wie er die Hände hob und senkte, was
er sagte und wie er es aussprach, machte uns aufmerksam und hellhörig. Sogar
einige Deiner Gesten, nämlich, die Art und Weise wie er mit dem Rücken seiner
Rechten über seine buschigen Augenbrauen wischte und dann gewisse gemeinsame
Gesichtszüge fielen uns auf. Wie Schuppen fiel es uns von den Augen.
Ob der Franziskanermönch Dr. Zurita Simanca allerdings
wirklich dein Sohn Asmai ist, nach dem du lebenslänglich gesucht hast, müssten
wir erst, an Hand weiterer Hinweise von Dir, vorsichtig überprüfen.
Ich empfehle Dir, mir Deinen Sancerrebericht zu
überlassen. Schicke ihn mit Uriel ben Naad. Immerhin besteht durchaus eine
gewisse Gefahr. Ich rate auch von einer sofortigen Begegnung ab, denn es ist
nicht auszuschließen, dass er ein echter Glaubensfanatiker ist. Du weißt ja.
Sie kneten und formen uns alle, ununterbrochen. Wir müssen Leute ihrer Art
werden oder ins Gras beißen.
Ich könnte Deinen Sohn zu mir nach Hause einladen und ihm
Deinen Bericht zu lesen geben, dann teile ich Dir umgehend mit, wie er
reagierte. Lasse mich wissen, was Du zu tun planst. Mit unserer Unterstützung
kannst Du unbedingt rechnen.
Sei vorsichtig, schicke uns nur über Uriel ben
Naad Nachrichten.
Unterschrieben von S.R.“
Zum ersten Mal in seinem Leben hörte Bernhard, dass seine
Zähne knirschten.
Wer mischte ihm stets diese bitteren Wermutstropfen unter das süße Wasser seines Glases?
Gott, warum bist du so grausam zu mir?
Aibak, den ausladenden Hinterkopf in den Nacken gedrückt,
schloss abermals die Augen.
Lieber wäre ihm gewesen, Asmai käme ihm leiblich
verstümmelt, mit nur einem Bein und einem Arm, in Armut und auf einem Sack
rutschend entgegen… das ließe sich ertragen…
Mit Ähnlichem musstest du doch rechnen, nicht wahr, Abu
Aibak?
Zynisch die Lippen aufgeschürzt, verlachte sich der alte
Deutsche schließlich.
„Asmai ist gesund, er lebt, was willst du mehr?“ Einige
Male rief er diese Worte aus. Übe dich in Geduld. Verwirf nichts, ehe du es
zweimal geprüft hast.
Zorah, seine Stieftochter, kam angelaufen, in der Meinung
ihr Vater habe sie gerufen.
Barsch schickte Aibak das ihm sonst so angenehme Mädchen
von sich.
„Ich rate Dir ab, die sofortige Begegnung zu suchen.“ Das
klang wie Hohn auf sein jahrzehntelanges Bemühen.
Aibak nickte aber auch: er verstand sie ja allesamt, nur
sich selber nicht. Vor allem junge Menschen glauben und vertreten zu oft mit
äußerster Entschiedenheit was ihnen lange genug eingebläut wurde. Die wenigsten
wägen das, was sie glauben sollen und wollen ernsthaft und hinlänglich ab, schon
gar nicht, wenn große Gewalten oder die Gewohnheit dahinter stehen.
Du weißt doch: Steter Tropfen höhlt den Stein!
Jahrzehntelanger, pausenloser Einfluss durch erzkatholische Priestermacht
verformt auch den härtesten Brocken … und Asmai war damals erst ein weiches
Kind.
Aibak konstatierte: Achtundzwanzig lange Jahre sind über
deinen Herzenswunsch gewachsen.
Achtundzwanzig Jahre! Siebenunddreißig war Asmai nun.
Aber mein Sohn, sei gewiss, dass ich handeln werde!
Zunächst werde ich Bidà unterrichten und sie vorbereiten.
Weder Bidà, Abu Aibaks stets fürsorgliche Ehefrau noch
Zorah, ihre Tochter, hatten es gewagt ihn zu fragen. Sie wussten lediglich,
dass Ungewöhnliches geschehen sein
musste. Sie reimten sich zusammen, dass er durch eine Botschaft des Seefahrers
und Postboten Uriel ben Naad niedergeschmettert worden war.
Seine ersten Worte als er ihre Küche betrat lauteten: „Bidà,
ich habe Hoffnung, meinen Sohn lebend wieder zu sehen!“
Es durchzuckte sie, wie er sah. „Wie schön!“ erwiderte
sie. Es sollte heiter klingen, denn sie liebte ihren Mann über alles. Sie
rührte sich nicht und fügte kaum hörbar hinzu: „…für dich!“
Das erkannte sie sofort, diese Tatsache wird ihr nur
Nachteile bringen.
Als sie dann nachts nebeneinander lagen, nahm Aibak ihre
schmale Hand.
Mit Unterbrechungen erzählte er ihr alles.
Durch ihre Mutter erfuhr es Zorah, die mit verzücktem
Gesicht lauschte, als habe sie nie anderes und mehr erwartet und als wüsste sie
viel mehr, als ihre Mutter ahnen konnte.
Am Nachmittag des folgenden Tages kam Uriel ben Naad vom
Hafen herauf um sich zu verabschieden, so, wie er es zugesagt hatte und Aibak
übergab ihm den in ein festes Tuch eingenähten Sancerrebericht.
Mutter Bidà und Zorah waren dabei. Aibak rieb die weißen
Hände aus gewisser Sorge und Verlegenheit. Denn es gehörte zum Kostbarsten was
er besaß, diese unersetzlichen Papiere, die er damals bei dem großen Durcheinander, während der
Erstürmung der Feste Sancerre, entwenden konnte. Wie von Furien gejagt, waren
an jenem denkwürdigen Tag die Gerichtsleute vor dem erbarmungslosen Feind
auseinander gestoben und er hatte seine Chance gesehen, mit seiner Beute zu
entkommen.
Er wandte sich gewollt zuversichtlichen Tones an Uriel ben
Naad mit seiner Botschaft an den Wasserrichter Ruiz: „Ich hoffe, dass Asmai
jede Zeile liest. Vielleicht lernt er zu verstehen!“
Aibak schämte sich nicht zu sagen, dass er am liebsten
selber losstürmen würde. Doch gut Ding
will Weile haben. Dieses Wort seiner Mutter stünde in seinem Bewusstsein.
Fischer Uriel ben Naad
erwiderte entschuldigend, er sei in großer Eile, doch andererseits wäre er
auch darauf eingestellt Abu Aibak auf seinem Boot unterzubringen und ihn mit
sich zu nehmen.
Vater Aibak schaute den stämmigen Maurisken freundlich
an: „Nein, überbringt dem Wasserrichter Hernando Ruiz meinen besten Dank. Ich
werde ihn bald aufsuchen, hoffe ich. Ich bitte ihn schon jetzt um seine
Gastfreundschaft.“
Aibak musste schwer an sich halten, gelassen zu
erscheinen.
Ben Naad hingegen schien erleichtert zu sein: „Es ist
vielleicht besser nicht mit mir und meinem schaukligen Dinghi zu reisen, es
scheint, dass wir Sturm bekommen.“ Das
sagte er, als rede er über das Angeln von kleinen Fischen von einer sicheren
Mole aus. Er kratzte seinen eckig geschnittenen Vollbart.
„Aber, in
etwa zwei oder drei Wochen legt
hier Ali, der Äthiopier, von Valencia kommend an. Der hat eine schöne Barke,
und was ich nicht habe, eine Lizenz.
Ich sprach noch zuletzt mit ihm. Er wird im Hafen Ladung
nehmen und ebenfalls nach Valencia zurück segeln.“
Zorah die davon gegangen war, brachte dem sich
verabschiedenden Gast frisch gepressten Orangensaft. Der rau wirkende Mann
schaute die schöne sechzehnjährige mit leuchtenden Augen an und trank, ohne den
Blick von ihr zu wenden. Beinahe nebenbei sagte er: „Das Boot Alis hat drei
Masten, es geht gut bei Wind. Du erkennst es an seinen rotgelben Hauptsegeln
und dem gelben Fock. Auf dem Top weht Grünweiß.“
„Auf dem Top weht Grünweiß!“ wiederholte Aibak
nachdenklich.
Aber, auch wenn er es nicht bemerkte, seine Stieftochter
Zorah murmelte dieselben Worte: „Auf dem Top weht Grünweiß!“
Er geleitete den Boten hinaus, ging ein paar Schritte mit
ihm:
„Gott ist groß!“ rief er dann hinter dem Eiligen her, der
die Steinstufen hinunter rannte, als jage ihn bereits der von ihm vorausgesagte
Sturm.
Sogleich als er das Haus wieder betrat ergriff Bidà ihres
Mannes Hand: „Meinetwegen sollst du nicht verzichten!“ sagte sie so
selbstbewusst wie sie immer gewesen war.
„Es kommt noch früh genug auf dich zu!“ erwiderte er und
gab ihr den Händedruck zurück. Wie gerne hätte er ihr erklärt was er empfand,
doch noch war er nicht mit sich selber im Reinen: Denn immer noch kam ihm sein
lieber Asmai, wie ein Ungeheuer in hochkirchlichem Ornat vor.
Kein Altchrist konnte die Juden dermaßen hassen, wie ein
konvertierter Jude.
Kein christlicher Fanatiker vermochte es Maurisken so zu
hassen, wie ein konvertierter Mauriske.
Zwei Namen standen in der Geschichte dieses Landes tragisch
beispielhaft da. Der erste hieß Torquemada, der Mann jüdischer Herkunft der
berüchtigte, gewissenslose Großinquisitor Granadas der sein Stammvolk in die
Verzweiflung und Notlage trieb, entweder sich gegen ihr Gewissen und Tradition
taufen zu lassen oder den Feuertod zu erleiden, - oder bestenfalls, das Land zu verlassen.
Den Zweiten nannte man Albotodo. Er wurde trotz seines
arabisch-berberischen Blutes Jesuit, der mit gnadenloser Hetze auf die
Unterwerfung sämtlicher Maurennachkommen bestand.
Beide Unholde waren ein reines Produkt der Kirche.
Nur ungefähr drückte Aibak seine Gedanken auf diese Weise
aus und ging in den Patio.
Dort setzt er sich auf eine Bank. Er wollte sich nicht
mehr zergrübeln. Deshalb konnte er nicht anders als seine abgrundtiefe
Verachtung für die lieblose, familienzerstörende, spanische Religion durch den
Satz auszudrücken: Dornengestrüpp kann nur Dornengestrüpp hervorbringen. Er
ballte die Rechte zur Faust und reckte sie protestierend gegen den Himmel in
den ihn die Kirche hineinzwingen wollte.
Am nächsten Tag umgarnte ihn die Stieftochter Zorah. Wann
immer er von sich und seinem Asmai erzählt hatte, und das war selten genug,
konnte sich nie satt hören.
Jetzt schon gar nicht.
Denn seit langem hegte sie den geheimen Wunsch dieser
Asmai, den sie aus Aibaks Erzählungen kannte, möge sich eines seligen Tages in
sie verlieben. Sie hatte unentwegt daran geglaubt, dass er lebt und dass ihr
Vater ihn finden wird. Für sie war das nie eine Frage gewesen. Allzu sehr, wenn
auch seltsam genug, hatte ihr Herz schon seit je gewusst, dass sie für diesen
wunderbaren Menschen bestimmt ist.
Zorah beobachtete den Vater. Er schaute in die Ferne,
dann auf seine mit einer Handarbeit beschäftigte Frau Bidà.
Es trieb ihn um. Er lief umher, als wäre er ziellos.
Deshalb dauerte es eine Weile bis er sich wieder setzte
und zu reden begann: „Vornean steht eine traurige Geschichte, die mich mein
ganzes Leben hindurch schmerzhaft begleitete und die mich nun erneut
beschäftigt.“ Aibak schluckte und zeigte ein kleines Lächeln, das jedoch schnell
wieder verschwand, was die hoch aufmerksame Zorah stutzig machte.
„Wisst ihr“, sagte er: „wir müssen nämlich lernen mit uns
selber schonungslos ehrlich und selbstkritisch umzugehen.“
Zorah brannte lichterloh: „Hast du wirklich Sorgen,
Vater, Asmai könnte nicht der Mann sein, den du dir vorgestellt hast?“
Aibak blinzelte sie an: „Zorah hast du heimlich den Brief
gelesen?“ Seine Rechte die oft seine Reden untermalte blieb starr in der Luft
hängen.
Er hatte ihr das Schreiben und das Lesen beigebracht.
„Ja, Vater!“ bekannte sie.
Es war ein Bekenntnis ohne Reue. Das konnte sie nicht
leugnen. Ihre Art war zu offen. Während der Vater den Fischer hinausbrachte,
habe sie die Gelegenheit genutzt.
Er zog tiefe Falten um seinen Mund herum, atmete tief
durch und schwieg.
Schließlich seufzte er und zuckte die Achseln: „Im Hause
eines Mauriskenhassers vom Format eines Don Juan de Ribera, dienen nur
überprüfte, glaubenstreue Leute, Leute mit einer Gesinnung die selbst den
grimmigsten Herren des Inquisitionsbüros
gefällt.“
„Aber Asmai, wird doch nicht sein eigenes Volk hassen…“
Sie verstand mehr, als ihrem Alter gemäß gewesen wäre.
„Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen, zu glauben, dass
sich etwas nach unseren fantastischen Wunschvorstellungen zum Guten entwickelt.
Liebe, kleine Zorah, Enttäuschung ist wahrscheinlicher als Erfüllung.“
Plötzlich richtete er sein Rückgrat gerade: „Keine
Illusionen, Zorah!“ Er schaute ihr in die Augen und fuhr fort: „Asmai ist sehr
verbogen worden.“
Seine unruhigen Hände betrachtend sagte er: „Wir müssen
auch in Zeiten schwerster Niedergeschlagenheit und Entmutigung gut sein! Wir
wissen, dass Dinge und Menschen sich ändern. Doch wenigstens auf uns und unsere
Beständigkeit muss Verlass sein. Wir
dürfen nur altern und reifen, aber nicht den Pfad verlassen. Gleichgültig
welches Los uns bestimmt ist, wir wissen, dass es sich lohnt, sich immer für
das Glück des anderen zu entscheiden.“
Zorahs rehbraune Augen streichelten das Gesicht des Alten,
der ihr immer ein guter Stiefvater gewesen war.
„Ich habe zu viel gesehen und weiß, warum es für Freund
und Feind nicht gut ausgeht. Mir macht es Sorgen, dass hier die Sadat und da
die Altchristen, erbarmungslos nur nach eigenem Vorteil trachten, statt nach
einem gerechten Urteil. Solcher Egoismus provoziert den nächsten Krieg. Viele
unserer Leute haben mir höflich zugenickt, wenn ich ihnen sagte, was ich aus
bitterer Lebenserfahrung weiß und dann hörte ich sie ziemlich gemein hinter
meinem Rücken über meine Ansichten, als Banalitäten spotten. Ich bin aber
dennoch überzeugt, dass es nur bedingt richtig ist, sich gegen die Knechtung von
Leib und Seele zu wehren, nämlich nur solange, wie die Verteidigung selber
nicht zum Verbrechen entartet.“ Wie selbstvergessen sprach er das aus: „Es ist
klar, wir Maurisken müssen besser sein als die Christen, sonst werden wir
verlieren, - alles verlieren.“
Bidà schaute ihren Aibak traurig und zugleich bewundernd
an. Sie verstand ihren Mann.
Abu Aibaks Mundwinkel sanken herab: „Ich befürchte, dass
mein Sohn Asmai unheilbar verzogen wurde. Das ist der Umstand der mir so große Sorgen
bereitet. Asmai, wenn er mir ähnelt, denkt wahrscheinlich, dass unser Kampf um
die Behauptung unserer Freiheit nicht berechtigt ist. Es ist ja wahr, auf
unserer Seite gibt es Kräfte, die damit drohen auf spanischem Boden ein Regime
des Schreckens zu errichten. Bösartige Sadat haben in ihrer Verblendung selbst in
der jüngsten Vergangenheit viel verdorben und den Grund für solches Misstrauen
gelegt.“
Er sinnierte laut vor sich hin: „Sie verstehen mich
nicht. Unser damaliger Vorsatz zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung
unserer Familie, denen die Spanier die Kinder wegnehmen wollten, war gut. Aber,
was alles verdarb, war die Unfähigkeit unsererseits Ungerechtigkeiten und
Verbrechen, auszuschließen. Wir wollten zwar Besseres tun und bringen als die
Spanier, doch uns Maurisken fehlte der innere Entschluss, niemals Böses
zuzulassen.
Das ist dieser, nicht wenigen unserer heutigen Sadat noch
unwichtige Punkt, auf den es jedoch immer wieder entscheidend ankommt. Eine
Schlacht kann durch Zufall gewonnen werden, unser Lebenskampf nicht.
Wir müssen die Hände sauber halten oder untergehen.
Unrecht erzeugt Unrecht. Unkraut verhundertfacht sich, wenn wir das nicht
rigoros unterbinden. Niemand ist nach seinem Vergehen derselbe.“ Zorah sah, wie
stark ihn seine Erinnerungen beschäftigten.
Sie wusste, alles was der Vater jemals gesagt hatte, ergab stets einen tiefen Sinn,
auch wenn man nicht gleich erkannte was er ausdrücken wollte.
Wie üblich kehrte Abu Aibak nach einem Augenblick der
Selbstbesinnung zurück in die Vergangenheit. Er zielte anscheinend darauf, eine
nicht eindeutig gute Nachricht mit einem alten Urteil und seiner wichtigsten
Frage zu verknüpfen. Wie sie, suchte er mehr Erkenntnis.
Er lachte unerwartet auf und seine klugen, grauen Augen
strahlten auf, als wollte er die beiden Damen erheitern: „Ich glaube, dass die
Mütter bestimmen, wie die Welt von morgen aussieht. Den Männern fehlt sowohl
die Geduld, wie die Liebe, sich mit ihrem eigenen Fleisch und Blut anders zu
beschäftigen, als ihnen Dummheiten beizubringen. Frauen handeln zum Glück,
meistens aus dem Gefühl heraus, richtig.“ Er legte den Kopf schief: „Meine Frau
Ablah hatte Asmai jedenfalls beigebracht, dass man im täglichen Umgang mit Feinden
und Tieren Mitleid haben muss. So oft erzählte sie unseren Kindern, wie ihr
Großvater mich seelisch verarmten, zusammengeschlagenen Söldner und Feind
gefunden hatte. Der alte Mann, der genügend Böses von meinesgleichen erfahren
hatte, lud mich auf seinen Esel, brachte mich heim und heilte mich. Er salbte
meine Wunden und sprach mir Trost zu, auch wenn ich nicht eine einzige Silbe
verstand, so erfuhr ich doch Menschlichkeit. Wegen ihrer unaufdringlich herzlichen
Art und Weise nahmen mich meine früheren Feinde für sich ein.
Ich lernte durch sie, dass ich ein törichter Bengel und
Totschläger aus Dummheit gewesen war. Jedenfalls was mir die Christen anerzogen
hatten, war jenseits aller Vernunft und Herzensgüte. Wegen des Erbarmens eines
schlichten alten Mannes, wurde ich ein Freund der Maurisken und ihnen
allmählich in der Gesinnung gleich.“
Aibak sprang auf und rannte wieder im kleinen Garten
umher. Bidà ging in die Küche.
Erst als sie zurückkam setzte Abu Aibak sich erneut nieder.
Es drängte ihn, sich verständlich zu machen: „Der nächste Krieg wird nicht nur aufgrund
militärischer Bedingungen darüber entscheiden ob wir Maurisken als Volk
überleben werden oder zugrunde gehen. Wenn unsere jungen Männer sich wieder zu
Verbrechen an ihren Feinden hinreißen lassen, dann kann uns niemand mehr
helfen. Auch Gott nicht! Das ist, nachdem ich hoffen darf meinen Sohn wieder zu
sehen, eine meiner größten Befürchtungen.
Es scheint, dass unsichtbare, aber sehr reale Mächte das
Menschengeschick nach ehernen Prinzipien dirigieren. Sie lassen das Unrechttun
zu, nicht aber den bleibenden Ruhm und Vorteil dafür. Ich weiß, wovon ich rede.“
Teil
1 Forts. folgt