Montag, 21. Juli 2025

"Der Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit" Jesaja

 

 

“Der Krieg in der Ukraine und der christliche Glaube“

 

Kyrill, derzeitiger Patriarch der Russisch-orthodoxen Kirche und enger Freund V. Putins brachte es, mit einem Versuch einer Rechtfertigung des Überfalls auf ukrainische Menschen und ihre friedlichen Ortschaften, auf den Punkt: „…der westliche Liberalismus ist Teufelszeug…“ David Nauer. Korrespondent von Radio SRF in Russland.

Kyrill's Überzeugung nach stünden die moralisch höherstehenden Russen in der Pflicht den verdorbenen Ukrainern eine Lektion zu erteilen. Solche Überheblichkeit ist für den vorgeblich frommen Mann normal und für Präsident Putin eine wohltuende Bekräftigung, der Berechtigung seines Befehls   zu den Waffen zu greifen, um das Bruderland, wie er - in seinem Übermut meint, - zu „entnazifizieren“. Patriarch Kyrill betonte wiederholt, wie treu er in der Tradition seiner einzigartigen Kirche steht.

Weiß der Patriarch, wovon er redet?

Weder die Himmelsrichtung noch politische Strömungen ändern etwas, Liberalismus meint immer das Jedermannsrecht auf Entscheidungsfreiheit. Es ist das Recht, anderer Meinung oder anderen Glaubens zu sein, und das ungefährdet zum Ausdruck bringen zu dürfen. Es beinhaltet das Recht böse zu sein, - allerdings ist immer, früher oder später, gemäß dem Naturrecht und nicht infolge irgendeiner Art von Willkür - der Preis für die Bosheit zu entrichten.  Dieser Preis kann sehr hoch sein.

Gemäß Definition ist das Naturrecht unabhängig von der gesetzlich fixierten Rechtsauffassung eines bestimmten Staates. Es ist in der Vernunft des Menschen begründet. Christus und die Vernunft sagen: Sein Evangelium (seine Frohbotschaft) und Gewalt schließen einander aus: „Selig, die keine Gewalt anwenden.“ Matth 5,1-12

Die Wucht dieses Satzes wird im Umkehrschluss deutlich. In diesem Sinne lehrt die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), darüber hinaus, dass jede Person die im Besitz von Legitimationen ist, diese vor Gott verliert, wenn sie „auch nur  mit dem geringsten Maß von Unrecht irgendwelche Gewalt, Herrschaft oder Nötigung auf Menschenseelen ausübt…“ kanonisch Lehre und Bündnisse 121: 37

Des Patriarchen Kyrills Kirche entstand in ihrer Breite, mittels kaum vorstellbarer Gewaltanwendung. Für ihn, und wahrscheinlich ebenso für die große Mehrheit seiner Priester, ist der Diktator Großfürst Wladimir (956-1015), als Gründer der Russisch-Orthodoxen Kirche, ein Heiliger. Dieser Unhold, der nicht wenige Frauen ins Verderben stieß, ließ „988 die heidnischen Götzen in den Dnjepr werfen und befahl allen Stadtbewohnern sich in dem Fluss taufen zu lassen. Wer sich weigerte, wurde mit dem T O D bestraft... Die Druschina (das Kriegsgefolge des Fürsten) führte in allen Ecken des Reiches mit Gewalt Zwangstaufen durch.“ Fritz Pleitgen und Michael Schischkin 2019, in „Frieden oder Krieg...“

So „… entstand, 988, die für die Orthodoxie typische Symphonia von Staat und Kirche.“ Ökumenisches Heiligenlexikon

Diese Sinfonia klang jedoch nur in den Kirchengesängen ihrer goldenen Versammlungsräume gut. Vieles erwies sich, für das einfache Volk, als Dissonanzen. Die Geistlichkeit innerhalb und außerhalb der Klöster wollte und musste sehr verehrt und gut versorgt werden, ihre Kathedralen errichtet und unterhalten. Was die „Symphonia von Staat und Kirche“ den Menschen sonst noch gebracht hat, war gemäß Zeugnissen kompetenter Autoren, noch weniger als kümmerlich. Die aus dem Byzantinismus stammende Religion Kyrills bemühte sich jahrhundertelang wenig oder gar nicht um die Hebung des Bildungsniveaus ihrer Mitglieder, und nur unzureichend, soweit es ihre Priester betraf. Das aber wäre ihre Christenpflicht gewesen. Jesus mahnte seine Nachfolger: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben …. ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ Matth. 25: 42-45

Das Schicksal der bodenlosen Landarbeiter interessierte die Geistlichkeit der ROK selten.  Persönlichkeiten wie der russische Schriftsteller Leo N. Tolstoi prangerten diese Missstände an. Deutlich bemängelte Tolstoi die seit Jahrhunderten fehlende Anstrengung von Kirche und Staat, Menschen aus ihrem Elend herauszuholen. Russlands Geistliche hatten das von Jesus gesetzte Ziel, Mitmenschen glücklicher zu machen, aus den Augen verloren oder nie erkannt. Sie stritten darum, ob man sich mit zwei oder drei Fingern bekreuzigen soll. Sie zankten, ob die Gottesdienstbesucher sich dreihundertmal bis zur Erde niederbeugen oder ob sie diese Geste nur dreihundertmal andeuten müssen.

Der aufmerksame Russlandreisende Charles F. Ph. Masson, ein Mann mit Augenmaß, konnte ebenfalls nur den Kopf schütteln. Um 1780 schildert er welche Früchte Wladimirs Religion noch acht Jahrhunderte nach der angeblichen „Christianisierung“ der Kiewer Rus, trug: "Der Russe hat an nichts Interesse, weil er nichts besitzt... er lebt ohne Vaterland, ohne Gesetze, ohne Religion... er hat gar keinen Grund, die Scholle, auf die er gefesselt ist, zu verlassen (er kann es sich nicht vorstellen…) Er hasst alle Arbeit, weil er niemals für sich gearbeitet hat; er hat daher auch keinen Begriff von Eigentum. Seine Felder, seine Habseligkeiten, sein Weib, seine Kinder, er selbst gehören einem Herrn, (- einem „christlichen“ Herrn, G. Sk.-) der in Willkür darüber schalten kann, und es auch wirklich tut...“ "Geheime Nachrichten über Russland unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800

Masson findet allerdings höchstes Lob für Geistliche dieser Kirche, wie den Moskauer Erzbischof Platon, Direktor der Akademie, der ein Mann voller Verstand und Beredsamkeit sei, der alles versuchte, was in seiner Macht stand um sein Volk zu erheben... allerdings fast vergeblich, weil vor allem die Popen auf dem Land mangels Bildung nicht ausführen konnten, was er wünschte...

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts klagte Tolstoi: „Wenn ich eine Schule betrete und diese Menge zerlumpter, schmutziger, ausgemergelter Kinder mit ihren leuchtenden Augen […] sehe, befällt mich Unruhe und Entsetzen, ähnlich wie ich es mehrmals beim Anblick Ertrinkender empfand. Großer Gott – wie kann ich sie nur herausziehen? Wen zuerst, wen später? […] Ich will Bildung für das Volk einzig und allein, um die dort ertrinkenden Literaten und Künstler zu retten. Und es wimmelt von ihnen an jeder Schule.“  Denis Scheck „Welt“ – „Wer Tolstoi liest, taucht in eine zweite Familie ein“

Augen- und Ohrenzeuge Charles F. Ph. Masson fuhr in seinem Bericht fort: „Außer einem geweihten Amulett, das jeder Russe von der Taufe an, wo er es bekommt, am Halse trägt und nie ablegt, hat er gewöhnlich noch ein Bild von Kupfer in der Tasche, das den Heiligen Nikolaus oder einen anderen Heiligen, der sein Patron ist, vorstellt. Er nimmt es mit auf Reisen. Nichts ist sonderbarer, als wenn man einem Bauern oder Soldaten zusieht, wie er seinen kleinen Gott aus der Tasche zieht, darauf spuckt, ihn mit der Hand reibt, und sich plötzlich vor ihm auf die Erde wirft, hundertmal das Zeichen des Kreuzes macht, die tiefsten Seufzer ausstößt und seine 40 "Gospodi pomiloi" (Gott sei mir gnädig) hersagt. Ist das Gebet zu Ende so tut er den Gott wieder in die Büchse und steckt sie in die Tasche…" Geheime Nachrichten über Russland unter der Regierung Katharinas..." Paris, 1800

Tolstoi trat entschieden für eine Trennung von Staat und Religion ein. Jesus sah es wohl voraus wozu es kommen würde: „Niemand kann zwei Herren dienen…“ Matth. 6: 24

Eben diese Trennung wollte Lenin, wollte schon Karl Marx, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Soweit so gut. Aber hatten sie einkalkuliert, dass dies unter dem roten Banner der „neuen“ Werteordnung sehr wahrscheinlich dazu führen würde, die unbestritten erforderliche Trennung mit den ungerechten Methoden des Diktator-Großfürsten Wladimir durchzusetzen?

Niemals kann Recht durch Unrecht in die Welt gesetzt werden?

 In seinem Brief an der Heiligen Synod, den Leo Tolstoi als Antwort seiner Exkommunikation schrieb, urteilt er scharf: „Die Lehre der Kirche ist eine theoretisch widersprüchliche und schädliche Lüge, fast alles ist eine Sammlung von grobem Aberglauben und Magien.“ Denis Scheck „Welt“ – „Wer Tolstoi liest, taucht in eine zweite Familie ein“

Tolstoi hielt die in der russisch-orthodoxen Kirche üblichen Feierlichkeiten für verfehlt. Den Geist Christi, der inneren Erleuchtung, der Ermutigung um Erkenntniszuwachs, und des Mitleids konnten die Lichter der zahlreichen Kerzen, in goldfarbenen Kirchenräumen nicht ersetzen. Der Apostel Paulus aber lehrte kanonisch: „Wer den Geist Christi nicht hat, gehört nicht zu ihm.“ Römer 8: 9

Sonntag, 20. Juli 2025

Ingrids Poetry "What is love?"

                                                                             What is love?




What is Love? you ask

Love stays when desired to stay

Lingers when tenderly nurtured

Changes dark nights into day

Love needs to be a doing thing

Like labour, sunshine and rain

Promises thoughtless spoken

Only bring sorrow and pain.

Someday all souls will understand

This treasure given to mortal man

For it alone will heal our world

Like no other treasure can.


  


Montag, 14. Juli 2025

Ingrids Philosophie in Versen "Children of the Promise"

 



                                                      Children of the Promise

 

 

We the children of the promise

Or this earth as stranger’s roam.

Children scattered through all nations

Once again, are gathered home.

Home where loving arms are waiting

Home where peace will grace each day.

Home where pain and tears and sorrow

Never find a place to stay.

Banished there are death and sin

Banished there, all earthly grieve.

For the father in his mercy

Fills each heart with sweet relief

Happy hours of joy and singing

As we enter through the gate

Come ye children of the promise

Come, oh come don’t hesitate.

Join the ranks, lift loud your voices,

 Thank him, praise him and adore.

                                           He our shield, our guide, our saviour,

                                                 He, our King for evermore.

                      

   


Wir lieben und wir verteidigen unser Recht auf Entscheidungsfreiheit, das Gott uns schenkte

 

Angela Merkel, damals deutsche Bundeskanzlerin, sagte nach enttäuschenden Gesprächen mit Russlands Spitzenpolitikern: "Die Stärke des Rechts stünde über dem Recht des Stärkeren." Mich erinnerte dies an die Worte Moronis, als er der feindseligen Übermacht der Lamaniten unter der Führung Zerahemnachs gegenüberstand

„Siehe, Zerahemnach, wir haben nicht den Wunsch, Männer des Blutvergießens zu sein. …Siehe, wir sind nicht hergekommen, um gegen euch zu kämpfen, dass wir um der Macht willen euer Blut vergießen; wir haben auch nicht den Wunsch, irgendjemand unter das Joch der Knechtschaft zu bringen. Aber genau das ist der Grund, warum ihr gegen uns gezogen seid; ja, und ihr seid zornig auf uns wegen unserer Religion.“ Buch Mormon Alma 44: 2-3

In seiner zu Recht berühmten „King-Follet-Ansprache, die er wenige Tage vor seinem Märtyrertod 1844 hielt, sagte unser Prophet: “Beschneidet keinem Menschen das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit! Alle Regierungen sollten allen Menschen in diesem Recht schützen. Niemand ist berechtigt, einem Menschen wegen Meinungsverschiedenheiten in Glaubensfragen nach dem Leben zu trachten. Die Religion sollte von allen Gesetzen und Behörden geschützt werden, mögen sie nun wahr oder falsch sein.“ Lehren des Propheten Joseph Smith

Das Bild zeigt die weltgrößte Kathedrale zu Sevilla, Spanien. Baedekers Reiseführer, Spanien, 5. Auflage, 1992, schreibt „Giraldillo ist die den (christlichen) Glauben darstellende weibliche Figur mit der Fahne Konstantins.“

Aber die Fahne Konstantins, ist nicht christlich. Sie steht für Intoleranz.

385 wurden zu Trier, Deutschland, sechs Bischöfe hingerichtet, weil sie sich gegen die Konstanisierung der Kirche stellten. Ihr Vorbild und Mitleidender war Bischof Priscillian von Avila. Sie wurden enthauptet, weil sie in apostolischer Tradition standen. Dieser Hintergrund musste, wegen seiner Unchristlichkeit, im Hintergrund verborgen bleiben. So gilt wesentlich weiter, Priscillian sei ein Irrlehrer.  Aber man fand Dokumente: 

“The question of Priscillian’s orthodoxy has been much discussed. In 1889, 11 treatises ascribed to Priscillian were published, revealing his unorthodox doctrine of the Trinity in which the Son differs from the Father.” Encyclopaedia Britannica

 "Die Frage nach Priscillians Orthodoxie wurde viel diskutiert. 1889 wurden elf Priscillian zugeschriebene Abhandlungen veröffentlicht, die seine unorthodoxe Trinitätslehre enthüllten, in der sich der Sohn vom Vater unterscheidet." Encyclopaedia Britannica

Ana Maria C. M. Jorge eine portugiesische Katholikin von Rang schreibt: „Priscillian hilft uns, ein besseres Verständnis des Christionisierungsprozesses … zu erlangen. … Vor dem Hintergrund fortschreitender „Konstantinisierung“ der Kirchen werden Bischöfe Schlüsselfiguren, in denen sich die Hauptkräfte der Zeit konzentrieren. … Die Konfrontation zwischen rivalisierenden christlichen Gemeinschaften – Priscillianisten und nicänischem Katholizismus – offenbart eine wichtige Facette der von den Christen eingenommenen Position…“  The Lusitanian Episcopate in the 4th Century: Priscilian of Ávila and the Tensions Between Bishops” Center for the Study of Religious History

Priscillian, damals etwa 40 Jahre alt verweigerte die Anerkennung des Nicänums. Er glaubte, wie die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, dass Jesus eine andere Person ist als sein Vater Elohim. Es gibt kein Missverständnis mehr.  Dem entsprechend zitiert Ana Maria C. M. Jorge eine in lateinisch gehaltene Bewertung zum Fall der Hinrichtung Priscillians „.… aber es gefällt, dass die ursprüngliche Verfassung des Nicänischen Konzils für immer erhalten bleibt und ihnen nicht entzogen wird.“ ebenda

Priscillian glaubte eben anders als Konstantin. Deshalb hackten sie ihm den Kopf ab. Priscillian stand in der Tradition des Arius und Origenes: Er vertrat das urchristliche Bekenntnis: „Christus ist wohl Gott, aber er ist dem Vater unterordnet"

Quelle:

 ‚Die Religion in Geschichte und Gegenwart‘ Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft 3. völlig neu bearbeitete Auflage Vierter Band Kop-O

Freiheit der Meinung und des Glaubens. Erst 1965 erklärte Rom, mit Vatikanum II das Gegenteil ihrer Praxis seit Konstantin: „Glaubensfreiheit!“ Der damalige Konzilsberater und -beobachter Joseph Ratzinger (später Papst Benedikt XVI.) sagte nach der Abstimmung durch die Konzilsväter: „Die Erklärung über die Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanums bedeutet insofern kirchlicherseits das Ende des Mittelalters, ja das Ende der konstantinischen Ära… Und dass man ab jetzt nie mehr sagen könne, für die katholische Kirche sei die Religionsfreiheit kein Grundrecht, das in der Würde der Person begründet ist.“ Karl Hörmann „Willensfreiheit“

Welch ein Wandel zum Guten!



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Wikipedia schreibt:

 Die Giralda ist das ehemalige  Minarett der Haupt-moschee und heutiger Glockenturm der Kathedrale von Sevilla in Andalusien. Die Moschee wurde nach der christlichen Rückeroberung der Stadt im Jahre 1248 zunächst als weitergenutzt, bevor sie im 15. Jahrhundert niedergerissen und als spätgotische Kathedrale  neu erbaut wurde. Das zur Gänze aus Backstein gemauerte ehemalige Minarett blieb jedoch stehen, wurde in Teilen umgearbeitet und dient seitdem als Glockenturm der Kathedrale. Die Giralda ist bis heute das bedeutendste Wahrzeichen der Stadt. Aber: Unter dieser Fahne gedieh die spanische Inquisition. Unter dieser Fahne marschierten in den ersten Reihen der  Autodafé -Prozessionen die Kohlehändler die den Stoff lieferten der die tödliche Hitze für die nicht linientreuen Gläubigen verbrannte. Wer den damaligen „Christenglauben  nur im Geringsten in Frage stellte, konnte getötet werden..

 

Unterwerfung und Weltherrschaft, Macht und ungerechtfertigtes Geldstreben, sind die Maximen einer Gesellschaft die wegen des Vorrangs der Lieblosigkeit keinen Bestand haben darf - oder wir vernichten alles.

 

Freitag, 11. Juli 2025

Ingrids Philosophie in Versen (4)

                             Destiny (a song)

 

We come to earth, don’t really know from where?

Life may be fun or hard to bear.

:|There’s joy and grief along the way,

That’s how things are, that’s how they’ll stay|:

 

We walk in darkness or in light,

We live in peace or choose to fight.

:|Still life will give and life will take,

As destiny unfolds our fate |:

 

We may be poor, or man of fame,

The hour comes, we’ re all the same.

:|For comes to us that final sleep,

       Our mortal husk the earth will keep. |:

 

For as life comes, thus it will go,

Well them that lived, well them that know.

:|To trust in God, to grow to learn

        Time flies on wings that won’t return.

 

"Die Dramen meines Jahrhunderts" (2)

 

Der Erste Russe

 Am 30. April um acht Uhr morgens heulte etwas. Gleichzeitig bebte das alte Fachwerkhaus Langestraße 17. Die feindliche Granate flog vermutlich nur wenige Meter an den oberen Fenstern unserer Wohnung vorbei. Bevor ich nachdenken konnte, krachte es. Zwei Menschen, die auf der Straße in der Nähe des Rathauses standen und hinausschauten, wurden, wie ich nur Minuten später sah, in Stücke gerissen.

Gegen zehn Uhr vormittags radelten zwei Soldaten die Wilhelmstraße entlang, wo Gerda und Richard wohnten. Ein Offizier der Marine und ein Unteroffizier der Wehrmacht zeigten ihre Maschinenpistolen und prahlten damit, 50 weitere Soldaten der Roten Armee „niedergemäht“ zu haben. Sie schauten auf ihre Uhren. Das musste etwas bedeuten. Aber was?

Ein Fenster öffnete sich. Zu den vielen weißen Fahnen, die bereits an zahlreichen Fenstern um uns herumhingen, kam noch eine weitere hinzu.  Wütend schrie der Unteroffizier. „Das ist Feigheit. Wir halten immer noch die Stellung!“ Sie fuhren weg in Richtung Hafen. Richard zog mich mit sich, ins Haus. Im Flur sah Gerda mich wieder seltsam an. Ihr Blick regte mich zu neuen, bislang unbekannten Gedanken an: Was sagten ihre Augen? Hat sie mich wortlos gefragt? „Du und nicht die Russen?“ Richard ging irgendwohin durch die Küchentür. Wir blieben. Wie schön sie aussah. Gerda sagte nun flüsternd: „Wenn dich keine will, nehme ich dich.“ Angst öffnete ihren Mund. Aus Zeitungsberichten der nationalsozialistischen Presse wussten wir, dass die brutalen unter den Eroberer Frauen wie wilde Tiere jagten. Sie standen bereits an der Schwelle Meine Fantasie übernahm kurzfristig die Oberhand. Wir verharrten in Ungewissheit. Mein Freund kam zurück und schimpfte vor sich hin, weil er das Brot nicht fand. Da…! Ein ungeheurer Knall... Das Ungeheuer überfiel uns mit tödlicher Wucht. Eine Detonation die nur eine Riesenbombe erzeugen konnte hatte uns zu Boden geworfen. Wir lagen wie betäubt auf den Dielen. Wir erwarteten die nächste Explosion. Die erste musste in unmittelbarer Nachbarschaft gewaltigen Schaden verursacht haben. Langestraße 17 war nur einhundert Meter von uns entfernt. „Mutter!“  Meine Geschwister Helga und Helmut... Sofort wollte ich mir Gewissheit verschaffen und sei sie noch so schrecklich. Egal ob und wo es nun kracht. Wie ein Irrer warf ich mich gegen die Haustür, die sich nicht öffnen ließ. Und wenn ich sie aus den Trümmern herausholen muss, ich will es wissen. Erst als Richard und Gerda mir kraftvoll halfen die verklemmte, nach außen öffnende Tür zu überwinden sollte es gelingen. Mit fliegenden Beinen kam ich an.  Unser Haus stand unversehrt da. Aber die großen Schaufenster der uns gegenüberliegenden Reuscheldrogerie waren zerborsten. Überhaupt, alle großen Scheiben lagen in Scherben oder ragten gespenstisch als Splitter vor mir. Gottseidank. Wenn das alles war. Kaum getröstet, rief eine hohe Stimme: „Sie haben die Peenebrücke gesprengt.“

Foto Ostseezeitung

Ich ging, obwohl erschüttert bis ins Innerste, nicht hinein in unser Haus. Mich trieb es vorwärts. Ich wollte sehen, solange ich noch existierte. Wohin ich auch kam, überall dasselbe, es betraf weniger die kleinen Fenster. Zunächst irrte ich ziellos umher. Irgendwie wuchs, alledem zum Trotz, in mir die Lust zu leben. Wolgast war mit diesem Schlag, wenn auch vielleicht nur für wenige Minuten oder Stunden zur gesetzlosen Zone geworden. Niemandsland. Es gab weder die Polizei noch eine andere Ordnungsmacht mehr. Die glassplittrigen Öffnungen der Lebensmittelläden und des Gaugergeschäftes für Konfektions- und Schuhwaren am Marktplatz luden mich, nachdem ich umherstreunte, zur Selbstbedienung ein. Ich widersprach mir nicht, ging die wenigen Schritte eiligst und betrat ungeniert den Bereich für Herrenkleidung zur Rechten. Ich gehörte nicht zu den Ersten, sah die magere Ausstattung des Ladens. Im Begriff schamlos zuzugreifen und zu klauen was mir begehrenswert erschien, beeinflusste mich ein schon früher erlebtes Gefühl das mir im Klartext sagte: „Tu es nicht!“ Das erstaunte und lähmte mich, zunächst, - bis ich mir dreist herausnahm zu sagen: Ach was. Sei nicht so dumm. Es strömten immer mehr Leute ins mittlerweile sperrangelweit geöffnete Geschäft hinein. In kurzem Moment sah ich. im Geist, das noble Gesicht des Besitzers Heller vor mir, wie er an der Kasse sitzt, während meine Mutter den Betrag entrichtet für meinen neuen Anzug mit den Knickerbockerhosen, den ich mehr oder weniger stolz ab 1943 sonntags trug. Die feine, leicht gezogene Nase verlieh diesem ruhigen Gesicht eine selten anzutreffende natürliche Vornehmheit.  Mir schien, er schaute zu, wie ich eine leichte, grüne Alltagshose an mich nahm. Die herumwirbelnden Menschen kamen mir nun sekundenlang vor wie irrsinnig Tanzende. Einige zankten sich. Alles raste, die Gedanken, das Blut, die Frauen. Mein Lebensgefühl wankte. Meine Wünsche wechselten hin und her. Jetzt ist jetzt. Eine gute Zukunft wird es nicht geben. Das war nun gewiss. Dennoch blieb das Licht der Hoffnung hartnäckig, während andere Wolgaster in tiefem Pessimismus sich und ihren Kindern Steine um die Hals banden, um miteinander in die Peene zu springen. Mir schien zwischendurch, auch ich sei verrückt geworden. Es war ein stetes hin und her. Man muss doch ordentlich handeln. Und dann wieder: Mache ab jetzt mehr aus deinen Chancen, falls es noch mehr geben sollte. Die Hose noch in der Hand verließ ich den schrecklichen Ort. Ich wollte sie nicht mehr haben und legte sie auf die offene Luke zum Kellereingang, von wo sie bald verschwand. Inkonstant, wie ich war, kam nur Minuten später freche Furchtlosigkeit über mich: Mundraub ist erlaubt! Zum Kuckuck, es muss doch bei Anderson versteckte Schokolade oder wenigstens Bonbon geben. Von Ersterem gar nicht zu reden hatte ich seit Jahren edle Süßigkeiten entbehrt. Während der Zeit vor unserer Verschickung nach Groß Mölln bin ich an der Fassade das Hauses hochgeklettert und durch das obere, immer offenstehende Fenster in die sonst verschlossene Wohnung eingedrungen um Mutters Zuckerdose um einige Gramm zu erleichtern. So rannte ich los um nur nicht der Allerletzte zu sein. In der Tat, mindestens zwanzig Frauen suchten dasselbe wie ich, oder nur Margarine, Zucker oder Grieß. Natürlich, wegen der zunehmenden Ungewissheit, mussten sie etwas heimtragen, das die Kinder benötigten. Fast rücksichtslos mischte ich mit. Ich wusste noch nicht, dass ein verletztes Gewissen mit der Verkleinerung seines Potentials einhergeht, und, dass es durch stete Misshandlung sogar zu seinem Verstummen gebracht werden kann. Ich fand ein verstecktes Margarineregal. Über meinem Kopf schrie jemand: „Ich habe es gewusst!“ Jemand griff danach. Frauen rissen dem Mann der auf der Leiter stand den Pappeimer aus den Händen. Der Karton zerbrach und die Kaffeebohnen fielen auf meinen Kopf und rieselten zu Boden. Eine schwanger gehende Frau fing an, Gläser durch die Luft zu werfen, voller Wut, weil sie nur Rote Bete enthielten und nicht gewünschtes Obst. Wo immer die Gefäße landeten, wurde der Boden dunkel gefärbt. Höllisches Spektakel. Der Ladenbesitzer, Herr Anderson, erschien am Tatort. Er war ein kleiner 50-jähriger Mann mit großem kahlem Kopf. "Meine Damen! Meine Damen!" klagte er und rang seine weißen Hände. Eine der Frauen kam auf ihn zu: „Ich bin nicht ihre Dame!“ Sie warf ihm eins der Gläser vor die Füße. Der arme Mann, jetzt mit Saft bespritzt, schnappte nach Luft.  Doch wie sollten Männer jemals die Ängste der Frauen in dieser Zeit, der auf uns zu rückende russische Invasion, wirklich verstehen? „Die Feindarmee wird kommen und wir sind deren Opfer!“  Ungesagt stand dieses Wort in voller Brutalität im Raum. Im Durcheinander hatte ich es geschafft, 16 Stücke – zu pfundteilen quadratisch eingewickelte – Margarine einzusammeln, die ich, verpackt in einer Schachtel, nach Hause trug. Dann kehrte ich zurück, um einen weiteren Diebstahl zu begehen, ohne mich fortan mehr um mein Gewissen zu kümmern. Aber, als ich um die Ecke unserer Straße bog, und meinen 9-jährigen Bruder Helmut mit einem großen runden Käse sah, der fast so hoch war wie er selbst, packte es mich. Er kam den sanften Hang der Straße hinunter und rollte das Raubgut, das ja einem Rad glich direkt auf mich zu.  Nicht viel weiter die Straße hinauf befand sich der aus mehreren Stockwerken bestehende Großvorrat an Lebensmitteln von Herrn Kriwitz. Dort, wie überall sonst, beging die Bevölkerung aus Panik Ladendiebstahl in erheblichem Umfang, in der möglicherweise zutreffenden Annahme alles würde sonst in Russenhände fallen. Es wäre leicht gewesen, einem 9-Jährigen solchen Besitz wegzunehmen. Doch das geschah nicht Das Bild meines kleinen Bruders und des riesigen Käselaibs wird für immer in meinem Gedächtnis haften bleiben. Der kleine blonde Wuschelkopf lachte mich an. „Nein“, dachte ich, „warte. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.“ Die Erkenntnis, dass das, was wir getan hatten, doch nicht richtig war, und die Forderung, den Käse zurückzugeben, fielen im selben Atemzug. „Das ist Diebstahl“, schnappte ich. Er erwiderte meine Reaktion mit einem unbekümmerten Grinsen. Für ihn hatte der Beutezug einfach Spaß gemacht. Schließlich erforderte das Rollen eines so großen Objekts einiges an Geschick. Er gehorchte. Allerdings entwickelte sich in mir nun ein völlig anderes Konzept. Ich kam zu dem Schluss, dass ich alles, was wir mitgenommen hatten, zurückgeben musste, und genau das habe ich auch getan, denn schlagartig wusste ich: Selbst die schlimmsten Russen würden uns nicht verhungern lassen. Aber, wenn wir alles vorzeitig aufteilen wird es zu selbstverschuldeten Engpässen kommen. Plötzlich wollte ich wieder ein guter Deutscher sein.

Neugierig verließ ich eine gute Stunde später den Keller, in dem die Frauen angsterfüllt, vor dem was ihnen nun drohte, dasaßen. Nur ein paar Minuten später sah ich den ersten russischen Soldaten.  Er bog von der Breiten Straße kommend in die Lange Straße, wo ich vor dem Besch-Uhrenmacher-Geschäft so gut wie sorglos und neugierig abwartete. Der große ältere Soldat kam die Waffe auf mich gerichtet näher und ich schaute dann in den höchstens drei Meter entfernten schwarzen Lauf seiner Armeepistole. Ich war erstaunt, weil ich eine ganz andere Vorstellung vom Feind hatte, und, weil ich keine Angst empfand. Jahrelang hatte ich der Nazi-Propaganda zugehört, die von den Sowjets, das Bild von minderwertigen Menschen zeichnete. Zudem hatte ich die halb verhungerten, zerlumpten, elend dahin taumelnden Kreaturen gesehen. Wie Vieh wurden sie durch Wolgast in weiter westwärts liegende Gefangenenlager getrieben. Alles junge Russen mit bleichen Gesichtern. Erbarmungslos, wie ich damals noch war, erkannte ich in ihnen nicht meine Mitmenschen.  Jetzt jedoch traf mich der Gedanke: „da befindet sie ein Held vor dir!“ Er trug einen hohen Hut aus dunklem Lammfell und über seiner Uniform einen weiten schwarzen Umhang. Er verzog keine Miene.   Rundherum gab es Fenster, Türen und Ecken, aus denen ein tödlicher Schuss abgefeuert werden konnte. Er ging leichtfüßig weiter als sei ich Luft, zeigte keine Eile und schaute beim Weitergehen weder nach links noch nach rechts. Meine Augen folgten ihm nachdenklich. Lange nachdem er verschwunden war, blieb ich stehen, und fragte mich: „Sind sie wirklich so?“ Mir war noch nicht klar, dass es nicht die Uniform, nicht das Aussehen war, das Gut vom Böse trennte. So habe ich in nur wenigen Augenblicken eine der wichtigsten Lektionen meines Lebens gelernt. So seltsam es auch erscheinen mag. Irgendwie fühlte ich mich zu diesem Fremden hingezogen – wenn auch nur für ein paar Sekunden. Mir wurde klar, wie falsch meine Einstellung mein bisheriges Leben hindurch gewesen war. Nur etwa eine dreiviertel Stunde später sah ich einen deutschen Fallschirmspringer, der seinen runden Stahlhelm in der Hand trug, und einen jungen russischen Offizier in Uniform. Ich ging etwas näher heran. Sie diskutierten, vor dem Gaugergeschäft, über die Zukunft und die Frage, was aus Deutschland werden würde, nachdem das Dritte Reich der Ära Adolf Hitler zusammengebrochen war. Die überraschende Antwort des fließend deutschsprechenden russischen Journalisten lautete: „Wir brauchen etwas, das alle Nationen zusammenhält.“ Da traf es mich! „Wir brauchen etwas, das alle Nationen friedlich zusammenhält.“ Mir schien ich würde Zeit überspringen. Ich sah Zusammenhänge. Ich vernahm noch, dass der gefangene Fallschirmjäger die implizite Einladung nicht ablehnte… „Es muss eine neue Ideologie geben!“

Das war es…Es betraf uns allesamt. Aber dann! Nur eine Stunde später rollten auf zahllosen primitiven Panje-wagen hunderte vielleicht tausende neue Soldaten ganz anderer Art in unsere Stadt hinein.

Horden hemmungsloser, wilder Männer füllten die Straßen. Ich überredete den alten Herrn Gottschalk, auch „Leller“ genannt, unseren Helfer in unserer kleinen Firma, mit mir die neue Szene zu erkunden. Zuerst war er überrascht, dass ihn die Russen nicht belästigten. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ein sehr junger Rotarmist, gekleidet in ein dünnes, dunkelgrünes Baumwollhemd, dem gebeugten, rheumatischen alten Mann die goldene Uhr abnahm. Zwei große Tränen rollten über die faltigen Wangen, während er sich umdrehte und gestützt auf seinem Stock, nach Hause humpelte. Was er verloren hatte, war, außer seinem Bett, sein einziger Besitz gewesen. Schreiende Frauen stürmten an uns vorbei, Soldaten verfolgten sie. Ein Schuss fiel und wir traten beiseite, um die wütende Menge von Räubern und Vergewaltigern an uns vorbeizulassen. Meine Verwirrung über alles, was ich gesehen hatte, war so groß, dass ich reflexartig meine rechte Hand hob und „Heil, Hitler“ rief, als ein älterer russischer Offizier auf mich zukam. Der Mann in seiner grünen Uniform muss meinen Schock bemerkt haben. Er hätte über einen solchen Ausbruch verärgert sein und mich auf der Stelle erschießen können – schließlich befanden wir uns immer noch im Krieg! Fast Erwachsene wie ich standen noch unter Verdacht, im Dienst des „Werwolfs“ zu stehen, einer Gruppe die seit 44 unter diesem Geheimzeichen in Russisch eroberten Gebieten weiterkämpfen sollte: Und ich Narr, habe meinen faschistischen Hintergrund gezeigt. Er sah mich, zum Glück, lediglich kopfschüttelnd an, hob den Zeigefinger mahnend wie ein weiser Vater, lächelte überlegen, und legte denselben Finger an die Stirn, drehte sich um und ging weiter. Später traten mir andere Soldaten mit ihren Stiefeln in den Hintern, nur weil ich sie auf meine zugegeben etwa dreiste Weise anschaute. Als die Schießereien und Artilleriegefechte zwischen Deutschen – die auf der uns gegenüberliegenden Peene noch meinten kämpfen zu müssen – und den Russen erneut begannen, flohen wir zurück in unseren Keller. Dort saßen wir zwei Tage und Nächte lang in völliger Dunkelheit auf Holzbänken und lauschten den Explosionen. Die Frauen achteten voll zusätzlicher Angst auf jedes Geräusch, das von oben kam. Wurde die Haustür geöffnet? Würden deren Schritte in den Keller führen? Würden Bestien in Menschengestalt sie angreifen?

Am dritten Tag kam eine große jüngere Dame hinzu. Sie setzte sich neben mich, weinte und erzählte den anderen Frauen in meiner Gegenwart, dass sie vergewaltigt worden war, wie sie geflohen sei und sich versteckt hielt. Ich erfuhr Dinge die mir neu waren.  In ihrer Verzweiflung erinnerte sie sich an die Langestraße 17 und Frau Stolp, unsere Nachbarin. Sie hoffte, dort Schutz zu finden, denn die alte Dame war Mitglied der Kommunistischen Partei und eine persönliche Freundin von Rosa Luxemburg gewesen. Sie musste Sonderstatus genießen. Nur Frau Stolp konnte sie beschirmen. Wie es das Schicksal wollte, war die Altkommunistin zwei Tage zuvor verstorben. Sie stürzte die steile Treppe herunter die zu ihrer Wohnung führte. Da die flüchtende Dame Angst hatte, sich noch einmal auf die Straße zu wagen, saßen wir nebeneinander im kalten, dunklen Keller. Ich fand es äußerst angenehm zu wissen, dass meine Knie zu einem Kissen für ihren Kopf geworden war. Völlig erschöpft weinte sie sich in den Schlaf. Mehrmals in der Nacht zuckte ihr Körper vor Angst. Sanft fuhr ich mit meiner Hand über ihren Kopf und ihre Wange, um sie zu beruhigen.

In der fünften oder sechsten Nacht schienen die Geräusche von draußen nicht mehr so heftig zu sein, also beschloss ich, wieder nach oben zu gehen, um endlich, endlich wieder in meinem Bett zu schlafen. Der alte Freund „Leller“ tat dasselbe. In der Ferne, einige hundert Meter entfernt, hörten wir noch immer das Grollen berstenden Granaten. Im Handumdrehen fielen wir in den tiefen Schlaf.

 

Donnerstag, 10. Juli 2025

"Die Dramen meines Jahrhunderts" (1)

                                                    "Dolly"

Schon vor den Tagen des frühen Herbstes 1974, noch bevor wir unseren Betriebsausflug ins Land der Magyaren starteten, erinnerte ich mich deutlich der jüngeren, traurigen Vergangenheit dieses Landes.

Hungary in Europe

Das tragische Schicksal des damaligen Ministerpräsidenten Imre Nagy und seiner Unterstützer stand in Bildern vor mir. Menschen meines Schlages konnten und wollten nicht vergessen, dass 1956 in Budapest, wie drei Jahre zuvor in Berlin, demokratisches Denken und Wünschen mit Waffengewalt niedergewalzt wurde. Die breite Mehrheit der Ungarn wollte sich von beklemmender, sowjetrussischer Bevormundung befreien, und der reformwillige Kommunist Nagy ließ zu, dass seines Volkes Forderungen nach freien Wahlen straffrei erhoben werden durften.

Es ist wohl wahr, dass die Rote Armee, 1944/45, Ungarn von faschistisch und antisemitisch orientierten „Pfeilkreuzlern“ und deren Gesinnungsgenossen befreite: Aber, dass diesem Land der Bauern und Studenten anschließend die Lenin-Stalin-Ideenwelt aufoktroyiert werden sollte, lehnten, laut Ergebnissen der ersten und einzigen freien Wahl 1945, 83 Prozent ab. Die Partei der Kommunisten erhielt nur 17 Prozent der Stimmen. Mit List und Tücke, - sehr ähnlich wie Kuckuck-Babys ihre Mitkücken, als Überlebenskonkurrenten, brutal ins Verderben stießen – behauptete diese Minderheit bald die absolute Oberhand.  

Aus Sicht Erz-kommunistischer Politiker hätte Imre Nagy insbesondere den jungen und alten Intellektuellen niemals freien Lauf zugestehen dürfen. Diesen Ideenträgern hätte, - so die Ansichten der Total-Roten, - die vom Kreml gebilligte Regierung Nagys, Paroli bieten müssen. 

Was er zuließ, galt als Verrat an den „hehren“ Prinzipien der „neuen Gesellschaftsordnung“. Alle Menschen unter russischer Vorherrschaft mussten hinlänglich indoktriniert werden. Dissidenten zu gängeln, war oberste Pflicht jedes Parteisoldaten. Nun aber erhoben sich zehntausende Ungarn und demonstrierten mit Plakaten für Presse- und Meinungsfreiheit. Die Erhebung nahm um den 23, Oktober 56 Fahrt auf. Es kam seitens der Budapester zu Ausschreitungen. Parteizentralen wurden gestürmt, deren Personal angegriffen. Chruschtschow tobte und schwor Rache. Am 4. November rückten 15 Divisionen der Sowjetarmee mit 2.000 Panzern und etwa 200.000 Soldaten ein. Sie zerschlugen in den darauffolgenden Tagen den Aufstand unter erbittertem Widerstand. Mehr als 2 000 Menschen, zumeist die unter 40-Jährigen kamen bis zum 11. November zu Tode. Gnadenlos bestraften die sogenannten „Sieger der Geschichte“ zuerst die Aufständischen, dann Nagy. Er wurde erhängt.

Auch wenn die große Tragödie fast zwanzig Jahre zurücklag.  Diese fernen Ereignisse gehörten nicht nur für mich zum Schlimmsten, was die Roten in Friedenszeiten jemals verbrochen hatten.

Es war ein warmer Septembertag, 1974, an dem wir DDR-Fischer-Touristen in Budapest eintrafen. Wir freuten uns auf Weintrauben, die es bei uns selten oder nie gab. Nach durchschwitzter Hotelnacht holte uns ein Bus ab. Sightseeing war angesagt.  Am Budapester Platz der Nationen stiegen wir aus. Dort hielt unsere Dolmetscherin, - eine temperamentvolle, charmante und auffallend gut gekleidete Fünfzigerin, - in recht geschwindem Deutsch einen Kurzvortrag zu zwölf deutsch-österreichisch-ungarischen Kaisern und Herrschern, deren Statuen und Köpfe auf uns herunterblickten. Ehrlich gesagt, sie hatte den Vortrag heruntergeleiert, wohl in der Annahme, dass es uns ohnehin nicht interessieren würde. Ich stellte eine Nachfrage, weil mich Kaiser Matthias (Ungarns König) Handeln interessierte, hätte er doch die politische Weichenstellung, die dann bedauerlicherweise zum 30-jährigen Krieg führte, auch anders vornehmen können. Der ganze Jammer wäre vermeidbar gewesen. Wütend fuhr mich die Dame an, die sich selber als „Dolly“ vorgestellt hatte: “Passen Sie nächstes Mal gefälligst auf! Ich habe ihnen die Frage längst beantwortet!” 

Sich auf den Hochhacken ihrer schicken Schuhe abdrehend, stürzte sie auf unseren himmelblauen Bus zu. Ich war schneller. Ihre Mimik warnte mich, sie anzureden. Ihr war anzusehen, was sie dachte. Es war unter ihrer Würde, einfachen Fischern, statt Hochschullehrern oder Künstlern zur Verfügung stehen zu müssen. Nicht der nicht vorhandene Geruch, der unserem Berufsstand anhaften sollte, sondern eher ihre Vorstellung davon war es, was sie möglicherweise als so unangenehm empfand. Glaubte sie im Ernst, dass sie mich durch ihre rigorose Unhöflichkeit abschrecken könnte? “Da fehlt aber der dreizehnte Nationalheld!” sagte ich. Sie stutzte. Ihre Augen rollten. Ihr Atem stockte, als ahne sie bereits, dass ich nicht nachgeben würde. Sie zog die Lider hoch. “Und der wäre?” Noch verriet ihr Gesicht, dass sie unerfreut war. “Imre Nagy!” erwiderte ich prononciert: „Notsch“

Imre Nagy, a Controversial Figure of Modern Hungarian History - Hungarian  Conservative    (Imre Nagy 1896-1958)

"Um Gottes willen!”, stöhnte die Dame. Ihr Ausdruck änderte sich völlig. Sie griff halt suchend nach meinem Ärmel, schaute sich von  offensichtlicher Angst erfüllt um. Zugleich war da das schöne Aufleuchten ihrer grauen Augen: “Die Redaktion!” flüsterte sie. Die Redaktion, das war ihre Umschreibung für Leute des ungarischen Staatssicherheitsdienstes oder solcher die ihm zuarbeiteten. Wenn das einer der „Redakteure“ gehört hätte! Ich wäre sofort festgenommen worden. Verblüfft hörte sie mir zu. Imre Nagy letzte, erhaltenen, auf Tonband gesprochene, Worte lauteten: „Ich bitte nicht um Gnade!“

Kaum war ich in den Bus eingestiegen und hatte ziemlich weit hinten, neben Erika Platz genommen, kam sie zu uns. “Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Gattin erkundigen? Sitzen Sie bequem? Kann ich etwas für Sie tun?” In mir lachte es vergnügt. Im Traum wäre ihr nicht eingefallen, einen einfachen Fischer und seine Fischerin so zuvorkommend zu behandeln. Aber so unverhofft einem deutschen Gesinnungsfreund zu begegnen, nun da doch alles längst Geschichte war, zu einer Zeit, da selbst den nachgeborenen Ungarn strikt verboten war, daran trauernd zurückzudenken. Es hatte sie überwältigt.  Da kommt ein kleiner DDR-Bürger und erklärt seine Sympathie für ihren großen und geschmähten Helden.  Erika lachte leise und zufrieden, ahnte jedoch nicht, wie sie zu dieser netten Geste kommen konnte. Ich verzog, hoffe ich, keine Miene. “Vielen Dank, alles OK.” erwiderte ich und tat viel bescheidener, als ich in Wahrheit war, und nickte ihr zu. Innerlich jubelte ich: Na also, lagen wir doch dieselbe Wellenlänge.

Ja, wir wussten es: Zumindest einigen unter den 2 000 sowjetischen Panzerfahrern, die am 4. November 1956 In Budapest einrückten, wurde weiß gemacht, sie befänden sich in Ägypten, wo die Briten zeitgleich kämpften, um der bereits Ende Juli 56 erfolgten Verstaatlichung des Suezkanals entgegenzuwirken. Ohne Absprachen mit London und Paris zu führenhatte das mit der Sowjetunion befreundete Ägypten am 26. Juli dieses Krisenjahres die Suez-Kanal-Gesellschaft entmachtet. Es traf die Rechtsnachfolger der Macher und Finanzierer dieser Wasserstraße.

Irgendwie bestand eine Verknüpfung dieser beiden, fern voneinander liegenden Ereignisse, die unter den Augen der kommunistischen Machthaber stattfanden.  Denn, zeitgleich weitete sich der überwiegend friedliche, aber antikommunistische ungarische Studentenprotest aus. Im hoch-katholischen Polen rumorte es um diese Zeit ebenfalls heftig. Chruschtschows Geheimrede, die er nur wenige Wochen zuvor, Ende Februar 1956, als neuer Kremlchef vor seinen hochrangigen Genossen hielt, war längst im Westen und in vielen Kreisen der Ostblockstaaten nicht mehr geheim. Alle Oppositionellen witterten Morgenluft. Chruschtschow hatte Stalin unversehens als Verbrecher oberster Kategorie klassifiziert. Gefängnisse öffneten ihre Tore und Rehabilitationen zahlreicher politischer Gefangenen erfolgten öffentlich. Tauwetter war angesagt. Jetzt wollten immer mehr Menschen noch mehr Freiheiten erlangen. Imre Nagy sagte diese Entwicklung durchaus zu, während Nikita Chruschtschow hoch besorgt sah, wie erheblich das Anwachsen der Lawine war, die seine Macht bedrohte. Obendrein bombardierten Großbritannien und Frankreich am 31. Oktober, ägyptische Flughäfen. Umgehend unternahm Israel einen Vormarsch; gegen Ägypten. Knapp eine Woche später, am 5. November, einen Tag nach dem Beginn ihres Einmarsches in Ungarn, drohte die außenpolitisch unter Druck stehende Sowjetregierung gegenüber Frankreich und Großbritannien, „mit der Anwendung von Gewalt die Aggressoren zu vernichten und den Frieden im Nahen Osten wiederherzustellen.“ Chruschtschow und sein engster Vertrauter Bulganin, damals Ministerpräsident, sprachen sogar von der Zerstörung der westlichen Hauptstädte mit Atomwaffen. Das bestätigten einige Quellen.  Alles Wissen um diese Zusammenhänge wurde, nach dem blutigen „Sieg“ der rabiaten Supermacht, geschickt und so gut wie möglich unterdrückt und überspielt. Die Drohung Atombomben einzusetzen war auch eine Warnung an den „Westen“ sich Ungarn betreffend mit Kritik zurückzuhalten. Das war die Auswirkung der Ideenkombination von Panslawismus und Bolschewismus. Man wollte vergessen machen und herrschen…

In den folgenden Tagen überbot Frau Dolly sich uns Gutes zu erweisen. Am Programm des Abschiedsabends nahm ich allein, und nur für eine Stunde teil, weil es Erika bei der drückenden Hitze nicht gut ging. Als unsere Dolmetscherin bemerkte, dass ich aufbrach, winkte sie ein Blumenmädchen heran, kaufte schneller als ich begreifen konnte, einen Rosenstrauß und gab ihn mir mit besten Genesungswünschen für meine geliebte Ehefrau mit auf den Weg.