Samstag, 26. November 2016

Und wie mich sein Gesicht bis heute beeindruckt




Und wie mich sein Gesicht bis heute beeindruckt

Er war schmal, fünfzig, mittelgroß und sehr zäh. Er wirkte nicht nur energisch, er war es. Er schritt immer federnd mit langen ruhigen Schritten die weiten Wege durch seine Felder, stolz auf das was er besaß und geschaffen hatte. Wahrscheinlich ahnte er schon, dass die Kommunisten ihn enteignen werden, weil sein Unternehmen zu groß geworden war.

Ein Mann mit starkem Willen, der schon kurz vor Kriegsausbruch, sozusagen aus dem Nichts seinen Kartoffelzuchtbetrieb, samt den Lagerhallen aufgebaut hatte. Die klugen Augen schauten immer weit. Sein einziger Sohn beging 1945 den winzigen  Fehler eine verrostete Pistole just in dem Augenblick aufzuheben als ein betrunkener Offizier der Roten Armee, wahrscheinlich aus der Scheune von einem Abenteuer kommend, auf der anderen Seite vorbeiging. Das gefährliche Ding hatte unter der Lebensbaumhecke gelegen, weggeworfen von irgendjemand der kein Soldat mehr sein wollte.

Als ich den Besitzer kennenlernte befand sich sein unselig unschuldiger Sohn Heinrich schon seit vier Jahren in sibirischer Gefangenschaft in der Kolyma, wo Gold gefördert wurde – ein Ort von dem, damals, kaum jemand lebend heimkehrte.

An dem Tag, an den ich wieder und wieder zurückdenken muss, fegte ein Gewittersturm durch die Kronen der Kastanienbäume die vor seinem weißen Gehöft breit ausladend dastanden.

Die drei Mädchen die er als Lehrlinge beschäftigte, waren in den Pferdestall geflüchtet. Zehn Minuten oder etwas später kam ich unversehens dazu, weil man nicht unter Bäumen stehen soll wenn es gewittert. 
Die kleinen Weiblein bemerkten mich nicht, weil der Regen und die Blätter der Bäume heftig rauschten und die Donner ihre Aufmerksamkeit gefangen hielten. 
Plötzlich wurde es stiller. Ich konnte nicht überhören was sie teils lachend, teils flüsternd einander mitteilten; "Hast du das gehört. Die Chefin" - die Chefin war knapp vierzig ein wenig rund und klein - sie kicherten. 
Ich wollte es hören und hörte: "der Pferdeknecht, dieser Josef  … und wie er sie genommen hat..."

"Und sie, sie..."

Sie murmelten etwas. 
Mir stand eine Sekunde lang, wie mir schien, das Herz still, weil ich ihn sah, den Ehemann, wie er  mir, tags zuvor, ein Stück Brot gab, weil er sah, dass ich hungrig war.

Unweigerlich kam das Bild zu mir. Ich wollte es nicht sehen, konnte es nicht verdrängen. Ihn stellte ich mir vor, meinen Meister, den Mann mit dem ledernen, bartlosen Gesicht.

Was ist das alles noch wert, für ihn? 
Ich tröstete mich, aber er weiß es doch nicht.

Der Josef der die schweren Ackergäule betreute und mit denen er die Reihen der gerade aufschießenden Kartoffelstauden hätte anhäufeln sollen hat sie genommen und sie ließ es zu 
Ich stellte mir vor, mein Meister hätte die beiden in ihrem Strohnest ertappt.


Vor den jungen Damen ging ich aus dem Raum und schwor mir bitter: die Lust wird dich nicht hinreißen.

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