Donnerstag, 23. Juni 2022

Rechtschaffenheit kontra Rechtfertigung (1) by Gerd Skibbe


Als ich im Dezember 1969 nach langem Warten meinen Trabant-Kombi bekam, besuchte ich die mit zugewiesenen Gemeinden noch häufiger. Immer wieder nahm ich Leute mit mir, die am Straßenrand auf eine Mitfahrgelegenheit hofften.
Jedes mal war ich bedacht ein Gespräch über Gott und die Welt zu führen. Mehrfach wurde ich gefragt: Was unterscheidet euch „Mormonen“ von anderen.
Heute schäme ich mich meiner Dummheit.
Zu sagen wir haben das Buch Mormon, sagte gar nichts, weil meine Gegenüber nur die Achseln zucken konnten.
Heute würde ich antworten: Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, treten entschieden für das Recht auf Entscheidungsfreiheit jedes Menschen ein. Ein seitens Gottes uns garantiertes Recht, dass von allen Großkirchen unentwegt gebrochen wird.
Jede Säuglingstaufe ist Bruch dieses Gesetzes. Alle Jahrhunderte hindurch übten die Großkirchen Gewalt gegen Juden und Andersdenkende.
Sofort tut sich das Wissen jedermanns auf. Intuitiv sind die Menschen wegen dieses allgegenwärtigen Hintergrundwissens atheistisch eingestellt. Das Buch Mormon ist das leuchtende Banner der Verteidiger der Freiheit aller. Es lehrt reinen Humanismus: „Ohne Liebe bist du nichts!“ sagte Moroni. Liebe verteidigt das Recht des anderen. Liebe verlangt Rechtschaffenheit: Schaffe das Recht wo es nicht vorhanden ist.
Heute würde ich meinen Gesprächspartner sagen: Die Christen evangelischen Kirchen sprechen selten oder nie von der Notwendigkeit der Rechtschaffenheit im täglichen Leben.
Entsetzt musste ich feststellen, dass offizielle Dokumente zur evangelischen Glaubenslehre den Begriff Rechtschaffenheit geradezu ängstlich vermeiden. Allmählich schlummerte die evangelische Kirche die aktiven Verteidiger des Christusglaubens von der permanenten Notwendigkeit ihres Tuns des Guten nahezu ein. Das geht auch aus der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom 31. Oktober 1999" klar hervor. Ihr Tenor lautet: Du musst dich nicht anstrengen deine Religion zu leben. Du hast vor Gott nur die Pflicht auf ihn zu vertrauen. Da heißt es: "Wir werden umsonst erlöst... Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade... sola gratia... und Rechtfertigung ist Sündenvergebung. .“
Das hat Christus nie gelehrt. Sondern im Gegenteil: „Was heißet ihr mich aber HERR, HERR, und tut nicht, was ich euch sage?“ Lukas 6: 46
Da ist ein enormer Unterschied zur Hauptaussage der „Gemeinsamen Erklärung von 1999“, die behauptet: "Der Mensch soll gerecht leben und ... ist (aber) unfähig, sich von sich aus Gott um Rettung zuzuwenden ...
Die Erklärung umfasst 3 000 Worte, der Terminus „Rechtfertigung“ kommt 145 mal vor. Der Begriff „Rechtschaffenheit“, dem der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer höchste Priorität einräumte fehlt, er wird nicht einmal erwähnt.
In den Buch-Mormon-Texten wird „Rechtschaffenheit“ ebenfalls auf den höchsten Rang gehoben. Alleine im 40. Kapitel des Buches Alma 7 mal.
Selbst der „Katholische Katechismus“ vom Oktober 1992 erwähnt auf 188 Seiten zwar 7 mal den Begriff Rechtfertigung, den der Rechtschaffenheit nicht einmal.
Der Wahlspruch Dietrich Bonhoeffers (1906-1945) beschreibt einleuchtender als die offizielle Lehre, worauf es ankommt:
„Öffne deinen Mund für die Stummen, für das Recht aller Schwachen. Öffne deinen Mund, richte gerecht, verschaffe dem Bedürftigen und Armen Recht.“ Sprichwörter 31: 8-9
Weil er lebte, was er glaubte, wurde Bonhoeffer im 3. Reich Hitlers hingerichtet, und wir bewundern ihn. Mit eben dieser Forderung, Recht zu schaffen, hat der interessierte Leser zugleich die Moraltheologie des sogenannten „Mormonismus“ auf einen Blick vor sich.



Nach Rechtfertigung infolge eigenen Versagens zu trachten, kann niemand als mutig bezeichnen, dagegen ist die Entschlossenheit einem zu Unrecht Unterlegenen Beistand zu geben Christenpflicht. Das Gewäsch von einer Rechtfertigung vor Gott passt nicht in unsere Zeit. Wir haben Farbe zu bekennen. In Markkleeberg gab es 1984 eine Statutenkonferenz für Landwirtschafts- und Fischereigenossenschaften. Ich wurde delegiert. In der Mittagspause spazierten wir im angrenzenden Park. Es schien halb Leipzig war da unterwegs. Eine Frau schrie plötzlich gellend um Hilfe. Vielleicht war sie von uns zweihundert Meter entfernt. Buchstäblich Hunderte taten so als wären sie plötzlich taub. Ich sah stramm gewachsene Genossen mit großem SED Abzeichen die ihre Richtung änderten. Ich bin nie Held gewesen, aber an diesem Tag fasste ich den Schaft meines Regenschirms. Es stellte sich heraus, dass der Verfolger ein dürres, betrunkenes Männlein war. Da wurde ich noch mutiger. Ich blöckte ihn an.... und der Friede war wieder hergestellt.

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