Sturz in die
Inflation
Ein vierzehnjähriger Bengel mit
Halbhosen und langen Woll-strümpfen stand wartend vor dem Treptower Tor.
Noch lag die Dunkelheit auf den Dächern
der Stadt und der Wind pfiff um die Ecke des vielwinkligen großen Bauwerkes.
Von Sankt Marien schlugen die Glocken eine volle Stunde. Sieben Uhr. Gleich
musste die dritte Haustür von links aufgehen und der Fischermeister Franz Meltz
würde in den matten Lichtkranz unter der Gaslaterne treten. Er würde ein-,
zweimal nervös mit dem Kopf rucken, den starken Schnurrbart aufzwirbeln, die
beiden Kescher schultern und hinunter zum Tollensebach, zu seinen Fischen und
zu seinen Kunden eilen.
Die
Tür öffnete sich, der erwartete Mann kam, rückte den Hut zurecht und ging auf
den Jungen zu. Fischereipächter Meltz erwiderte den überlauten Gruß mit der
unwirschen Bemerkung: „Fritz Biederstaedt, ick hew di all dremol seggt, dat du
bi mi nich arbeeten kannst. Du büst noch to spack!“1 Auf seinen
Holzpantoffeln klapperte der Junge hinter dem vorwärtsstürmenden Manne her.
Dabei schniefte er durch die auffallend starke Sattelnase. Also würde seine
Mutter ihn nach Berlin in die Lehre schicken. Aber hundertmal lieber als
hochherrschaftlicher Diener zu werden, würde er zusammen mit den anderen
Fischerknechten auf den schönen See fahren. Doch Meister Meltz hatte keine
Ohren für den Bettler. Ihn belasteten schwere Sorgen. Sein Blick richtete sich
auf die dunkel schimmernde Menge Menschen, die vielleicht zum letzten Mal zu
ihm gekommen waren, um seine Weihnachtskarpfen zu kaufen. Denn sein zwölftes
Pachtjahr für die Neubrandenburger Großfischerei ging zu Ende. Erstmalig würde
es einen ernsthaften Mitbewerber geben. Die Bürgermeisterei der Viertorestadt
hatte die mehr als zwanzig Quadratkilometer Wasserfläche zur freien Bewerbung
ausgeschrieben. Möglicherweise wird ihm die Wanzkaer Fischerfamilie Peters den
Rang ablaufen. Der Meistbietende könnte, nach mehr als achtzig
Wirtschaftjahren, nicht mehr Meltz heißen, was eigentlich undenkbar war. Nach
gutem Weihnachts- und Silvesterumsatz des Jahres 1920 wurde es ernst. Mitte Januar 1921 erfuhr Fischer Meltz, dass sogar ein zweiter
Konkurrent aufgetaucht war. Ein Ingenieur aus Berlin namens Johne. Das schlug
dem Fass den Boden aus, ein Berliner, dazu noch ein Laie! Damit sanken für den
Altpächter die Chancen noch einmal.
Als
schließlich die drei Gebote offen gelegt wurden, verließen die beiden
einheimischen Pachtbewerber den Ratssaal aus Protest. Sie beobachteten
einander, gingen aufeinander zu. Sie waren schockiert, weil die Einschätzung
des fischereilichen Wertes des Tollensesees durch den Berliner haargenau ihren
Vorstellungen entsprach. An Stelle von Geld hatten sie übereinstimmend die
Summe von einhundertundfünfzig Zentnern Fische genannt. Wer hatte das dem Herrn
Ingenieur Johne geflüstert? Auf den Berliner schimpfend waren sich beide
endlich einmal einig. Solche Fischmengen hatte der Klugscheißer noch nie
gesehen, geschweige denn gefangen. Wusste der überhaupt etwas anderes, als in
der hungernden Millionenstadt Schiebergeschäfte zu machen? Der Mann mochte wohl
verwegen sein, aber Kenntnisse vom Fischfang und erst recht von der
Bewirtschaftung großer Seenflächen besaß er gewiss nicht. Sein unerwartetes und
forsches Auftreten spannte ihre Nerven zum Zerreißen. Die beiden Fischermeister
schauten sich nachdenklich an. Der Neuling stellte den ganzen Berufsstand in
Frage. Was werden die Stadträte tun? Dem Berliner werden sie beträchtliche
Aufmerksamkeit widmen, eben weil er ein Außenseiter war und weil man einem
Ingenieur vielleicht mehr zutraute als ihnen. Es war nicht auszudenken. Beide
schüttelten die Köpfe.
Nachdem
Meltz und Peters einige ihrer Gefühle und Gedanken ausgetauscht, gingen sie mit
großer innerer Anspannung auseinander, um sich in der Stunde der Entscheidung
im Neubrandenburger Rathaus wieder zu sehen. Falls der Stadtrat zugunsten
Johnes entschiede, würde Fischer Meltz sich natürlich stärker als die
Petersmänner betroffen sehen.
Der
vorzeitig gealterte Meltz presste die Fäuste aneinander. In seinem Denken und
auf seinem Gehöft war alles auf die Fortführung der Fischereigeschäfte
eingestellt. Ernst Peters und Vater dagegen verfügten gewiss nur in geringem
Umfang über eigenes Fanggeschirr. Für ihn, den Erben einer erfolgreichen
Tradition, war es unvorstellbar, auf neue Weise seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Den Peters dagegen, mit ihrem Geld, stand die ganze Welt offen. Sie
würden den Schlag hinnehmen wie einen Klaps von Mutterhand. Er aber würde davon
getroffen auf den Boden stürzen. Was wären seine vielen teuren, lieb gewonnenen
Gerätschaften noch wert: die Bungen und die Stellnetze, die Reusen und Waden,
die Arbeitsboote mitsamt den Pätschen und die Hälterkähne, dazu die Kescher und
Stangen? An all dem hingen sein Herz und seine Erinnerungen. Wie oft hatte er
beim Schein einer Petroleumlampe bis in die Nacht hinein draußen im Nebel oder
in der Kälte gestanden und mit der Holznadel das zerfledderte Eingarn wieder zu
einer heilen Netzwand zusammengeflickt, damit die Männer frühmorgens wieder
hinausfahren konnten auf den See. Was sollten dann noch diese tausend
Kleinigkeiten die Gaffeln und Piekhaken? Wo bliebe er mit den Eisäxten, den
Jageruten und den Knüppelwinden, den Eisschlitten, den Leinen, Tauen, Tampen,
Ankerseilen? Wohin mit den bereitliegenden Reusenbügeln, dem Netzwerk, den
Ledderungen, den Stellnetzblättern, die ihm seine Leute an stürmischen Tagen
auf Vorrat gestrickt hatten? Wohin mit dem Katechu, den Teerfässern und den
Großkesseln, in denen er die Netze imprägnieren ließ? Welchem Zweck könnte das
alles dann noch dienen? Sollte er das ganze Inventar etwa diesem dahergereisten
Ingenieur für ein Butterbrot vor die Füße schmeißen? Hatte er dafür ein Leben
lang geschuftet? Sollte solche Verschleuderung von Werten der Abschluss seines
Lebenswerkes werden?
Auch
an seine Leute dachte Fischer Meltz, aber mit Zorn. Weil mit ihnen ihr
ungeheurer, unbezahlbarer Erfahrungsschatz dem Berliner sozusagen wie ein
Sternentalerregen in den Schoß fiele. Der Großstädter würde auf sie nicht
verzichten können und sie würden ihn akzeptieren. Sie wären ihm noch dankbar dafür,
dass sie für ihn arbeiten durften. Dieser Gedanke regte den Mann Meltz noch
mehr auf als der Seelenschmerz, selbst fortgeworfen zu werden. Nach kurzer Zeit
der Umgewöhnung wird sich niemand mehr daran erinnern, dass es ihn, den
großzügigen Franz Meltz, je gegeben hatte. Sie werden ihm noch nachreden, dass
er sein Lebensglück mutwillig im Alkohol ertränkte.
Wie
sich schon vor der für die drei potentiellen Pächter schicksalhaften
Ratssitzung herumgesprochen hatte, befanden sich unter den dreiundzwanzig
stimmberechtigten Neubrandenburger Stadtverordneten auch drei Kommunisten, die
jeder Privatwirtschafterei abhold waren. Das pfiffen die Spatzen von den
Dächern, dass diese drei Utopisten sich einbildeten, sie selbst könnten eine
Fischermannschaft aus Arbeitslosen zusammenstellen. Da war der eine und der
andere mal mit hinausgefahren und hatte ins Fanggeschäft hinein gerochen. Sie
glaubten ganz einfach, man nehme ein Zugnetz, werfe es im See aus und schon
würden sich große Fischschwärme überlisten lassen. Diese Phantasten wollten den
„Raub”, wäre er ihnen denn zugefallen, einfach an die Stadtarmen und
Notleidenden verschenken! Als ob die Welt existieren könnte, wenn man auch die
vor Energie strotzenden Kerle durchfüttert. Darin war Peters mit Meltz einer Meinung
gewesen, dass die Jungen mit ihren kräftigen Armen hingehen und sich ein Stückchen Wiese urbar machen sollten.
Statt in den Straßen und Plätzen herumzulungern und zu schielen, ob ein
„reicherer“ als sie, einen Zigarettenkippen wegwirft, sollten sie Kartoffeln
und Erdbeeren anbauen. Fischer Franz Meltz ahnte, dass sich mehr Ratsherren als
diese drei Kommunisten gegen ihn verschworen hatten.
Sogar
einige, die ihm bisher gewogen waren, könnten sich mit ihren Hintergedanken dem
neureichen Peters zuwenden. Bloß um ihn zu ärgern und um ihm zu beweisen, über
wie viel Macht sie als Deputierte des Volkes verfügten. Im Grunde gab es keine
Argumente gegen ihn. Sie könnten ihm gut und gerne noch einmal, nur dieses eine
Mal noch, den Tollensesee und dazu die ihm vorgelagerte flache Lieps mit ihren vierhundert Hektar
Wasserfläche verpachten. Dann mag geschehen was will. Hatte er nicht bewiesen,
die Pachtsumme pünktlichst zahlen zu können? Waren sie nicht allzeit gut mit
ihm gefahren? Der Unterschied der Gebote war bedeutungslos. Es liefe rein
logisch gesehen auf dasselbe hinaus.
Aber
sein Gefühl sagte ihm, dass er sich solcher Hoffnung nicht länger hingeben
sollte. Nun, da nach der Revolution alles anders geworden war, musste auch in
der Fischerei eine Änderung herbeigeführt werden. Egal, ob es sinnvoll war oder
nicht. Das war eben diese verrückte
Nachkriegswelt, die törichterweise glaubte, dass alles Neue besser ist
als alles Alte. Deshalb zogen die Kerle auch so vehement das frische
Menschenfleisch dem alten vor. Das wusste Franz Meltz an jenem Morgen des
22.Januar 1921 wenige Stunden vor Beginn der Plenartagung so sicher, wie er
wusste, dass man einen Mann und sogar die ganze menschliche Gesellschaft zwar
auf den Kopf stellen aber damit wahre Besserung nicht erzielen kann. Nur anders
wird es sein, sehr viel anders. Den verlorenen Krieg überstanden, fiel er nun
erst - wie paradox - ins größere Elend. Ihm war es, je länger der Krieg
gedauert hatte, jedenfalls in materieller Hinsicht immer besser ergangen. Sie
hatten ihm nach 1916, nach der verlorenen Schlacht an der Somme in Frankreich,
jeden, auch den minderwertigsten Fisch, geradezu aus der Hand gerissen. An der
Front aßen sie nach Neujahr 1917 Margarinestullen mit ekelhafter Marmelade, in
der Heimat Wrukensuppe. Welche Delikatesse war dagegen ein Gericht aus
gebratenen, sauer eingelegten Plötzen gewesen. Jede Karausche, selbst jeder
Grätenblei war Goldes wert in einer Zeit, da es an Stelle von Kolonialwaren nur
noch glasige Kartoffeln und höchstens Gerstenschrot auf Karten gab.
Böse
Gefühle beschlichen den Mann mit dem Faltengesicht, als er auf seine Weise
ahnungsvoll aufs Rathaus zuging. Da sah er Ernst Peters schon stehen, so als
warte der auf ihn. Spontan dachte er, er solle ihm auch diesmal nicht aus dem
Weg gehen. Es zog ihn hin zu seinem Leidensgefährten, mit dem er einen
gefährlichen, ihnen beiden wahrscheinlich überlegenen Feind gemeinsam hatte.
Sonst hätte er den Feldwebel Peters nicht eines Blickes gewürdigt. Der Umstand,
dass es dem nicht unvermögenden, schneidig auftretenden Peters gelungen war,
eine reiche Frau zu heiraten, regte Meltz nur in sofern auf, als er wusste,
dass ein Mann mit Geld immer ernst genommen wurde. Wo viel Geld war, kam stets
neues dazu. Beträchtliche Geldsummen ziehen neues Vermögen an wie schöne
Mädchen ihre Kavaliere. Deshalb würde Peters auch dann, wenn er nicht der
Pächter des Tollensesees werden wird, seinen Weg machen.
Als
Franz Meltz seinem Konkurrenten Ernst Peters die Hand zum Gruß reichte, glaubte
er noch befürchten zu müssen, dass das große Fischerglück sich diesem Johne
zuwenden würde. Aus vollem Herzen und mit wüsten Ausdrücken fielen sie
brüderlich vereint noch einmal über den vermutlich unfähigen Ingenieur Johne
her. Zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben machten sie sich gegenseitig
Mut. Denn der wenig später erfolgende Beschluss der Ratsversammlung lautete:
Peters vor Johne. „Denn man tau“, erwiderte der zutiefst verletzte Altpächter,
nun auch des Trostes beraubt, im Unglück nicht allein zu sein, „se warn dat schon
moken. Ewer wenn se glöben, dat de Bli goldene Flossen hem, denn irrn se sick.“
2
Und
er sagte noch etwas, an sich selbst gerichtet: „To spack, Franz Meltz Hunnertundachtzig harst du beden müßt! To
spack!“ 3 Die Bleie
hatten nie goldene Flossen gehabt. Aber wenn Peters sie damals gleich gefangen
hätte, schon im ersten oder zweiten Bewirtschaftungsjahr, dann wären sie nicht
einmal ihren Namen wert gewesen. Ein Großfang hätte ihm wenig genutzt, solange
der Geldwert instabil war. Der Krieg
hatte seinen Preis; die Revolution von 1919 ebenfalls. Das Resultat beider
Ereignisse war die Inflation. Zusätzlich verheerend sollte sich die Missernte
von 1920 auswirken. Statt der erwarteten Brotgetreideernte von 2,3 Millionen
Tonnen gelangte lediglich ein Viertel der lebensnotwendigen Menge auf den
Binnenmarkt. Irgendwie musste deshalb seitens der Regierung eine Möglichkeit
gefunden werden, um die Fehlmenge irgendwo in der Welt billig einkaufen zu
können. Der sowieso schon schwer angeschlagene
Finanzhaushalt Deutschlands musste abermals überrechnet werden.
Eigentlich müsste ein Brot nun vierzehn Mark kosten. Doch
die großen Politiker wussten, dass sie das nicht zulassen durften. So
subventionierten sie es, und die Hausfrauen bekamen es für Viermarkfünfzig. Das
aber verschlimmerte die Finanzsituation im Großen. Ernst Peters musste mit der
Preisentwicklung Schritt halten. Dem kleinen Mann erschien die Lage schon
damals nur schwer erträglich zu sein. Doch das war erst der Anfang vom großen
Elend. Denn noch sahen die mittleren Produzenten und die Händler die
eigentlichen Gefahren zum Glück nicht so deutlich. Man hatte ja Geld in den
Fingern. Die zunächst noch von den mit Zahlen bedruckten Papierfetzen
hervorgerufene sonderbare Illusion verursachte, dass sich die Deutschen wieder
„hochrappelten.“ Ein gewisser Optimismus lag in der Luft. Das sahen die
Spitzenpolitiker Frankreichs und Englands mit Neid, und dieser Neid sollte
weitere böse Folgen zeitigen. Als Siegermächte fassten sie im Januar 1921 einen
für alle Deutschen verhängnisvollen Reparationsbeschluss. Unsere einst so
übermütige Nation, von ihren geistigen und geistlichen Führern in den
Kriegsrausch getrieben, hatte nun für ihre Sünden zu zahlen; für Verdun, für
Lüttich, für ihre gewonnene Schlacht bei den masurischen Seen gegen Russland.
Insgesamt
brummte das Welttribunal den Deutschen die ungeheure Strafe von
zweihundertundsechsundzwanzig Milliarden Goldmark auf. Zahlbar bis 1963,
jahraus, jahrein anteilig. Der Betrag
sollte in Goldmark und in Naturalien, Steinkohle und Handelswaren
geleistet werden, später nach Auflagen. Noch in diesem Schicksalsjahr 1921
waren zwei Milliarden fällig. Das drückte gewaltig auf die Hauptschlagader der
deutschen Volkswirtschaft.
Die
Arbeiter der Neubrandenburger Baustofffirma Jäger streikten, weil sie mit ihren
neunhundert Mark Monatslohn nicht mehr auskamen. Sogar die Fischerknechte
muckten auf. Jede Familie mit zwei oder drei Kindern, und das waren die
meisten, die Ende 1921 weniger als Zwölftausend im Jahr zur Verfügung hatte,
litt große Not.
Vor
dem 1. Weltkrieg verdiente der in der Stadt lebende mecklenburgische Arbeiter
in der 60-Stunden-Woche etwa fünfundzwanzig Mark. Aber er konnte sich sein Bier
leisten, sonntags sogar zwei Flaschen. Und je mehr er sich leisten konnte,
umsomehr Brauereiarbeiter fanden eine Beschäftigung. Dasselbe Rad konnte
allerdings zum Teufelsrad werden, wenn
es sich rückwärts drehte. Vor dem Krieg hatte jeder kleine Mann seinen
Sonntagsanzug. Wobei er für fünfzig Pfennige Anzahlung vom Neubrandenburger
Juden Rosenstein schon einen Billiganzug erwerben konnte, der schließlich nicht
teurer als dreizehn Mark war.
Selbst
die ärmste Fischerfrau besaß vor den schlimmen Jahren ihr Ausgehkleid, ihren
Hut und für Wintertage ihren Muff. Nun hätten sie den zwanzig-, dreißig-,
hundertfachen Betrag für dieselbe Ware hinblättern müssen. Damals kostete eine
Flasche Kulmbacher Bier zwanzig Pfennige, nun war sie unerschwinglich geworden.
Die Arbeiter saßen nach Feierabend mit gemischten Gefühlen in den Gasthäusern
und trauerten der guten alten Zeit nach, als ein Ei noch für einen halben
Groschen und ein breitrückiger Matjeshering für zwei Groschen zu haben war. Nun
kostete derselbe Fisch, wenn es ihn überhaupt gab, sechs Mark. Sie fluchten auf
die Ausbeuter und auf den Staat. In ihrer Trunkenheit gifteten die Männer
einander an, und zu Hause bekamen die Kinder Dresche für etwas, das sie nicht
verschuldet hatten.
Die
Reparationsleistungen und die schlechten Ernten (auch infolge einer verfehlten
Landwirtschaftspolitik) rissen in das Staatssäckel ungeheure Löcher. Der
diamantharte Dollar minderte den Tausch- und Realwert der Reichsmark, von
Tagesschwankungen abgesehen, unaufhörlich.
Zu
alledem fasste das Reichsgericht den verhängnisvollen Spruch: eine Mark ist
eine Mark. Ein Gläubiger, der 1914 eintausend Goldmark verliehen hatte, musste
1922 mit der Rückzahlung eines wertlosen Tausenders plus der Zinsen zufrieden
sein. Wer vor dem Krieg die glatte Summe von zehntausend auf seinem Konto
stehen hatte, besaß in Wahrheit noch, sage und schreibe, fünfunddreißig Mark.
Den Großen passierte das nicht. Die waren rechtzeitig in holländische und
dänische Währungen geflüchtet. Unter diesen Zwängen leidend, musste jeder
Finanzplan wie eine leergesaugte Hülle ihre Form verlieren und zusammenfallen.
Jeder Laie konnte voraussehen, dass dieser zähe Ball, in seinem Bestreben, sich
wieder herzustellen, den Schwächsten die
Atemluft nehmen würde. Wohl denen, die auf dem Lande lebten, oder wie die
Fischer, auch wenn sie bloß als Knechte schufteten, sich zusätzliche
Nahrungsquellen erschließen konnten und sei es auf illegale Weise.
So
zog das Jahr 1923 wie eine schwarze Gewitterwolke herauf. Die psychologischen
Folgen der Angst vor einer galoppierenden Inflation wirkten sich schließlich
als Katastrophe aus. Das plötzliche Misstrauen des Mittelstandes, die
staatliche Finanzpolitik sei auf Täuschung der Öffentlichkeit aufgebaut, reizte
und peitschte die Nerven aller. Vorsicht trieb die Händler zu überzogenen
Reaktionen. Das künstliche Finanzgefüge brach zusammen. Eine Schachtel
Streichhölzer, 1910 für einen einzigen Pfennig zu erwerben, kostete im November
1923 schließlich fünfundfünfzig Milliarden Mark. Selbst kleinere Fabriken mussten, um das Geld
zur Löhnung ihrer Arbeiter transportieren zu können, Pferdefuhrwerke zu den
Banken schicken. In sechzig deutschen Notendruckereien spuckten die insgesamt
1723 Druckmaschinen pausenlos Geldscheine mit astronomischen Zahlen aus. Tag
und Nacht liefen die Aggregate der Papierfabriken. In dieser Zeit der
Verschärfung der Konflikte warnte der Utah-Senator Reed Smoot den
amerikanischen Kongress davor, den Bogen zu überspannen. Smoot erklärte,
Deutschlands Bürger könnten durch die maßlosen Forderungen der Allierten ihren
Reparationszahlungen pünktlicher nachzukommen, in die Arme von Chauvinisten
getrieben werden.
In
einigen Orten wurde Notgeld gedruckt. Es löste die Probleme nicht. Weiterhin
überschwemmten die bunten Inflationscheine den Markt.
Einmal
hieß es: ”Gebt die blauen Scheine nicht aus” ein andermal: “Behaltet die roten,
die werden demnächst aufgewertet.”
Ernst
Peters kam trotz alledem einigermaßen zurecht. Seine „Massenfische“ - Plötzen,
Plieten -, die seine Kunden in guten Jahren kaum anschauten, konnte er
verhältnismäßig günstig verkaufen. Wenn alles wankte, seine Reusenpfähle auf
den Fangplätzen standen fest. Seine Maxime lautete, solange der Wert der
Geldscheine unbestimmt ist, gilt es, sich sofort von diesen Papieren zu
trennen. Die Summen vom Vormittagsverkauf setzte er mittags in unverderbliche
Waren um, die der Markt gerade anbot. Es schien, als wollte ihn das Schicksal
für solche Umsicht belohnen. Da gab es am Oberbach eine herrliche Villa, die
gehörte dem Juden Heimann. Sonderbarerweise war Herr Heimann davon überzeugt,
dass die blauen Scheine nach dem Währungstohuwabohu Zahlungsmittel sein würden.
Zweitens hegte er die Absicht auszuwandern, weshalb er schnell viel Geld
benötigte.
Heimann
bot dem Fischermeister das sehr geräumige Haus samt Garten zu einem
schauderhaft klingenden Preis an. Soundsoviele Billionen in blauen
Scheinen.
Ob
das sein Ernst sei? Der Jude nickte. Er habe den Eindruck, die Villa stünde am
falschen Ort. In Amerika müsste sein Haus stehen. Er könne seine Befürchtungen
nicht in Worte fassen, aber in Deutschland liege seine Zukunft nicht. Deshalb
sei er entschlossen, sofort davonzugehen.
Ernst
Peters fragte sich, ob er träume oder wache und ob sie das Geschäft denn auch
sofort abschließen könnten.
Herr
Heimann nickte abermals Zustimmung. Großfischereipächter Ernst Peters begab
sich nach Hause. Er eilte, er stürzte durch die Stadt heim und konnte mit dem
Verkäufer eine Stunde später einig werden. Heimann, offensichtlich von
irrationalen inneren Zwängen getrieben, unterschrieb und Peters hielt sich für
einen Liebling der Götter. Bei der Besichtigung des Grundstückes stellte er
fest, dass die Stallungen, das nahe Bollwerk, sowie sämtliche Umstände für ihn
und seine Zwecke wie geschaffen waren. Nur die Erlenbäume am Bach störten ihn.
Dass Peters die Bäume fällen lassen wollte, wurde in der Stadt bekannt. Alle,
die den Spaziergang am malerisch schönen Oberbach entlang zum nahen See
liebten, wandten sich hilfesuchend an die Stadtoberen. Die Ratsherren zuckten
mit den Achseln. Protestierend stellten sich ein paar beherzte Männer vor die
Bäume. Doch Fischer Peters beharrte darauf, dass er mit seinem Eigentum tun und
lassen könne, was er wolle.
„Das
kannst du nicht, Herr Großmaul!”, schimpften die Verteidiger des gefährdeten
Panoramas. Sie erregten die Stadtbevölkerung. Allerdings war der ganze Wirbel
umsonst. Rigoros setzte Ernst Peters seinen Willen durch. Krachend stürzten die
Erlen zu Boden.
Dass
er, wenig später, unmittelbar nach der Grundbucheintragung einen
Holzpantoffelmacher fand, der ihm für diese Erlen gerade die Summe bot, die er
selbst insgesamt für den Erwerb des Grundstückes aufgewandt hatte, war eine ihm
selbst geradezu unglaublich erscheinende Tatsache. Danach schrieb der ehemalige
Rekrutenausbilder in sein Bewusstsein den Satz: Ich bin der Größte!
Er
zog aus der Katharinenstraße aus einem schönen Wohnhaus in seinen neu
erworbenen Palast in Seenähe.
Er
ahnte nicht im Mindesten, dass bittere Monate und Jahre vor seiner Tür standen.
Fürs
Erste war er obenauf. Er erwarb für eine handvoll nicht gerade hochwertiger
Fische Kutschen und Kaleschen, Pferde und nagelneue Ledergeschirre. Seine Leute
spotteten, er ginge unter der Last des Glücks schon breitbeinig.
Was
wollte ihm das Schicksal nun noch anhaben? Das Beste des Lebens fiel ihm
selbstverständlich, wie Regen dem Acker, zu. Doch als wollte ihm eine
unbekannte Macht beweisen, dass die Gerüchte von der realen Existenz einer
ausgleichenden Gerechtigkeit mehr sind als Fiktionen der Nervenschwachen,
schlug das Schicksal aus dem vollen Lauf heraus unerwartet einen scharfen
Haken.
Die
Nachwehen der bald überwundenen Inflationszeit, kombiniert mit Fischerpech,
sollten ihn noch an den Rand des Wahnsinns treiben.
Ursache
war der Gedanke eines Finanzgenies. Dieser Jemand war auf die tragfähige Idee
gekommen, eine Währungseinheit zu schaffen, die durch auf Gold lautende
Rentenbriefe gedeckt wäre. So kam die berühmte Rentenmark in Umlauf. Hausfrauen
konnten ein Brot wieder für einen Preis unter einer Mark erwerben. Die Arbeiter
mussten den sauerverdienten Wochenlohn nicht mehr in der Aktentasche oder in
einem Wäschekarton nach Hause schleppen.
Diese Wendung sollte das Überleben der großen Bevölkerungsmehrheit wieder
bezahlbar machen.
Schlagartig
minderten sich dagegen die Chancen für Glücksritter aller Schattierungen. Die
Pächter von Feldern und Seen mussten zu ihrem Leidwesen nach 1924 wieder in bar
zahlen. Das tat ihnen sehr weh. Für Ernst Peters bedeutete dies, für
zwölftausend Rentenmark Fische zusätzlich verkaufen zu müssen. Er stöhnte laut,
als ihn diese Normalität einholte. Außerdem fingen seine Männer im Jahre 1925
miserabel. Sie fingen entschieden zu wenige Fische.
Schon
bald, ab Mitte 1926, musste er kurzfristig bei Bekannten und Freunden Geld
leihen. Und nur wenige Monate später mahnte ihn schon der Bürgermeister,
pünktlicher seinen Verbindlichkeiten nachzukommen.
Seinem
Ärger über diese Aufforderung zur Zahlung machte er an der falschen Stelle
Luft. Wadenmeister Jan Schlämann, den er mitsamt seinen wertvollen
Fängererfahrungen von seinem Vorgänger übernommen hatte, kratzte sich ratlos
das Kinn, als er die rüden Vorwürfe des unter zunehmendem Zahlungsdruck
stehenden Pächters hörte. Das war leicht gesagt, gefälligst mehr und bessere
Fische vom See heranzubringen. Peters belehrte Jan Schlämann in
ungerechtfertigt harschem Ton. Die Bevölkerung drehe jetzt jeden Pfennig
dreimal in der Tasche um, ehe sie ihn ausgebe. Mit ihren spitzen Fingern
wühlten die Hausfrauen mäkelnd wie noch nie in seinen Fischkisten herum. „Se
hem ja blot Wittfisch!“4
Er
sei ein Plietenfischer!
Das
war eine schwere Beleidigung. Schlämann
allerdings gab zu, er brächte in letzter Zeit vom Tollensesee überwiegend
Plötzen und überhaupt immer weniger Fische heim, aber er müsse sich und seine
Männer deshalb jedoch noch lange nicht beschimpfen lassen. Von Peters nicht und
von niemandem. Sie wären fleißiger denn je. Das sei doch keine Bewirtschaftung
des Tollensesees gewesen, was sie in letzten sieben Jahren betrieben hätten,
sondern Raubbau auf Pächters Befehl hin. Er habe ja den Rachen nicht voll genug
bekommen können. „Disse Frechheit hew ick nich hürt!“5, entrüstete
sich Ernst Peters. Doch Schlämann konterte, immer noch ruhig: „De Uprägung
steiht sei ditmol nich an!“6 Und überhaupt verlange er für sich und
die Männer mehr Geld. Mit dem Kopf auf die Villa weisend, meinte er, so schlecht
ginge es Peters ja nicht. Es wurmte ihn seit langem. Der Rekrutenschinder saß
in dem schönen Haus wie ein Schwan auf seinem sturmsicheren Nest und sie waren
bloß dazu da ihn noch hochmütiger zu machen. „Aach! Dorher weiht de Wind!“7,
jaulte der Getroffene. „Dorher weiht de Wind!“, echote Schlämann, ausnahmsweise
unbesonnen. Beide Männer setzten
zeitgleich einen Schritt aufeinander zu. Fast hätten sie sich berührt. Zum
ersten Mal standen sich der raubeinige Exrekrutenausbilder und sein langer
Gentlemanfischer ungewollt erhitzt, Aug‘ in Auge gegenüber, bereit zu
handfester Auseinandersetzung.
Die
Stimmung erschien den Fängern unerträglich. Ausnahmslos hielten sie zu ihrem
Wadenmeister.
Wenn der Pächter nicht sofort das Maul
hielt, passierte ein Unglück. Falls Peters Faust auch nur zuckte, würden sie
ihm bedenkenlos an die Gurgel springen. Die große Geschäftigkeit täuschten sie
nur vor.
Bis
es plötzlich wie ein Peitschenschlag in sie hineinknallte: „Wenn juch dat bi mi
nich passt, denn söcht juch annere Arbeit!“8 Den überraschten
Männern ging der Mund auf. Sofort war ihnen klar, dass ein Hinauswurf
Dauerarbeitslosigkeit bedeutete.
Peters
sah befriedigt, dass dieser Hieb gesessen hatte. Wäre er gescheit gewesen,
hätte er sich vorsichtig umgedreht und wäre zurück ins Haus gegangen. Mehr als
diese Nachdenklichkeit konnte er nicht zuwege bringen. Übermütig jedoch fasste
er nach. Viel zu schnell. Er erwarte, dass sie, solange sie sein Brot
verzehrten, untertänig parierten. Ab sofort wünsche er, dass sie täglich einen
Fischzug mehr machten, also vier statt drei und zwar für dasselbe Geld.
Das war
zuviel. Mit dieser Provokation hatte er die Grenze überschritten. Schlämann
reckte sich. Jetzt musste er handeln. Das gebot ihm die Selbstachtung. Seine
Leute, die gerade den ungewöhnlich guten Liepser Nachtfang aus dem Schweff
gekeschert hatten, standen immer noch wie erstarrt. Zwölf Kisten voller großer
Bleie und Hechte, die sie in der Nacht gefangen hatten, bezeugten ihren Fleiß.
Es lag eine Dringendbestellung aus der Küche der Artilleriekasernen vor.
Schlämanns redlicher Überzeugung nach hätte der Pächter dankbar und versöhnlich
sein sollen. In diesen Sekunden der Hochspannung hörte man nichts als das
Poltern der gegen die Kistendeckel schlagenden, vergeblich um ihr Leben
kämpfenden Fische. Peters, der schon glaubte das Machtwort gesprochen zu haben,
meinte plötzlich seinen Augen nicht zu trauen. Sein Wadenmeister ging, hob eine
der gefüllten Fischkisten und schüttete den zappelnden Inhalt zurück ins freie
Wasser. Er nahm, ehe Peters herankam, eine zweite Kiste und schüttete sie
ebenfalls aus. Die kräftigen Fische schlugen mit den Schwänzen. „Jan!“ schrie
Neumann. Schlämann drehte sich ruckartig um. Ernst Peters hielt einen
Kescherstiel schlagbereit. Die grauen Augen des Wadenmeisters warnten ihn
dringend. Peters musste auch die Blicke der sechs Männer spüren, die ihm Funken
ins Genick sprühten. Der Fischereipächter erkannte, dass sie den Verstand
verloren hatten und dass es plötzlich ums nackte Leben ging. Seine Autorität
aufs Spiel setzend rannte er weg. Vor der Haustür stoppte Peters jäh, drückte
das Kreuz durch, wandte sich um. Markerschütternd schrie der Gedemütigte: „Jan!
Kommens in min Büro!“9 Er glaubte oder hoffte wenigstens, mit dem
letzten aller tauglichen Mittel dem stolzen Mann bei zu kommen. Die Papiere
würde er ihm vor die Füße schmeißen und gleich ihm den anderen unbotmäßigen
Fischerknechten. Theater war es. Auf beiden Seiten.
Ein zähes Ringen. Sie konnten aufeinander nicht verzichten. Schlämann gab zähneknirschend
nach und sagte atemringend: „Meisting, loten se dat man good sünd. Wie willn
uns doch nich vertürnen.”10 Auch
Peters gab nach. Am nächsten Fangtag äußerte er einlenkend, drei gute Fischzüge
wären besser als vier schlechte. Der soziale Friede war vorübergehend gerettet.
Vom
leichten Anstieg des Lebensstandards 1928 bemerkten die Menschen vor allem in
den ländlichen Gegenden wenig. Strümpfe, Nahrungsmittel, Schuhe waren billig.
Aber die wenigen Groschen, die sie verdienten, rannen wie Wasser durch die
Finger.
Im
Dezember 1924 hatte es zum ersten Mal nach dem Krieg eine Million Arbeitslose
gegeben. Ende 1928 waren es, nach kurzzeitiger Besserung, schon über drei
Millionen, die teilweise in langen Schlangen vor den Arbeitsämtern anstanden.
Man ging „stempeln”, empfing Arbeitslosenunterstützung. Hunderte
Neubrandenburger Familienväter bekamen wöchentlich 6,25 Mark Arbeitslosengeld.
Davon konnten sie sich keine Butter und nur selten Frischfische leisten. Allein
die Miete verschlang mehr als die Hälfte des Geldes. Nicht wenige Raucher
schämten sich, dass sie ihrer Frau die letzten fünfzig Pfennige stahlen. Da
half alles Jammern nicht.
Wer
noch eine Arbeitsstelle hatte, biss die Zähne zusammen.
Aufstieg mit
Schmerzen
Statt
ihnen mehr zu geben, beschnitt Peters wieder einmal das Deputat seiner Leute.
Denn auch er musste mehr denn je rechnen. Dennoch ging keine seiner vielen
Kalkulationen auf.
Wenn
sie ihn weit weg wussten, verfluchten die Wadenfischer den alten Geizkragen.
Allerdings in seiner Haut stecken wollten sie auch nicht, währenddem er richtig
vermutete, dass sie ihn beklauten.
Ehrlich
gefragt, war das Diebstahl, von den Massen selbst gefangener Fische, die Mutter
Natur wachsen ließ und nicht Meister Peters, sich zusätzlich ein paar Stück
einzusacken, damit die Mäuler daheim und die große, erwartungsvolle
Verwandtschaft gleichfalls nicht klagten? Mit den Peterschen Bettelpfennigen
konnte man einfach nicht durchkommen. Es gab kein Erbarmen in diesem Kampf ums
Dasein. Auch die Stadtväter kannten keine Gnade mit dem zahlungsunfähigen
Pächter des Tollensesees. Sie schickten eine Zahlungsaufforderung nach der
anderen. Denn ständig war des Kämmerers Kasse leer. Dabei wollte jeder am
vermuteten Reichtum der gewachsenen Stadt teilnehmen.
Hoffnungsvoll
richteten sich die Blicke aller Mütter auf die Zukunft. Denn so konnte es nicht
weitergehen. Andererseits fielen in jedem Herbst der ausgehenden Zwanziger mit
den Blättern auch die Hoffnungen. Viele verloren den Glauben, dass es je wieder
so schön wie vor dem Krieg werden könnte. Immer wieder hatten sie die Kinder am
Heiligabend vergeblich vertröstet, im nächsten Jahr ginge der Weihnachtsmann
nicht wieder an ihrer Wohnungstür vorbei, sondern würde dann mit einem großen
Sack voll guter Gaben hereinkommen. Und nun? Die Ungewissheit wuchs. Zu den
wenigen Gewissheiten für die jungen Frauen gehörte die nächste Schwangerschaft.
Ernst Peters musste sich erneut bei Privatleuten Geld borgen. Im Vertrauen
darauf, dass sich der Fischreichtum wie eine Goldader im eigenen Claim vor
seinen Füßen befinden würde,
gingen einige der besser gestellten Neubrandenburger das Risiko ein und gaben
ihm zu ihren Bedingungen, was er verlangte. Da brach aber nach allem Ungemach
das ganz große Unglück herein. Nach einer Periode erträglicher
Wintertemperaturen kam Mitte Januar 1929 für alle eine böse Überraschung.
Plötzlich wälzten sich über Nordeuropa und Deutschland extrem kalte Luftmassen.
Viele hatten schon geglaubt und gehofft, dass ihnen ein zeitiger Frühling
bevorstünde und damit vielleicht sogar der Aufstieg aus dem Elend. Zuvor war
Schnee gefallen. Wadenhoch lag die weiße Decke. Seit langem hatte kein Winter
die Menschen und die kleineren Unternehmen so unvorbereitet angetroffen wie
dieser. In den Stuben der meisten Einwohner vereiste das Pumpenwasser im Eimer,
sogar die Pumpen versagten schließlich. Die Städter mussten zum Preis von 5
Pfennigen je Eimer aus den Hydranten versorgt werden.
Krachende
Kälte herrschte. Morgens zeigte das Thermometer nicht selten minus
fünfundzwanzig Grad Celsius an. Wenn der Morgenwind aufkam, waren die Straßen
menschenleer. Niemand wagte weite Strecken zu gehen, um auf dem Lande für wenig
gutes Geld viele Kartoffeln einzukaufen. Sie gefroren im Sack zu Stein. Mit
Schubkarre und Handwagen zogen viele der auch durch die Witterung arbeitslos
gewordenen Männer in die umliegenden Forsten. Sie fegten die Waldböden von
allem Brennbaren frei. Sorgenvolle Blicke richteten sich auf den tiefblauen
Himmel. Denn das Hoch erwies sich als sehr stabil und die Nächte waren noch
recht lang. Wenn sie in der Kneipe beieinander hockten, drehten sich die
Gespräche ums Essen, die sibirische Eisluft und die Politik. Es hieß, russische
Winter seien erträglicher, weil die Luft dort trockener wäre. Überhaupt sei
dort jetzt alles besser, sagten die einen. Die Sowjetunion, „das Arbeiter - und
Bauern -Paradies“ stand ihnen wie ein Garten Eden vor Augen. Manche schworen
darauf, andere widersprachen. Zu entscheiden, ob die langfristige Besserung von
Moskau oder von Berlin kommen könnte, von den Kommunisten mit Teddy Thälmann
oder von Hindenburg und Hitler, war schwierig. Viele glaubten an gar nichts
mehr. Sie fühlten sich von Gott, dem Kaiser und ihrem Glück verlassen.
Natürlich mussten sie nächstes Mal wieder zur Wahl gehen, aber die da oben
würden ja doch machen, was sie wollen, sagten die Gleichgültigen, und deshalb
sei es egal, ob die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei oder die
Kommunisten ans Ruder kämen. Andere meinten man sei nun einmal Deutscher und
stünde deshalb einem Deutschnationalen näher als seinem Feind.
Die
Fischerknechte hatten zusätzliche Sorgen. Zwar war der Tollensesee nun
zugefroren, doch sein Eismantel wuchs unentwegt. Außerdem verbot sich das
Fischen bei Temperaturen unter minus
fünfzehn Grad Celsius.
Sie
sagten selbst, der tiefgefrorene Baumwollfaden, aus dem das Zugnetz nun einmal
bestand, könnte brechen. Auch fürchteten die Männer sie könnten sich
Erfrierungen zuziehen, denn man kann das Netz nicht mit Handschuhen einholen.
So hauchten die Fänger daheim Löcher in die Eishaut ihrer Fensterscheiben,
statt das Eis des Sees aufzubrechen. Trübsinnig starrten sie vor sich hin, denn
ihr Verdienst hing direkt vom Fischaufkommen ab. Es schmerzte sie, so hilflos
den Launen der Natur ausgesetzt zu sein. Manchmal um die Mittagszeit trafen sie
sich in der Stadt, manchmal in der Nähe des Petersgehöftes.
Ernst
Peters, wenn sie ihn ansprachen, ging wortkarg an ihnen vorbei. Sie seien
arbeitslos, meinte er, und er hätte mit ihnen nichts zu schaffen. Sie sollten
ihr Geld vom Arbeitsamt beziehen. Nur Hermann Müller, das Fliegengewicht,
beschäftigte er als Netzmacher weiter. Der Asthmatiker hielt ihm das Geschirr
instand, fertigte auf dem beheizbaren Netzboden auch neues an. Und da war noch
ein junger Mann, - derselbe, den Franz Meltz an jenem Weihnachtsmorgen des
Jahres 1920 mit den Worten, er sei noch zu spack, abgewiesen hatte. Fritz
Biederstaedt. Auch ihn hielt sich Peters ständig. Fritz fiel auf durch seine
Sattelnase. Er hatte die Fähigkeit seinen derben Gesichtszügen jederzeit ein
gewinnendes Lächeln aufsetzen zu können. Fritz war in seinen Lehrjahren in
besten Berliner Häusern in die Breite gegangen und hatte dort vor allem
gelernt, widerspruchslos zu gehorchen. Jedenfalls sagte er immer nur: „Ja!
Meister!“ Das half ihm.
Dass
er allerdings sowieso machte, was er
wollte, hütete er als sein Geheimnis. Aber er hielt Peters wenigstens die Menge
der Gläubiger vom Hals. „Der Meister ist verreist.“ Das war er in der Tat,
verreist ins Traumland.
Das große Los
Mitunter
stand Ernst Peters tagelang nicht auf. Er stieß, wenn er seinen Getreuen sah,
kurz das Fenster auf und wollte von Fritz wissen, wie das Wetter sei, zog sich
allerdings sogleich mit einem Seufzer zurück ins Bett, griff darunter und fand
vielleicht unter den leeren Flaschen auch eine mit Inhalt. Wer das prächtige
Fischerhaus sah, hätte nicht glauben wollen, wie viel Kummer es beherbergte.
Wenn die Pechsträhne sich in die Länge zog, verlor Peters am Ende noch das
schöne Dach über dem Kopf. Wie gewonnen, so zerronnen! Das würden seine Neider
hämisch vermerken. Im März, endlich, änderte sich die Wetterlage. Es kündigte
sich das Ende der Herrschaft des Winters an. Bis dahin hatte der Tieffrost sich
in die glasharte Haut des Gewässers gekrallt und sie hier und da mit seiner
titanenhaften Kraft kilometerweit aufgerissen. Wie von Schmerz erfüllt hatte
der See jedesmal aufgebrüllt. Es schallte schaurig, wenn die Eismassen barsten.
Nicht selten schob diese Urkraft große Eisplatten übereinander oder weit aufs
feste Land hinauf und türmte sie dort zu Bergen. Peters hätte es nicht bemerkt,
wenn Fritz nicht zu ihm gekommen wäre
Fritz
Biederstaedt schaute sich in der verdunkelten Stube um, in die er, nach einer
Weile vergeblichen Klopfens, eingedrungen war. Da wölbte sich der Körper des
reglosen Mannes und Fritz Biederstaedt sah den Strick unter dem Bett liegen. Er
erschrak bei der Vorstellung, was das bedeutete. Mit einem Redeschwall
versuchte er seinen Herrn zu wecken, um ihn dann auf helle Gedanken zu bringen:
„Meisting! Meister! Ick glöw, wi könn‘n nu to Is fischen!“11 Der Pächter reagierte langsam. Er flüsterte
etwas, murmelte vor sich hin, alle wollten ihm an den Kragen. Er zählte ein
paar Namen auf. Die Liste seiner Gläubiger. Auch der Name Meltz kam über seine
spröden Lippen. Dabei nickte er mit dem Kopf. Meltz hatte ihn gewarnt. Als er
endlich begriff forderte der Pächter seinen treuen Fritz auf, die Männer
zusammenzutrommeln.
Sie
sollten um Himmels Willen wieder anfangen zu arbeiten. Fritz sprang aufgeregt
durch die sich allmählich wieder belebenden Straßen, um die Stammfischer auf
die Beine zu bringen. Die Frage, ob der Geizkragen sie auch entlohnen könne und
wolle, verkniffen die Fänger sich. Sie kamen erneut hoffnungsvoll, verluden das
knochentrockene Garn, die Gaffeln und Stangen, die Seile und Haken.
Nachdenklich allerdings betrachteten sie die Eisäxte. Das ging nicht an. Sie
müssten Riesenlöcher schlagen, anders ließe sich der Eisblock nicht
heraushieven. Und das alle fünfzehn Schritte. Vierzig Löcher für jede Seite des
Zuges waren erforderlich! Mindestens! Wer wollte das leisten? Sie benötigten
doppelt soviel Leute! Die würde Peters ihnen nicht zugestehen.
Nach
einigem Hin und Her beschlossen sie, sich zuerst zu einigen, welchen Zug sie
ziehen würden. Jan Schlämann sprach sich für Zanderskamp aus, einen
zuverlässigen Winterzug, allerdings am anderen Seeende gelegen. Die Männer
schüttelten die Köpfe. Zehn Kilometer Hinmarsch, zehn zurück, ein Stück Arbeit
für sich. Zudem sei der See von Spalten durchzogen.
Lieber
würden sie „Linden“ ziehen. Das waren nur anderthalb Kilometer Fußmarsch. Ja,
aber! Man könne mit „Linden“ Pech haben. Sie wollten glauben, dass sie gut
fangen würden. Am ersten Tag würden sie die Löcher für die Jageruten schlagen,
am nächsten das Zeug zum Fischen ins Wasser einlassen. Als sie vor Ort ankamen,
stellten sie fest, dass es, wie sie schon befürchtet hatten, nicht möglich war,
den sechzig Zentimeter starken Eispanzer an einhundert verschiedenen Stellen
auf herkömmliche Weise aufzubrechen. Das aber war unumgänglich.
Die
Jagerute musste unter dem Eismantel vorwärts bewegt werden. Denn an ihr hingen
die Leinen. Diese waren zu den Orten zu transportieren, wo die Windenschlitten
standen.
Dorthin
jeweils sollten schubweise die Zugnetzflügel herangezogen werden. Schließlich
wurden sie im Uferbereich ans Tageslicht geholt. Einer der Altgedienten
erinnerte sich, dass in Ostpreußen in solchen Fällen Stoßäxte eingesetzt
wurden. Man nahm einen gut meterlangen Stahlstab, ließ vom Schmied seine Enden
umschlagen, das eine um es wie einen Meißel anzuspitzen, das andere wurde mit
einem Griff versehen, ähnlich dem einer Handramme. Damit konnten sie das
Eisloch erheblich kleiner halten. Das ausgesplitterte Eis schwamm sogleich
oben, auch wenn nur ein winziger Durchbruch erzielt wurde. So konnte es leicht
vom aufschießenden Wasser abgeschöpft werden und der Arbeitsaufwand reduzierte
sich beträchtlich. Endlich waren sie soweit. Sie öffneten den Zug und das
Inlett. Sie fuhren das Zugnetz hinter das große Loch. Mit einem Trick drehten
sie die Schlitten und stießen sie rückwärts ins Wasser, zogen die
Sicherungsschleifen auf und entließen das zehn Meter tiefe und zweimal
zweihundert Meter lange Garn in die Seetiefe. Ihre Erwartungen spannten sie
hoch. Sie hasteten vorwärts und machten sich ans Werk. Vier Stunden später kam
das Wintergarn wieder ans Tageslicht. Mit großem Hallo wurden die ersten
kleinen in den Netzflügeln steckenden Plötzen begrüßt. Doch die Männer fingen
erbärmlich wenig. Nur ein paar kleine Hechte, eine Kiste voll brauchbarer
Fische blieben übrig, nachdem sie sich selbst, allerdings nur bescheiden
bedient hatten. Es wäre ihnen nicht schwer gefallen, den ganzen Fang restlos
aufzuteilen.
Als
es eine ganz Woche lang so ging, begannen sie zu zweifeln, ob es überhaupt Sinn
habe, was sie unternahmen.
Fritz,
der am Tage zuvor einen der Hauptgläubiger kopfschüttelnd das Petershaus
verlassen sah, empfand die ganze Dramatik der Situation. Wenn es Peters nicht
mehr gab, dann standen auch er und die anderen Männer im Dunkeln. Niemand in
der Stadt würde ihn, Karl Neumann oder einen der anderen Männer einstellen.
Auch mit der hochherrschaftlichen Dienerei war es ein für allemal vorbei.
Morgen für Morgen war er nun vergeblich an der Seite Jan Schlämanns übers
gleißende Eis gezockelt.
Noch
einen Zug! Nicht weit vorausdenken, sondern nur den neuen Tag durchhalten.
Zähne zusammenbeißen, nicht aufgeben! Die steif gefrorene Schlittenleine
geschultert, stemmte Fritz seine Eiskrampen, die er zwischen Hacken und Sohlen
seiner sorgfältig eingefetteten Lederstiefel trug, ins spiegelglatte Kristall.
Daran wird er sich nie gewöhnen, auf diesen Eispickeln zu gehen. Spätestens
nach einer Stunde Marsch empfand er jeden weiteren Kilometer Wegstrecke als
Qual. Unentwegt drückten die Eisen unter das Fußgewölbe. Die ganze
Körperschwere schien nur auf diesen drei empfindlichen Quadratzoll seiner
Fußsohlen zu lasten.
Mittags
dagegen, nachdem die Sonne die Oberflächen aufgeweicht hatte, patschten sie in
der Eispampe, die nicht abfließen konnte, weil die untere Hälfte der Eishaut
sich als immer noch undurchlässig erwies. Unter diesen Umständen war es
schwierig, allein die Schlitten vom Fleck wegzureißen. Sie erwogen, das
Eisfischen aufzugeben und zu warten, bis die Sonne ganze Arbeit geleistet
hatte. Denn die Bächlein gluckerten schon. Allnächtlich jedoch wurden die
Eisflächen wieder vom Frost gehärtet.
Karl
Neumann, der klotzige Mann mit der hasenschartigen Lippe, jung verheiratet wie
Fritz Biederstaedt, bestand darauf, dass sie noch den Fischzug vor Alt-Rehse
machen sollten. Karl wünschte eher, auf dem See zu sterben als sich zu Hause
den lieben, langen Tag hindurch Vorhaltungen machen zu lassen, er fresse seinem
Sohn die Haare vom Kopf. Denn sein Eheweib war nicht gerade ausgesprochen
friedfertig.
Ob
er von Sinnen sei, fragten ihn seine Leidensgenossen mit gemeinen Ausdrücken,
die er trotz seiner kolossalen Körperkräfte nie verwandt hätte, weil er eine
natürliche Scheu davor empfand, seine Mitmenschen mutwillig zu Zornesäußerungen
herauszufordern.
Wenn
sie, wie er empfahl, da hinaufzögen, in die weit entfernteste Seeecke, dann
wären sie ja schon kaputt, ehe sie ankämen.
Karl beharrte diesmal. Fritz Biederstaedt fixierte seinen Widersacher
ärgerlich, dem er sich weit überlegen fühlte, weil der Kerl, wie er meinte,
nicht einmal mit Messer und Gabel zu essen verstand, sondern nur den Löffel und
die Finger als Essbesteck kannte. Doch bei der Erwähnung des Fischzuges vor
Alt-Rehse, war ihm zumute gewesen, als hätte er selbst den Vorschlag
unterbreitet. Immer gerieten sie beide aneinander. Fritz Biederstaedt mit
forschen Redensarten, Karl mit seinem walrossartigen Schnauben und dem
Vorwerfen seines Bauches. Es zuckte dem fünfundzwanzigjährigen Muskelmenschen
in den Fingern. Er verkrallte sie auch, wenn er in Wut geriet. Doch sie griffen
immer nur die Luft. Manchmal fürchtete Biederstaedt sich vor diesen mächtigen
Fäusten, denn es gab keine Garantie, dass er sie nicht doch einmal einsetzen
würde. Neumann schaute ihn diesmal geradezu bittend an. Er wusste, von
Biederstaedt Äußerung würde abhängen, ob sie diesen einen Fangversuch noch
machten oder nicht. Jan Schlämann wagte nicht, etwas zu sagen. Ihn drückten die
letzten Misserfolge nieder. Fritz dagegen könnte unbeschwert entscheiden.
Karl
kaute wie immer, wenn er ungeduldig wurde, an einem der Enden seines mächtigen,
blonden Schnurrbartes und wartete. Der große Mund ging ihm auf, als er Biederstaedt unerwartet
reden hörte: „Los Lüd! Korl hett Recht. Trecken wie noch Old-Rähse!“12
Die sieben anderen Männer wogen die
buntbemützen Köpfe zunächst eher ablehnend, dann wankend und schließlich
zustimmend, weil auch Jan Schlämann sich zum letzten Eiszug des Jahres 1929
bekannte.
Es
war schon spät an diesem Nachmittag, aber das Eis wegen der Himmelsbedeckung
noch leidlich fest.
Sie beschlossen, das Wadenzeug noch
einige Kilometer weiter in Richtung Südwesten zu schleppen um festzustellen, ob
ihnen durch ‚Busten‘ der Weg versperrt würde oder nicht. Obwohl sich zur Linken
in Richtung Klein Nemerow weithin verlaufende blaue, klafterbreite Rinnen
zeigten und gewaltige Eisbarrieren auf den beiden Landzungen Buchort und Gatsch
Eck in die Höhe ragten, erkannten sie nach einstündigem Marsch, dass der Weg
frei war. Am nächsten Morgen, als sie von Neubrandenburg loszogen, sahen sie
alles riesengroß. Das bedeutete Sturm, zumindest eine erhebliche
Wetteränderung. Oben auf einem der Eisberge lag hingestreckt eine große Erle,
die viele Winter überdauert hatte, nur diesen einen nicht.
Schweigend
erreichten sie ihre Schlitten, schulterten die Seile und wuchteten los in
Richtung Grote Lanke, vor Alt Rehse. Endlich vor Ort angekommen, warf der
Wadenmeister Jan Schlämann die Schlittenleine prustend ab. „Man tau!“13,
sagte er ein wenig brummig, weil sie ihm so viele Züge schon abgenötigt hatten,
die nichts eingebracht hatten. Weiß der Kuckuck, wo die Fischschwärme sich
hingezogen haben mochten.
„Wennt wat
wat, denn wat dat wat!“14, kalauerte Fritz den Spruch des
Wadenmeisters zu Ende. Schlämann versprach ihnen dies sei der letzte Versuch.
Danach ginge es zu Kahn im offenen Wasser weiter. Schlämann galt als Genie. Er
kannte die tausend Tricks der Fischerei: Wann und wo bei welchem Wetter und bei
welcher Mondkonstellation gute Fische gefangen werden konnten. Nur bei Eisbedeckung
hatten seine Voraussagen bisher nichts getaugt. Sonst konnte er alles. Er
kannte und nannte und erklärte jedem, der sich dafür interessierte, wenn er mit
ihm über den nächtlichen See fuhr, die Namen der
auffälligsten Sternbilder: Großer und Kleiner Bär, den Himmelsdrachen und
Kassiopeia. Die Keplerschen Gesetze, sogar das komplizierte dritte vermochte er
verständlich zu erläutern. Er besaß eine gewisse Vorstellung von den ungeheuren
Dimensionen der Milchstraße und den
Details des Sonnensystems. Mitunter, in
besonders klaren Nächten, wies er hinauf und behauptete, es gäbe im Weltall
mehr Sterne als Sandkörner auf der Erde. Das erschien den Fischern natürlich
übertrieben, denn auch sie hatten gewisse Vorstellungen, nämlich wie viele
Körnchen sich allein in einer einzigen Sanduhr befanden. Schlämann aber liebte
es, laut über die Unendlichkeit nachzusinnen. Selbstverständlich ging es hier
nicht um die Werte der Ewigkeit, sondern buchstäblich nur ums Heute und Morgen,
ums eigene Überleben und das des Pächters Peters. Seufzend stieß der hochgewachsene Schlämann die
Stoßaxt ins Zentrum des damit markierten Inletts. Das mussten sie aufbrechen,
dahinein würden sie eine Stunde später die Schlitten stoßen und mit ihnen das
Winternetz. Dahinein würden sie dann die achtzehn Schritte langen Jageruten
schieben, um sie von Loch zu Loch weiterzubefördern. Bald warfen die Männer
ihre Joppen ab. Sie zertrümmerten die Hauptscholle in drei Teile, die einen
drückten auf die seeseitigen Kanten des nun frei schwimmenden Eises und die
anderen stießen die Spitzen ihrer an langen Stangen befestigten Piekhaken in
die sich leicht aus dem Seewasser erhebenden Ränder und schoben so die
tonnenschweren Brocken mit Anstrengung unter die unversehrte Eisfläche.
Dunkelgrünes, dumpf riechendes Süßwasser gluckste auf und dehnte sich
schließlich auf zehn Quadratmetern aus. Die „Jäger“ banden die
zentimeterstarken bis zu sechzig Meter langen Zugseile an die Butttampen, an
denen das Netz hing. Dann beeilten sie sich, ihre Ruten von Loch zu Loch zu
schieben und folgten den „Stößern“. Auf ihren Rücken wippten die geflickten,
von zahllosen Regengüssen ausgewaschenen Fischersäcke, in denen das Frühstück
und die Kaffeeflasche sowie trockene Strümpfe und Kleidung steckten. Etwa
fünfhundert Meter Wegstrecke lagen vor ihnen. Schweißgebadet beeilten sie sich,
denn die Jäger waren ihnen auf den Fersen und kurz hinter denen kamen hüben und
drüben schon die beiden Männer mit den Schlittenwinden, die das Zeug immer
weiter in das abzufischende Gebiet hineinbeförderten. Sie mussten sich sputen,
denn der Arbeitstag war nicht eher zu Ende, bis das Zugnetz jeden Quadratmeter
der riesigen Fläche umfasst hatte, bis alles wieder am fernen Seeufer ans
Tageslicht befördert wurde und danach richtig verstaut auf den beiden Schlitten
verteilt lag. Die Stammplätze der beiden größten Kontrahenten befanden sich
jeweils an den auf ihren Arbeitsschlitten montierten Knüppelwinden ihrer
Flügel. Der eine arbeitete auf der rechten Seite, der andere auf der linken,
beide dreihundert Meter voneinander getrennt, jeder den anderen scharf im Auge,
ob er Schritt halten könne. Beide bereit, tadelnd hin und herüber zu schreien:
Korl, du büst all to wiet! oder: Fritz hol up! Im Stillen lag jeder der Fänger
mit seinem Gewissen im Streit. Man bekam einen frühen Feierabend, wenn so gut
wie nichts gefangen wurde. Aber wenn man´s nur für die Katze fing, lohnte es
erst recht nicht. Je weiter die Windenleute kamen, umso schwerer wog die Last
der sich systematisch entfaltenden Netzwände. Allmählich bewegte sich der
Wadensack, der noch zum Teil auf dem Hintereis des Inletts ausgebreitet dalag,
den Jan Schlämann mit großer Umsicht nur gleichmäßig ins Wasser rutschen ließ.
Waren die Männer an den Windenschlitten zu schnell, dann riss es den Sack zur
Seite. Das veranlasste den Wadenmeister, einen Finger in den Mund zu stecken
und laut zu pfeifen. Sie schauten dann hin zu ihm und wurden dirigiert. Er
winkte auch mit der erhobenen Hand als Zeichen, dass beide Seiten gleich weit
gezogen worden waren. Wie ein paar ins Riesenhafte ausgestreckte Arme müssen
beide Flügel zu Seiten des großen Wadensackes die vielleicht vorhandenen
Fischschwärme umzingeln und sie in der Finsternis, die unter solchem starken
und zudem milchig getrübten sowie mit Schnee bedeckten Eis herrscht,
zusammenhalten. Nur wenn das im zehntel Schritttempo vorwärts bewegte Netz
einigermaßen gleichseitig läuft, kann es die begehrten Fische auch überlisten.
Die
Fischerknechte mit ihren Stoßäxten arbeiteten sich bereits wieder, nachdem sie
in Schilfnähe angekommen waren, aufeinander zu. Bald würden sie das Aufzugsloch
schlagen können, so groß wie das Inlett. Wie an den Vortagen erwärmte sie die
Sonne. Über dem gelben Ried flimmerte die unbewegte Luft. Das Himmelsblau nahm
gegen ein Uhr weißliche Farbe an. Mitten im Eis stehend, empfingen sie den
Frühling. Fast fünf Stunden Schwerstarbeit lagen hinter ihnen, und doch begann
der wichtigste und auch spannendste Teil ihrer Tätigkeit erst in dem
Augenblick, wenn die Buttstücke, die Wadenanfänge, sich bemerkbar machten,
indem sie raschelnd zwischen den frei schwimmenden Eissplittern aus dem Wasser
auftauchten. Dann wurden die beiden Flügel des Netzes, zuerst von den im Uferbereich verankerten
Handwinden und später von Hand herausgezogen. Vom Beginn des Netzeinholens an
ist alle bisherige Schwere und Knüppelei vergessen, wie anstrengend der Rest
der Arbeit auch noch sein mochte, weil sich nun bald erweisen sollte, was ihnen
der Zug bescherte. Jedes Mal, selbst bei den hartgesottensten Leuten, steigerte
sich die Spannung. Wie bei Goldwäschern sind die Augen dann auf einen
bestimmten Punkt gerichtet. Wann zeigt sich das erste verheißungsvolle Blinken?
Wann kommt der erste große Fisch? Was kündigt er an? Keiner dachte jetzt daran
einen Bissen zu sich zu nehmen. Nun dauerte es höchstens noch eine Stunde, dann
wusste man, ob es wieder einmal umsonst oder vielleicht das große Los gewesen
war, das sie gezogen hatten. Viele Geschichten gingen in ihren Köpfen herum,
selbsterlebte, nacherzählte, von Phantasien aufgewertete. Sie wussten
sich außerdem in völliger Sicherheit. Der Eisklotz, auf dem sie nun standen,
ruhte auf dem Gelegesand. Jan Schlämann kam mit langen Schritten vom Ort des
Netzeinlasses auf sie zugeschritten. Auch an ihm zerrten die Kräfte des
Zweifels und der Hoffnung. Seine Aufgabe bestand nun darin, sich ein Loch in
fünfzehn Metern Entfernung vom Aufzugsloch - in der Mitte der sich nun
unentwegt vorwärts bewegenden Netzwände - zu schlagen und dahinein mit einer
Pulskeule zu schießen, einem Instrument aus Blech, wie eine große Tüte, mit dem
er Krach machte. Jedesmal wenn er
das Gerät, das sich am Ende einer
Stange befand, hineinstieß, riss es eine Menge Luft hinunter, die sich durch
den Lichteinfall silbrig erhellte und große Scheuchwirkung besaß. Als die
Hälfte des Netzes herausgeholt worden war, erschien ein großer, um seine
Freiheit kämpfender Hecht. Wütend drehte sich der meterlange Fisch ins lose
Garn. Das galt den abergläubischen Fischern als
bestes aller denkbaren Vorzeichen. Ein Barsch durfte es niemals sein. Karl
Neumann, schickte einen Anerkennung fordernden Blick zu Fritz Biederstaedt
hinüber. Beiden liefen Schweißtropfen über das Gesicht. Fritz knurrte laut auf.
Es war nicht auszumachen, ob es Wut oder Freude war.
Einer
der Männer rief jauchzend: „Een goodes Teken!“ 15
Wenig
später kamen die ersten rotsilbern schimmernden Fische zum Vorschein. Lebhaft
schlugen sie mit den Schwänzen. Sie wehrten sich gegen die Gefangenschaft.
Rotaugen. Die Franzosen nennen sie so respektvoll. Plötzen werden sie abwertend
von den Mecklenburgern geschimpft, weil die Norddeutschen die große Kunst der
Zubereitung dieser Fischart im Grunde nicht beherrschen. Diese zappelnden
Fische vermehrten die Hoffnung auf einen guten, vielleicht sogar einen
außergewöhnlichen Fischzug. Wenn sie in solchen Mengen schon vor dem letzten
Wadenstück erscheinen, schlägt kein Fischerherz mehr normal. „Dat sünd
Bliplötzen!“16, riefen sie in ihrer Aufregung wiederholt einander
zu, naiv und offen in ihrer Freude. „Wi hem se! Wi hem se!“17 Das trug
ihnen eine laute Rüge Schlämanns ein, der nicht leiden konnte, wenn jemand den
Tag vor dem Abend lobte. Noch konnte jede Art von Unglück passieren. Selbst
wenn es denn ein Großschwarm Bleie war, der sich im völlig unsichtbaren und
inzwischen klein gewordenen Umfassungsbereiches des Zugnetzes aufhielt. Bis
zuletzt war möglich, dass er noch unmittelbar vor der drohenden, endgültigen
Gefangenschaft an den immerhin einig zig Quadratmeter großen Lücken unter den
Zugleinen durchbrach. Oder es stand noch kurz vor dem Aufzugsloch ein
abgebrochener Reusenpfahl. Ein paar Zentimeter Holzsplitter reichten aus, den
Wadensack, in dem sich der Fang sammeln soll, von vorne bis hinten
aufzuschlitzen. Wer wusste schon, was sich unter Wasser und dem Eis befand?
Manchmal reichte ein verloren gegangener Anker aus, um alles zunichte zu
machen. Dafür gab es genügend Beispiele. Neumann schrie wie ein Schuljunge:
„Hew ick juch dat nich glick secht? Hüt fäng wi wat. Hüten fäng‘n wie wat!“18
Im Tonfall ahmte er den Wadenmeister nach, der sich hastig die Gummijacke vom
Körper zerrte und angesteckt vom Vorfreudentaumel seiner Männer wie ein junger Springinsfeld bewegte und sein
Tempo als Keulenschläger verdoppelte. Fritz stellte sich ein Traumhol vor.
Hundert Zentner große Bleie. Es mussten Edelbleie sein. In solchen Maßen
erschienen Bleiplötze nur als Vorläufer und Schwarmbegleiter der Riesenbrassen
vor. Das wollte er unbedingt glauben. Er hatte in den fast sechs Jahren seines
Fischerlebens nur selten mehr als fünf, sechs Zentner dieser oft gelobten
Großbrassen mit eigenen Augen gesehen. Er konnte es nicht unterlassen, obwohl
er nur die Anzeichen sah, zu rechnen, wie viel Geld dem Pächter dieses
Fangglück einbringen könnte. Dann würde er sie wieder normal entlohnen, dann
bekam er wieder Luft zum Atmen und zum Weitermachen. Der Arbeitsplatz wäre gesichert. Der Alte mochte ihn und er mochte
den verzweifelten Alten. Wenn das wahr wird, dann... Daheim mussten Stühle
angeschafft werden, ein bequemeres Bett. Endlich musste die neue Joppe her, für
die Frau ein Frühlingskleid. In seinen ausschweifenden Gedanken entstanden
farbige Phantasiebilder: gedeckte Tische und gefüllte Gläser. Dass Ernst Peters
ihm und den anderen, selbst wenn er an diesem Tage von einem Goldregen
überschüttet würde, nur Pfennige abgäbe, wusste Fritz. Aber er verdrängte es.
In solcher Situation sind alle Beteiligten aufs Höchste von unsinnigen Wünschen
erfüllt. Fritz hatte seiner schönen jungen Frau versprochen, dass er es
schaffen würde, das Elend zu überwinden. Und da erschienen endlich, wie
vermutet die ersten Brassen im Garn. Zwei Achtpfünder wälzten sich in der
Eispampe. Auch Jan Schlämann glaubte nun daran. Seine Männer mussten jeden
Augenblick den Unterspann fassen. Gewaltig sprudelte es aus dem Pulsloch
heraus. Soviel Wirbel konnte nur ein Massenfang verursachen. Die
Unterleinenzieher bemerkten diesen kräftigen Ruck. Die unsichtbare Gewalt
widerstand ihnen. Der bereits vom Wadensack umschlossene Schwarm drängte mit
Macht zurück. Jetzt hieß es für die Fänger sich schnell und ganz nahe ans
Aufzugsloch heranzuarbeiten. Unter keinen Umständen durften ihnen die Leinen
entgleiten. Im Gegenteil, es galt das Unterspann so schnell und so weit wie die
Vorsicht erlaubte hochzuziehen, aufs Eis zu bringen und festzuhalten, gleichgültig,
wie schwer die Last würde. Erst wenn sie einen Teil der Sackringe um die
Stangen gewickelt hatten, war ihr Anteil geleistet worden.
Mit
Hilfe der Eiskrampen standen sie fest und stemmten sich gegen die Verursacher
des brodelnden Wasserstromes. Energisch mussten sie dem Druck der immer noch
unsichtbar zurückflutenden Menge von Tausenden und Abertausenden kiloschweren
Fischleiber, die den letzten verzweifelten Ausreißversuch wagten, ihre Kraft
entgegenstellen. Das waren mehr als einhundert Zentner Edelfische! Das waren
zweihundert! Sie pusteten und stöhnten mehr aus Vergnügen als aus Qual. Welch
ein Tag! Wie lange hatten sie darauf warten müssen? An der Anzahl der gefüllten
Sackringe vermochten die Männer einigermaßen genau die Fischmenge abzuschätzen.
Jan Schlämann tat das, äußerlich schon wieder gelassen. Er schaute über die
Schulter zurück und sah zufällig Fritz Biederstaedt an: „Föfteigen Tunnen!“19,
sagte er. Das klang nicht nur herrlich, das war das Größte, denn seine
Schätzungen waren stets die zuverlässigsten gewesen.
„Donnerschock!“ Sie schrieen ihr
Fängerglück in den Himmel. Dreihundert Zentner! Dabei hatten sie von den
gefangenen Fischen bisher nur einzelne Exemplare zu Gesicht bekommen. Immer
noch schwamm die Menge unter dem schneebedeckten und milchigen Eis im
Verborgenen.
Wer würde
nun hinuntereilen, um dem Pächter Peters die wichtige Botschaft zu bringen? Es
bestand dringender Handlungsbedarf. Augenblicklich müssen die umfangreichen
Maßnahmen zum Verkauf eingeleitet werden. Wer in einhundert Kilometer Umkreis
konnte solche Fischmassen einigermaßen preiswert vermarkten? „Ick lop runner!“20,
bot Karl Neumanns Erzrivale Fritz Biederstaedt schneller an, als ein anderer denken konnte und flog
auch schon los. Er war bereits einige
Schritte weg, da erst reagierte Neumann. Zu spät, Karl, sagte sich der Koloss
und biss neidisch in seine dicken Lippen. Eigentlich hätte ihm und niemandem
anders zugestanden, die freudige Nachricht hinzubringen. Er hatte die Idee
gehabt und durchgesetzt. Wieder einmal hatte sich bestätigt, dass keiner den
See so gut kannte wie er, und keiner des Pächters Lob und Dankbarkeit mehr als
er verdient hätte. Doch da war das große Glück längst einem anderen zugefallen.
Der Lakellümmel stahl ihm wieder einmal den Erfolg. Ehe er seine
einhundertundzehn Kilogramm Masse hatte in Schwung bringen können, war
Biederstaedt auf und davon. Karl Neumann schaute Schlämann vorwurfsvoll an,
weil der auch noch hinter Biederstaedt anerkennend hinterher nickte. Viel mehr als das Recht
zählte bei diesem dürren Schlämann, wer sich am meisten bemühte, sein lieb
Kindchen zu sein.
Viel zu gern
ließ sich der alte Sternenspinner von dem katzbuckelnden Biederstaedt um den
Bart schnurren. Das konnte der. Das haben sie ihm ja in Berlin beigebracht.
Karl Neumann konnte sich den Bengel gut vorstellen. „Jawohl, gnädige Frau,
bitte sehr, Herr Baron.“ Alter Silberputzer! Karl dachte ein obszönes Wort
hinterher und machte sich zornbebend über den Rest des Frühstückes her. Er biss
so schnell und kräftig große Happen
aus dem Quarkbrot heraus, dass der steife Schnurrbart in die weißen
Krümel hineinbürstete. Nie wird er dem unterwürfigen Menschen vergessen, wie
der sich gleich am ersten Tag bei den beiden Chefs einzukratzen wusste. Sich
und ihn sah er in der Erinnerung an damals, als sie beide zufällig und exakt,
als hätten sie sich abgesprochen, an jenem Frühlingstag des ersten
Nachinflationsjahres 1924 zum ersten Mal und in derselben Absicht aufeinander
stießen. Peters stand auf dem Hof und fast gleichzeitig gingen sie auf ihn zu.
Er in der guten Hoffnung, er würde dem anderen vorgezogen und angenommen
werden. Als wäre es vom Schicksal gewollt gewesen, waren sie gemeinsam
aufgetreten und stießen sich doch sofort mit Gewalt gegenseitig ab wie Feuer
und Wasser. Peters, der, wie sich herumgesprochen hatte, neue Leute suchte,
nahm den linkisch ungeschickten Diener mit demselben Gleichmut an wie ihn, dem
man doch eher ansah, was er an Muskelpaketen unter der blauen Arbeitsbluse
trug. Peters hörte den verkrachten Diener sogar zuerst an.
Das
hätte der Pächter doch auf den ersten Blick bemerken müssen, dass dieser
Biederstaedt bloß ein Süßholzraspler und Ohrenkratzer war. Indessen näherte sich Fritz Biederstaedt, nach zehn Kilometern
Eilmarsch, endlich dem Petersgehöft. Er fragte sich zunehmend besorgt, wie er
den Pächter antreffen würde. Das Haus lag merkwürdig still da. Gewiss, die
beiden Bengel, der fröhliche, hoch aufgeschossene Ernst und sein zehnjähriger
Bruder Heinz drückten die Schulbank oder hielten sich bei ihren Kameraden auf.
Doch auch die Ehefrau des Pächters stand nicht hinter den Gardinen. Fritz
klopfte kräftig. Die Türen waren nicht verschlossen. Im dunklen Zimmer fand er
sich zurecht. „Meisting!“, rief er zunächst verhalten, schließlich wesentlich
lauter. Der Meister atmete doch hoffentlich noch. Schaudernd, zog er die
Vorhänge zurück. Frau Peters kam über den Hof aus dem Stall, den Eierkorb
tragend. Fritz eilte hinaus zu ihr.
„Fru
Meistern, wie hem de Bli!“21 Ihre trüben Augen blitzten auf. „De
Bli!“, murmelte sie. Der freudige Schreck war groß. „Ernst!“, schrie sie laut.
Sie stürmte vorneweg. Die schon beiseite geschobenen Vorhänge zog sie noch
einmal, öffnete das Fenster. Irgendwie vernahm der Pächter einen hellen Ton.
Zwei schwarze Schatten ragten vor ihm auf. Er konnte sich nicht konzentrieren.
Schwere Mühlräder rieben gegeneinander. Seine Frau
stand unmittelbar vor ihm, mit ihren in die Seiten gestemmten Fäusten. Groß wie
ein Monument erschien sie ihm. „De Bli, de Bli!“, hörte er wie ein Echo. Seine
zitternde Hand fuhr über die Bartstoppeln. Er fragte: „Büst du dat, Fritz?“22
„Jo,
Meister, wie hem Bli up de Grote Lank fungen. Bli, grot as de Waschbredder.“23
Peters sah verwundert diese vor dem Hintergrund gleißender Helle sich
ausbreitenden Hände. Sein weißes Gesicht kam hoch. „De Bli?“,
fragte er nach und fuhr, die Decke beiseite werfend, hoch. Sofort ernüchtert
saß er auf seinem Lager. In seinem Kopf war ein Stachel, dessen Spitze hieß
„Bleie in Massen.“ Eine Woge frischen Blutes schoss ihm in den Kopf hinein.
„Woväl hett Jan schätzt?“24 „Jan Schlämann
hett seggt, dat sünd drehunnert Zentner!“25 Ernst Peters ging
der Mund auf. Fast flüsternd zuerst wiederholte er den Satz. Wie spät es sei,
und welchen Wochentag sie schrieben? Sekunden
vergingen. Möglicherweise wagte er seinen Sinnen nicht zu trauen. Innerlich
bewegt, wiederholte Fritz Biederstaedt alles zum dritten oder vierten Mal. Zwei
der Prachtexemplare hätte er selbst in seinen Händen gehalten. Peters stand mit
einem Ruck auf. Sein soldatisch eckiger Schädel fuhr herum. Er stellte sich vor
Fritz hin und dröhnte: „Is dat würklich wohr?“26
„Meister,
hew ick all eis logen?“27
Natürlich hatte er
mehr als einmal gelogen, sehr sogar. Aber diese unglaubliche Nachricht
war die reinste aller Wahrheiten. Peters dehnte die Brust, streckte das
Rückgrat. Mit vibrierenden Händen zog er die Hose an, stopfte das Hemd ins
Bund, ging zum Fenster. Wenn sein Haus gebrannt hätte, oder der Himmel wäre
über ihm eingestürzt, außer dieser Meldung hätte ihn nichts mehr erschüttern
können. Es galt zu handeln. Seine Frau interessierte ihn nicht. Keines ihrer
vielen Worte vermochte tiefer als bis auf sein Trommelfell zu dringen. „Fritz
spann an!“, den Fuchs sollte er nehmen und den kleinen Schlitten. Das wusste
der Alte also doch, dass nur der Fuchs mit Stollen beschlagen worden war. Seine
Frau zog ihn in die Küche. Fritz bemerkte, dass er sich nicht zerren lassen
wollte. Sie habe Feuer im Herd, sie wolle ihm wenigstens einen Kaffee kochen
oder ein Glas Milch warm machen. Milch und Kaffee konnten warten, seine Bleie
nicht. Er erkannte, dass er keine Minute seines Lebens mehr zu verschenken
hatte. Er stürzte hinter seinem Knecht her. Er riss ihm im Stall das
Pferdegeschirr aus der Hand, hängte es eigenhändig, allerdings mit großer Kraftanstrengung
über den Kopf des plötzlich nervösen Tieres. Das Vollblut spürte, dass etwas in
der Luft lag. Fritz kam nicht dazu, Peters behilflich zu sein. Selbst die
Halfter schloss er persönlich, obwohl Fritz es hätte schneller machen können.
Er ging in die Remise um den Schlitten
herauszuschieben.
Als
Fritz das Pferd anschirrte, kam des Pächters Frau angelaufen, mit einem Beutel.
Mit Gewalt musste sie ihm den zustecken. Fritz sah sie beide, den dürre
gewordenen Mann mit seinem unnatürlich weißgelben Gesicht und der schwarzen
Pelzmütze, der sich zitternd in den dicken Mantel einhüllte, und die
untersetzte Frau mit ihrem energisch vorstoßenden Kinn. Das Tauwasser tropfte
hörbar vom Dach in den grauen Schnee. Es roch nach neuem Leben.
Gedankenversunken stieg Peters auf und ließ sich auf die Schlittenbank fallen.
Den
ganzen Verstand eines gewieften Händlers wird er benötigen, aus diesen Massen
Fisch in solchen Zeiten viel Geld zu machen.
Als sie den halben Weg hinauf zum Fangort zurückgelegt hatten, begann er
laut zu rechnen. Bekäme er zweiundfünfzig Pfennige aufs Pfund, den
Maximalpreis, den er je im größeren Posten erzielen konnte, dann wären das über
fünfzehntausend. Die beiden Glöckchen am Wintergeschirr klingelten hell. Dumpf
setzten die Hufe des fuchsfarbenen, sechsjährigen Wallach auf den Waldboden vor
Meyershof auf. Es lag nur noch wenig Schnee. Übermütig und vor Kraft strotzend
hielt das Pferd den Dauertrab spielend durch. Eher litten im Hause Peters die
Besitzer Mangel als die Tiere.
„Föfteigendusend“
28, bestätigte Fritz ehrfürchtig. Ernst nickte. Die Pachtsumme wäre das
und die Lohnsumme, die er seinen Leuten schuldete. Ja, er würde sogar eine
beträchtliche Rückzahlung an seinen Hauptgläubiger Kaufmann G. leisten können.
Er wog den schmalen, harten Kopf. Aber zweiundfünfzig Pfennige würde er gewiss
nicht erzielen. Sie werden ihn erheblich unter Druck setzen. Die Großhändler
würden selbst viel verdienen wollen. Höchstens vierzig aufs Pfund werden sie
herausrücken, diese Geldsäcke. Ihre Habgier würde seine Hoffnungssumme gewaltig
senken und doch seinen Fortbestand sichern.
Wenn
er nur erst vor Ort wäre, um seine Fische zu sehen. Die Kufen sirrten. Noch war
es taghell. Aber die Sonne ging in spätestens anderthalb Stunden unter.
Unaufhaltsam rückten die Uhrzeiger vor. Sie mussten sich sputen. Und was wäre,
wenn ihm die Stettiner und die Berliner Fischgroßhändler das Fell vollends über
die Ohren zögen? Und was, wenn der Wadensack ein Loch hat? Doch die düsteren
Gedanken die er monatelang nicht losgeworden war, die sich nur vor dem
plötzlichen Neulicht in eine unbekannte Ecke zurückgezogen aber nicht verloren
hatten, fühlten sich plötzlich wieder hervorgelockt und warfen sich gnadenlos
über ihn. „Hüh!“, schrie er und knallte mit der Peitsche. „Wier dat Tüch all
morsch, Fritz?“29 Das Sackzeug zumindest sei nagelneu und ganz
stabil. Der Wadenmeister hätte die Winterfischerei mit dem Reservesack
begonnen. „Jo, up Jan is Verlot!“30 Mit der Rechten fuhr er
wiederholt über die Bartstoppeln. Du wirst kein Trinker, schwor Fritz
Biederstaedt sich. Er ahnte, wie wüst es in dem Manne aussah, der neben ihm
unruhig hin und her ruckte, als säße er auf Kohlen. Auf der Höhe von Deep
Uhlentoch berührten die Schlittenkufen zum ersten Mal den See. Da lag ein wenig
zusammengetriebener Schnee. Nun kamen gleich die Fänger und das Geschirr in
Sicht. Endlich vor Ort angekommen empfingen ihn viele
strahlende Gesichter. Es hatte sich bis ins
Dorf hinauf herumgesprochen. Gelangweilte und
Neugierige waren gleichermaßen hinunter geeilt. Hausfrauen in ihren
dünnen Mäntelchen standen frierend beieinander. Die Weidenbügel ihrer
Fischkörbe unter den Arm geklemmt, warteten sie geduldig. Billiger kämen sie
nie wieder zu einer Mahlzeit. Hier und da lagen Plötzen auf dem Eis herum, man
konnte Glück haben, einige hinzusammeln zu dürfen. Schlämann erwartete seinen
aufgeschreckten Herrn am Eisloch. Ernst Peters kam langsam näher. Seine
Gedanken eilten seinem ungelenk gewordenen Körper voraus. Auffallend unsicher
schritt er über das weiße, vom Aufzugswasser beleckte Eis. Er schaute seinen
Wadenmeister nur kurz und freundlich an, starrte dann, an ihm vorbei aufs
dunkle Wasserviereck. Er nickte, als hätte er nunmehr eine deutlichere
Vorstellung von den Fischmassen. Da schwammen sie, die lange ersehnten Bleie,
lauter breitrückige, fast schwarze Riesen. Greifbar nahe sah er sein Geld vor
sich. Wie mit Quirlen wühlte es in seinem Hirn. Auf die Idee, Schlämann und den
Männern zu danken, kam er nicht. Seine Mundwinkel hingen herunter. Dann
murmelte er zweimal: „Schöne Bli!“ Das war den Fängern genug Lob. Sie kannten
und mochten ihn eigentlich. Sie werden, ohne
ihn zu fragen, jeder zwei, drei der Prachtexemplare
in den Rucksack einpacken und dann wird es ein paar Festessen geben. In
Biersoße gekochte oder saure, auch in Petersiliensoße zubereitete oder
gebratene Seitenstücke. Dazu wird es Pellkartoffeln geben, und vom Gastwirt
eine Kanne Bier für einen Extrablei. Die Verwandtschaft wird später etwas
abbekommen, in den nächsten Tagen, wenn die Fische ausgekeschert werden. Das
wird dauern, diese dreihundert Zentner abzuwiegen, einzukisten und zur Bahn zu
schaffen. Viele Gelegenheiten werden sein, von denen der Alte nichts bemerken
musste. Was hätten ihm die vielen, herrlichen
Edelbrassen genutzt, wenn ihnen nicht gelungen wäre, sie für ihn zu
fangen? Außerdem erhoben sie Anspruch auf den Beifang in den Flügeln. Fritz
Biederstaedt kutschierte den Alten umgehend hinauf ins Dorf Alt- Rehse. Jetzt
mussten Ferngespräche geführt werden. Der Gastwirt und der Pastor besaßen Telefone. Aber allemal
zog Ernst Peters den Dunst einer Kneipe dem Geruch von Frömmigkeit vor. Mit M.
und M. in Stettin wünschte er zuerst zu verhandeln, dann mit den Reicherts. Er
nahm sich vor, nüchtern und gelassen zu reden, mit mannhaft fester Stimme, mit
jenem Ton auf der Zunge, der den Großhändlern vorgaukeln sollte, dass er ihr
Geld eigentlich nicht benötige, sie dagegen vermochten in diesen schweren
Zeiten nur zu bestehen, weil es Männer wie ihn gab.
Das
Fernamt brachte die Verbindung glücklicherweise schnell zustande. Er stotterte.
Eigentlich wollte er sagen, er habe bereits Angebote erhalten, bessere als sie
ihm je würden unterbreiten können. Doch er spürte, wie sie am anderen Ende der
Leitung die Ohren spitzten. Sie wussten, dass er unter Druck stand. „Wat denn
Herr Peters, sie wolln uns dreihunnert Zentner Plieten andrehen? Da machen se
mal nen Punkt. Fünfzig Pfennge vor de Jrätendinger pro Pfund? Ick lach’ mir nen
Ast. Fünfunddreissig sind schon füll zu
fülle.“ Die Reicherts boten gar nur zweiunddreißig Pfennige aufs Pfund bei
Frankolieferung. Ernst stellte sich die furchtbare Frage, ob etwa die
Haffgewässer schon eisfrei waren, vielleicht
durch den Schiffsverkehr. Gegen alle Logik drängte sich ihm diese
Befürchtung auf. Dann musste er sofort zuschlagen. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Die Transportkosten abgezogen und dann noch vielleicht ein Loch im Wadensack.
Dann war der ganze herrliche Raub wie ein Schlag ins Wasser. Er dachte
allerdings auch, sich selbst beschwichtigend, dreißig effektive Pfennige sind
besser als Nichts. Nur mit Mühe beherrschte er seine Zunge. Aus der plötzlichen
Panikstimmung heraus hätte er fast zugegriffen.
„Na,
denn nich Herr Peters, ick muss ja schließlich auch leben. Leben und leben
lassen, Herr Peters.“
Diese
Artigkeit nahm ihm die Luft. Wenn Berlin ihm jetzt einen Korb gab, dann musste
er mit dem Preis in den Keller gehen. Als er sich mit Grüneberg, Berliner
Markthallen, verbinden ließ, wummerte sein Herz. Zehntausende, hunderttausende
Bleiesser wohnten in Berlin, die steinreichen Juden, vielmehr als in Stettin.
Fischkenner, die aus „Plieten“ eine Delikatesse zu bereiten wussten, weil die
Jüdinnen durch Generationen hindurch einander von Mund zu Mund die perfekten
und geheimen Rezepte übermittelt hatten.
Am
anderen Ende meldete sich der Prokurist des bekannten Großhändlers Grüneberg im
freundlichen Ton: „Ich habe schon seit vierzehn Tagen auf ihr Angebot gewartet.
Berlin nimmt ihnen jeden Heringsschwanz ab.“ Das klang wie Himmelsmusik. „Auch
Bleie?“
„Wenn
sie groß sind, bis fünfhundert Zentner, ohne mit der Wimper zu zucken!“ Ernst
presste den Hörer aufs Ohr und sagte: „Ganz so viele habe ich nicht!“
„Her
damit. Fündundachtzig Pfennige. Ich gebe ihnen auch neunzig pro Kilo, aber
franko, mein Herr!“ Im Hirn des Pächters hämmerte es: Nur ein Groschen weniger
als sein Wunsch. Dreizehntausendfünfhundert! Er wusste es plötzlich. „Top!“,
dröhnte Ernst in die Sprechmuschel hinein, als hätte er Angst, sein
Verhandlungspartner könnte das schnelle Wort noch bereuen. Pro Tonne
Neunhundert. Das war zwar nicht sein Hochziel, aber nach den Stettiner
Angeboten fast paradiesisch.
Sie
jagten wieder hinunter zum See. Ernst Peters knallte mit der Peitsche. „De Bli,
Meister Meltzen, hem doch goldne Flossen!“31 Fritz Biederstaedt sah
und hörte den Pächter seit Jahr und Tag zum ersten Mal wieder lachen.
Es begann zu dunkeln. „Morgen früh um
sieben fangen wir an zu verladen.“ Und:
„Wer steht die Nacht hindurch Wache?“
Neumann
schielte nach Fritz Biederstaedt. „Na Lackel? Wer macht jetzt die Punkte? Wem
wird er wohl das Vertrauen aussprechen?“ Eine Weile zögerte der kräftige Karl
noch, dann riss er die Hand hoch. Die Männer nickten heimlich spöttisch, das
hatten sie gewusst, wenn es einen Dummen gibt, dann meldet er sich auch. So war
das im Leben.
Als
die zehn Männer, unter ihnen der schulschwänzende Primaner Ernst, am nächsten
Morgen wieder um die Landzunge des Rehser Eck bogen, sahen sie den aus der
Entfernung klein erscheinenden Karl Neumann vor einem riesigen, halbrunden und
blau schimmernden Eisloch stehen. Die jüngeren, noch unerfahrenen Fischer rissen ihre rauen Münder auf, mit dem ganzen
Ausdruck von Entsetzen. Wadenmeister Schlämann lachte. Das kannte er. Die Menge
wirbelnder Fischschwänze hatte das Eis stundenlang unterspült und zermürbt. Die
Großfische hatten sich Luft und Licht verschafft. Es war allerdings die
Bestätigung, dass alles in bester Ordnung war. Die Fische hatten keinen Ausweg
gefunden. Zwei volle Arbeitstage lang kescherten die Männer, wogen und verluden
die zappelnden, sich vergeblich wehrenden Prachtbrassen und schafften sie mit
schweren Ackerwagen zur Bahn. Junior Ernst machte wie ein Alter mit, rannte,
die gefüllten Fischkiepen schleppend, mit Biederstaedt um die Wette. Sieben
Jahre trennten sie, doch es verband sie die gemeinsame Lust am Plaudern. In der
Stadt indessen ging es wie ein Lauffeuer um: Peters hat die Bleie. Man konnte
es auch in der Presse lesen: Große Bleie zu kaufen bei Ernst Peters am
Oberbach. Seinem ärgsten Gläubiger liefen wahrscheinlich Schauer des Entzückens
über den Rücken: „Der liebe Gott verlässt einen redlichen Geldborger nicht!“
Die
Dreihundertzentnergrenze war längst überschritten, die Städter außerdem
versorgt worden, legal und illegal, doch der Segen nahm noch lange kein Ende.
Immer noch sprudelte es aus dem Wadensack heraus. Es schien, dass die Fische
immer größer wurden. Dieses Wunder allerdings war keins, denn die stärksten
Fische drängten und verdrängten aus der äußersten Fluchtnische stets die
schwächeren. Als auf dem Notizblock des Wadenmeisters, die
Vierhundertzentnersumme erschien und überschritten wurde, ging der
hochgewachsene Schlämann auf den „Alten“ zu und gratulierte ihm. Das
Selbstwertgefühl steifte seinen Rücken. Sie hatten durchgehalten, obwohl auch
er in diesen furchtbaren Wintertagen der Verzweiflung manchmal sehr nahe
gewesen war. Seinem strahlenden Gesicht war anzusehen, dass er eine seiner
Maximen dachte: Vom letzten Zoll einer Durchhaltestrecke hängt die Entscheidung
ab, ob gute Vorsätze zum Ziel führen oder nicht.
Eine
Stunde später erhielt der Alt-Rehser Gastwirt einen Anruf aus Berlin. Die
Fischgroßhandelsfirma Grüneberg bestätige Herrn Peters die von ihm deklarierte
Qualität der Brassen mit Dank. Der Gastwirt schickte einen Boten hinunter. Als
Peters diese Nachricht entgegen nahm, fühlte er sich minutenlang schweben. Das
Glücksgefühl riss ihn hin zu sagen, dass sich jeder Mann zwei Bleie einsacken
dürfe, obwohl er wusste oder zumindest annehmen konnte, dass sie sich bereits
eingedeckt hatten. Das erschreckte sie. So kannten sie den berechnenden Mann
nicht. Ehe er seine Großzügigkeit bereute, schlugen sie zu und hofften nur,
dass er sie das nicht irgendwie abbüßen ließe.
Ernst
Peters, nachdem er fast zwanzigtausend Goldmark kassiert hatte, dachte er daran
zunächst seine Gläubiger zu befriedigen. Als zweites würde er zur Kämmerei
gehen und die Talerchen dort mit Genuss auf den
Tisch legen. Dreimal hatte er es durchgerechnet, es verblieben ihm trotz
alledem fast sechstausend.
Zuerst
aber ging er zu seinem Hauptquäler, der ihm das Leben vergällt und zur Hölle
gemacht und ein Gutteil dazu beigetragen, dass er sich schließlich den Strick
zurechtgelegt hatte. Ernst Peters sah die Szene im Voraus, wie G. sich bemühen
würde, den Eindruck zu verwischen, den er mit zahllosen rigorosen Auftritten
hinterlassen hatte.
Als
Kaufmann G. den Batzen Bargeld samt den Zinsen in seiner Hand hielt, atmete er
tief durch und beteuerte mit weicher Stimme, als hätte er Kreide gefressen, das
hätte doch noch Zeit gehabt.
Ernst
Peters dachte sich seinen Teil. Als sein Gegenüber ihm auf die Schulter klopfte
und sich auch noch verneigte, durchfröstelte es ihn. Diese Gesten galten nicht
ihm. Dieses Bücken war nicht entschuldigend gemeint.
G.
tat es nicht als wiedergewonnener, alter, neuer Freund, wie er glauben machen
wollte. Ausschließlich dem Geld galt seine ganze widerliche Unterwürfigkeit.
Nichts und niemanden anders als der Geldmacht hatte G. sein Leben lang von
Herzen gedient.
Peters
hätte fünfzig Mark draufgegeben, wenn er nur eine Minute lang all die
niederträchtigen Gedanken des anderen
hätte lesen können.
SS marschiert
Ein
milder, glückhafter Frühling folgte. Die Reusen auf der Lieps fingen ungeahnte
Fischmengen, vor allem Hechte. Fritz Biederstaedt war jedesmal überrascht, wenn
er den Steertpfahl einer neuen Reuse zog. Grünbraun wälzten sich zwischen den
peitschenden Aalschwänzen die armlangen Laichhechte. Nie zuvor kauften die
Bürger wie in diesen Wochen. Alles lief gut. Auch der Verbindungsgraben, den
der jeweilige Pächter des Tollensesees gemäß einem uralten Privileg mit
Reusengeschirr verstellen durfte, erwies sich als Goldfluss. „Der alte Graben“
wurde diese Fischhauptstraße im Unterschied zum „Neuen Graben“ genannt. Diesen
hatte der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz auf seine Kosten graben lassen
müssen, weil der damalige Pächter ihm die Durchfahrt verwehrte und nach der
Klage vor dem Landesgericht sein Recht behielt.
Beide Kanäle
verliefen zwischen dem großen und tiefen Tollensesee sowie der flachen, sich
wesentlich schneller erwärmenden Lieps. Da sich das wärmere Liepswasser
alljährlich im Frühjahr weithin als Lockstrom in den noch kalten Tollensesee
ergießt, schwimmen ihm Barsche, Plötze, Hechte entgegen um an einem
freundlicheren Ort Fischhochzeit zu halten. Allerdings baute der
besitzergreifende Mensch zwischen Fischsehnsucht und Erfüllung gemeine
Hindernisse und Fallen auf und sortierte die Gefangenen aus nach seinem Gutdünken. Die kleinen
Zukunftsträchtigen ließ er passieren, die ausgewachsenen Exemplare waren dem
Tod geweiht. Schlämann, wenn er allmorgendlich die in den Reusen
gefangenen Mengen entgegennahm und sie
teilweise in die hölzernen Fischkästen umfüllte, schüttelte den Kopf ungläubig
und murmelte mehr als einmal vor sich hin: Ein Glück kommt selten allein! Er
konnte sich nicht erinnern, dass jemals so viele Fische in vergleichbar kurzem
Zeitabschnitt gefangen wurden. Fritz Biederstaedt genoss es in jenem Jahr in
vollen Zügen, Fischer geworden zu sein. Er roch nicht die stinkenden, seit
einigen Nächten in den Maschen verendeten und feststeckenden Fischkadaver, die
er mit Gewalt ausschütteln musste.
Nach
dieser unangenehmen Arbeit wusch er sich und atmete tief die Mailuft ein, die
zwischen den ihn umgebenden grünenden Birken und Erlen wehte. Er liebte die
Schönheit der Landschaft und freute sich der Fischmengen, die er überlistet
hatte. Er erfreute sich des besseren Lebens, auch der besser ausgestatteten
Wohnung, da er um einen geringen Preis ein paar Möbel erwerben konnte.
Jedesmal, wenn er nach getaner Arbeit den schmalen, leicht am Ufer
dahingleitenden Kahn mit einem Stakruder heimwärts schob, malte er sich das
Bild aus, wie seine Inge im Korbstuhl vor dem Fenster und der Geranienbank saß.
Immer wenn er zurückfuhr, dachte er, wie gut es das Leben mit ihm gemeint
hatte. Denn wäre er nur zehn Jahre früher geboren worden, wie sein ältester
Bruder Paul, dann läge er jetzt an seiner Stelle unter dem Boden vor Verdun, wo
die kaiserlichen Generäle zehntausende deutsche Jungen sinnlos ins Trommelfeuer
der Franzosen gejagt hatten. Die bösen Jahre lagen zum Glück weit zurück.
Dann
kam die Zeit, in der die ersten Hakenkreuzfahnen in der Stadt wehten. Bunter
wurden durch sie die von grauen Hausreihen beherrschten Straßenzüge. Öfter als
sonst sah man fröhliche Gesichter. Bloß Schlämann meckerte: „Dat dömliche Tüchs
wat uns noch veel Arger moken!“32
Das
mitunter scharfe Spötteln über die Nazis sei Schlämanns Verschrobenheit
zuzurechnen, glaubte Biederstaedt und der Junior stimmte ihm zu.
Als
es 1936 keine Arbeitslosen mehr gab, hörte Fritz Biederstaedt die Leute auf den
Straßen und Plätzen immer dasselbe reden. Nun sei es wieder fast so gut wie zu
Kaisers Zeit geworden: Heil Hitler!
Pächter
Peters gab ein rauschendes Fest. Der vierundzwanzigste Geburtstag seines Ältesten
wurde aufwendig gefeiert.
Eigentlich
war das Ereignis nur ein Anlass zum Feiern unter vielen. Möglicherweise hätte
sich Ernst Peters senior vor dieser Festlichkeit sogar gedrückt, wenn ihm eine
gute Ausrede eingefallen wäre. Denn Vater und Sohn mochten einander nicht. Dem
Vater war sein ältester Spross, der junge Fischereigehilfe, der kurz vor seiner
Meisterprüfung stand, zu zimperlich, dem Sohn der Vater zu poltrig, allzu
ungehobelt, zu laut.
Auch
an diesem Tage gingen sie sich unübersehbar aus dem Weg und blieben einander
ein Ärgernis.
Fritz
schien, es würde zwischen beiden immer schlimmer. Wenn Ernst Peters junior aus
seinem Zimmer kam, ging er blicklos an seinem auf dem Hof umherkrakelenden
Vater vorbei, stieg in den Heuer, gab den Leuten ein Zeichen, kurbelte den
Motor an, legte den Gang ein, fuhr los ohne den Alten zu fragen. Fritz
Biederstaedt litt unter diesem Zerwürfnis seiner Chefs. Einerseits liebte er
den echt aristokratisch wirkenden Sohn, andererseits mochte er den Senior, der
seine Rolle als pedantischer Unteroffizier aufregend widersprüchlich spielte,
weil die Liederlichkeit seiner Erscheinung nicht zu seinem Anspruch passte,
denn manchmal hielt ihm nur ein Bindfaden die Hosen auf den Hüften. Doch
niemand konnte es dem ehemaligen Rekrutenausbilder recht machen.
Vater
und Sohn befanden sich nur in einer
Hinsicht in gewisser Übereinstimmung. Politik interessierte sie
nicht. Beide meinten, jeder auf seine Weise, sie seien nur urdeutsch.
Fritz
Biederstaedt, der auch an diesem Geburtstagsnachmittag und am Abend dienerte,
richtete seine Meinung nach der seiner Vorgesetzten aus. Umso mehr schmerzte
ihn die schneidende Härte, mit der sich die beiden Petersmänner behandelten. An
diesem neunten Oktobertag kamen, um den angehenden Fischermeister Ernst junior
zu gratulieren, auch zwei seiner ehemaligen Schulkameraden in schwarzer
SS-Uniform. Sie schüttelten ihm übermütig die Hände. Der eine rechts, der
andere links. Hoch soll er leben! Halb im Scherz meinten sie schließlich, bei
seiner sportlichen Figur mit Gardemaß würde ihm ihre Uniform gut zu Gesicht
stehen und es wäre hoch an der Zeit für ihn, sich richtig zu entscheiden. Jeder
anständige Deutsche würde die Farben seines geliebten Führers tragen, braun
oder schwarz. Schwarz sei auf jeden Fall besser, wenn man sich den Pöbel
anschaue, der in Braun ginge. Schwarz sei die deutsche Elite. Deshalb
jedenfalls wären sie überzeugte SSler.
Einer
der beiden, Bäcker H., nun ein angehender Gerichtsassessor, frozzelte, Ernst
junior solle es lieber doch nicht tun, denn schon jetzt würden ihm die Herzen
der meisten Mädchen der Stadt zufallen. Dann verdrehe er ihnen ganz und gar die
hübschen Köpfe und sie beide wären trotz ihrer feschen Uniformen abgemeldet.
Ernst junior war verlegen und zugleich heimlich stolz auf sich. Er wusste, dass
er nicht nur gut aussah, sondern einfach gut war, gebildet und
menschenfreundlich, dass er, wenn er hoch zu Ross ausritt, bewundernde Blicke
auf sich zog. Wie viele Menschen grüßten ihn! Wie viele würden ihn dann
vielleicht bewundern. „Reitet für Deutschland.“ Jemand hatte ihn mit dem
Hauptdarsteller dieses Filmes, Willy Birgel, verglichen, dem er ein wenig
ähnelte. Ein paar Sekunden lang wünschte er eine Steigerung seines
Glücksgefühls und stellte sich vor, was er noch erreichen könnte. Alles musste
besser werden, das schuldete ihm das Leben. Und so erwärmte ihn plötzlich der
Gedanke, dass auch seine Zukunft, dank des Führers Adolf Hitler groß und bunt
wie ein Garten Gottes vor ihm und der deutschen Jugend lag. Nie zuvor hatte er
das so lichthell empfunden.
Tante
Ilse, die seinetwegen von Berlin gekommen war, eine Volljüdin, zog ihren Neffen
Ernst junior nach dem vorabendlichen Kaffeetisch beiseite. Sie gingen in die
Veranda, setzten sich nebeneinander. Die Glastür stand offen. Wenige Schritte
von ihnen entfernt tanzten seine fröhlichen, jungen Gäste einen Foxtrott zu
plärrender Musik aus dem Grammophon. Die unbequemen Jacketts hatten sie
ausgezogen, die Mädchen in den Arm genommen und sie setzten die Beine im
Rhythmus von „Liebe Lotte“. Fritz sah die elegante Frau neben dem schönen Ernst
sitzen. Sieh mal an, dachte er. Er hätte zu gern gewusst, was sie miteinander
tuschelten.
„Hand
aufs Herz, Junior, wie vielen deiner Kameraden hast du anvertraut, dass ich
Jüdin bin?“
Ernst
junior verstand sie nicht oder wollte sie nicht verstehen. Doch als sie seinem
Verständnis ein wenig nachhalf, legte Ernst tatsächlich die Hand aufs Herz.
Seine germanischblauen Augen leuchteten. “Tante Ilse, von mir wird niemand jemals etwas erfahren!“
„Niemals?“
„Niemals!“, sagte er und hob die Rechte zum Schwur. Sie griff behutsam nach
dieser Hand und holte sie mit sanfter Gewalt herunter. Mit kleiner Geste winkte
sie ab. Ihre freundlichen dunkelbraunen Augen suchten seinen Blick. „Nie
schwören, Ernst, wir sind alle nur Menschen. Dein Wort reicht mir.“
Weich
von Gemüt, sah Ernst sich außerstande, viel zu reden, seine Lidwinkel füllten sich mit Wasser. Er
neigte sich über ihre Hand und küsste ihre Finger. Er wusste tief in seinem
Herzen, dass Juden bessere Menschen als die Christen waren.
Aber
er wusste natürlich auch, dass der ungewöhnlich kluge Jude Rosenstein sein
Geschäft am Markt vor Jahresfrist aufgegeben hatte und in die Emigration
gegangen war. Seiner Meinung nach war der Mann aus kaum begründbarer Furcht
geflüchtet.
Biederstaedt
hielt es nicht mehr an seinem Platz. Er ging auf die beiden zu mit einem
Tablett. Er bot ihnen Champagner an. Das war jedoch, wie er schnell bemerkte,
kein Techtelmechtel zwischen den beiden. Aber was war es dann?
Ein
kleiner Hintergedanke blieb. So küsste man einer Tante nicht den Handrücken.
Fritz Biederstaedt wollte das Geheimnis herausfinden und hielt seine
unverschämte Neugierde für eine Tugend.
Gern
trug er weiße Handschuhe, die seine unbedingte Sauberkeit belegten. Viel zu
selten gab es Gelegenheiten, sie zu tragen. Mit Hingabe bewies er an jenem
Abend seine noch nicht verlernte Dienerkunst. Elegant wie ein Oberkellner
balancierte er die Speisen. Mit den in Berlin auswendig gelernten Floskeln
umschmeichelte er zu deren Verwunderung die Gäste des späten Abends. Sogar dem
Gutsbesitzer von Neverin, der zu später Stunde hereinkam, fiel er auf. Fritz
war überglücklich zu hören, wie sie den Pächter seinetwegen lobten. Man hob an
zu singen. Die Gäste waren beschwipst, Ernst junior angeheitert, Vater Ernst
betrunken.
Die
leichten Disharmonien überhörten sie. Wie Minuten verrannen die Stunden. So
erschien den Gastgebern der ganze Abend rundum gelungen.
Irgendwann
nach Mitternacht stellte Diener Fritz ermattet das Tablett ab und da er sich
ungestört glaubte, trank er hastig hintereinander ein paar Gläser Wein, schlief
im Sitzen eine Weile, schrak dann jedoch zusammen. Das hätte er sich in Berlin
nie erlauben dürfen. Er erhob sich, nahm eine der vier SS-Mützen vom
Garderobehaken des Flures und betastete mit seinen Handschuhen die
Totenkopfkokarde und den darüber angesteckten silbernen, flügelausbreitenden
Reichsadler. Er setzte die Kopfbedeckung auf. Sie war ihm zu groß. Fritz nahm
eine andere. Auch die rutschte über seine stark fliehende Stirn auf die
kräftigen Augenwülste. Er trat vor den Spiegel und lachte. Wie ein Clown sah er
aus. Wer sich wohl diesen Blödsinn mit dem silbernen knopfgroßen Totenschädel
und den gekreuzten Beinknochen ausgedacht hatte? Dieses Emblem konnte niemand
für voll nehmen.
Er
ahnte nicht, dass dieses Zeichen den Weltuntergang bereits heraufbeschworen
hatte, ahnte auch nicht, dass es im westlichen Ausland genügend sonst nicht
unbedeutende Berufspolitiker gab, die darüber, ihrem Kenntnisstand zum Trotze,
naiv wie er dachten. Gerade als er die Uniformmütze zurücklegen wollte, kamen
als Kette zwei Mädchen Arm in Arm mit den beiden jungen SSlern und Ernst Peters
junior, leicht schwankend und harmlos lachend auf den Flur. Schade, schade,
sangen sie, ein wunderschöner Tag sei nun zu Ende. Übermütig nahm eines der
Mädchen dem Diener Fritz die Mütze, die er ausprobiert hatte und soeben
zurücklegen wollte, aus der Hand und setzte sie dem Geburtstagskind verkehrt
aufs Haupt. Ernst lächelte freundlich.
„‘ne
Jacke fehlt Dir noch!“, meinte das andere Mädchen. „Zieh sie mal an, meine
passt Dir bestimmt!“, ermutigte ihn daraufhin spontan einer der beiden SS-Angehörigen. Ernst jun. gehorchte.
Die Jacke passte ihm wie angegossen. Ernst schloss gerade die Knöpfe, als
Schlachter Gau den Flur betrat. Der war Hauptscharführer. Sein Blick fiel
sofort auf den verunzierten Kopf des Fischersohnes, den anzufauchen er sich nie
erlaubt hätte. Wütend fuhr der ortsgewaltige SS-Führer ersatzweise seinen
Unterscharführer H. an, man verhohnepipele die heiligen germanischen Symbole
nicht. Da höre bei ihm jeder Spaß auf. Sätze, kurz und hart wie Ohrfeigen.
Beide SS-Jungen rissen die Knochen zusammen. Ernst tat es nicht, er rückte
zunächst seelenruhig nur die Mütze gerade. Das verwandelte ihn enorm. Er
spürte, dass alle Blicke anerkennend auf ihm ruhten. Da noch erwartungsvolles
Schweigen herrschte, nahm auch er halb unwillkürlich, halb widerwillig Haltung
an, drückte das Rückgrat durch. Schlachter Gau murmelte etwas, schien
unerwartet besänftigt, betrachtete Ernst mit großem Wohlgefallen. Seine Augen
leuchteten. Er stemmte seine Fäuste in die Hüften.
Das
Bild begeisterte den Mann. So hatte man sich den Bilderbuchgermanen
vorzustellen. Intelligent, zackig und absolut gehorsam. Kaum spürt der Herrenmensch
die Uniform auf dem Leib, nimmt er Haltung vor dem Oberherren an. So war das.
Mit diesen Kerlen konnte man die Welt aus den Angeln heben. „Rührt euch,
Männer!“, kommandierte der robuste Fleischer bemüht freundlich.
„Einsfünfundachtzig, wie?“ Ernst junior nickte: „Nicht ganz, Herr
Hauptscharführer.“ „Jawohl!“, bestätigte Gau „der Führer macht euch alle
größer!“ Das war es, was Ernst Peters junior in diesen wenigen Augenblicken
empfand und auf eine Weise begriff, die ihm selbst unerklärlich schien. Es war
ein inneres Leuchten, nicht grell, eben angenehm. Deutschlands Glanz und Größe!
Das ging ihm ins Blut. Eine Melodie vom Heroismus. Nur Fritz Biederstaedt
erschrak, als er seinen Freund Ernst junior so verändert unmittelbar vor sich
stehen sah. Da gab es, seinem Empfinden nach, nichts mehr zu lachen. Diese
beiden schwarzen Kleidungsstücke hatten den feinen, freundlichen Ernst für
ihn unerwartet in einen arrogant
wirkenden Bengel verwandelt.
In
den sonst leger auftretenden Zivilisten schien auf einmal ein Geist von
unerbittlichem Gewissen und Schneid gefahren zu sein. „Komm zu uns!“, lockte
Herr Schlachtermeister Gau sofort, überzeugt, dass dem großen Pächterssohn zwar
zufällig, aber definitiv die vorgeschriebene Lebensrolle auf den Leib gerückt
war. Zufällig hatte inzwischen Heinz, der siebzehnjährige Bruder von Ernst, die
Szene betreten. Seine Augen bewundernd auf den älteren Bruder gerichtet, die
Hacken zusammenreißend, rief er aus: „Jawohl Hauptscharführer, wenn sie
befehlen, dann kommen wir!“
„Grünschnabel!“,
flüsterte Ernst, im Ton verbindlich, zog ohne Hast die Jacke aus und hängte die
Mütze auf den Garderobenhaken. Als Heinz dicht neben ihn trat, möglicherweise
um seinerseits zu probieren, ob er sich als schwarzer SSler gefallen würde,
sagte Ernst leise: „Halte Dich bitte zurück!“
Nachdem
sich die Gäste überschwänglich bedankt hatten und davon gegangen waren, suchte
Ernst seinen Freund Fritz.
Müde
hockte Diener Fritz Biederstaedt im Korbstuhl und sehnte sich nach seinem Bett.
Ernst junior sah ihn, ging auf ihn zu. Als Fritz aufschaute bemerkte Ernst die
Ablehnung in Biederstaedt offenem Gesicht. Der stille Vorwurf störte ihn. Ernst
war plötzlich zumute als fielen Wermutstropfen in seinen Sekt.
Beschwichtigend
legte er ihm die Hand auf die Schulter, drückte ihn zurück auf den Sitz und
sagte leise: „Fritz, du brukst di dorbi nix to denken.“33 Er würde
niemals ein Nazi werden, was auch
geschehen würde. Niemals!
Als
Ernst junior sich in sein Zimmer begab, schimmerte noch lange um ihn herum das
Licht des unvergesslichen Abends.
Die vielen Komplimente waren ihm zu
Herzen gegangen - und zu Kopf gestiegen. Die SS riss sich ja geradezu um ihn.
Er dachte es plötzlich deutlich: „Warum nicht? Wenn ihr wollt, dann komme ich
eben!“
Tief
in Gedanken versunken stellte er sich vor dem Einschlafen die beiden
bildhübschen Neubrandenburgerinnen vor und fragte die beiden Schemen, ob sie
ihm zustimmen würden. Das war keine Frage. Sie waren begeistert von seinem mannhaften Entschluss.
Schon eindämmernd stellte Ernst sich das Bild vor, wie sie mit ihm auf der
Palais-Straße spazieren gingen, Neid weckend. Wenige Tage später war es soweit.
Ernst junior schritt hochaufgerichtet und in blitzenden Lederstiefeln als
forscher SS-Mann über den Hof. Alle, außer Schlämann, sagten, keinem stünde die
schwarze Uniform so gut zu Gesicht wie ihm. Ernst glaubte es. Er wusste es. Und
dieses Wissen veränderte ihn.
Die
Schlagzeilen in der Presse schienen auf ihn plötzlich nicht mehr abschreckend
zu wirken. Jedenfalls beteiligte Ernst junior sich nicht mehr an den
Spötteleien. Er sehe die Dinge mit neuen Augen.
So
bestätigte sich für seinen Freund Fritz Biederstaedt, dass wahrscheinlich
jedermann plötzlich kurz- und schiefsichtig werden kann. Jan Schlämann sagte
Ähnliches, allerdings sehr leise. Der Junior zeige bereits die ersten Symptome
einer speziellen Sehschwäche, die in ganz Deutschland grassierte. Einige
Äußerungen des jungen Ernst ließen tatsächlich den Schluss zu, dass er krank
war. Er ging, als hätte er einen Stock verschluckt. Neuerdings übersah und
überhörte er auch, dass die Leute “Guten Morgen” sagten und wie üblich grüßten.
„Heil
Hitler!”, erwiderte Ernst wohl zehn mal am Tag. Auch andere Zeichen des Wandels
fielen auf.
Plötzlich
wurden auf dem Petershof statt der kleinen Hakenkreuzfähnchen, große Flaggen
gehisst. Die Zivilisten, solange in der Überzahl, wurden durch Uniformierte
verdrängt. Nichts schien mehr wie zuvor zu sein. Noch vor wenigen Wochen hatte
Ernst junior mit Fritz darüber gelästert, dass seine ehemaligen Klassenkameraden
sich in ihrer albernen Kledasche und mit diesen unnatürlichen Bewegungen
abfanden. Es war noch gar nicht so lange her, als sie mit dem Fischereiwagen an
den draußen im Blumenborn exerzierenden SSlern vorbeigefahren waren und
herzlich über die paradierenden Bengel mit ihren ungelenken Beinen gelacht
hatten. Freiwillig mitmachen? Niemals!
Ernst
junior hatte noch vor drei Wochen nichts dagegen gehabt, dass Jan Schlämann
Hitler für einen Popanz hielt und das auch sagte. Doch all das, galt plötzlich
für ihn nicht mehr. Dass die Nazis primitiv seien, war nicht mehr wahr.
Jetzt
argumentierte Ernst: „Unser Führer hat allen Brot und Arbeit gegeben. Guckt
euch an, was Adolf Hitler aufgebaut hat! Deutschlands Aufstieg hat begonnen.
Die Reichsautobahn, die Siedlungen...“, „und die Rüstung”, setzte Schlämann
leise hinzu.
Beide,
der Junior und Biederstaedt bekamen es wohl mit. Doch Ernst entwertete auch
diesmal Schlämanns kritische Anmerkung.
Deutschland
sei auf Friedensmission.
Er
gab wirklich eine hervorragende Figur ab. Sein leuchtend blondes Haar
kontrastierte zu dem Schwarz seiner nagelneuen Uniform. Er lachte wie früher,
schaute wie früher harmlos in den Tag hinein, aber er war nicht mehr derselbe.
Vergeblich
fischten in jenen Wochen und Tagen die Volksgenossen und Herren Arbeiter.
(Hitler hatte tatsächlich alle offizielle Knechterei abgeschafft.) Das tat dem
Großpächter zunächst nicht weh. Er verfügte zwar über beträchtliche finanzielle
Reserven, doch allmählich nervte es ihn, zuschauen zu müssen, dass die Kette
der Misserfolge immer länger wurde. Denn er verärgerte seine Stammkunden mit
der ständigen Wiederholung seiner für faule Ausreden gehaltenen Beteuerungen:
„Miene Lued fängen in Oogenblick nix.“35 Er musste im Umkreis Fische
aufkaufen. In solchem Umfange war das noch nie nötig gewesen. Da entstanden
allmählich die sonderbarsten Mutmaßungen. Aberglauben, der wieder einmal
nahrhaften Boden fand, machte sich breit und trieb seine seltsamen Blüten. Nur
Fritz Biederstaedt brachte noch in nennenswerten Mengen Fische heim. Große
Hechte, die er mit der Hechtschnur, quer über den See ausgefahren, gefangen
hatte. In Abständen von fünf
Metern zweigte eine halb meterlange
Mundschnur ab, an der jeweils an einem Haken des kräftigen Drillings
Plötzen als Köder gesteckt worden waren. Der Fänger genoss natürlich das
Vergnügen, jeden Morgen zehn, zwölf stattliche und um ihre Freiheit kämpfenden
Fische in den Kahn hineinzuhieven. Doch wer kaufte schon diese
Riesenraubfische? Die Situation war für den Fischereipächter Peters sehr
unangenehm. Da gäbe es in einem der Wieckhäuser eine Pusterin und Wahrsagerin.
Die müsste man mal befragen. Ein Kind, das mit vierzig Fieber im Kinderwagen zu ihr hingeschoben wurde,
verließ sie, wie erzählt wurde, fünf
Minuten später fieberfrei. Gewusst, wie
man Schmerzen und permanente Misserfolge wegbläst. Jedenfalls war es nicht einfach für Ernst sen., sogar seine besten
Kunden unbefriedigt wegzuschicken und achselzuckend zu wiederholen: „Deet mi
leed, wie fäng‘n momenton nix.“36 So erwog er alle Möglichkeiten,
auch die der Wahrsagerei.
Die
geheimnisvolle Frau fand, dass sich Karobube und Pikdame kreuzten, machte ein
sehr nachdenkliches Gesicht und sagte schließlich, es stünde ihm noch großes
Geld ins Haus. Dass über ihm der Himmel einstürzen würde, sah sie nicht voraus.
Ernst senior dachte und sagte: Hauptsache Geld! Denn viel länger durfte sich
die Serie seiner Misserfolge nicht fortsetzen. Die Länge hatte die Last. Kein
Fachmann verstand, weshalb sich in den riesigen Umfassungsnetzen, trotz aller
Raffinesse monatelang nichts Nennenswertes finden ließ. So begierig und
intensiv sich auch die Blicke der Fänger nach jedem neuen und vergeblichen
Zug in den tiefen und geräumigen
Wadensack bohrten. Der farbigste aller norddeutschen Seen lag nicht nur wie
leblos, er schien wirklich leblos zu sein, bar jeden Fischschwarmes. Des
schönen Sees Außen- wie sein Innenleben schienen gleichermaßen erstorben zu
sein. Tag und Nacht spiegelte das unnatürlich glatte Wasser den gewölbten
Himmel wieder, tags das wolkenlose Blau und die Silhouetten der blinkenden und
brummenden Trollenhagener Flugzeuge, nachts das Sternenlicht.
Doch
die Fänger erwarteten viel mehr von ihrem See, als sich wie ein erstarrtes,
wenn auch schönes Bild zu präsentieren. Von der Schönheit bissen sie nichts
Nahrhaftes ab. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Nicht war mehr wie ehedem.
Sogar der Optimist Schlämann wusste keine Argumente mehr, wenn sie sagten: „De
Olle het denn See utplündert. Kein Wunner, hei het jeden Schwanz mitnohmen.“ 37
Sogar jene, die es besser wissen sollten, lästerten insgeheim: „Hochmut kümmt
vör den Fall!“
Nun
sei er gefallen. Zu lange war der Großpächter mit stolzem, steifen Genick
gegangen.
Selbst
Schlämann winkte nur noch matt ab. Seine Behauptung, sie hätten die Fischbestände keineswegs
überfischt, klang nicht mehr
überzeugend.
Wann und wie hätte er das Gegenteil
beweisen können, angesichts dieser katastrophalen Fangresultate?
Es
gab die sonderbarsten, unsinnigsten Erklärungsversuche. Schlämann schüttelte
nur den Kopf. Überhaupt wunderte er sich
im Stillen, wie leichtgläubig die Menschen geworden waren. Ernst junior war
dafür das beste Beispiel. Sich kritisch
zu äußern wagte Schlämann schließlich nur noch gegenüber Fritz Biederstaedt und
dessen neuen Freund Kurt Willig, der seit einigen Monaten in der Fischerei
Peters Beschäftigung gefunden hatte. Willig widersprach dem alten Wadenmeister
nicht. Auch nicht als Schlämann die Katze aus dem Sack ließ: er sei der
Überzeugung, dass in der bisherigen Weltgeschichte dem Politikergeschreie immer
nur, statt des versprochenen Glücks, die Verheerung folgte. Noch nie haben
Schreihälse die Welt verbessert. Noch nie, außer unmittelbar vor Kriegen, hätte
man soviel Prahlerei vernommen und so viele Uniformen in den Straßen der Stadt
gesehen. Wer weiß, was das noch werden wollte, was da herauskam, wenn die
Illusion erst platzte. Der kinderreiche
Fischer Kurt Willig lud Fritz und Jan Schlämann gelegentlich samstags abends
zum Skat ein. Willig der sich einen Volksempfänger geleistet hatte, liebte
Volksmusik, Biederstaedt nicht weniger und Schlämann empfand die Untermalung
ebenfalls als angenehm, weil, der schlafenden Kinder wegen, die Geräusche etwas
gedämpft herüber kamen. Eines Abends unterbrach der Nachrichtensprecher die
Musik. Eine Ankündigung folgte.
Der
Führer würde sprechen. Fünf Minuten lang ertrug Schlämann die Rede, der Fritz
Biederstaedt und Kurt Willig wie gebannt lauschten. Die suggestive Redegewalt
Hitlers ließ sie eine Weile vergessen, dass sie eine neue Runde ausspielen
wollten. Das war Schlämann zuviel, er erhob sich abrupt, er müsse jetzt gehen.
Da Willig gerade einen Grand ohne Vieren gewonnen hatte, vermutete der neue
Mann, Schlämann sei geizig. „Wi spälen doch bloß up nen teichtel Penning.”38
„Das ist es nicht!”, sagte der erregte
Wadenmeister und ging.
Einige
Tage später, als sie auf dem Tollensesee wieder Tagesfischerei betrieben,
nachdem sie eine Woche lang mit geringem Erfolg nachts hinausgefahren waren,
unkte Schlämann den Führer nach: „Mich hat die Vorsehung bestimmt, euch in eine
lichte Zukunft zu führen.” Fritz Biederstaedt drehte sich um, ob Ernst junior
das gehört haben mochte. Das war nicht der Fall. Kurt Willig lachte auf. Es war
ein befreiendes Lachen, nach der Verkrampfung die sich eingestellt hatte. Denn
er hasste die Disharmonie und er hasste es, sich in der Finsternis auf dem
gespenstisch wirkenden See herumzutreiben. Jawohl, die lichte Zukunft lebe
hoch. Nachts gehörte ein richtiger Mann eben an die Seite seiner Eheliebsten.
Das
Umspuren auf Tagesarbeit sollte sich als richtige Entscheidung erweisen.
Ein stiller Novembertag kam und sollte ihnen eine große Überraschung
bescheren. Es war ungewöhnlich warm. Das Wetter wäre noch für September
schmeichelhaft gewesen. Sie fischten vor Tollenseheim. Wie immer in jenen
Wochen gingen sie den Tag mutlos an. Legten wie seit je die Flügel des
Zugnetzes zweihundert Meter von der Simsenkante entfernt über dem zwanzig Meter
tiefen Wasser aus. Innerlich unbeteiligt taten sie, was sie seit Jahrzehnten
ausübten. Ruderten „zu Land“, das Drahtseil hinter sich von den Knüppelwinden
abrollend. Ankerten mit Pfählen und starken Leinen im Schilfgürtel, wanden das
Netz heran, fuhren langsam „zu Loch“. Zogen und hoben die Wade Stück um Stück
herein in die Kähne, missmutig und einander veralbernd. Sie beendeten den Zug,
indem sie den Unterspann des großen Wadensackes entmutigt herein zogen. Die
Männer nickten einander zu. Sie hätten sich lieber ins Schilf schieben sollen
und, statt hier vergeblich zu schuften, zwei Stunden lang den Kummer
ausschlafen sollen. Das sei es gewesen. Nämlich nichts, wie immer in den
letzten Wochen. Da aber schäumte, völlig überraschend der See vor ihnen auf,
als wollte er überkochen. „Brassen!“ schrie einer. „Brassen!“
Normalerweise
zeigten sich bei offenem Wasser hunderte Quadratmeter wandernde Blasenflächen,
wenn solcher Massenfang bevorstand. Die verängstigten Fische stießen aus den
sich heftig schließenden und sich wieder öffnenden Mäulern Luftblasen, die
aufstiegen, um im Nu zu zerplatzen. An diesem grauen auf der Wasseroberfläche
sich fortbewegenden Blasenteppich konnte man üblicherweise den Umfang und damit
ungefähr die Größe des Fischschwarmes einschätzen. Nicht die Spur eines
Anzeichens hatte sie diesmal vorbereitet. Die Überraschung war perfekt Nun
standen die Fischer händeringend und erstaunt da, jeder dem anderen auf die
Schulter klopfend: „Bli! Bli!“
Nur,
Peters konnte sie diesmal nicht günstig verkaufen. Erstens war es zu warm,
zweitens stellte Berlin so gut wie unerfüllbare Bedingungen. Die Fische sollten
lebend transportiert werden.
Wie
das? Bei diesen Temperaturen? Das wusste doch ein Kind, dass proportional mit
den Wassertemperaturen der Sauerstoffbedarf der Fische anwuchs. Wie sollte er
die Massen lebend nach Berlin schaffen lassen? In wie vielen Fässern? Jedes
Literchen Wasser verursachte zusätzliche Frachtkosten. Und dann dieser
lächerlich niedrige Preis. „Herr Grüneberg! Sie waren doch früher großzügig!“
„Früher,
Herr Peters. Die Zeit ist anders geworden, die Menschen haben mehr Geld denn je in den Fingern.“
„Nix
na also, wer hat, hält es zusammen, nicht wahr, Herr Peters. Das Geld ändert
die Menschen.“ Er müsse den Käufern heutzutage die Fische billigst nachwerfen,
und das habe eben Folgen bis hinauf nach Neubrandenburg. Es klickte. Da wandte
Ernst senior sich vom Telefonapparat in der guten Stube weg an Fritz
Biederstaedt der mitgehört hatte, und sagte leise, mit belegter Stimme „Krieg
möt dat wedder gäben, Fritz. Krieg!“39 Dann würden sie ihm jeden
Fischschwanz mit Dank und Kusshand wegkaufen. „Krieg möt dat gäben.“
Dieser
Satz hallte nach. Teilweise musste Ernst senior Kompensationsgeschäfte
abschließen und statt Bargeld seine Fische gegen Karpfen für die Weihnachts-
und Silvesterversorgung eintauschen. Schließlich jedoch vermochte er es die
über dreihundert Zentner, wenn auch zu einem nicht ganz befriedigenden Preis,
bis auf einen kleineren Restposten umzusetzen.
Peters
machte soviel Geld, dass er sich außer dem „Adler“ einen schönen dunkelblauen
BMW leisten konnte. „Ewer dat har uk miehr Geld warn künnt!“40,
meinte er, halb mit sich und der Welt versöhnt. Von da an nahm er sich vor,
seinen Mitmenschen in Fragen Geldausgeben eine Lektion zu erteilen. Er würde
ihnen zeigen, dass Geld wie Blut in den Adern rollen muss, kräftig und frei.
Pulsen muss es, am Hals und im Handel, quer durch die Sparkassen hindurch. Das
war das Gesetz des Lebens: freier Fluss.
Fritz
Biederstaedt avancierte zum Cheffahrer. Herr Peters kam eines Morgens unrasiert
und aufgeregt auf Biederstaedt zu, der gerade den BMW gewaschen und abgeledert
hatte. Er verlangte, sofort in die Stadt gefahren zu werden. Fritz hatte zu
gehorchen. Obwohl der Chef nicht gerade
gepflegt aussah. Die wenigen Haare hingen wirr herum. Sein Unterhemd stand
offen, und er ging in Holzpantoffeln. Fritz öffnete ihm vorschriftsmäßig die
Wagentür. Der Chef ließ sich ächzend in
die roten Lederbezüge fallen und streckte, als sei er der Dirigent eines
Orchesters die Rechte aus. Geradeaus Fritz, immer geradeaus. Sie ließen das
Stargarder Tor hinter sich, und Peters zeigte immer noch geradeaus. Blumenborn
kam in Sicht. Der steife Arm des Großpächters wiederholte die Geste. Fritz
glaubte, es ginge nach Heidehof, wohin ihn gelegentlich die Gedanken und die Schritte
zogen, weil dort ein Mädchen namens Irmgard wohnte, die inzwischen eine junge
Frau an der Seite eines Mannes geworden war, der bloß ans Geldverdienen dachte.
Doch unmittelbar vor dem Wegekreuz wies der Finger des Fischermeisters nach
Süden. Immer geradeaus Fritz. Immer der Nase nach. Der Turm der Neustrelitzer
Garnisonskirche tauchte auf und damit der Geruch der bekannten Gaststätte am
Markt. Geradeaus! Immer geradeaus!
Fritz nahm
sich vor, nicht mehr zu fragen. Es war ohnehin sinnlos geworden, mit dem Manne
vernünftig zu reden. Er hatte sich seit einigen Wochen damit abgefunden, dass
jegliche, auch haarsträubende Absichten des vermögenden Pächters von ihm
widerspruchslos realisiert werden mussten. Er ahnte, dass eine Verrücktheit in
der Luft lag.
Hinter
Oranienburg schien Herr Peters wieder bei klarem Verstand zu sein, denn gähnend
strich er sich über den Schnurrbart. „Wi führn jetz no Berlin ton
Hoorschnieden, Fritz!“
„Nach
Berlin! Zum Haareschneiden! Meister! Wie Sie wünschen!“ Dabei verstellte er den
Rückspiegel, um das Gesicht des Mannes zu betrachten. Sehr wohl, wir fahren
einhundertundfünfzig Kilometer in die Reichshauptstadt zum Kämmen und zum
Haareschneiden.
In
Pankow angekommen, fühlte Herr Peters sich gutgelaunt. Vor dem nächsten
Friseurladen möchte er aussteigen. Das nächste Friseurgeschäft befand sich auf
der gegenüberliegenden Straßenseite und war ein Nobelladen. Breite, blitzende
Fenster und blaue Übergardinen fielen ins Auge. Seitlich von der Eingangstür
hing an einer dünnen Kette ein großes Silberbecken herab. Das Kennzeichen der
Zunft der Barbiere, die früher auch den Aderlass ausübten. In makelloser
Schrift stand geschrieben: Damen- und Herrensalon. „Meister, se willn doch dor
nich rinnergohn?“41, warnte Fritz ehrlich besorgt, fuhr rechts heran
und trat mit leichtem Unbehagen zaghaft auf die Bremse. Peters tippte ihm auf
die Schulter. Chauffeur Fritz wandte sich um und schaute in die stahlgrauen
Kugelaugen eines Mannes, der ihm wortlos und mit starkem Nachdruck bedeutete,
wer hier das Sagen hatte und wer der Befehlsempfänger war.
Diese
Blicke schienen ihn mit der Frage zu
durchdringen: „Oder glaubst du etwa, dass ich ein bisschen verrückt bin?“
Fritz
musste sich zusammennehmen, sonst wäre ihm herausgeplatzt: Meister, bloß ein
bisschen? Beherrscht, wie er es in dieser Stadt gelernt hatte, dachte er
schließlich: Verrückt sind wir allesamt. Was wären wir sonst wohl? Automaten,
seelenlose. Das gab Fritz Biederstaedt vor sich selbst zu.
Innerlich
aufstöhnend stellte er den Motor ab, stieß mit einem Ruck seine Tür auf, stieg
aus, um seinem Herrn und Meister höflich die Autotür zu öffnen, als sollte ein
Generaldirektor zum Vorschein kommen. Ihm war schrecklich zumute, als spotteten
von allen Seiten höhnisch lachende Gesichter. Denn statt eines Mannes im Frack
verließ ein verschwitzter Pferdeknecht den Fond. Mühsam richtete sich der
Pächter auf. Fritz hätte vor Scham in den Erdboden sinken können, als Ernst
senior in seinen abgelatschten Holzpantinen über das Berliner Pflaster
schlurfte. Die Liderlichkeit des Menschen schrie zum Himmel. Anfangs schien
ihm, dass alle Uhren stockten. Schließlich nach nicht endenwollender Zeit, nahm
Fischer Peters die letzte Stufe zum Friseursalon. Er drehte sich zu seinem
Bediensteten um, legte langsam die Hand auf die Türklinke, hob den Kopf wie ein
Grandseigneur und verschwand hinter der ominös erscheinden Tür. Fritz erwartete
das Schlimmste. Wahrscheinlich hatten hinter den Vorhängen des attraktiven
Geschäftes ganze Heerscharen von Angestellten und Lehrlingen gestanden und sich
neugierig gefragt, ob der unmögliche Kerl es wagen würde. Er hatte es gewagt!
Fritz schielte hinüber. Er konnte den Blick nicht wenden. Gleich werden sie die
Tür aufreißen, ihn mit sanfter Gewalt hinausbefördern, wie damals in Gransee, im
Cafe, das Peters ebenfalls in ziemlich verwahrlostem Zustand nach einem
anstrengenden Arbeitstag betreten hatte. Damals allerdings begleiteten ihn
seine ebenso verwildert aussehenden Leute, die jemandem mit zarten Nerven schon
durch ihren bloßen Anblick Angst machen konnten. Fritz wusste, was geschehen
musste. Die Cafehausbesitzerin, empört über diese Zumutung, hatte ihn
aufgefordert, die Gastsstube zu verlassen. In seinen Dreckstiefeln hatte sich
Ernst senior breitbeinig hingestellt
und unverschämt gekräht: „Wissen
Sie nicht, dat ick Fischermeister Peters ut Niebrandenborch bün. Ick hew dat
Geld un kann alles köpen!“ Er wünsche sowieso, die ganze käufliche Welt auf den
Kopf zu stellen. In das sonst wahrscheinlich unerschütterliche Gemüt der guten
Dame hinein schrie Peters damals, er verlange, schnell und höflich bedient zu
werden, sonst zerschlage er ihr sämtliches Glas.
Sie
würde die Polizei rufen. „Tun sie das, meine Dame. Aber die und die Torte ist
meine!“ Dabei stieß er mit seinem Knotenstock, den er bei sich hatte, mitten in
die rote Creme erst der einen, dann in den weißen Schaum der anderen. Was ihr
sein Spaß wert sei. Unter Zeugen erkläre er, er würde jeden Pfennig berappen,
den sie von ihm fordere. Möge sie nur ihren Aufstand machen, seiner wäre sowieso
der größere.
Schließlich
halfen seine eigenen Leute nach und er fand sich unversehens auf der Straße
wieder. „Meisting, dat güng to wiet. Wi hem drunken, un dat bekümmt se nich.“42
Fritz wienerte die Karosse, um seine Nerven zu beruhigen. Mit stockendem
Atem erwartete er immer noch den Augenblick des peinlichen Hinauswurfes,
bereit, seinen Herrn zu retten, ihn in den Wagen zu zerren und schnellstens die
Flucht anzutreten.
Es
verging die Zeit. Wer weiß, was er ihnen da drinnen wieder einmal erzählte.
Erstaunlicherweise hüllte sich der Salon lange, lange in tiefstes, fast
andächtiges Schweigen. Dann ging sie auf die schöne, braune Ladentür. Herr
Peters verließ das Geschäft freudestrahlend. Geschniegelt und gebürstet,
bestens rasiert und wohlgelaunt, sehr zufrieden mit der deutschen Hauptstadt
und mit sich selbst klapperte Peters zurück mit einem Gesichtsausdruck, der
besagte, das Pflaster Berlins empfange die Ehre, von exquisiten
Neubrandenburger Holzpantoffelsohlen berührt zu werden. Denn hinter ihm herdienernd
bedankte sich der Cheffriseur: Der Herr Großfischereipächter möge ihm baldigst
wieder die Ehre geben und seinen ihm allezeit zur Verfügung stehenden Salon
aufsuchen.
Daraufhin
riss Fritz dem Fischereipächter mit geweiteten Augen den Verschlag dermaßen
respektvoll auf, dass selbst den kleinen Lehrmädchen, die verstohlen hinter den
Gardinen dem einmaligen Schauspiel zusahen, schließlich der einzig mögliche
Gedanke kommen musste: Hier fährt ein verkappter, freigebiger Prinz wohlbehütet
wieder heim zu seiner königlichen Fee. Frau Anna Peters hätte seine Glücksfee
sein können, wenn sie von ihm dementsprechend zuvorkommend behandelt worden wäre, wenn er nicht ständig an eine
andere in Möllenhagen gedacht und ihr die Geschenke zugesteckt hätte, die ihr
nicht zustanden. Wenn er Anna nicht so oft in den Zorn hinein gejagt hätte.
Wie oft
hatte sie, hilflos auf ihn wartend, dagestanden, weil wieder einmal jemand auf
unverzügliche Bezahlung einer offenen Rechnung bestand, die sie nicht
begleichen konnte, während ihr Mann irgendwo in der Weltgeschichte genau die
Summen verschleuderte, um die er zu Hause feilschte. Vielleicht
war sie in der Tat immer noch seine gute Fee und er müsste es nur erkennen und
sie bloß wachküssen.
Nur,
war es dazu nicht bereits zu spät? Es war viel zu spät. In den Herzen der
Pächtersleute nagte seit langem der unüberwindliche Vorwurf gegenseitiger
Untreue.
Nach
einem langen durchfeierten Abend, es war Anfang Juni 37, im Hause der Peters,
warf Fritz sich, der seine unentbehrlichen Dienste wieder einmal zur Verfügung
gestellt hatte, gegen ein Uhr nachts todmüde ins Heu der Stallung. Gegen fünf
Uhr weckten ihn laute Stimmen. Da er neugierig war, kam er aus dem Versteck
heraus und wurde sogleich von dem sich ausnahmsweise liebenswürdig gebenden
Großpächter angesprochen und genötigt, ihn und die beiden Kaufleute,
Bendschneider aus Neubrandenburg und Schober aus Berlin zum Fischfang zu begleiten.
Fritz
Biederstaedt wurde vor Schreck nüchtern. Ob der Meister etwa mit den
offensichtlich mehr als angeheiterten Gästen aufs unsichere Wasser hinausfahren
und selbst die Reusen heben wolle. „Selbstverständlich, Fritz.“ Fritz sollte
bereits seit einigen Wochen alles für „selbstverständlich“ halten. Doch das
ging ihm zu weit. Falls er mit den Männern in diesem Zustand auf den See
hinausfahren würde und einer von ihnen fiele über Bord, würde jedes Gericht der
Welt ihm die Schuld für diesen möglicherweise folgenschweren Unfall geben. Zu
seinem Glück trafen die Wadenfischer
ein, die ausnahmsweise zu Tage fischen wollten. Sofort wies der alte Peters an,
dass Schlämann den kleinen Motorheuer am Bollwerk festmachen solle. Mit
schrägem Blick auf die drei wankenden Gestalten äußerte Wadenmeister Schlämann
seine Bedenken: „Herr Peters, ich mache Sie darauf aufmerksam...“ Peters
schnitt ihm aus rauer Kehle das Wort ab: „Ück bün die Verantwortung!“43 Die
mit fünf Köpfen eigentlich unterbesetzte Fangmannschaft nahm, scharf und leise
spottend, in den Arbeitskähnen Platz. Geübt sprangen die Fänger in den
schaukelnden, noch leeren Booten umher und legten Pätschen und Ankerpfähle
zurecht. Dagegen kletterten und stolperten die drei Herren mehr als sie
stiegen, einander umständlich an den Händen haltend, in das Heckteil des von
schwarzem, halbverbrannten Öl besudelten Bootes. Ohne Unterstützung des Dieners
Fritz wäre das gleich schief gegangen. Fritz hoffte nur, sie würden ihn in Ruhe
und an Land lassen. „Nö, Fritz Biederstaedt, du kümmst mit uns mit!“,
kommandierte der Chef. Der sechste Mann sei nicht zur Arbeit erschienen. Das
also hatte er doch noch bemerkt. Biederstaedt gehorchte, obwohl er sich mehr
als elend und außerdem hungrig und durstig fühlte. Es gab noch einen guten
Grund, widerspruchslos folgsam zu sein, Fritz hatte sich geschworen, unter
allen Umständen seinen schwer erkämpften Rang vor Schlämann zu verteidigen. Er
biss also auf die Zunge und plante während der hoffentlich recht langen Anfahrt
zum Fangort sich ins allerdings erst einzuladende Garn zu kuscheln und bis zur
letzten Minute zu schlafen. Schlämann ärgerte sich. Mehr als schlecht gelaunt
wegen der drei Störenfriede, kurbelte er den Heuermotor an, schaute noch einmal
fragend ins gerötete Gesicht des Pächters, fand aber keinen Gesinnungswandel
und legte abrupt den Gang ein. Die
Schraube quirlte das grünlichblaue Wasser des sich hinschlängelnden Oberbaches
auf. Auf zu neuem Fang. Zu zehnt total überbesetzt, ging es hinaus. Das konnte
nicht gut gehen! Peters meinte wohl, die Wellen würden seine Gäste gehörig
nüchtern schaukeln und der frische Wind ihnen wieder das gekühlte Blut ins
Gehirn treiben.
Soeben erschien die Sonne über den
Hügeln der schönen Viertorestadt. Der Tag versprach, angenehm zu werden, - noch
war er es nicht. Die Männer hängten, nach der ersten kurzen Fahrtstrecke am
Ende des Oberbaches, die Kähne ab und schoben sich hin zum Zugnetz, das sich
auf der Trockenhenkstelle befand. Mit schnellen, tausendmal trainierten Griffen
hatten sie binnen zehn Minuten, in denen die beiden Kaufleute sitzend
eingeschlafen waren, das schwarz schimmernde Netz in die Arbeitskähne eingeladen. Nun ging es
endgültig in Richtung Südwest.
Wieder
tuckerte der Motor laut aber gleichmäßig und beruhigend vor sich hin.
Kaum
hatte die im Kielwasser schlingernde Fuhre die Linie Augustabad-Belvedere
überfahren, hoben und senkten sich die Boote heftiger. Wasserspritzer weckten
die beiden schlaftrunkenen Gäste. Das im Sonnenlicht blinkende Wellenspiel
machte ihnen plötzlich bewusst, dass sie sich mitten auf dem See befanden,
meilenweit entfernt von jeglicher Hoffnung auf Gemütlichkeit. Im Rhythmus der
zunehmend härteren Wellenstöße hoben und senkten sich ihre Mägen. „Umkehren!“,
schrie Schober.
„Wo
denkt ihr hin!“, erwiderte Peters, in ihm waren gerade durch das Rauschen des
Wassers die Urjägerinstinkte geweckt worden. Er hatte es im Gefühl, sie würden
einen bedeutenden Zug machen.
Kaufmann
Bendschneiders Kinn hing beeindruckend schräg herunter. Er kannte den See und
den Starrsinn des Großfischers. Er klammerte sich an Schobers neues Jackett,
das einen beträchtlichen Ölklecks abbekommen hatte. „So schön! So schön!“,
dröhnte Peters. Er besaß die seltene Gabe, markerschütternd zweistimmig singen
zu können. Wenn er richtig losröhrte, schien es, dass die Natur verstummte.
Wann immer seine Freunde sich die Ohren zuhielten, um nicht völlig die
Kontrolle über ihre Nerven zu verlieren, fühlte er sich besonders ermutigt.
Je
mehr es schaukelte und stampfte, umso fröhlicher wurde er.
Aufgestiegen
aus der Tiefe in die Höhe!
Das
war ihm immer gegenwärtig gewesen.
Grünlich
von Angesicht, schickten die beiden Kaufleute sich längst noch nicht ins
Unvermeidliche. Sie begehrten energisch, an Land gesetzt zu werden. Peters
stieg aufs Schweff.
Wie
Napoleon vor Austerlitz dirigierte er mit schwenkenden Armen: „Vorwärts Kameraden!“
Umzukehren
vor einer Schlacht? Absolut ausgeschlossen!
Die
illustre Fuhre rauschte durch die gischtenden Wellen. Schlämann war wütend.
Wenn Peters ihm über Bord fiel, dann war der Teufel los. Zudem musste er auf
die beiden Männer im Vorderteil des Heuers Rücksicht nehmen. Ohne sie hätte er
Vollgas geben können. Aber das kopflastige Boot kam nicht voran. Immer wieder,
wenn das Boot auf dem Wellenkamm ritt, schlug die Antriebsschraube nur Schaum.
Ernst
Peters reckte schon wieder den langen rechten Arm, wies diesmal nach Westen auf
den Punkt Meyershof. Schlämann krauste die Stirn. Er verwünschte den sich
fortwährend einmischenden Pächter.
Indem
er dem Befehl sofort nachkam, führte er ihn ad absurdum. Das Steuer
herumreißend, brachte er die Kähne quer
zur Windrichtung und damit augenblicklich übermäßig in Krängung. Sofort hagelte
es aus den Arbeitskähnen laute Proteste. Denn ungemein hart schlugen die
nebeneinander liegenden Bootswände aufeinander. Die Boote nahmen außerdem eine
Menge Wasser über. Das war es ja, was er wollte.
Er wünschte im Überwind zu fischen und nicht auf
der Strömung. Anders konnte er den Alten, der sich sonst ja auch nicht darum
kümmerte, wo er das Netz auslegen ließ, nicht überzeugen, dass sein Entscheid
widersinnig war. Jedenfalls würde er unter keinen Umständen sich und seine
Leute auf der wellenschlagenden Seeseite quälen lassen. Peters, als er so die
scheinbare Zunahme der Windkraft zur Kenntnis nehmen musste, lenkte ein. Er
machte eine grobe Bemerkung und ließ seinen Oberfischer endlich gewähren, zumal
der beteuerte, vor Meyershof sei die Scharkante bereits ab- und leergefischt
worden.
Schlämann
lachte sich eins ins Fäustchen, drehte vorsichtig zurück. Er schnitt die
Wellen, die von achtern immer bedrohlicher heranrollten. Kurz vor „Dörpen“, wo
der Tollensesee dreißig Meter tief ist, wogten sie in enormer Höhe. Zwanzig
Minuten später, hinter dem großen Schmerberg angelangt, lag das Seewasser
erstaunlich ruhig da. Sie waren im Windschatten der sich weit hinschwingenden
Buchenwaldhänge angelangt. Die ihren Bauch haltenden Gäste dankten dem Himmel
für das Wunder der Windstillung.
Dass
er „Mümmelloch“ als Zug ausgewählt hatte, war bald zu erkennen. Peters sprang
auf, wollte laut losschimpfen, sah aber die Warnsignale in den Mienen seines
Wadenmeisters. „Dor givt dat nix!“44, reagierte Peters heiser, mit
abnehmender Kraft. Auf dem Zug habe er, zu dieser Jahreszeit, noch nie gute
Fische gesehen. Schlämann schaute ihn kalt an. Willst du hier auf dem See vor
deinen Gästen und deinen Leuten einen handfesten Krach haben, bitte schön. Bei
Ostsüdostwind wird im Spätfrühling „Mümmelloch“ oder die „Rill“ gezogen. So war
das seit Urväterzeiten. Wenn du das nicht weißt, dann schere dich an deinen
Biertisch.
Der
Pächter schlug um. Er kommandierte: „Nu wat Mümmelloch treckt, wo ‘t nix gäben
det!“45 Er wolle vor seinen Freunden den Beweis der Zuverlässigkeit
seines intuitiven Wissens antreten. In lautem Plattdeutsch erklärte er, er
könne auf zehn Kilo Fisch genau voraussagen, dass hier nichts zu holen sei.
Dabei schnalzte er mit der Zunge. „Twintig Pund!“46 Übermütig reckte
Peters den Daumen seiner Rechten. Wer die Wette mit ihm halten wolle. Für zehn
Mark verkaufe er im Voraus den zu erwartenden kläglichen Raub. Bendschneider
wollte zugreifen. Peters jedoch stieß den blau und grün aussehenden Schober an.
Schober schüttelte den Kopf missmutig, er wolle nach Hause, nichts anderes als
heim zu Muttern. Nach dieser unendlich langen Nacht bedurfte er nichts als des
liebevollen Trostes. Ernst Peters wollte den Berliner nun erst recht reizen. Ob er Bange habe. Jedes der zu
erwartenden zwanzig Pfund koste ihn eine
halbe Mark, der Rest sei Gewinn. Eins zu X. Peters unkte, X könnte unter Umständen eine beträchtliche Größe sein
und die könne Schober für zehn Mark kaufen. Er verlöre doch höchstens zehn
Reichsmark, gewönne aber vielleicht, vielleicht etwas hinzu - egal wie viel.
Nach oben sei alles offen. Dabei zwinkerte er noch spöttisch, so dass Schober
nicht recht wusste, woran er mit seinem Duzfreund war. Vom Pächter
herausgekitzelt, kam im Berliner der Spielerinstinkt zum Vorschein. Der Mann
mit Schlips und Kragen griff in die Hosentasche nach dem Portemonnaie. Zwei
silberne Hindenburgmünzen lagen obenauf. „Topp!“ Das Geld und die noch nicht gefangenen Fische
wechselten den Besitzer. Fritz Biederstaedt, der zwar ununterbrochen gegähnt
hatte, und in der Zwischenzeit in den linken Kahn übergestiegen war, wobei er
alles beobachtete, konnte sich noch nicht zusammenreimen, was sich gerade
zutrug. Denn es waren nur Wortfetzen gewesen, die er aufnehmen konnte.
Vielleicht hatten sie gewettet, wann sie wieder daheim ankämen. Die
Fischereiarbeiter lösten sich kurz darauf vom kleinen Motorboot und schoben
ihre Wadenkähne vom ölverschmierten Heuer ab.
Die
Wadenleute ruderten kraftvoll in Richtung Land. Die beiden Hinterfischer nahmen
die Hökelsteine des Wadensackes, dann rafften sie ein paar Meter dieses Sackes
zusammen und warfen alles zugleich mit Schwung über Bord hinter sich. Ein paar
Meter voneinander entfernt patschten die Rundsteine gleichmäßig auf die bewegte
Wasserfläche. Diese Gleichzeitigkeit des Aufklatschens galt allgemein als sehr
gutes Vorzeichen. Die Fänger beeilten sich, den Sack des Umfassungsnetzes in
voller Länge auszufahren. Dann trennten sie sich voneinander, schlugen jeweils einen
Winkel von neunzig Grad und fuhren in entgegengesetzte Richtungen die Flügel
aus. So trieben die vier Ruderer ihre Kähne voran, während die im Heck der
Arbeitskähne stehend arbeitenden Fischer klafterweise die Wade über Bord
beförderten. Allmählich nahm der Wind ab. Mehr und mehr glätteten sich die
Wogen. Der Himmel blaute, es wurde wärmer. Die Tage der Schafskälte schienen
endlich überwunden zu sein.
Kaufmann
Schober stellte befriedigt fest, dass sich seine Magennerven beruhigt hatten.
Er begann es zu genießen, dass die Männer in den nächsten zwei Stunden
ausschließlich für ihn arbeiteten. Vergessen waren alle Übelkeiten, die
Müdigkeit und Unlust des Morgens. Freundliche Gedanken tauchten aus der Tiefe
seiner Seele auf. Sein Tag brach an. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er
sich nach einer durchzechten Nacht nicht hundeelend.
Peters
scherzte, sie sollten doch wenigstens einmal erleben, wie ihm in den frühen
Jahren seiner großen Fangpleiten zumute gewesen sei und sich trösten mit dem
wunderschönen Bild der Natur. Diese sich im Morgenwind wiegenden tiefgrünen
Simsenfelder und das Widerspiegeln der Himmelsfarben auf der silbrigen,
glattgewordenen Haut des Tollensesees. Bendschneider wunderte sich, denn er
hatte gemeint, der Mann Peters sei stumpf geworden für die feineren
Empfindungen.
Als
Schlämann behutsam und in weitem Bogen um das ausgelegte Netz herumfuhr und in
Landnähe kam, stellte er den Motor ab. Sie glitten kaum hörbar zischend am
Gelegesaum entlang. Schober bemerkte, dass Schlämanns Blicke im Wasser etwas
suchten. Er versuchte sich darin ebenfalls und sah in Metertiefe und immer nur
wenige Meter voneinander entfernt verschieden große Hechte unmittelbar vor der
Simsenkante. Sie flohen bei Annäherung des Bootsschattens nicht panikartig,
sondern schwammen ruhig zur Seite. Ihre grünen pfeilartigen Leiber hoben sich
deutlich vom gelblichen Sandgrund ab. Peters winkte ab. Das wusste er doch,
dass hier, wo die Wade niemals entlang glitt, stets schöne Raubfische standen
und sich sonnten. Im Herbst wird er in diesem Bereich mit den Dreiwandnetzen
staken lassen und sich für den Winterverkauf mit Mümmelloch-Hechten eindecken.
Aber
Wadenmeister Schlämann nickte mit seinem schmalen, langen Kopf auf sonderbare
Weise. Dann, wiederholt schüttelte er ihn. Ob etwas los sei, fragte der
Pächter. „Ach iwo Meister!“, erwiderte er dem leichtfertigen Mann, der sich
partout als Genie der Intuition erweisen wollte und nun höchstwahrscheinlich
bis auf die Knochen blamieren würde.
Als
nach dreißig Minuten, das Auf- und Einziehen des langen Netzes begann, wurde
Peters bald blass. Denn kurz hintereinander erschienen zwei große Hechte auf
dem Flügel. Wie elektrisiert wirkte er. Sofort war ihm klar, was das bedeutete.
Neumann gelang es nicht, die beiden Fische ins lose Garn einzuschlagen.
Eiligst
warfen sie sich herum und flohen zurück in den weithin sich ausdehnenden
Umfassungsbereich.
Wäre
der Vertrag nicht gewesen, hätte Pächter Peters, der alles aufmerksam
verfolgte, seinen Hinterfischer heftig beschimpft. Man lässt Fische, die man im
Netz vor sich hat, nicht einfach entkommen. So aber konnte er nur hoffen, dass
sämtlichen Fischen die Flucht gelänge. Blank müsste der Zug herankommen als
gezogene Niete. Da jedoch hob der immer noch ahnungslose Fritz Biederstaedt
jubelnd einen anderen Hecht hoch, ein meterlanges Exemplar, als wollte er dem
Pächter gratulieren: Sieh mal Chef, was wir für dich tun. Da das erwartete
Freudenecho ausblieb, regten sich in Biederstaedt Gemüt unklare Fragen. Er
spürte es als noch namenlose Unbehaglichkeit. Erst als im Maschenwerk
stattliche Barsche mit ihren leuchtend roten Flossenenden auftauchten und er
Ernst Peters Reaktionen der Unlust und sogar des Entsetzens bemerkte, schloss
sich der Kreis unsanft. Aus Übermut hatte der Alte eine Riesenwette angezettelt
und verloren! Jetzt war es heraus!
Schlämann
kniff sich ins Fell um festzustellen, ob er träume oder wach sei. Es kamen
immer mehr Fische zum Vorschein, sogar große Plötzen. Die anderen, noch
ahnungslos ihr Netz ziehenden Männer schrieen sich gegenseitig zu, hier wären
sie richtig. Noch war ihnen nicht zu Bewusstsein gekommen, dass auch der
Wadenmeister Schlämann so merkwürdig stupide reagierte.
Übrigens,
der Fischzug war längst nicht zu Ende. In diesem Typ des Wadensackes hatten
bereits zweimal mehrere hundert Zentner Großbrassen Platz gefunden. Herrn
Schobers Gesicht rötete sich. Er starrte entgeistert seinen unerwarteten Gewinn
an, der sich auf wunderbare Weise unentwegt mehrte. Pure Goldfische zappelten
für ihn. Pächter Ernst hockte sich mit grauem Gesicht auf die ölgetränkte
Heuerbord und grub selbstquälerisch in den Windungen seines Verstandes. Reuig
suchend fragte er sich, ob ein gnädiges Schicksal ihn einen Winkelzug finden
ließe, um sich doch noch aus dem Dilemma zu ziehen. Bendschneider lästerte, ob
Ernst Peters sich nun vor Wut in den Hintern beißen könnte?
So
erfuhren endlich auch die gleichgültigen unter den Arbeitern, was sich gerade
vor ihren Augen ereignete. So also war das. Der Alte bekam Dresche. Schlämann
steckte es ihnen dann definitiv. Der Pächter hätte restlos alles für ein
Butterbrot versetzt.
Kurt
Willig war der Einzige, der gelassen schmunzelte. Dass sie selbst am Ende die
eigentlichen Verlierer sein würden, verdrängte er. Auch er gönnte Peters von
Herzen eine schmerzhafte Niederlage. Strafe musste sein, weil er sie betrog,
indem er ihre Deputate kürzte, weil er ihnen argwöhnisch hinterherspionierte,
weil er Jan Schlämann mit dem Fahrrad zuvorgekommen war und ihn mit einer Waffe
gestellt hatte. Bloß weil der sich seine früher übliche Sonntagsration illegal
zusammengestellt und in einem Fischbeutel verwahrt im Buchort unter einem
Weidengebüsch versteckt hatte, verstecken musste, wie sie selbst auch. Weil es
anders kaum noch gute Gratisfische gab. Da hatte sich der argwöhnische und
knickrige Großpächter auf der Oberbachbrücke mit dem Fernglas postiert und
beobachtet, wie Schlämann und sie sich den Mundraub sicherten. Das müssen ihm
die Spatzen aus den Dachrinnen zugepiepst haben: Ernst, deine Leute haben einen
neuen Dreh gefunden, mit dem sie dich hintergehen. Aber er hatte nie gefragt,
warum sie ihn hintergingen. Den Tesching schulternd, war er in seinem roten
Zorn hingeradelt nach Buchort und hatte sich da rechtzeitig auf die Lauer
gelegt. Als endlich der Wadenmeister am Ort ankam und die Beute suchte und
fand, hob Peters die Waffe, richtete sie auf den Übeltäter mit
den schockierenden Worten: „Jan! Klaut ward nich!“ 47 Sogar Fritz Biederstaedt
freute sich, den übermächtig gewordenen Mann leiden zu sehen. Das war die
Strafe für den sich zunehmend unerträglich auswirkenden Hochmut. Alle
Hochmütigen der Welt müsste man einen Tag in der Woche mittels ähnlicher Kur
behandeln. Inzwischen kamen die Passagiere, des von Herrn Bendschneider
vorwärtsgeschobenen Heuers, noch näher an die schließlich den Wadensack
ziehenden Fänger heran. Der Wind war völlig abgeflaut.
Der
langgestreckte See lag in seiner ganzen Ausdehnung wie ein Riesenspiegel da.
„Meisting!“, rief Fritz heimtückisch, „hem wi nich siehr schöne Fisch fungen?“48
Seine dunklen Knopfaugen funkelten listig. Er dachte an frühere Backpfeifen
zurück, die er vom Alten zu Unrecht bekommen hatte. Mit schnellen Handgriffen
deckte er das Oberteil des Sackzeuges auf. Erst jetzt sah man die ganze
Bescherung.
Die
große Anzahl grüner Hechtrücken erschreckte sie allesamt. Solch reicher
Vorsommerzug gehörte seit je zu den Ausnahmen. Mit einem Ruck streifte Fritz
Biederstaedt die Ärmel hoch und griff in seiner Erregung tief ins Wasser. Die
Fingerspitzen und die Haut seiner bis über die Ellenbogen eingetauchten Rechten
empfanden die Menge weicher, glatter Aalleiber wie ein ihn umgebendes Knäuel
Schlangen, - nur angenehmer. Schnell packte er einen der Starkaale, riss ihn
aus dem Wasser, hob ihn stellvertretend für die anderen ungefähr zweihundert
Stück in die Höhe. Es dauerte nicht lange und der hochaktive Fisch vermochte
sich aus dem geübten Griff seines Peinigers zu befreien. Hart auf die
Wasserhaut klatschend, entkam der muskulöse Fisch zunächst noch einmal. Der
griesgrämige Bendschneider zuckte nervös zusammen. Pächter Peters brummte. Das
Schlimmste war, er hatte seinem Freund Schober in die Hand versprochen, ihn in
bar auszuzahlen. So fiel außerdem noch die Qual des Verkaufs auf ihn. Jede
einzelne Reichsmark, die er aus dem Verkauf dieser Fische, die ihm nicht
gehörten, erlösen wird, wird sein Herz mit Kummer belasten. Wie ein Lauffeuer
würde die Rede von seiner Dummheit durch die Straßen der Viertorestadt sausen.
Aribert
Schober legte seinem lieben Freund Ernst Peters die beringte Hand auf die
hängende Schulter und sagte heuchlerisch weich: „Kondoliere Ernst!“ Und im
selben Atemzug: Jetzt könne er sich das ja leisten. Er lade alle
Anwesenden zu einem Umtrunk im nahen
„Heidehof“ ein.
Schlämann
ignorierte des Chefs Gefühle. Gern nehme er mit seinen Männern die freundliche
Einladung an. Der Herr wird diesmal nicht darauf bestehen, dass sie die Fische
erst nach Neubrandenburg schaffen müssten um sie dort in die sicheren
Hälterkästen zu setzen. Denn falls sich ein Loch im Sack befände, käme es
diesmal - welch’ verkehrte Welt - seinen Wünschen nur entgegen. „Kumm Ernst“,
spöttelte nun auch Herr Bendschneider, „dat helpt ja allens nich, Spoß möt
sin.“ 49
Ernst
Peters versuchte ein Lächeln aufzusetzen. Das misslang ihm. Als sie an
der kleinen, nach dem letzten Eisabgang verschobenen und unsicheren Heidehofer Brücke angelangt waren und die
fünfzig Stufen fast hinter sich gelassen hatten, wandte er den trostlosen
Blick. Der herrliche See lag wie ein kostbares Gemälde zu seinen Füßen und
verhöhnte ihn. Ich bin dein, aber nicht dein allein. Das satte Grün und die
dunklen Konturen malten sich auf der
blinkenden Fläche wieder. „Nicht dein allein.“
Wenn
er jetzt einen Wunsch frei hätte!
Schwerfällig
stakend nahm Pächter Peters die letzten Stufen der steilen Holztreppe.
„Achthunnert Mark!“, jammerte er. Fritz hörte es. Jede Stufe musste ihm den
Betrag den er so schmählich verloren hatte, schmerzhaft ins Gehirn
hineingebohrt haben. Achthunnert Mark, achthunnert Mark! Für das Geld bekam man
... Fritz, der die junge Frau des Gastwirtes wieder zu sehen hoffte, wollte und
konnte mit den Männern nicht lange mithalten. Kurz nach zwei ging er hinaus. Er
suchte nicht lange, obwohl er ahnte, sie müsste in der Nähe sein. Die Müdigkeit
übermannte ihn. Da es warm war, legte Fritz sich auf der Sonnenseite des
Grundstückes ins Gras unter einen abgeblühten Forsythienstrauch. Da würden sie
ihn schon entdecken, wenn sie heimzukehren wünschten. Biederstaedt schlief
sofort ein, umschmeichelt vom sanften Wehen der erwärmten Mittagsluft. Um vier
Uhr begaben sich die Fänger zu den Booten, füllten die Fische aus dem
sprudelnden Wasser im Wadensack hinüber in den Heuer, mussten
sich beeilen, denn
bei diesen Mengen Barschen, Aalen
und Hechten wurde das Schweffwasser knapp, obwohl sie mit ihrer Körperlast für
zusätzlichen Tiefgang des Motorheuers sorgten. Sie rauschten davon in Richtung
Neubrandenburg. Doch ihr Blick und Verstand waren sehr getrübt.
Obwohl
es noch heller Tag war, vermochte es Jan Schlämann, der die Steuerpinne
umklammert hielt, nicht, die ihn heimtückisch anschleichende Schläfrigkeit zu
beherrschen. Auch der Selbstvorwurf, soviel hätte er nicht trinken dürfen,
machte ihn nicht munterer. Gegen diese Art von Körperschwere half wenig, die
selbstgestellten Denkaufgaben zu lösen, die ihn normalerweise wachhalten
konnten. Wiederholt nickte er am Steuer ein, riss sich allerdings immer wieder
energisch hoch, sah, dass auch Herr Peters abgeschaltet hatte und seinen Kummer
ausschlief. Belustigt nahm er noch wahr, wie Schober und Bendschneider, diesmal
im Heckteil, auf der schwarzen Bank vor ihm, eng aneinandergerückt, dahockten.
Ihre Köpfe und Schultern sanken unentwegt herunter und eben so oft richteten
sie sich mit halber Willenskraft auf. Die unbequeme Haltung und die lauten
Motorgeräusche sowie das wiederholte Aufstauchen des wasserschneidenden Stevens
auf die Wellenkämme, die der sich plötzlich neu erhebende Nordost verursachte,
ließ die beiden offensichtlich nicht richtig zur Ruhe kommen. Andererseits drückte
sie die Last traumschwerer Lider nieder. Auch die fünf Männer in den
Wadenkähnen schliefen.
Jan
Schlämann fühlte mit ihnen, bis auch ihn, unglaublich sanft, aber mit süßer
Macht, die schwarze Nacht umarmte.
Plötzlich
schrammte es hart. Die beiden Herren wurden nach vorne auf die Schweffdeckel
geschleudert. Schlämann stieß sich die Knie und stürzte mit unwillkürlich
gespreizten Armen auf die beiden Kaufleute.
Sofort
krachte es zum zweiten Mal. Die im Schlepp befindlichen, noch frei schwimmenden
Arbeitskähne waren aufgefahren. Dieser Ruck schob den Heuer noch höher hinauf
auf das unsichtbare Hindernis, wobei, mit peitschenknallendem Geräusch, eins
der starken Sisalseile platzte. Es wirbelte noch etwas herum. Das waren die
netztragenden Wadenkähne. Sie schwenkten augenblicklich ein, stießen gefährlich
gegen andere Steine. Der Heuermotor lief weiter, die Schraube rotierte noch.
Schlämann machte dem Spuk ein Ende. Sekundenlang herrschte das Schweigen des
Entsetzens. Außer den beiden Gästen war jedem klar, wie schlimm das war, was
sich zugetragen hatte. Nur, das Wissen darum änderte noch nichts an der
Situation.
Da
ragte er hervor, der „Große Stein“ an Land, der Vater der vielen Kleinen rings
um ihn herum, am Steilufer vor Dörpen und Schopwasch.
Ernüchtert
vernahmen die Männer Schlämanns Kommandos, der, ohne sich um die Anwesenheit
des Chefs zu kümmern, anordnete, was sofort zu tun sei. „Leinen lösen!“ Seine
ganze Art verriet seine Verachtung für den Pächter, dessen Leichtsinn sie das
Pech des Tages zu verdanken hatten. „Dat geiht nich!“50, sagte Kurt
Willig und zog das Taschenmesser. „Jawoll! Dörchschnieden!“51,
bestätigte Schlämann. Es gab einen Ruck der Entspannung.
Dann stellte Neumann als erster fest,
dass Fritz Biederstaedt fehlte. Auch das noch! Fritz war während der Überfahrt
unbemerkt über Bord gefallen! Wie Messerstiche fuhr ihnen der Schreck in den
Leib. Ein Blick zurück zum schräg gegenüber liegenden Heidehof. Vier
Kilometer weißblaue Wellen und sonst
nichts. Sofort mussten sie das auf einem Felsbrocken gestrandete Motorboot
flott ziehen. Höchste Eile war geboten. Zu sechst, einschließlich des immer
noch kopflosen Pächters, bemühten sie sich mit Leibeskräften, vom Heuer aus und
in den zwischen den Steinen wieder freischwimmenden Arbeitskähnen mit Pätschen und
Stangen das Zugboot frei zu
schieben, herunter von diesem dämlichen Stein.
„Zugleich!“ Sie stemmten sich mit äußerster Anstrengung dagegen, um den
Heuer auch nur um Daumenbreite zu bewegen. Es gelang nicht. Den vier Männern im
aufgelaufenen Heuer war klar, dass ihr Eigengewicht sich zusätzlich nachteilig
auswirkte. Doch aus dem Motorkahn in die anderen Kähne über zusteigen war der
Tieflage der Arbeitsboote wegen und andererseits wegen der vielen weiteren
knapp unter der Wasserlinie befindlichen Hindernisse unmöglich. Ein Anlegen
nebeneinander verbot sich deshalb und wegen des heftigen Wellengangs ebenfalls.
Außer der Sorge um Fritz, die alle vorwärts trieb witterte Peters bereits eine
Minute nach dem Auflaufen höchste Gefahr für den Fang. Denn er hörte, wie die
Hechte im fast leer gelaufenen Schweff nur noch matt umherpatschten. Durch die
Wucht der Auffahrt hatte sich der Heuer um ein paar entscheidende Zentimeter
höher aus der Wasserlinie gehoben. Das Schweffwasser rann durch die Löcher.
Wenn nun noch die Fische verreckten, dann war für ihn das Maß voll. Karl
Neumann schlug in seiner Aufregung vor, die Männer im Schleppboot sollten sich ausziehen und über
Bord springen. Das musste ihnen doch einleuchten, denn Fritz Biederstaedt
kämpfte im sturmbewegten See vielleicht nicht mehr lange. Das Seewasser war
noch zu kalt.
Aber
die Herren zögerten. Neumann schüttelte den gewaltigen Kopf. Mit diesen
wasserscheuen, hirnlosen Kerlen sitzt er nun zusammen auf dem See fest,
angebunden sozusagen wie ein Kalb an einer Kette. Statt sich die Siebensachen
vom Leib zu reißen und ins Wasser zu springen, erwiderten sie ihm, er sei ein
Klugscheißer, er solle ihnen das mal gefälligst vormachen. Karl Neumann fauchte
sie an. Er würde es tun. Er hatte schon die blaue Bluse über die roten Ohren
gerissen, da brüllte Schlämann, ob er verrückt geworden sei und kommandierte
ebenso laut: „Zeug überziehen!“ Neumann trieb der Gedanke zur Hast, er läge an
Biederstaedt Stelle im schäumenden See. Ob sie sich immer soviel Zeit ließen,
das einzig Richtige zu tun?
Es
war natürlich vernünftig, einen der beiden Arbeitskähne zu erleichtern. Mit dem
leeren Boot kämen sie nahe genug heran um die Heuerbesatzung aufzunehmen.
Peters schrie dazwischen, sie sollten sich endlich beeilen, ehe die Fische
krepierten.
Neumann
und Willig haspelten mit fliegenden Händen das Garn und die Leinen herüber.
Beide in Wut. Die schönen Fische. Und Biederstaedt?
Sie
hatten natürlich schon überlegt, die Wadenboote zu verankern und den Havaristen
mit den vorhandenen Knüppelwinden und dem Drahtseil frei zu schleppen. Doch das
verbot die Uferbeschaffenheit. Seeseitig fiel nach wenigen Metern das Gelege
stark ab. Solchen langen Pfahl hatten sie nicht, einen entsprechend großen,
tief genug greifenden Anker ebenfalls nicht.
Endlich
gelang es, die vier Männer in den entleerten Wadenkahn einsteigen zu lassen.
Alle dachten, nun würden sie das an einer kurzen Leine befestigte Motorboot
schnell frei bekommen. Sie wollten es glauben. Sie zerrten und ruckten, sie
stöhnten und fluchten. Es wollte nicht gelingen. In seiner Verzweiflung machte
Ernst Peters Anstalten, sich zu entkleiden. Die Angst Schober würde auf
Schadensersatz bestehen, brachte ihn fast um den Verstand. Das wäre effektiv
eine Verdopplung der Schadenssumme. Karl ahnte, was sein Herr vorhatte. Der
kräftige Pächter wollte sich unter das Heck des havarierten Heuers bücken und
mit voller Manneskraft den letzten Versuch wagen, das Boot auch nur
millimeterweise anzuheben.
„Ick
mok dat, Meister!“52, rief Neumann mehr als eifrig. Wenn einer über
die erforderlichen Kräfte verfügte, dann war er das. Der Zorn seines
Kindergemütes war umgeschlagen in kalte Entschlossenheit. Nun entkleidete er
sich wirklich. Im Nu zog er sich Hemd und Hose vom Leib. Weiß leuchtete sein
gewaltiger Hintern.
Er
sprang schnell ab. Rauschte nackt durchs beißend kalte vom Sturm
heraufgewirbelte Tiefenwasser, das ihm bis zur Herzgegend heraufschlug.
Rein
gefühlsmäßig wusste er, was er tun müsste, wie tief er sich bücken, wie er sich
hinstellen, wo die Schulter ansetzen und wann er seine kolossalen Muskeln
strecken musste. Unmittelbar, bevor die nächste größere Woge heranrollte,
schrie er laut: „Tau!“53 und straffte den gebräunten, aus dem
Seewasser auftauchenden Oberkörper.
Kurz
darauf war der Heuer befreit. Alle tatschten und klopften wenig später dem
nackten Karl Neumann auf die Schulter und die Hüften und hielten, was er getan,
im Übrigen für eine Selbstverständlichkeit über die niemand je wieder
nachdenken wird. Peters sträubte sich zurückzufahren. „De Kierl is längst to
Hus!“54, behauptete er. Seine Zähne knirschten.
Als
erstes kümmerte er sich um das Wohlbefinden seiner, besser gesagt Schobers,
Fische. Er hob den Schweffdeckel und stellte überrascht fest, dass sie die
trockene Viertelstunde anscheinend schadlos überstanden hatten. „Meister“,
sagte Schlämann ernst, „sünd Se sicher, dat wi Fritz nicht verloren häm?“55
Ernst Peters
hob den eckigen Kopf und schüttelte ihn. Natürlich nicht! Er tippte gegen die
eigene Stirn. Sein Hirn sage ihm, der Kerl läge hundertmal eher bei einem Weib im Bett oder sei längst daheim, als so
blöde zu sein und mir nichts, dir nichts über Bord zu gehen. Insgeheim gab
Schlämann ihm Recht. Anderes wäre ja nicht auszudenken.
Dennoch
mussten sie die Suche aufnehmen. Nicht einer konnte sich erinnern, ob er denn
mit ihnen gekommen sei. Das war ja das Sonderbare, das sie so beklommen machte.
Während
der Rückfahrt zur Gaststätte Heidehof hielt sogar Ernst Peters Ausschau nach
ihm oder nach Anzeichen seiner Kleidung. Manchmal hatte man einen schwimmenden
Schuh oder Stiefel gefunden, den Ertrinkende sich vom Körper gerissen hatten.
Nicht selten zogen sie sich in Panik gänzlich aus.
Sie
fanden nichts, auch in der Gaststätte erhielten sie keine Gewissheit. Der
aufhorchende Wirt reimte sich wahrscheinlich einiges zusammen. Er stotterte
hilflos. Er starrte Peters sen. vorwurfsvoll und finster an. Der Pächter ballte
die Fäuste und fluchte beim Herabsteigen der steilen Ufertreppe, seine schlimme
Befürchtung nicht mehr verbergend. Schweigend fuhren sie heim. Was sollten sie
Biederstaedts Frau sagen?
Eine
Stunde später bog ihr Heuer in den Oberbach ein. Die Stimmung war unerträglich.
Es würden mehrere Fischerfrauen dastehen, sie ärgerlich erwarten und unbequeme
Fragen stellen. Die Sonne schien bereits von Nordwesten herein.
Da
sahen sie jemanden, der winkte. Fritz Biederstaedt! Er stand wie ein Gespenst
scheinbar in der Luft. Er war auf einen Baumstubben geklettert und rief, als
sei nicht das Geringste passiert, mit seiner dunklen Stimme, wo sie denn um
Himmels Willen solange gesteckt hätten. „Ick hew mi Sorgen mokt üm juch!“56
Da
brach es laut und grob aus allen Mündern zugleich hervor. Was er sich einbilde,
sie an der Nase herumzuführen? Ein Schwall von Worten ergoss sich über den
insgeheim von jedem für verloren gehaltenen Fritz Biederstaedt. „Dämelack,
alter!“, schimpfte Peters und tobte noch einmal los, den ganzen Kummer und die
Spannung der vielen Aufregungen von der Seele reißend. An dem Tag als die
Neubrandenburger Zeitung davon berichtete, dass in Hamburg der Stapellauf des
ersten deutschen schweren Kreuzers stattfand, standen Fritz und Jan Schlämann arbeitend im Hof. Sie
flickten das am Vortag zerrissene Zugnetz wieder zusammen. Plötzlich wandten sie
die Köpfe gleichzeitig. Denn oben im Haus war geräuschvoll ein Fenster
aufgestoßen worden. Ernst junior grüßte zackig herunter. Er winkte mit der
Zeitung, rief übermütig: “Dat wat fiert!“57 Die beiden Männer
schauten sich verdutzt an. Kurz darauf erschien der junge Chef auf dem stets
aufgeräumten Fischereihof. Er trug zwei braunfarbene Bierflaschen in der
Rechten, eine dritte unter dem Arm, während er mit der Linken immer noch das
große Blatt schwenkte. Auch seine glänzenden Stiefel fielen ins Auge. „Dorup
möten wie anstöten!“58, rief er bewegt. Biederstaedt liebte des
Juniors Herzlichkeit und griff zu, ehe er wusste, was er begrüßen und feiern
sollte. Schlämann, als er hörte, worum es ging, kniff vorsichtshalber die
Lippen zusammen. Dennoch brummte er vor sich hin. Die beiden jüngeren Männer hatten
ihre Meinungen in einer, seiner Auffassung nach, sehr oberflächlichen Art und
Weise gebildet. Was die Zeitung schrieb hielten sie für wahr und gut.
Schlämanns Überzeugung nach schwärmten sie von Sachen, die ihnen selber
schlecht bekommen würden. Nach den ersten geleerten Flaschen holte Ernst junior
neue. Dem Griesgram zum Trotze tranken und freuten sie sich. Schließlich blies
Fritz Biederstaedt, wenn auch nur aus Sympathie für Ernst, die dicken Backen
auf und trompetete übermütig: „Deutschland, Deutschland, über alles...“ Dabei
warf er aus der Stimmung heraus die kräftigen Beine im Paradeschritt. Sein
Freund Peters junior machte sogleich mit. Während sie exerzierten, streckten
beide die Arme aus, jeder seine Bierflasche wie eine senkrecht stehende Fahnenstange
in der Hand, beide beschwipst. Durch die Erschütterungen und Schüttelei kam
Schaum hoch und quoll über den Flaschenrand. Meister Schlämann ließ aus
Empörung die Arbeit liegen und ging nach Hause. „Dummheit lässt grüßen!“
murmelte er grantig, konnte und wollte das nicht mit ansehen.
Damit
spaßte niemand ungestraft. Dass Deutschland wieder Waffenfestung sei in der
Welt und irgendwann „mehr“ als der Tommy sein wollte, hielt er für tödlich.
Als
Monate später die beiden Peterssöhne Heinz und Ernst nach Nürnberg zum
Reichsparteitag fuhren, knurrte Schlämann vor Biederstaedt unvorsichtig, dass
der Hitlersche Größenwahn dem nächsten Katzenjammer bloß vorauseile.
Die
Jungen seien dabei, verblendet wie jene bei der Begeisterungswelle 1914, sich
in ihrer Beschränktheit das eigene Grab zu schaufeln. Dass er mit dieser
Unkerei tatsächlich seine Verachtung zum Ausdruck gebracht hatte, bemerkte er
jedoch erst, als Fritz ihn bösartig anfunkelte. Auf seinen Freund, Ernst
junior, ließ ein Fritz Biederstaedt auch nicht den Schatten eines Makels
fallen.
Fritz
Biederstaedt hatte sich eine Illustrierte gekauft die vom Reichsparteitag
berichtete. Ihm war die große Begeisterung der Reporter wie eine warme Woge
entgegen geschlagen. Die herrlichen Bilder hielt er Meister Schlämann am Tage
nach dessen unbesonnener Kritik vorwurfsvoll unter die spitze Nase. Doch
Schlämann erwiderte fest: „Fritz mark di dat. Övermaut deit selten gaut.“59
Eine
ganze Woche lang, nachdem er wieder heimgekehrt war, schwärmte Ernst junior,
während der nächtlichen Arbeit des Fischens, wie er den Reichsparteitag
empfunden hatte. Unentwegt hätten sie jubeln können. Niemand fühlte mehr den
Regen und die Kälte, als ihr Führer auftrat.
Es
sei von ihm eine wunderbare Kraft ausgegangen. Ein Übermensch, von Gott
geschickt, sei da auf sie zugekommen. Das männlich harte Gesicht unbeirrt nach
vorne gerichtet wirkte wie aus Stein gemeißelt. Schritt um Schritt sei der
Barhäuptige auf sie zugegangen. Die fest aufsetzenden Stiefel, das EK eins,
diese Augen, diese Musik. Den Gedenkkranz für die Gefallenen seiner Bewegung
begleitend, leicht gesenkten Hauptes, war Adolf Hitler im Rhythmus der Takte
des Badenweiler-Marsches dicht an ihnen vorbeigeschritten. Die Herzen
Hunderttausender gehörten nur diesem Manne. Voller Ehrfurcht wie vor einer
Weihehandlung hätten sie jedem Ton gelauscht. Heinz habe vor Rührung geweint
und ihm selbst hätten sich die Augen gefüllt. Aber Heinz musste es besonders
nahe gegangen sein. Er hatte gerade den Reichsberufswettkampf als Sieger
absolviert und war mit einer vom Führer persönlich unterzeichneten Urkunde
geehrt worden. Und da sie ihn nun von Angesicht zu Angesicht erlebten und der
Führer ihnen persönlich unter so vielen Bedeutenden einen Blick der Anerkennung
schenkte, sei das für ihn ein unfassbares Glück gewesen. Freudebebend dankte
Ernst dem Allmächtigen, in eine so schicksalsträchtige Zeit hineingeboren
worden zu sein. Der Gottgesandte, auf den die Arier seit ihrer ersten
Auseinandersetzung mit den ihnen geistig unterlegenen Völkern und erst recht im
Streit und Kampf mit den asiatischen Horden
sehnsüchtig gewartet hatten,
sei gekommen, um Deutschland den
ersten Rang unter den zahlreichen Nationen zu geben. Tausend Jahre lang würde
die Sonne über glückliche Reichsgaue leuchten.
Biederstaedt
hörte gespannt zu, als Ernst schilderte, wie er und Heinz den großen
Amtswalter-Appell der NSDAP aus gewisser Entfernung miterlebt hatten. Es war am
Abend gewesen. Hunderte Scheinwerfer zauberten einen Lichtdom über den Häuptern
von zweihunderttausend Menschen. Aus der Ferne dröhnte die Rede Adolf Hitlers:
„Dass ihr mich gefunden habt, unter so vielen Millionen, ist ein Wunder! Dass ich euch gefunden habe ist Deutschlands
Glück!“
Überwältigt
vom Strom der Freude hätten er und Heinz schließlich nur noch geschluchzt:
„Unser geliebter Führer!“
Diese
starke innere Bewegung des sonst so schneidigen Heinz konnte Biederstaedt sich
gut vorstellen. Denn Heinz Peters hatte gerade vor der Fahrt nach Nürnberg die
Berufung in die „Leibstandarte Adolf Hitler“ erhalten.
Fritz
liebte die Petersjungen. Beides blonde Recken, beide mit hochfliegenden Plänen
und großen Idealen von Größe ihres Volkes.
Es
gab also doch eine Vorsehung.
„
Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ Das klang wie Musik. Doch bereits drei Wochen
später bemerkte Fritz, dass Ernst bedrückt umherlief. Dass er Kummer hatte,
stand ihm ins Gesicht geschrieben. Fritz fragte ihn schließlich, doch Ernst
winkte ab. Noch möchte er darüber nicht reden.
Unfähig
zunächst, sich auszusprechen, verbarg er andererseits nur schwach, dass sich
etwas verändert hatte. Eines Nachts, nachdem Ernst und Fritz die Fische aus dem
Wadensack gekeschert und sich eine Weile nebeneinander gesetzt hatten, um
auszuruhen, gab Ernst zu, dass er schwer erschüttert und wieder auf dem Boden
der Tatsachen angekommen wäre.
Sein
SS-Führer Gau habe ihm auf den Kopf zugesagt: „Ernst, du hesst doch Juden in
diene Verwandtschaft, nich?“60
Mit
großer Beklemmung und bloß stotternd hätte er dem Grobian Gau auf die Frage
nach dem Ariernachweis von Tante Ilse antworten können: „Deutsche
Verwandtschaft, Deutsche!“
Er
habe endgültig zur Kenntnis nehmen müssen, dass gewisse Theorien Hitlers ihn
praktisch und persönlich nachteilig betrafen.
Danach
ging es mit seiner SS-Gesinnung steil bergab.
An
diesem Umschwung nahm Fritz betroffen Anteil.
Ernst
erzählte plötzlich Einzelheiten über eine Stadt Guernica. Hitlers Göring hätte
diese Stadt schon vor Monaten ausgelöscht. Der Begriff „auslöschen“ hatte nach
der Frage des SS-Führers Gau, weil sie in beängstigender Weise gegen Tante Ilse
zielte, in seinem Innern wie eine Kolik gewühlt.
Solange
sei ihm das Schicksal der baskischen Stadt Guernica gleichgültig gewesen, wie
der Name irgendeines Unbekannten, der in einer fremden Stadt gestorben war.
Doch nun sah er verbotene, aber wahre Fotografien mit unfreiwilliger
Gedankenverbindung zu seiner nichtarischen Verwandtschaft. Da lagen
Schulmädchen neben Pferdekadavern, alles in Stücke gerissen. Das haben Deutsche
gemacht! Deutsche wie er.
Ernst
fühlte sich verraten und verletzt.
Er
sammelte immer mehr bittere Erfahrungen, bis er schließlich Biederstaedt und
Schlämann gegenüber insgeheim bekannte, dass die allgemeine SS, der er
angehörte, nur eine gemeine Bande sei. Diese unflätigen Redensarten und
geistlosen Prahlereien der meisten Vorgesetzten regten ihn längst auf. Selbst
die Anzüglichkeiten, wenn über Mädchen zweideutig gewitzelt wurde, mochte er
nicht.
So
leichtfertig, so miserabel von lieben Menschen zu reden, sei ihm ein Gräuel.
Dieselben Halunken, die eine verheiratete Frau zu einem Abenteuer überredet
hatten, stellten ihr hinterher ein miserables Zeugnis aus. Einerseits hieß es
„Blut und Ehre!“, andererseits wühlten sie im Dreck der Unehre. Alles, was sie
über die Juden sagten, sei zotig und verlogen. Wie begründet erschien Ernst
Peters jetzt dagegen die damals noch unverständliche Angst der Tante Ilse.
Bitte Ernst, verrate mich nie!
Die
Organisation, der er zugehörte, sei ein Ungeheuer.
Ob
Heinz, wenn er diesen seinen Gesinnungswandel erkannte, schweigen würde? Nun da
er in Berchtesgaden Dienst leistete?
Es
war beängstigend, den jüdischen Exodus mitzuerleben. Vor der Machtergreifung
Hitlers wohnten über einhundert Juden in Neubrandenburg. Jetzt konnte man sie
an zehn Fingern abzählen. Die Heines zu dritt, zu zweit Angehörige der Familie
Rosenstein. Wer noch? Die Geschwister Wolff, das machte sieben. Die Schwestern
Eliasowitz, Abraham Salomon, Paula Kallmann, Frau Jakob. Es mochten noch
vierzehn verwegene, heimattreue Leute sein. Mehr nicht. Doch wie es schien, waren
diese wenigen Harmlosen gewissen Bösewichtern dennoch ein Dorn im Auge.
Jedenfalls hetzten sie, je mehr sich die Proportionen zu Ungunsten der
heimischen deutschen Juden verschoben.
Weshalb,
fragte Ernst junior sich? Keiner verkaufte so billig wie die Heines, wie die
Wolffs. Ihre Verwandtschaft hatte zwischen 1914 und ’18 im Kriege höchste
Lorbeeren geerntet. Eiserne Kreuze, sogar den „Pour le merite“.
„Was“,
fragte Ernst Peters junior sich, „war der wahre Grund für den deutschen
Rassenhass?“ Er konnte es sich nicht erklären. Denn denjenigen Juden, die
Christen geworden waren, gestanden die Verfolger Sonderrechte zu. Diese Leute
beschimpfte kaum jemand trotz ihres Judenblutes. Es ging also gar nicht um die
angebliche Schädlichkeit des jüdischen Erbgutes. Ging es vielleicht um die
Befriedigung eines Hasses aus Neid?
Ernst
spürte natürlich, dass eine gewisse niederträchtige Stimmung gelegentlich auch
ihn befiel, die er jedoch schnell überwand und der er nicht erlaubte, ihn zu
verderben.
Wann
immer er andere nach dem wahren Grund der anhaltenden Verwünschungen fragte,
gab es lediglich ein trotziges „Darum!“
Die
ihm namentlich und von Angesicht als freundliche Mitbürger bekannten Juden
sprachen wie alle, dachten wahrscheinlich nicht schlechter und nicht besser.
Nur der üble Atem ihres Fastens war da, und das Faszinierende ihrer geistigen
Wendigkeit. Deshalb? Das verstehe, wer will. Noch nie hatte er einen einzelnen
Neubrandenburger im Gespräch unter vier Augen reden hören, man müsse die Heines
oder die Rosensteins wegjagen. Im Gegenteil, jeder lobte sie für ihre
Großzügigkeit. Was, um alles in der Welt, war des Pudels Kern? Ernst junior
täuschte sich nicht. Es lag etwas nie Dagewesenes in der Luft. Der Führer
allein konnte diese Stimmung nicht über die Städte legen. Auch der Geist von
ein paar tausend Fanatikern, die nie irgendwelcher Argumente bedürfen, konnte
nicht diesen undurchdringlichen, flirrenden Nebel machen. Gnadenlos wird es den
Harmlosen an den Kragen gehen. Warum? Warum wirklich? Das war ihm ein Rätsel.
Daran würde er sich niemals beteiligen. Deshalb würde er nie wieder nach
Nürnberg fahren, so schön und gastlich die Stadt ihm auch erschienen war und so
beeindruckend diese Massenaufmärsche auch auf ihn gewirkt hatten. Viel lieber
fuhr er auf den See und genoss die Stille und die Schönheit der Natur.
Am
9. November zerstörten SA Leute das Schuhgeschäft Wolff in der Treptower
Straße.
Als
Ernst junior das erfuhr, ging er, in tiefes Nachdenken versunken, in sein
Zimmer. Er starrte auf das postkartengroße Foto seines Bruders Heinz und hielt
mit ihm stumme Zwiesprache. „Niemals!“, schwor er sich. Wann immer, er wird dem
Treiben ausweichen und den Lumpen die kalte Schulter zeigen.
„Aber
reiße deinen Mund nicht zu weit auf!“, sagte er sich. Denn jäh fuhr ihm wieder
die Angst um Tante Ilse in die Knochen.
Wenig
später schickte Schlachter Gau seinen Lehrling und ließ Ernst mitteilen, es sei
Dienst für den Abend angesetzt. Da war sie schon, die erste Gelegenheit, laut
Nein zu sagen. Ernst jun. wunderte sich über die Intensität des Gefühls, dass
eine neue Bosheit in die Welt gesetzt werden sollte. Oder war es mehr? Hatte er
sie an den Schulungsabenden nicht reden gehört, man müsse den Juden
„heimleuchten“. Dieser eindeutige Begriff kam ihm lebhaft in Erinnerung, als
der kesse Lehrling vor ihm stand. „Sage deinem Meister, ich muss die
Nachtfischerei leiten! Ich muss mich für heute entschuldigen!“
Der
zum Oberscharführer beförderte Schlachter Gau wunderte sich sehr, dass einer
seiner besten Männer ausgerechnet an einem für die Bewegung wichtigen Tag
freiwillig zur Nacht arbeiten ging. Hatte der Kerl Peters denn keine Ehre im
Leib?
Als
Ernst gegen Abend hinausfuhr, am Steuer sitzend, und die Weite des dunkelnden
Sees vor sich sah, atmete er tief durch. „Niemals!“, sagte er laut und spürte,
dass da auch auf ihn ein Verhängnis zukam.
Er
hatte den schweren Fehler begangen, die schwarze Uniform anzunehmen, eine
zweite ähnliche Dummheit wird er unterlassen. Dein gutes Gewissen ist
wertvoller als Lametta und höchstes Lob. Was half ihm der Gewinn der halben
Welt, wenn ihn dieser Besitz unglücklich machen würde? Da konnte er Heinz nicht
verstehen, dass der immer noch mit Begeisterung Hitlers und seines
Luftmarschall Görings Angriffe deutscher Sturzkampfbomber auf spanische Städte
verteidigte. Diese furchtbar heulenden Ju 87 hatten ihre Bomben über wehrlose,
schlafende Städter ausgeklinkt.
Sie
könnten dem Falangistenführer Franco zwar zum Sieg verhelfen. Aber was, außer
dem Ruf, Mörder zu sein, würden sie sonst noch dauerhaft erwerben?
In
dieser Nacht brannten Ernsts Kameraden in Neubrandenburg die Synagoge nieder.
Obwohl
sich der Feuerschein am Himmel widerspiegelte hatten er und seine Männer es
nicht bemerkt, da sie in einer von hohen Buchen eingeschlossenen Bucht
arbeiteten.
In
dieser Nacht, einen Monat nach seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag, brannten
reichsweit zweihundertundfünfzig Synagogen In London und Paris, sogar in New
York hörten die Menschen den Schrei und sahen später entsetzt die heimlich
aufgenommenen Bilder. Einundneunzig deutsche Bürger jüdischen Glaubens wurden
in dieser Nacht ermordet und ihr Blut verlangte nach Rache.
Doch
der deutsche Alltag schien wie gewohnt seinen Fortgang zu nehmen.
Ernst
wusste nun was er tun musste. Er würde versuchen sich zurückzuziehen von diesen
Unmenschen. Hätte er sich seine ersten heimlichen Bedenken nur eher zu Herzen
genommen.
Einmal
hatte einer von der höheren SS-Charge die Katze aus dem Sack gelassen: “Was wir
Ausbilder des Führernachwuchses wollen, ist ein modernes Staatswesen nach dem
Muster der hellenischen Stadtstaaten. Fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung,
ihre beste Auslese soll herrschen, der Rest hat zu arbeiten und zu gehorchen!
Innerhalb von zehn Jahren wird uns auf diese Weise möglich sein, Europa das
Gesetz Adolf Hitlers zu diktieren und die wahre Völkergemeinschaft mit
Deutschland als führender Ordnungsmacht an der Spitze aufzubauen... ihr
Mitglieder der SS seid des Führers Elite!“
Diese
Elite steckte nun Häuser an und verprügelte wehrlose Grauköpfe! Jeder Satz den
er je zugunsten Hitlers gesprochen peinigte ihn. Wie hatte er sich je
freiwillig unter den „Führereid“ stellen können? Wort für Wort des Gelübdes kam
ihm in den verstörten Sinn: „Ich schwöre dir, Adolf Hitler, als Führer und
Kanzler des Reiches Treue und Tapferkeit. Ich gelobe dir und den von dir
bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod, so wahr mir Gott helfe!“
Jawohl,
er, Ernst Peters junior, war so töricht gewesen, diesen Eid des SS-Mannes auf
sich zu nehmen, - doch er wird ihn brechen, gemäß seinem Gewissen, das für ihn
über jedem Gelöbnis stehen wird, solange er atmet.
Der
stete Aufstieg und der schnell vermehrte Reichtum führte zunehmend zur
Schlaflosigkeit des Großpächters Peters. Eines Nachts ging Ernst senior in den
Stall und nestelte eine der langen Kuhketten ab, welche die Rinder auf der
Viehweide trugen. Die schleppte er treppauf, treppab über die Metallschienen
der Stufen.
Unsanft
aus den Träumen gerissen, fuhren die im Hause wohnenden Mieter und seine eigene
Frau hoch. Auch Sohn Ernst schüttelte den Kopf und wollte wissen, was das
bedeuten solle.
„Wenn
ick nich schlopen kann, bruken annern Lüd dat uk nich!“61
Teil 1
Anmerkungen:
1 „Fritz
Biederstaedt, ich habe dir schon dreimal gesagt, dass du bei mir nicht arbeiten
kannst. Du bist noch zu dürre!“
2 „Dann man zu, ...sie werden das schon
machen. Aber wenn sie glauben, dass
die Bleie goldene
Flossen haben, dann irren sie sich.“
3 „Zu dürre, Franz Meltz! Hundertachtzig
hättest du bieten müssen! Zu dürre!“
4 „Sie haben ja bloß Weißfische!“
5
„Diese Frechheit habe ich nicht gehört!“
6 „Die Aufregung steht ihnen diesmal nicht zu!“
7 „Ach! Daher weht der Wind!“
8 „Wenn euch das bei mir nicht gefällt, dann
sucht euch andere Arbeit!“
9 „Jan! Kommen sie in mein Büro!“
10 „Meister,
lassen sie das mal gut sein. Wir wollen uns doch nicht erzürnen.“
11 „Meister, ich glaube, wir können nun zu Eise
fischen!“
12 „Los Leute! Karl hat Recht. Ziehen wir noch
Alt-Rehse!“
13
„Nur zu!“
14
„Wenn es was wird, dann wird es was!“
15 „Ein gutes Zeichen!“
16
„Das sind Bleiplötzen!“
17
„Wir haben sie! Wir haben sie!“
18 „Habe ich
euch das nicht gleich gesagt? Heute fangen wir etwas! Heute fangen wir etwas!“
19 „Fünfzehn Tonnen!“
20
„Ich laufe hinunter!“
21 „Fru
Meistern, wie hem de Bli!“
22
„Bist du es, Fritz?“
23 „Ja,
Meister, wir haben die Bleie auf der Großen Lanke gefangen. Bleie, groß wie
Waschbretter.“
24 „Wie
viel hat Jan geschätzt?“
25
„Jan Schlämann hat gesagt, es sind dreihundert Zentner.“
26
„Ist das wirklich wahr?“
27
„Meister, habe ich je gelogen?“
28
„Fünfzehntausend!“
29
„War das Netz bereits morsch, Fritz?“
30 „Ja, auf Jan ist Verlass!“
31 „Die
Bleie, Meister Meltzen, haben doch goldene Flossen!“
32
„Das dämliche Zeug wird uns noch viel Ärger bereiten.“
33
„Fritz, du brauchst dir nichts dabei zu denken!“
34 Krieg muss es geben!
35 „Meine
Leute fangen im Augenblick nichts.“
36 „Tut
mir leid, wir fangen momentan nichts.“
37 „Der Alte hat den See ausgeplündert. Kein
Wunder, er hat jeden Schwanz mitgenommen.“
38 „Wir spielen doch bloß um einen zehntel
Pfennig.“
39
„Krieg muss es wieder geben, Fritz!“
40 „Aber, das hätte auch mehr Geld werden
können.“
41
„Meister, sie wollen da doch nicht hineingehen?“
42
„Meister, das ging zu weit. Wir haben getrunken und das bekommt
ihnen nicht.“
43 „Ich bin
die Verantwortung!“
44
„Da gibt es nichts!“
45 „Jetzt
wird Mümmelloch gezogen, wo es nichts geben wird!“
46
„Zwanzig Pfund!“
47 „Jan! Gestohlen wird nicht!“
48
„Meister!“... „haben wir nicht sehr schöne Fische gefangen?“
49
„Komm Ernst“,... „das hilft ja alles nichts, Spaß muss sein.“
50 „Das geht nicht!“
51 „Jawohl! Durchschneiden!“
52 „Ich mach das Meister!“
53
„Zu!“
54
„Der Kerl ist längst zu Hause!“
55
„Sind sie sicher, dass wir Fritz nicht verloren haben?“
56
„Ich habe mir Sorgen um euch gemacht!“
57
„Das wird gefeiert!“
58
„Darauf müssen wir anstoßen!“
59
„Fritz, merk‘ dir das. Übermut tut selten gut.“
60 „Ernst, du hast doch Juden in deiner
Verwandtschaft, nicht wahr?“
61 „Wenn ich nicht schlafen kann, brauchen
andere Leute das auch nicht!“