Ehrlich gesagt:
Ich werde ihn nie
vergessen, diesen etwa dreißigjährigen, hünenhaften Goten im Gewand eines
russisch-orthodoxen Priesters, 1972, in Leningrad (St. Peterburg).
Sein junges, weißes Gesicht, der ganze wunderbare Ausdruck seiner
Persönlichkeit. An diesem Herbstmorgen wollte ich ihn ein zweites
Mal sehen und bin früh aufgestanden um ihn, vor dem Morgenausflug
unserer Reisegruppe, sprechen zu hören.
Aber, das gibt es ja
nicht bei den Orthodoxen, dort wird herrlich gesungen und innig
gebetet.
Ein hakennasiger
Sechziger, mit langem, schmalen Gesicht und gewisser Hohheit, der ein
Intellektueller sein musste, kam mit anderen Besuchern nach vorne.
Der junge Mann nahm ihn unter die Stola und gab ihm wie ich vermute
einen Segen. Beider Mienenspiel bewies mir ihre ganze Ergebenheit
gegenüber Gott.
In Moskau bewunderte ich,
ein Jahr später, die schlichte, einfarbige, aber ergreifende Deckenmalerei eines
Künstlers der in der Epiphanien-Kathedrale eine Geschichte aus dem
Johannesevangelium, in einem Zyklus darstellte. Es war die
Atmosphäre die mich ansprach, es war die Jahreszahl 1922, die mir
sagte, dass in der bittersten Zeit der Nachrevolution einem Mann dies
da wichtiger war als alles andere. Hingebungsvoll erzählt der
Maler, wie Jesus zum Jakobsbrunnen geht und eine Frau anspricht,
die fünf Männer gehabt hatte und die nun unverheiratet mit dem
sechsten zusammenlebte, was Jesus wusste. Ihr Erstaunen: “wie
kannst du als ein Jude mich eine Samariterin um Wasser bitten”,
beschwichtigte er beeindruckend. All das fand hier seinen schönen
Ausdruck.
Viele Jahre später, etwa 1995, besuchte ich in der Nähe von Orlando, Florida einen Gottesdienst der "Born again". Die hübsche Dame auf der Bühne, deren Beine auch meine Blicke auf sich zog, rasselte mit einem holzfarbenen Tamburin um die etwa sechshundert Anwesenden, die allesamt den Eindruck gut situierter Bürger erweckten, in Schwung zu bringen....
Alles was folgte konnte gefallen, hatte jedoch, nach meinem Eindruck, eher den Charakter einer Show. Dagegen waren die Versammlungen die in der naheliegenden Mormonengemeinde stattfanden langweilig und nüchtern.
Der Lehrer in der Priesterschaftsklasse war kaum imstande eine lebhafte Diskussion zu entzünden und doch... da war ein Satz: "Laßt uns das Beste sein, das wir sein können."
Eine Woche zuvor, bei den "Born agein" gab es etwas ganz anderes das tief in meinem Bewußtsein haften blieb: "Jesus lebt! Hallelujah!" ein korpulenter Mann im noblen Dress eines Londoner Bankers war aufgesprungen und rief es ins Mikrofon: "Hallelujah!" Begeistert wiederholten Farbige und Weiße dieselben Worte, auch sie erhoben sich, warfen, wie ihr Prediger, die Hände in die Höhe: "Jesus lebt". Sie jauchzten geradezu. Mich beschlich jedoch die Frage: "Wieviel hast du heute verdient, Prediger?" Verfolgt dich jemand deines Glaubens wegen? und in Gedanken sah ich wie Pfarrer dieser Christengruppe den Pöbel Missouris, 1838, aufhetzten: "Schickt sie zur Hölle, die Mormonen!" Und sie taten es.
Ehrlich gesagt und ehrlich gefragt: Was ist das, ein Christ?
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