Atheisten sind rational
denkende und handelnde Wesen, - glauben sie.
Sie halten Gottgläubige für Irrationale. Insofern diese Aussage zutrifft, wäre das Aberglauben,
denn Atheisten haben keineswegs alle Trümpfe in ihrer Hand. Erwiesen ist gar
nichts, außer, dass sie mit ihren eigenen überwiegend schwachen Argumenten
zufrieden sind.
Reden wir über Aberglauben und Fanatismus.
Sie
sind die Gegenspieler der Vernunft. Dieses Geschwisterpaar ist kosmopolitisch. Es gedieh Jahrhunderte hindurch im Traditionschristentum. In den
ehrfurchtgebietenden Kathedralen und Domen konnten sie sich austoben um die
Menschheit unglücklich zu machen.
Hexenjagden, Bibelleseverbote,
Zwangsbekehrungen, Zölibat, Mönchsunwesen, Säulenheilige und endlose
Glaubenszänkereien und –kriege bezeugen lauter als Pauken und Trompeten wes
Geistes ihre Förderer waren.
Denselben Schwachsinn erlebten wir in der
gesamten Bandbreite im 20. Jahrhundert in Europa, allerdings unter anderen
Symbolen.
Nicht wenige Engstirnige
hielten sich von Gott inspiriert. So entstand der Begriff Fanatiker, er stammt
aus dem lat. Fanaticus d.h. „göttlich inspiriert“.
Auch Adolf Hitler hielt sich
für „göttlich inspiriert“. Er glaubte an einen persönlichen Gott, den er
Vorsehung nannte. Diese „Vorsehung“
hätte das deutsche Volk geschaffen und zur Herrschaft über die Völker
bestimmt.
Schon wer sich für klüger als andere hält neigt zum
Fanatismus. Fanatiker können wütend werden, wenn ihnen widersprochen wird. Sie
schneiden dir glatt das Wort ab, ehe du ausgesprochen hast. Sie verdrehen deine
Argumente. Neben ihrer Meinung darf das Gegenteil ihrer Überzeugung nicht zur
Geltung kommen. Sie tragen Scheuklappen. Sie rennen umso schneller nachdem sie
ihr ursprüngliches Ziel aus den Augen verloren haben.
Fanatiker richten letztlich
immer Schaden an. Sie produzieren gegen alle Vernunft Aberglauben. Diese
Todfeindschaft contra Gewissenhaftigkeit ist allgegenwärtig. Ob die bewaffneten Fanatiker ihrer jeweiligen
Ideologie ein (Christus-)Kreuz, den Sowjetstern, das Hakenkreuz oder die
Maobibel vor sich hertrugen, sie waren desselben Ungeistes der Intoleranz,
sowie der Unredlichkeit. Ohne Feindeshass kamen sie nicht aus.
- „Die Juden sind
Gottesmörder“,
- „Proletarier
aller Länder vereinigt euch“
- „Wer ein Christ
ist, das bestimmen wir“,
- „Gott will es“
(das Kreuzzugsbekenntnis). Nie bewirkten sie Gutes.
Aberglauben und Fanatismus
sind Brüder.
Der angebliche
Christenglaube, den Großfürst Wladimir, 988, der „großen Rus“ aufgezwungen
hatte, erwies sich ebenfalls als unvernünftig.
Von der ersten Minute
an duckte das byzantinische „Kirchentum“ die ohnehin Rechtlosen noch tiefer.
Es war weithin purer
Aberglauben. Was die Menschen unter der Knute des Zaren und der mit ihm eng
liierten Orthodoxen Kirche zu akzeptieren hatten, führte zu kuriosesten
Vorstellungen von angeblicher Religion.
Von wenigen Ausnahmen
abgesehen, hat sich niemand ernsthaft bemüht die „Getauften“ auf eine höhere
Stufe zu heben, obwohl dies das proklamierte Ziel Christi war:
„Ihr sollt vollkommen werden, gleich wie euer
Vater im Himmel!“
Nach fast achthundert
Jahren „Christentum“, beschreibt ein aufmerksamer Beobachter die Situation
um 1780:
"Der
Russe hat an nichts Interesse, weil er nichts besitzt... er lebt ohne
Vaterland, ohne Gesetze, ohne Religion... er hat noch gar keinen Begriff
davon was es bedeutet frei zu sein, die Erdscholle auf die er gefesselt ist zu
verlassen kann er sich nicht vorstellen.... Er hasst alle Arbeit, weil er
niemals für sich gearbeitet hat, er hat sogar noch keinen Begriff von Eigentum,
seine Felder, seine Habseligkeiten, sein Weib, seine Kinder, er selbst gehören
einem Herrn, (einem „christlichen“ Herrn, G. Sk.-) der
Willkür darüber schalten kann, und es auch wirklich tut...
Außer einem
geweihten Amulett, das jeder Russe von der Taufe an, wo er es bekommt, am
Halse trägt und nie ablegt, hat er gewöhnlich noch ein Bild von Kupfer in
der Tasche, das den Heiligen Nikolaus oder einen anderen Heiligen, der sein
Patron ist, vorstellt. Er nimmt es mit auf Reisen. Nichts ist sonderbarer, als
wenn man einem Bauern oder Soldaten zusieht, wie er seinen kleinen Gott
aus der Tasche zieht, darauf spuckt, ihn mit der Hand reibt, und sich plötzlich
vor ihm auf die Erde wirft, hundertmal das Zeichen des Kreuzes macht, die
tiefsten Seufzer ausstößt und seine 40 "Gospodi pomiloi" (Gott sei
mir gnädig) hersagt. Ist das Gebet zu Ende so tut er den Gott wieder in die
Büchse und steckt sie in die Tasche...
Ich habe
eine russische Fürstin gekannt, deren Hausgott ein großes silbernes Kruzifix
war, das beständig in einem besonderen Wagen hinter ihr herfuhr, und am Abend
in ihrem Schlafzimmer aufgestellt wurde. War ihr der Tag über ein Glück
widerfahren, und war sie mit ihren Liebhabern zufrieden, so ließ sie eine Menge
Wachkerzen um dasselbe herum anzünden, und sagte dann in einem vertraulichen
Ton zu ihm: Nun siehst du? weil du dich heute gut aufgeführt hast, so sollst du
auch gut behandelt werden. Die ganze Nacht hindurch sollst du brennende
Wachslichter haben, ich will dich lieben, zu dir beten, du sollst mein lieber
kleiner Herr Gott sein. War ihr hingegen irgendetwas Unangenehmes zugestoßen,
so durften die Kerzen nicht angezündet werden. Sie verbot ihren Bediensteten
dem armen Kruzifix irgendeine Art von Verehrung zu erweisen und überhäufte es
mit Vorwürfen, Scheltworten und Grobheiten." F. Ph. Masson, "Geheime Nachrichten
über Russland unter der Regierung Katharinas..." 1800, Paris.
Selbst die
radikal-atheistische „Revolution“, die imstande war die meisten ihrer Bürger zu
Ungläubigen zu machen, vermochte es
nicht die Menschen vom Aberglauben abzubringen. Leute die lange Jahre in der
atheistisch orientierten Sowjetunion verbrachten berichten, wie abergläubisch
sonst staatskonforme Menschen sein konnten.
„…was ich mit meinem russischen Chef in der Kolyma erlebte, versetzte
mich (obwohl ich seit meiner Kindheit russischen Aberglauben kannte) in
Staunen. Er war Parteibonze und Atheist. Eines Tages gab er mir den Auftrag den
Generalplan unserer Siedlung zu zeichnen, und zwar farbig. Etliche Tage lang
war ich mit Messungen beschäftigt… dann begann das Zeichnen… als ich mit der
Zeichnung fertig war, trug ich einen Weg ein, der noch nicht existierte, auch
im Straßenbauprojekt nicht vorgesehen war. Er führte durch den Wald zu einem
flachen Berghügel. Da oben zeichnete ich Kreuze ein, von einem Zaun umgeben.
Die Aufschrift lautete: „Friedhof!“.
Als unser Chef morgens das Büro betrat, meldete ich ihm, der Plan sei
fertig… als ich den Plan auf seinem Tisch ausbreitete krächzte er wohlwollend:
„Gut, gut, sehr gut…“ Dann glitt sein Blick den Weg zum Friedhof entlang – und
er schrie auf: „Was denkst du dir, einen Friedhof einzuzeichnen! Wo doch
niemand gestorben ist! Wann hast du das gemacht, gestern oder heute?“ fragte er
erregt.
„Heute morgen.“
„Ein Glück, wenn er die Nacht auf dem Papier gewesen wäre, dann wäre
heute Nacht jemand gestorben. Schnell radier alles aus!“
Er schob den Plan von sich weg. In einer Stunde hatte ich alles
ausgebessert. Da wo die Kreuze waren, wuchsen jetzt auf dem Papier grüne
Tannen. Auch den Weg zum Friedhof hatte ich ausradiert.
„So, jetzt ist alles in Ordnung“ Hättest du den Friedhof schon gestern
aufgezeichnet, dann hätte der Satan ihn nachts gesehen und ein Opfer geholt,
jemand wäre gestorben.“Er unterschrieb gut gelaunt den Plan… nachmittags machte
sich der Chef auf den Weg…
Meine Mitarbeiter, die alles mitgekriegt hatten, sprachen sich jetzt
aus. So ein Glück, dass ich erst heute Morgen den Friedhof aufgezeichnet hatte,
sonst wäre bestimmt schon ein Toter zu beklagen. Ich schwieg. Den Plan, auch
den Friedhof, hatte ich schon am Tag zuvor fertig gestellt. Aber der Satan ist
dem Aberglauben nach nur nachts aktiv,… Über den Aberglauben der Russen könnte
man Bände schreiben. Im Grunde gibt es aber nichts zu belächeln. Sie leiden
darunter und sind ängstlich, sie fürchten Gefahren und schlimme Dinge, wenn sie
schlecht geträumt haben.“ Georg Hildebrandt „Wieso lebst du noch?“ – ein Deutscher im Gulak.
Ullstein, 1993
Wenn man dagegen begriffen hat, dass Religion
nichts anderes bedeutet als “gewissenhafte Nachdenklichkeit” (vom lateinischen
Wort „relegere“) dann wird klar, dass jede Art Übertreibung, Aberglaube oder
gar Fanatismus, Todfeinde jeder echten Religion sind. Unecht wird Religion wenn
sie Gewissensentscheidungen und Vernunft unterdrückt.
In Zentraleuropa war
es kaum anders. Bis in die Gegenwart hinein, werden Reliquien aller Art fast
angebetet. Einige sollen die Macht haben Sünden zu vergeben.
Man kann in der Kiste
„Religion“ alles finden, obwohl das meiste was da von Dummköpfen zusammen
getragen wurde, mit Religion so viel zu tun hat, wie Dunkelheit mit dem
Sonnenlicht.
Das krampfartige Bemühen theologischer
Fakultäten das System des Zweiklassenchristentums, (hier die Kleriker und da
die Laien), aufrecht zu halten, wird den Atheisten weiteren Zulauf bescheren.
Die Zeit der Kirche Konstantins ist eben abgelaufen.
Es kommt aber dennoch die Zeit für vernünftigen
Glauben der sich in Hingabe an den Geist der Toleranz und der entschlossenen
Verteidigung der Unantastbarkeit der Menschenwürde auch des Schwächsten
ausdrücken wird.