Sonntag, 11. Oktober 2015

Welt online am 10. Oktober 2015

"Der Luftbrücken-Pilot Gail Halvorsen hatte 1948 die 

Idee für einen der größten PR-Erfolge des 20. 
Jahrhunderts …

Auch Pathos will gekonnt sein – und wenige Menschen beherrschen es so gut wie Gail Halvorsen: "Wir haben nur ein paar Monate für euch gearbeitet", ruft der Veteran der US Air Force in Deutschland gern mal seinen Zuhörern zu: "Ihr gebt uns das seit Jahrzehnten zurück. Danke!"
Halvorsen dürfte der bekannteste Pilot sein, der jemals Transportflugzeuge gesteuert hat. Der Mormone, Jahrgang 1920, hatte schon privat eine Pilotenlizenz gemacht, bevor er für das damalige US Army Air Corps Maschinen vom Typ C-47 und bald auch größere C-54 in Südamerika flog. Nach dem Krieg blieb er bei der neuen amerikanischen Luftwaffe – und ließ sich Anfang Juli 1948 nach Deutschland versetzen.
Seit gerade einmal zwei Wochen hatten die Sowjets West-Berlin von der Versorgung aus den drei westlichen Zonen abgeschnitten. Der US-Militärgouverneur Lucius D. Clay hatte sich mit seinem Vorschlag durchgesetzt, nicht nachzugeben, sondern die Teilstadt aus der Luft zu versorgen und so Stalin in die Knie zu zwingen.
Berliner Luftbrücke

Eine Aufgabe, die Halvorsen gefiel. Dank seines Glaubens war er ein immer fröhlicher, rundum positiver Mensch. Und so fiel ihm auf, dass an den Zäunen um das Flugfeld stets Kinder standen und sehnsüchtig zu den Flugzeugen emporschauten, die im Abstand von wenigen Minuten Lebensmittel, Kohle und andere Güter einflogen.
Schon nach wenigen Tagen ging er in einer der kurzen Verschnaufpausen der Piloten vor dem Start zurück zu den Kindern an den Zaun und gab ihnen Schokolade und Kaugummis. Doch sein Vorrat ging schnell zur Neige, und so hatte er eine Idee: Zurück auf dem Stützpunkt Rhein-Main, bastelte Halvorsen kleine Fallschirme – aus Taschentüchern. Daran befestigte er Süßigkeiten, die er im PX-Store gekauft oder aus den Rationen seiner Kameraden zusammengebettelt hatte, und warf sie beim nächsten Landeanflug in Tempelhof aus dem Fenster. Das sprach sich schnell herum, sodass die Schar der Kinder immer größer wurde.
Bald darauf ging Halvorsen wieder zu den Kindern am Zaun. Sie dankten ihm, klagten aber auch, dass sie nie wüssten, wann seine Maschine käme und Bonbons vom Himmel fallen würden. Wieder hatte Halvorsen eine Idee: Er werde mit den Flügeln seiner C-54 wackeln, dann wüssten die Kinder, dass es gleich "Candies" regnen werde.
Luftbrücke

Der Einfall erwies sich als einer der größten PR-Erfolge des 20. Jahrhunderts. Wieder warfen US-Flugzeuge ihre Fracht über der vormaligen Reichshauptstadt ab – aber diesmal waren es keine Bomben wie 1944/45, sondern Süßigkeiten. Schnell hatte Halvorsen den Spitznamen "Candy-Bomber", der als "Rosinenbomber" ins Deutsche übersetzt wurde. Wegen des Wackelns beim Anflug nannte man ihn auch "Uncle Wiggly Wings" ("Onkel Wackelflügel").
Die Herzen der Menschen in der eingekreisten Teilstadt flogen ihm zu. Er wurde der große Sympathieträger der Luftbrücke. Den ebenso harten wie aufrechten Clay respektierten die West-Berliner, Halvorsen liebten sie. Und auch daheim in den USA löste er mit seinen beiden Ideen einen Strom an Unterstützung aus. Dass die Berliner Luftbrücke, die erste große Schlacht im Kalten Krieg, mit einem klaren Sieg der freien Welt über den kommunistischen Block endete, lag ganz wesentlich auch an Halvorsen.

Bild: Wikipedia (Foto: US Air Force)
Daran denkt der Veteran bis heute gern zurück. An diesem Samstag feiert Halvorsen daheim in Utah seinen 95. Geburtstag. Dass er so alt geworden ist, dürfte nicht zuletzt an seiner positiven Weltsicht liegen. "Ich habe 24 Enkel und 43 Urenkel", erzählt er Besuchern gern: "Glauben Sie mir, Langeweile gibt es da nicht eine Sekunde!"
Luftbrücke

Nach 67 Jahren ist er naturgemäß einer der allerletzten Männer, die noch aktiv an der Luftbrücke beteiligt waren. Im vergangenen Jahr musste er aus gesundheitlichen Gründen den bereits geplanten Besuch in Berlin absagen. Aber er will die Reise nachholen. Er ist wieder fit, geht spazieren und reitet sogar wieder.
Die Neigung zum Pathos hat er immer noch: "Ich bin so gern drüben", sagt er über Deutschland: "Die Menschen sind so freundlich und ja, immer noch dankbar." Wer hört das nicht gern aus dem Mund eines so freundlichen und friedfertigen Helden?"


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