Axel, mein schärfster Kritiker schrieb:
Lieber Gerd
Wuerdest Du Romney einen ebensolchen Vertrauensvorschuss geben, wenn er nicht Deiner Religionsgemeinschaft angehoeren wuerde? Lehrt nicht selbst die Mormonenkirche, dass ALLE Menschen fehlbar sind. Diagnostiziert nicht sogar das Buch Mormon, dass oft sehr fragwuerdige Figuren mit nach aussen gewandter Froemmigkeit selbst in der "wahren"Kirche ihr Unwesen treiben? Ist nicht der schon im Buchtitel exemplifizierte dumpfe Nationalismus von Romney (No Apology- The Case for American Greatness) ein Warnsignal? Was wuerde Hugh NIbely von diesem Erzkapitalisten Romney halten? Du kennst doch Nibleys Kapitalismus-Kritik? Ich kenne eine ganze Reihe glaeubiger Mormonen, die von Romney gar nichts halten... Partei- und Kirchendisziplin waren noch nie gute Gruende, um auf einem Auge blind zu sein. Du hast doch selbst unter Mormonen Alternativen zu Romney -- siehe Rocky Anderson beispielsweise. Hier ist wirklich ein Mann mit Integritaet -- nicht der ueberfuehrte Serien-Luegner Romney.
Schaffen die Superreichen wirklich all die Werte -- nicht die Arbeiter, Ingeniuere, Wissenschaftler? Was ist Deine empirische Basis fuer diese Position? Sind die Koch-Gebrueder, die Waltons und Co. wirklich "erfolgreiche weltverbessernde Erfinder"??? Diese gibt es zwar auch unter den Milliardaeren -- aber die sind doch entschieden in der Minderheit. Selbst Bill Gates' "Genie" bestand nicht in seinen technologischen Innovationen, sondern darin, dass er die von ANDEREN entwickelten Cmputer-Programme nur geschickt VERMARTETE. Nicht nur im zum Glueck verblichenen Staats-"Sozialismus", nein auch im Real Existierenden Kapitalismus klaffen schoene Theorie und bedeutend weniger schoene Realitaet weit auseinander. Wirtschaftsgeschichte ist in weiten Zuegen Kriminalitaetsgeschichte. Man muss nicht Marxist sein, um dies zu sehen. Selbst in der buergerlichen FAZ kann man dies nachlesen.
Ich betrachte das Kommunistische Manifest als eines der moralisch und ethisch hochstehensten Dokumente der Menschheitsgeschichte. Marx und Engels gehoerten zu den Besserverdienenden -- und waren angewidert vom Elend des sehr wohl exisitierenden Industrieproletariats im 19. Jahrhundert. Diese Parteinahme fuer die Ausgebeuteten und Schwachen hat Marx und Engels viele persoenliche und finanzielle Nachteile gebracht -- dies erkennen selbst serioese nicht-marxistische Wissenschaftler an. Lese beispielsweise den nun wirklich anti-kommunistischen Historiker Simon Sebag Montefiore! Kennst Du das kuerzlich erschienene Buch "Love and Capital -- Karl and Jenny Marx and the Birth of a Revolution"? Die Autorin -- Mary Gabriel -- ist ebenfalls ganz gewiss keine Marxistin, aber erkennt die unleugbare moralische Motivation in Marx und Engels.
Ich lese das Kommunistische Manifest ca. einmal pro Semester -- ich benutze es als Pflichtlektuere fuer meine "Einfuehrung in die europaeische Geschichte"-Vorlesungsreihe. Es ist eine allererste Einfuehrung in die Gedankenwelt von M und E -- aber natuerlich begrenzt. Das Kommunistische Manifest ist ein politisch-philosophisches Pamphlet -- und kein im eigentlichen Sinne wissenschaftliches Werk. Andere und komplexere Werke von Marx und Engels muessen hinzugezogen werden -- wie die drei Baende "Das Kapital", "Der Franzoesische Buergerkrieg" und die "Oekonomisch-Philosophischen Manuskripte." Im Kommunistischen Manifest stehen viele Vereinfachungen -- was auch in der Natur dieser Broschuere als zugespitztes Pamphlet besteht.
Hier sind die Staerken des Kommunistischen Manifestes:
1) die bisher von Wissenschaftlern vernachlaessigten WIRTSCHAFTLICHEN Zusammenhaenge von Macht und Unterdrueckung werden ins Zentrum der Analyse gebracht -- dies allein ist sehr innovativ.
2) die Ausgebeuteten und Unterdrueckten muessen nicht ewig ein passiver Spielball der Maechtigen sein -- sie sind Akteure und koennen den Lauf der Dinge positiv aendern.
3) Marx und Engels erkennen die umgeheuere Innovation und Dynamik des Industrie-Kapitalismus -- welcher die Welt in ein paar Jahrzehnten mehr veraendert als in den vergangenen Jahrtausenden. Marx und Engels sinc also nicht nur Gegner des Kapitalismus, sondern erkennen und bewundern seine historischen Staerken.
4) der Kapitalismus hat eine permanente und langfristig systemimmanente Strukturschwaeche -- die soziale Frage -- der gemeinschaftlich und kollektiv produzierte Reichtum und die privatwirtschaftliche Aneignung dessen durch die Oberen Zehntausend.
5) die Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist entweder dessen Absturz in die Barbarei (unsere heutige Welt) oder aber wahre Demokratie als politische UND wirtschaftliche Demokratie. Marx und Engels sind ausdruecklich GEGEN Parteidiktatur. Die Freiheit des Einzelnen ist die Vorraussetzung der Freiheit der Gesellschaft. In den staats-"sozialistischen" Diktatoren sowjetischer Bauart und den plutokratischen Formal-Demokratien a la USA wurde und wird die Freiheit des Einzelnen missachtet.
2) die Ausgebeuteten und Unterdrueckten muessen nicht ewig ein passiver Spielball der Maechtigen sein -- sie sind Akteure und koennen den Lauf der Dinge positiv aendern.
3) Marx und Engels erkennen die umgeheuere Innovation und Dynamik des Industrie-Kapitalismus -- welcher die Welt in ein paar Jahrzehnten mehr veraendert als in den vergangenen Jahrtausenden. Marx und Engels sinc also nicht nur Gegner des Kapitalismus, sondern erkennen und bewundern seine historischen Staerken.
4) der Kapitalismus hat eine permanente und langfristig systemimmanente Strukturschwaeche -- die soziale Frage -- der gemeinschaftlich und kollektiv produzierte Reichtum und die privatwirtschaftliche Aneignung dessen durch die Oberen Zehntausend.
5) die Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist entweder dessen Absturz in die Barbarei (unsere heutige Welt) oder aber wahre Demokratie als politische UND wirtschaftliche Demokratie. Marx und Engels sind ausdruecklich GEGEN Parteidiktatur. Die Freiheit des Einzelnen ist die Vorraussetzung der Freiheit der Gesellschaft. In den staats-"sozialistischen" Diktatoren sowjetischer Bauart und den plutokratischen Formal-Demokratien a la USA wurde und wird die Freiheit des Einzelnen missachtet.
In puncto Deiner Gedanken bezueglich der "Arbeiterklasse" als historische Kategorie -- Du schreibst hier " Alleine wenn er den Begriff Arbeiterklasse verwendet, und dabei nicht berücksichtigte oder berücksichtigen wollte, dass es die "Arbeiterklasse" praktisch nicht geben kann, es sei denn sie wird künstlich erzeugt und künstlich am Leben erhalten.":
1) es gibt keinen ernsthaften Historiker, den die Existenz des Industrie-Proletariats im 19. und fruehen 20. Jahrhunderts nicht zur Kenntnis nimmt. Zu Recht debattiert wird die Frage, inwiefern dieses Industrie-Proletariat als soziologisch-historische Kategorie homogen oder heterogen und in sich selbst sozial-kulturell diferenziert ist. Du musst hier mehr als nur das Kommunistische Manifest lesen, um die analytische Tiefe von Marx und Engels zu sehen. UND: nach dem Tode von beiden haben juengere Generationen von Marxisten neben der oekonomischen eine kultur- und milieu-spezifische Analyse entwickelt. Lese diesbezueglich Georg Lukacs's klassischen Text "Geschichte und Klassenbewusstsein" sowie das Meisterwerk von E.P. Thompson "The Making of the English Working Class." Thompsons Arbeit wird nach wie vor von Historikern aller Schattierungen als wichtigstes und methodisch innovativstes Buch zur Genese und Entwicklung des Industrie-Proleariats angesehen. Ich empfehle Dir sehr, Georg Iggers' "A Global History of Modern Historiography" zu lesen. Georg ist (wie Du weisst) mein Doktorvater und KEIN Marxist. Aber er ist der wohl international anerkannteste Experte fuer Historiographie und Methodengeschichte. Lese die entsprechenden Seiten bezueglich marxistischer Geschichtswissenschaft -- es lohnt sich!...
Mein Freund und Genosse Bill Pelz (Chicago) hat ebenfalls im letzten Jahr ein interessantes Marx-Buch geschrieben -- "Karl Marx: A World to Win" Sein Buch wurde von Pearson veroeffentlicht -- Hobsbawm und Eagleton publizierten ihre Buecher mit der Yale University Press.
Diese Buecher sind wichtig und werden Dir helfen, ueber das vom idiotischen "Marxismus-Leninismus" gepraegte plakative und dogmatische Marx-Bild hinauszugehen.
So viel fuer heute.
Take care of yourself
Dein Freund Axel
Gerd
AntwortenLöschenich hoffe in erster Linie Dein Freund zu sein und nicht nur Dein "schaerfster Kritiker."
in alter Freundschaft und, natuerlich, kritischer Solidaritaet.
Axel