Lieber Axel,
was mir am
“Kommunistischen Manifest” sogleich missfiel (in einer Zeit
meiner Fastabwendung von der Kirche zwischen August und Dezember 1951) waren seine wahnwitzigen
Prophezeiungen.
So z.B.
diese:
„Sind im Laufe der Entwicklung die
Klassenunterschiede verschwunden... so verliert die öffentliche
Gewalt den politischen Charakter!“
Ich wusste sofort, das ist eine schwer zu fassende und
deshalb kaum angreifbare Aussage und dennoch eine Behauptung, die
nichts weiter als blanke Spekulation ist, die nicht mit dem
Wesen des Menschen, wie er nun einmal beschaffen ist, übereingeht.
Entweder ist damit gemeint, jegliche Gewalt verlöre ihr
Dasein, falls die Klassenunterschiede verschwinden, oder es meint,
was wahrscheinlicher ist, die öffentliche Gewalt verlöre einen
Aspekt um einen anderen dazuzugewinnen.
Mit dem ersten könnte man leben, nur wäre das eine
Utopie.
Der andere Fall läßt aller Willkür die Türen offen.
Denn jenseits des Kampfes gegen ungerechte Aneignung des Mehrwertes,
bliebe der Kampf um die Ideenfreiheit.
Entsetzt hat mich deshalb die Bestätigung im K. Manifest zu lesen:
„unsere Kritiker sagen: es gäbe ewige Wahrheiten,
wie Freiheit, Gerechtigkeit usw. die allen gesellschaftlichen
Zuständen gemeinsam sind... aber...
die Ausbeutung des einen Teils der Gesellschaft durch den
anderen, ist eine allen Jahrhunderten gemeinsame Tatsache. Kein
Wunder also, dass das gesellschaftliche Bewusstsein aller
Jahrhunderte, allen Mannigfaltigkeiten und Verschiedenheit zum Trotz,
in gewissen Formen sich bewegt, in Bewusstseinsformen, die nur mit
dem gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes sich vollständig
auflösen wird... ein radikaler Bruch mit den überlieferten
Ideen...“
Du weisst, Axel, dass meine Religion mir verbietet, irgendeinem Menschen vorzuschreiben, was er glauben will, aber solche Toleranz verbietet mir nicht, zu sagen, wie tief ich die Ablehnung solcher Thesen empfinde, auch von der Logik her. Was soll das heißen, mit dem „gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes würden sich sämtliche (bisher anerkannten und bewährten) moralischen Werte vollständig auflösen?
Was anderes sind die bekannten sittlichen Werte als
Bewusstseinsformen?
Ich ahne zwar, dass Karl Marx sagen will, dass soziale
Ungerechtigkeit zu Krieg (Klassenkampf) führten muss, aber das weiß
doch ohnehin jeder. Druck erzeugt Gegendruck.
Das Neue ist, dass Marx den Klassenkampf, als legitimes
Mittel forcieren will um das Elend zu beseitigen.
Er nimmt an, kann aber nicht beweisen: wenn das
Proletariat buchstäblich in völligen Machtbesitz gelangt, wird eine
neue (bessere) Moral kommen, die des Proletariats (und das
rechtfertige die Verschärfung des Klassenkampfes).
Die Tatsache, dass das Proletariat nie einer Meinung
selbst in wichtigsten Belangen sein kann, ausgenommen in der Frage,
ob sie als Proletarier
sich das Leben erleichtern wollen, läßt Marx außer acht. Er
verspricht, sie hätten „eine neue Welt zu gewinnen“. Eine
Welt mit einer neuen Moral? Eine Moral der sittlichen „Freiheit“,
was immer das sein mag, kann allenfalls eine gedacht grenzenlose
sein, die sich ergäbe und das wäre kaum etwas anderes als die alte
Unmoral.
Seit jeher, ich weiss nicht weshalb, war mir klar, dass
Marx wirklich Freiheit für die Ausgebeuteten wünscht, dass sein
Verlangen echt ist, aber zugleich liegt andererseits auf der Hand,
dass er in „befreite“ Menschen, ein durch nichts!
gerechtfertigtes Vertrauen setzt.
Sehr schnell wird jeder Befreite sein im biologischen
Erbgut manifestiertes Wolfsnaturell zeigen, zwar die Sammetpfötchen,
solange er seiner neuen Macht nicht sicher sein kann, doch wenn es
ihm nötig erscheint, wird er gegen die Mitbefreiten ausschlagen.
Zuviele Idealisten die mir, nach 1945, zu erkennen
gaben, dass sie schon vor der Hitlerzeit auf Marx Kurs eingeschwenkt
waren, ließen mich in ihre Köpfe blicken. Es war unmöglich zu
übersehen, - was ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte -
gleich unter einem bißchen „Vulgärphilosophie“ als Cover oder
Feigenblatt, lag haufenweise purer Egoismus und absolute
Rücksichtslosigkeit, die einige dann bis zu ihrem Tod auslebten.
In mir ist für Illusionen kein Raum mehr.
Auch Mitt Romneys Wolfsnatur schlägt gelegentlich
durch, wie meine eigene. Das kann weder ich noch irgendjemand leugnen.
Als mich die Ehefrau meines besten Freundes,
in durchaus passend erscheinender Situation zu einem Abenteuer
einlud, wollte ich sie nehmen, sogleich und ungestüm, wie ein
gewissenloser Casanova das Objekt seiner Begierde packt, als wäre das
sein gutes Recht.
Dass ich mir jedoch, sofort als das Gelüst aufsprang,
und mir tyrannisch gebot zuzugreifen, Zügel anlegte und mich selbt
in der Hand behielt steht auf einem anderen Blatt geschrieben, auf
einem schönerem.
Wir haben zu erkennen wer wir sind.
Es gibt keinen anderen als diesen harten Weg, der
Selbstdisziplinierung aus Einsicht und Liebe.
Expropriierte oder von wirtschaftlich-politischen Zwängen Befreite, wir werden niemals sein was wir sein möchten und schon gar nicht was wir sein sollten. Es sei denn wir entscheiden kraft unserer Vernunft plus Willenskraft (König Benjamin nennt das etwas anders, aber ich verabscheue es jemanden zu provozieren) und kraft eines geheimnisvollen, anscheinend ewigen Positivpotentials niemals gegen den Ratschlag des eigenen Gewissens zu handeln.
Wäre ich Knecht oder Sklave eines reichen ungerechten,
erpresserischen Herrn und würde keine andere Hoffnung sehen, dann glaubte
ich immer noch mit Schiller und Moroni und Joseph Smith, contra
Karl Marx:
„Nein eine Grenze hat Tyrannenmacht:
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last - greift er
Hinauf getrosten Mutes in den HimmelUnd holt herunter seine ew'gen Rechte,
“Die droben hangen, unveräusserlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst -
der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht -
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen
Gegen Gewalt - Wir stehn vor unser Land,
Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!“
Pro oder contra Marx, es steht sowieso die Frage unserer
persönlichen Haltung zum Problem der Gewaltanwendung in allen
konkreten, wenn auch kleinen Fällen unseres Alltagslebens an,
weniger die Theorie.
Ich hasste die DDR weil sie mich gängelte oder zu
gängeln versuchte, aber ich betrog sie nicht.
Dazu war reichlich Gelegenheit.
So gut wie möglich, war ich ehrlich zu ihr, weil alles
andere meine Grundsätze verletzt hätte.
Mit oder ohne Marx steht die Frage nach der
Unantastbarkeit der Würde des Menschen – auch der des
verbrecherischen Herrn jenes Sklaven der ebenfalls nie sein
Individualrecht auf Entscheidungs- und Handlungsfreiheit verloren
geben kann und darf.
Mir scheint ich würde augenblicklich mein Leben, das
sich ja sowieso bald erschöpft hat, gegen jedes Diktat hingeben,
auch gegen das Diktat des Proletariats, oder das des Koran oder das
einer Partei die Kräfte freisetzt oder freisetzen wird, von der ihre
Spitzenleute noch keine Ahnung haben, allerdings auch gegen Lügner,
die der Macht wegen ihre Gesinnung wie ein Hemd wechseln.
Dein Feund Gerd
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